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2. Vorgeplänkel

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Samuel Schwartz führte eine kleine aber erfolgreiche Handelsgesellschaft in Bremen. Er handelte mit Elektronikgeräten. Er importierte Zubehör für Mobiltelefone aus Polen, wo ein Schwager eine preiswerte Lieferquelle aufgetan hatte. Batterien, Plastiktaschen, Ladegeräte waren dort erheblich billiger als auf dem deutschen Markt.

Samuel Schwartz mit seinem ansehnlichen Haus im elegantesten Stadtteil Bremens, Oberneuland, seinem Mercedes der S-Klasse sowie einem japanischen Sportwagen für seine Frau, hätte mit seinem soliden Einkommen durchaus zufrieden sein können.

Er war es aber nicht.

Nicht mehr.

Vor wenigen Tagen hatte sich ein Mann bei ihm gemeldet, der sich als Vertreter einer israelischen Regierungsstelle vorgestellt hatte. Ein Major Ariel Roth. Samuel Schwartz hatte zu diesem Zeitpunkt noch geglaubt, der Mann habe ihn angerufen, um ein Geschäft mit der israelischen Regierung zu besprechen und sich auf das Treffen in einem Restaurant in der Bremer Altstadt Zeil gefreut. Die Freude war ihm jedoch sehr schnell vergangen.

Zunächst hatten sie Deutsch miteinander gesprochen. Samuel Schwartz hatte sich gewundert, dass ein Offizier der israelischen Armee derart flüssig Deutsch konnte. Sehr bald jedoch hatte der Major begonnen, hebräische Wörter in die Unterhaltung einfließen zu lassen. Samuel Schwartz, der die heilige Sprache nur zum Beten benutzte, hatte sich schwer getan, Roth zu folgen. Trotzdem hatte er sehr bald verstanden, was Roth von ihm wollte!

Auch wenn Samuel Schwartz in Deutschland aufgewachsen war, sich als Deutscher fühlte und einen deutschen Reisepass besaß, hatte der Major ihm klargemacht, habe er als Jude die verdammte Pflicht, den von allen Seiten bedrohten Staat Israel nach besten Kräften zu unterstützen!

Samuel Schwartz hatte dies anders gesehen. Ein frommer Jude, der regelmäßig die Synagoge besuchte, musste nicht zwangsläufig die Interessen des israelischen Staates vertreten!

Was Samuel Schwartz erschüttert hatte, war, dass Major Roth bestens über seine Familie unterrichtet war. Roth wusste genau, welche Verwandten Schwartz´ in den Konzentrationslagern umgekommen waren, wie Schwartz sein Vermögen erlangt hatte. Roth sprach plötzlich nicht mehr von Israel, er benutzte nur noch den Ausdruck ,das Heilige Land`. Und er appellierte eindringlich an Schwartz, das Heilige Land zu unterstützen. Schwartz hatte daraufhin geglaubt, es ginge um eine Spende.

Es hätte ihm Spaß gemacht, mit dem schlecht gekleideten Major über die Höhe eines Geldbetrages zu schachern.

Dem Major ging es jedoch nicht um Geld.

Er wollte andere Leistungen von Schwartz.

Samuel Schwartz hatte sich gesträubt.

Er hatte eine verwöhnte Familie, er hatte sein Geschäft. Er hatte keine Zeit für solche Geschichten. Das sagte er Roth.

Aber Roth hatte ihm keine Wahl gelassen. Was Samuel Schwartz´ Widerstand schließlich gebrochen hatte, war, dass Roth ihn mit einigen Unstimmigkeiten in seinen Steuererklärungen der vergangenen Jahre konfrontiert hatte. Wer schummelt nicht ein bisschen, wenn es darum geht, seine Einkünfte vor dem unersättlichen Zugriff des Fiskus zu schützen? Roth hatte kühl damit gedroht, sein Wissen über Schwartz´ Steuervergehen mit den deutschen Behörden zu teilen.

Samuel Schwartz hatte lange auf seine Frau Susannah einreden müssen, bis sie eingesehen hatte, dass ihm keine Wahl blieb.

Von dem Mann, den der Major belauschen wollte, hatte Samuel Schwartz noch nie gehört. Gut, er wusste von den Werften, die der Rhein-Ruhr-Stahl Konzern in Bremen unterhielt. Schließlich gehörten diese Werften zu den größten Arbeitgebern der Stadt. Schwartz wusste auch aus Zeitungsberichten, dass diese Werften sich mit dem Bau von Kriegsschiffen befassten.

Davon jedoch, dass einer der höchsten Manager dieser Werften zu seinen unmittelbaren Nachbarn gehörte, hatte er nichts gewusst.

Und jetzt hatte er in seinem Gästezimmer eine Abhöranlage stehen, deren Richtmikrophone auf die Wohnung des Managers ausgerichtet waren.

Seine Pflichten waren einfach. Alle paar Tage tauschte er den USB-Stick, der die Geräusche in der Wohnung im Nachbarhaus aufzeichnete, aus und schickte ihn per Post an eine Anschrift in Berlin. Major Roth hatte ihm einen Vorrat an leeren Sticks dagelassen und angekündigt, dass er regelmäßig leere erhalten würde. Zudem musste Schwartz zweimal wöchentlich in einem kleinen Apartment gegenüber den Werftbetrieben im Ortsteil Vegesack in einem Tonbandgerät die USB-Sticks austauschen, beschriften, und ebenfalls nach Berlin schicken. Da die Geräte sich nur einschalteten, wenn sie Geräusche auffingen, und abschalteten, wenn mehrere Minuten lang nichts zu hören war, würde der Umfang der Sendungen sich im Rahmen halten.

Auf Schwartz´ Frage, wie lange dieses Spiel gehen sollte, hatte Roth lakonisch geantwortet:

„Solange es eben dauert.“

Samuel Schwartz hatte keine Ahnung, was auf den Aufnahmen zu hören war, es interessierte ihn auch nicht.

Er schickte lediglich die bespielten Datenträger nach Berlin.

Samuel Schwartz war mit der Politik Israels nicht kritiklos einverstanden. Häufig hatte er im Kreis seiner Freunde, Deutsche wie er, lediglich anderer Religionszugehörigkeit, die Ansiedlung von Israelis in den Palästinensergebieten als falsch und friedensgefährdend verurteilt. Er war Jude aus Zufall, weil er in eine jüdische Familie hineingeboren worden war. Und er war Deutscher, kein Israeli.

Jetzt hatte er sich dem Druck gebeugt, dem Staat Israel zu helfen. Samuel Schwartz hoffte inbrünstig, dass dieser Spuk bald vorübergehen würde.

Dank Ariel Roth und dessen Mitarbeitern war es Oberst Ezrah Goldstein innerhalb weniger Tage gelungen, ein relativ enges Netz zur Überwachung von Rupert Graf zu knüpfen.

Goldstein hatte Graf nie gesehen. In seinem Dienst hatte es ein paar Pressefotos des kahlköpfigen schlanken Mannes mittleren Alters gegeben, die Goldstein nur sehr oberflächlich und mit wenig Sympathie betrachtet hatte. Jemand, der die Feinde Israels mit U-Booten auszustatten bereit war, war niemand, der seine Sympathie gewinnen konnte.

In Bremen und in Düsseldorf, dem Hauptwohnsitz Grafs, hatte Roth in relativer Nähe Familien jüdischer Herkunft ausfindig machen können, die sich nach den üblichen anfänglichen Widerständen zur Mitarbeit bereit gefunden hatten.

Schwieriger war es gewesen, Orte zu finden, von denen aus die beiden Büros Grafs belauscht werden konnten. In dem Büro der Werft in Bremen war dies nur dadurch gelungen, dass Roth gegen Zahlung eines ihm unangemessen hoch erscheinenden Geldbetrages die russische Mitarbeiterin einer Reinigungsfirma hatte dazu bewegen können, eine Wanze in Grafs Büro zu platzieren. Das Sendegerät übertrug die Geräusche aus Grafs Büro in ein in der Nähe angemietetes Einzimmerapartment.

In Oberhausen hatte Roth erst herausfinden müssen, wo genau sich Grafs Büro in dem großen, aus Ziegelsteinen errichteten Bürokomplex befand. Dann hatte er einen deutschsprachigen Computerexperten aus Israel einfliegen lassen, Hymie Saltzmann, der sich mit einwandfrei gefälschten Ausweispapieren unter dem Namen Karl-Heinz Zimmer bei der Firma bewarb, die die Computersysteme der Hauptverwaltung der DRRS wartete. Aufgrund der vorgelegten erstklassigen Qualifikationen war Saltzmann alias Zimmer sofort eingestellt worden.

Hymie Saltzmann war ein grobschlächtiger Mann mit schütterem Haar,der wenig Wert auf seine Kleidung legte. Hierdurch unterstrich er den Eindruck eines in Computertechnologien verliebten Experten.

Sobald er angestellt worden war, veranlasste Roth über das Hauptquartier in Tel Aviv, dass von einem Computer in Peking – Israel unterhielt seit Jahren enge freundschaftliche Beziehungen zu China, die aus der Zusammenarbeit in Nukleartechnologien resultierten, genauer gesagt, Israel hatte den Chinesen beim Bau der eigenen Atomrakete geholfen – eine E-Mail an eine mit dem Verkauf von Walzstahl befasste Abteilung der DRRS geschickt wurde. Diese E-Mail war mit einem Virus versehen, der sich innerhalb von Minuten im gesamten Computernetz der DRRS verbreitete und dazu führte, dass sämtliche in das hausinterne Kommunikationsnetz eingeloggten PCs ständig und automatisch herunter fuhren. Also wurde der Wartungsdienst gerufen, um den Computerwurm auszumerzen und zusätzliche Sicherungsprogramme in die Computer zu laden.

Hymie Saltzmann lernte auf diese Weise Grafs Sekretärin Frau Orlowski kennen, die ihm, während er mit ihrem und Grafs Computer beschäftigt war, einen Kaffee anbot.

Saltzmann erhielt zu seinem Bedauern keinen Zugriff auf Grafs Passwort. Dieses wurde von der Sekretärin persönlich eingetippt, ohne dass er der schnellen Eingabe hätte folgen können.

Was jedoch Frau Orlowski nicht hatte ahnen können war, dass Hymie Saltzmann für die Instandsetzung ihres und Grafs PC nicht die für Großunternehmen entwickelte Reparationssoftware mit dem Virenschutzprogramm einspielte sondern eine, an der Experten in Tel Aviv und Amerikaner jüdischer Herkunft in Silicon Valley monatelang gearbeitet hatten. Dieses Programm hatte sich bereits vielfach bewährt. Es versorgte den israelischen Geheimdienst mittlerweile mit Informationen aus hunderten von Büros in der ganzen Welt.

Ab sofort würden zwei neue Informationsquellen hinzukommen.

Was immer Frau Orlowski oder Rupert Graf in ihre Computer eingäben, würde zeitgleich in Tel Aviv mitgelesen werden können.

Die beiden Wanzen in Grafs Büro und in seinem Vorzimmer zu verstecken, war ein Kinderspiel.

Schwieriger war es gewesen, eine Stelle zu finden, von der aus die Signale der beiden, auf unterschiedlichen Frequenzen sendenden Geräte empfangen werden konnten.

In der Nachbarschaft des Bürokomplexes gab es nur wenige Wohnhäuser, die allesamt einen Eindruck von geringem Wohlstand ihrer Mieter machten.

Ariel Roth hatte sich die Namensschilder an den Haustüren angesehen. Es handelte sich überwiegend um türkische Familien, um Jugoslawen und Russen oder Polen. Er hatte keinen einzigen Namen entdecken können, der auf einen jüdischen Hintergrund hingewiesen hätte.

Zwei Familien trugen arabische Namen. Roth vermutete, dass es sich um Marokkaner oder doch zumindest Nordafrikaner handelte.

Roth sprach zwar ganz leidlich Arabisch, aber nicht gut genug, um als Araber durchgehen zu können. Deshalb hatte er einen Israeli arabischer Herkunft einfliegen lassen Der Mann war im Jemen aufgewachsen, bevor er sich in Israel niederließ. Der hatte vorsichtig Kontakt zu den beiden Familienvätern geknüpft.

Der Hinweis, die DRRS plane eine geheime Rüstungszusammenarbeit mit Israel, hatte zunächst bei beiden Männern für tiefe Empörung und zur sofortigen Kooperationsbereitschaft geführt. Ohne dass sie voneinander wussten, hatten beide Männer zugestimmt, die aus dem Büro der DRRS übermittelten Daten mit den ihnen zur Verfügung gestellten Geräten aufzufangen und an vorgeblich arabische Kulturzentren in Karlsruhe und in Leipzig zu übermitteln. Diese beiden Kulturzentren waren tatsächlich Anschriften jüdischer Mitbürger, die auch in der Vergangenheit schon mit Major Ariel Roths Dienststelle zusammengearbeitet hatten.

Hymie Saltzmann hatte nach zwei Tagen bei der Computerwartungsfirma gekündigt mit der Begründung, intellektuell völlig unterfordert zu sein und selbst eine höhere gehaltliche Einstufung abgelehnt.

Allabendlich wurde Major Roth eine aus zahlreichen Pieptönen bestehende telefonische Nachricht aus Berlin übermittelt, die er mit Hilfe seines PC entschlüsselte und die die aus Grafs Büros und Wohnungen empfangenen Nachrichten wiedergab. Diese Nachrichten gab er an Oberst Ezrah Goldstein nach Tel Aviv weiter.

Mehr konnten sie im Augenblick nicht tun.

Rupert Graf ging an den Abenden der Wochenenden, die er in Düsseldorf verbringen konnte, gerne in die Diskothek Sam´s an der Königsallee. Als regelmäßiger Gast war er dort bekannt und bekam immer dieselbe Sitzecke zugewiesen, auch wenn er nicht zuvor reserviert hatte.

Das Lokal lebte davon, dass der Türsteher dafür sorgte, dass die weiblichen Gäste immer in der Überzahl waren. Normalerweise betrug das Verhältnis zwei zu eins. Hinzu kam, dass die weiblichen Gäste erheblich jünger waren als die männlichen. Dies wiederum war der Spendierlaune der männlichen Gäste zuträglich, die, umgeben von charmanten und gutaussehenden jungen Frauen, gerne Champagner bestellten und die weiblichen Gäste zum mittrinken einluden.

Als Rupert Graf gegen ein Uhr morgens gemeinsam mit Holger Brockert, einem Freund, der erfolgreich einen hohen Posten in der Werbebranche bekleidete, die Diskothek betrat, war es zum Bersten voll. Sobald der Geschäftsführer in der von Stroboskopblitzen erhellten Dunkelheit Graf erkannt hatte, gab er Graf ein Zeichen. Es dauerte einen kleinen Moment, bis andere Gäste umgesetzt worden waren und Grafs Sitzecke frei war. Noch während Graf und Brockert dabei waren Platz zu nehmen, wurde die von Graf bevorzugte Champagnermarke gebracht und die Flasche entkorkt.

Graf sah sich um.

Auf der Tanzfläche drängten sich junge Frauen, die miteinander tanzten, dazwischen einige Männer unterschiedlichen Alters. Auf der Galerie, auf der Graf und Brockert sich durch das Gedränge geschlängelt hatten, standen überwiegend Frauen und beobachteten das Geschehen auf der Tanzfläche und an der Bar. Und die Frauen musterten Graf und Brockert.

Rupert Graf war sich bewusst, dass er und sein Freund ein Paar waren, das Rätsel aufgab. Graf, in schwarzen Jeans, einem schwarzen Polohemd unter einem schwarzen Blazer, mit seinem kahlgeschorenen Kopf, Brockert mit fast schulterlangem grauem Haar und grauem Dreitagebart, aber in einem tadellosen dunkelblauen Anzug mit einem grellroten Hemd und roten Turnschuhen, sahen wahrscheinlich aus wie zwei Homosexuelle.

Trotzdem saßen sie schließlich so, dass jeder von ihnen eine junge Frau an seiner Seite hatte.

Nun war das Sam´s kein Lokal, das sich für romantische Gespräche eignete.

Kontakte wurden durch Blicke geknüpft und vertieft. Gespräche konnten nur geführt werden, indem man dem unmittelbaren Nachbarn ins Ohr brüllte, und selbst dann war nicht sicher, dass er oder sie einen verstand. In dem Getöse der Musik konnte eine Unterhaltung eigentlich nur dazu dienen, zu klären, wo man anschließend mit der gefundenen Partnerin noch hinging, zu ihr oder in die eigene Behausung.

Deshalb roch Rupert Graf den pfefferminzhaltigen Atem der jungen Dame, die neben ihm saß und sich an ihn wandte, eher, als er verstand, was sie ihm sagen wollte.

Erst beim zweiten Nachfragen verstand er, was sie rief, und auch das nur, weil er es von ihren Lippen ablas:

„Du musst sehr wichtig sein!“

„Wieso?“

„Die gesamte Ecke wurde für euch leergeräumt!“

Graf grinste.

„Mein Freund ist wichtig!“

Er konnte sehen, wie die Frau Brockert musterte.

„Den sehe ich zum ersten Mal,“ rief sie Graf ins Ohr. „Aber dich habe ich schon ein paar Mal gesehen. Und jedes Mal wurde für dich Platz gemacht!“

Graf betrachtete sie von der Seite. Hübsches Gesicht, lange blonde Haare, ein dunkles Kleid, das weit oberhalb ihrer Knie endete und an dessen Saum sie im Sitzen vergeblich zog, um ihre schlanken Oberschenkel zu bedecken.

Sie hatte akzentfreies Deutsch gesprochen. Immerhin!

Graf überlegte, ob sie ein Freudenmädchen wäre. In der Diskothek waren häufig käufliche junge Damen, wenn auch der oberen Kategorie. Die, die sich zu benehmen wussten und die Gäste nur diskret anmachten.

Rupert Graf hätte sich niemals zugetraut, in der dunklen Beleuchtung festzustellen, welche der zahlreichen gewagt gekleideten Frauen ein Freudenmädchen war oder eine der jungen Damen, die mit dem Geld der Eltern im Rücken in Düsseldorf studierten, welche in einer der vielen Werbeagenturen tätig oder aus dem nahen Köln herübergekommen war, wo sie in einem der privaten Fernsehsender als Ansagerin arbeitete. Sie sahen alle ziemlich gleich aus, schlank, sehr modisch gekleidet, mit langen Haaren. Wenn Graf in weiblicher Gesellschaft hierher kam, waren seine Begleiterinnen immer sofort in der Lage, zu erkennen, wer von den Mädchen eine Prostituierte war und dies im Brustton der Überzeugung festzustellen.

Sein Freund Holger Brockert war inzwischen in eine Unterhaltung mit der neben ihm sitzenden jungen Frau vertieft, die darin bestand, dass beide sich wechselseitig etwas ins Ohr brüllten. Immerhin vermittelten die direkt an das Ohr des Zuhörers gelegten Münder den Eindruck von bereits zustande gekommener Intimität.

Graf spürte wieder den Atem der Frau neben ihm an seinem linken Ohr. Soweit er verstand, wollte sie wissen, wie er hieß.

„Otto!“ rief er zurück. „Und du!?“

„Sabine!“

Sabine Sadler stammte aus einem kleinen Ort in der Nähe von Koblenz.

Sie hatte vier Semester lang in Bonn Medizin studiert und war seit neuestem an der Universität Düsseldorf eingeschrieben.

Solange sie die Universität in Bonn besucht hatte, war sie fast täglich erst mit dem Bus nach Koblenz und von dort mit der Eisenbahn nach Bonn gefahren.

Hier in Düsseldorf, hatte sie ein kleines Apartment im Stadtteil Eller gefunden, zwei Straßenbahnstationen entfernt von der Uni.

Normalerweise fuhr sie an den Wochenenden nach Hause, wo ihre Eltern und ein Verlobter auf sie warteten, der Sohn eines engen Freundes ihres Vaters. Außerdem erlaubte ihr der Besuch im elterlichen Haus, sich mit Lebensmitteln für die Woche einzudecken und somit, ihr, wie sie fand, viel zu geringes Taschengeld zu sparen.

Ihr Vater praktizierte als Arzt in ihrem Heimatort und verdiente für die dortigen Verhältnisse recht gut, aber wie alle Menschen der Gegend ging er höchst sorgsam mit seinem Geld um. In Sabines Augen war er ein Geizkragen. Für ihre Eltern stand fest, dass Sabine eines Tages die väterliche Arztpraxis übernehmen würde. Ihr älterer Bruder war Jurist und arbeitete in Mainz im Finanzministerium.

Seit Sabine Sadler in Düsseldorf wohnte, war sie an den Wochenenden, die sie dort verbrachte, ein regelmäßiger Gast im Sam´s. Alleine wäre sie nie dorthin gegangen, aber ihre Freundin Simone hatte irgendwann gesagt:

„Du musst einfach mal mitkommen!“

Simone Martins war im Sam´s bekannt. Simones Eltern gehörten zur Gesellschaft Düsseldorfs, und da Simone über ein großzügiges Budget verfügte, konnte sie es sich leisten, Sabine einzuladen. Wie Sabine festgestellt hatte, war es letztlich nicht Simone, die für den Champagner bezahlte, sondern es waren die männlichen Bekannten, die sich zu ihnen setzten und mit denen sie tanzten.

Sabine Sadler war nicht ohne sexuelle Erfahrung.

Selbstverständlich hatte sie mit einigen Jungen aus ihrer Schule geschlafen, mit ein paar Kommilitonen in Bonn, und natürlich mit ihrem Verlobten. Aber sie hatte sich gehütet, mit den Männern, die sie im Sam´s kennen gelernt hatte, etwas anzufangen.

An dem neben ihr sitzenden glatzköpfigen Typ und seinem langhaarigen Freund vorbei sehend erkannte sie, dass Simone ihr mit einem blitzschnellen Blick klarzumachen versuchte, sie solle Simone zur Toilette folgen.

Als sie aufstanden, erhoben sich auch die beiden Männer.

Erst in der Damentoilette, wo der Lärm nicht so groß war wie draußen, konnten sie miteinander sprechen.

„Das ist Holger Brockert!“ rief Simone ganz begeistert.

Sabine guckte verständnislos.

Brockert! Einer der wichtigsten Männer in der Werbebranche! Wenn wir Glück haben und dem gefallen, bringt er uns in einem seiner Werbespots unter! Das ist die Chance!“

„Und der andere?“ fragte Sabine. „Otto?“

Bevor Simone etwas sagen konnte, lachte eine junge Frau ein, die neben Sabine Sadler vor dem Spiegel stand und ihren Lidstrich nachzog, plötzlich laut los.

„Otto?“ rief sie prustend. „Nennt der sich plötzlich Otto? Das ist Rupert Graf!“

Sabine guckte wiederum völlig verständnislos.

„Kind, liest du keine Zeitungen? Manager eines großen Unternehmens in Oberhausen. Hat irgendwas mit Rüstung zu tun, mit Waffen! Geschieden und seit Jahren wieder eingefleischter Junggeselle. Wenn du dir den angelst, hast du ausgesorgt. Er ist allerdings ein entsetzlich arroganter Stiesel!“

Von der anderen Seite meldete sich Simone zu Wort:

„Ich dachte, du hättest ihn erkannt und dich deshalb so schnell neben ihn gesetzt. Eine Freundin von mir war mal kurze Zeit mit ihm zusammen. Graf hat sie dreimal nach New York mitgenommen! Dreimal in nicht mal zwei Monaten! Sie schwärmt heute noch davon. Nur nicht, wie er sie fallen gelassen hat!“ Sabine konnte im Spiegel sehen, wie Simone versonnen grinste.

„Was ist passiert?“

„Er hat ihr gesagt, sie sei ihm zu dumm. Zitat: `Du bist wunderschön, du bist aufregend, aber du bist so entsetzlich dumm, dass ich dich nicht länger ertragen kann.` Sie hat geheult wie ein Schlosshund als sie es mir erzählt hat. Aber ich gehe jede Wette ein, sie würde sofort, wenn er nur mit den Fingern schnippte, wieder zu ihm in die Kiste hüpfen!“

„Das sieht Graf ähnlich!“ sagte die Frau auf Sabines anderer Seite. „Ich sage doch, ein arroganter Stiesel!“

Als Sabine und Simone zurück zu ihren Plätzen kamen, waren zwei andere junge Frauen bedenklich nahe an Graf und Brockert herangerutscht. Wie auf Kommando standen Graf und Brockert, die sich miteinander unterhalten hatten, auf, und warteten, bis Sabine und Simone Platz genommen hatten.

Ohne dass Gelegenheit zu neuerlicher Beratung oder zu Absprachen gewesen wäre, zahlte Graf nach einer Dreiviertelstunde die beiden Flaschen Champagner, die sie verputzt hatten, und alle vier stiegen in den Jaguar, den Holger Brockert wenige Meter vom Eingang der Diskothek geparkt hatte.

Nach knapp fünf Minuten Fahrt, während der Graf stumm neben Sabine auf der Rückbank gesessen hatte, stellte Brockert den Wagen vor einem mehrstöckigen Gebäude in einer stillen Seitenstraße im Zooviertel ab. Wie Sabine sehen konnte, war es Graf, der die Haustür aufschloss und ebenfalls einen Schlüssel im Aufzug betätigte, der sie direkt in die im obersten Stockwerk gelegene Wohnung brachte.

Plötzlich standen sie in einem großen Wohnraum mit riesiger Fensterfront zu einem mit hohen Bäumen bewachsenen Garten, die in der Dunkelheit durch Scheinwerfer von unten erhellt wurden.

Während Sabine Sadler noch die Aussicht bewunderte und während Rupert Graf vier weitere Gläser mit Champagner füllte, flüsterten Simone und Brockert miteinander, mit dem Erfolg, dass sie ihre vollen Gläser nahmen und in einem angrenzenden Zimmer verschwanden.

Plötzlich war Sabine Sadler mit Graf allein, der sich ihr gegenüber hingesetzt hatte und sie ernst ansah.

„Du bist wunderschön!“ sagte er. „Vorhin habe ich dich nur von der Seite sehen können. Es ist selten, dass man jemanden von so ästhetischer Schönheit sieht, mit einer Schönheit, bei der alles zu stimmen scheint: Die Größe der Nase, deine Augen, dein Mund. Leider kann ich unter deinen Haaren deine Ohren nicht sehen, aber ich bin sicher, auch die sind schön. Es ist einfach harmonisch. Du bist zu schade für einen alten Mann wie mich.“

Sabine Sadler entspannte sich etwas, blieb aber auf der Hut. Grafs Aussagen verwirrten sie. So etwas hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Sie selbst fand sich nicht schön. Na ja, gutaussehend schon, aber nicht schön.

„Wieso alter Mann?“ fragte sie. „Dein Freund ist doch auch nicht jünger als du.“

„Holger? Ein junger Dachs!“

„Wieviel jünger soll er denn sein?“

„Zwei Wochen! Stell dir das vor! Zwei lange Wochen!“

Sabine musste lachen.

„Spielst du Schach?“ fragte Graf.

Natürlich spielte sie Schach. Mit ihrem Vater hatte sie endlose Partien gespielt, außerdem war sie Mitglied im Schachklub ihres Heimatortes.

„Lass uns eine Partie spielen!“ sagte Graf. „Wenn du gewinnst, schenke ich dir eine Stunde, in der du dir wünschen kannst, was du willst.“

„Was heißt das?“ fragte Sabine, unsicher, aber neugierig.

„Du kannst sagen, du willst noch mal ausgehen. Ich gehe mit dir. Du kannst sagen, du willst noch etwas essen, ich koche dir etwas oder wir gehen aus. Du kannst sagen, du willst, dass ich deine Fußknöchel massiere, ich werde dies tun. Du kannst verlangen, dass ich deinen Rücken streichele, das täte ich besonders gerne.“

Sabine Sadler fand das zwar absurd, aber doch spannend.

„Und wenn du gewinnst?“

„Fünf Minuten!“ antwortete Graf. „Fünf Minuten, und ich werde nichts anderes tun, als dein rechtes Bein zu streicheln.“ Er grinste sie an. „Es ist eine Idee schöner als das linke. Ich würde dich lediglich bitten, deine Strumpfhosen auszuziehen. Ich mag dieses Nylonzeug nicht.“

Was für eine abstruse Situation!

„Einverstanden!“ sagte sie.

Graf stand auf, offenbar, um sein Schachbrett zu holen.

„Ich spiele blind,“ sagte Sabine. „Ich brauche kein Brett.“

Graf sah überrascht zu ihr herüber. Das hatte er ganz offensichtlich nicht erwartet! Sabine freute sich, ihn verblüfft zu haben.

„Gut,“ sagte er. „Ich auch nicht. Wer fängt an?“

„Du!“

„E2 - E4.“ Er schien auf einmal todernst.

„E7 - E5.“

Nach wenigen Augenblicken merkte Sabine, dass Graf versuchte, die `Unsterbliche` nachzuspielen, die berühmte Partie zwischen Anderssen und Kieseretzki aus dem Jahre 1851. So ein Gauner!

Sabine Sadler wehrte sich.

Sie wehrte sich geschickt. Nach zwanzig Minuten hatte er seine Dame verloren, nach einer Variante Sabines, die in der Partie Kortschnoi – Kasparov vor wenigen Jahren in Moskau angewandt worden war, aber bevor sie richtig frohlocken konnte, hatte Graf auch ihre Dame geschlagen.

„Was passiert, wenn es ein Remis wird?“ fragte sie.

„Dann kriegst du fünfzig Minuten und ich vier Minuten fünfzig Sekunden. Jeder zehn Prozent Abzug.“

Sabine Sadler nickte ernst. Aus dem Nebenzimmer, in das sich Simone mit Brockert verzogen hatte, erschollen spitze Schreie. Einen Augenblick lang verlor Sabine Sadler die Konzentration und sagte einen Zug an, der ihr den prompten Verlust eines Bauern brachte.

„Nimm es zurück!“ sagte Graf.

„Nein. Ich habe gezogen.“

Graf machte einen Zug, der offensichtlich seinen gewonnenen Vorteil zunichte machen sollte und ihm den Verlust des Mehrbauern einbrachte.

Wenige Minuten später stand es fest.

Es war nichts zu machen. Jeder Zug, den Graf oder Sabine hätten machen können, hätte ins Remis geführt. Die Partie endete unentschieden.

„Klasse!“ sagte Graf. „Endlich einmal eine Frau, die nicht nur schön ist, sondern auch intelligent!“

Im gleichen Augenblick kamen Brockert und Simone zurück in den Wohnraum. Beide wirkten zerzaust und hatten als Bekleidung lediglich Handtücher um sich geschlungen.

„Wir gehen noch mal in deine Sauna,“ sagte Brockert und zog Simone mit sich.

„Du hast eine Sauna?“ fragte Sabine.

„Jaja,“ antwortete Graf, der plötzlich geistesabwesend wirkte. „Komm!“

Graf führte Sabine in einen Schlafraum, der durch an den Wänden angebrachte Spiegel erheblich größer wirkte als er tatsächlich war.

Sabine Sadler musste plötzlich an ihren Verlobten denken, der sicherlich schon längst schlief – es war schon nach vier Uhr morgens – und an ihre kleine Heimatstadt an der Mosel. Egal was Rupert Graf veranstalten würde, sie würde nicht mit ihm schlafen.

Und trotzdem war sie plötzlich erregt.

Graf bat sie, ihre Strumpfhose auszuziehen und sich auf das Bett zu legen.

Sabine Sadler spürte, wie Rupert Graf mit warmer Zunge begann, ihren Knöchel zu liebkosen. Dann wanderte sein Mund mit aufreizender Langsamkeit ihren Unterschenkel hinauf zum Knie. Die warme Feuchtigkeit seines Mundes in ihrer Kniekehle und auf ihrem Oberschenkel fand sie aufregend. Gleichzeitig streichelte er ihr Bein, die Rückseite ihres Oberschenkels. Sie hob ihr Gesäß etwas an, aber er machte mit seiner warmen Hand kehrt und strich ihr Bein wieder hinab. Dafür schob er mit dem Kopf den Saum ihres Rocks nach oben und liebkoste mit der Zunge die Innenseite ihres Schenkels.

Sie lag ganz still.

Aber gleichzeitig öffnete sie ihre Beine immer weiter, um ihm Platz zu machen.

Wie zufällig berührte er mit der Hand, die ihren Schenkel hinauf und hinab strich, ihre Scham.

Sabine Sadler wusste, es war verrückt, was sie hier tat.

Liebkosungen geschehen zu lassen von einem Mann, der fast so alt war wie ihr Vater.

Graf hatte nicht ein einziges Mal ihr Geschlecht berührt, nun gut, ein bisschen, eher zufällig, aber er hatte nicht, obwohl sie es sich gewünscht hätte, seine Finger unter den Rand ihres Slips geführt, wo er ihre Hitze spüren musste!

Wieder musste sie plötzlich an ihren Verlobten denken, an seine hastigen Bewegungen, an seine Erregung, die ihn immer schnell zum Höhepunkt kommen ließ, schneller, zumindest, als ihr lieb gewesen wäre. Und an den Mann, der jetzt immer noch vollständig angezogen am Fußende des Bettes lag und sie bis aufs äußerste reizte.

Mit einer hastigen Bewegung zog sie ihren Slip aus.

„Meine vier Minuten sind um!“ sagte Graf grinsend.

„Meine fünfzig Minuten fangen gerade erst an!“ antwortete sie heiser und drückte seinen Kopf zurück auf ihr Bein.

Ariel Roth hatte in seinem Mietwagen gedöst.

Es war bereits hell, als Holger Brockert das Haus verließ, in dem Rupert Graf wohnte.

Herauszufinden, wer der Besitzer des Jaguar war, war ein Klacks gewesen. Das war Roth innerhalb weniger Minuten über Handy gelungen.

Roth war erleichtert, dass Brockert von beiden Damen begleitet wurde. Er würde noch am selben Tag wissen, welche von den beiden mit Graf zusammen gewesen war.

Roth folgte dem Wagen Brockerts in gebührendem Abstand. Um diese Zeit gab es so gut wie keinen Verkehr.

Zunächst fuhr Brockert in den Stadtteil Benrath, wo unmittelbar an der Uferpromenade eine der beiden Frauen ausstieg und sich innig von Brockert verabschiedete. Roth notierte sich die Anschrift der Villa, deren in eine weiße Mauer eingelassenes Portal sie mit einem Schlüssel öffnete. Die andere Frau wurde von Brockert in den Vorort Eller gefahren und vor einem Apartmentgebäude abgesetzt. Diesmal war die Verabschiedung weniger herzlich.

Roth wartete, bis Brockert weitergefahren war. Erst dann ging er zu dem Eingang und notierte sich sämtliche auf den Türklingeln aufgeführten Namen einschließlich der nur mit Initialen abgekürzten Vornamen.

Er fuhr zurück in den Stadtteil, in dem Grafs Wohnung lag.

Trotz der frühen Stunde klingelte er den Besitzer der Wohnung heraus, von der aus Grafs Wohnung belauscht wurde.

Nur eine knappe Stunde später wusste er, dass die Frau, mit der Rupert Graf sich vergnügt hatte, Sabine Sadler hieß und aus einem kleinen Ort an der Mosel stammte. Major Ariel Roth schätzte nach einem Blick auf seine Straßenkarte, dass er nicht länger als anderthalb Stunden brauchte, um dorthin zu gelangen. Als er am selben Abend nach Düsseldorf zurückkehrte, kannte er die gesamte Lebensgeschichte von Sabine Sadler.

Er war sicher, Sabine Sadler würde eine wichtige Informationsquelle werden.

Es dauerte gute zwei Wochen, bis Graf von Scheich Mahmut hörte.

Graf befand sich zu diesem Zeitpunkt in Buenos Aires, wo er einen möglichen Auftrag verfolgte.

Als sein Handy piepte, saß Graf mit einigen Repräsentanten der Argentinischen Marine beim Abendessen in einem Restaurant in La Coleta, einem Viertel der Stadt, in dem sich zahlreiche gute Restaurants befinden.

Graf, verwundert, wer ihn um diese in Europa tiefer Nachtstunde noch anrufen könnte, nahm das Gespräch an.

„Wir müssen uns dringend sehen!“

Keine Begrüßung, keine Nennung des Namens des Anrufers.

Trotzdem erkannte Graf Mahmuts Stimme.

Allein schon wegen Mahmuts Unhöflichkeit beschloss Graf, kühl zu bleiben. Kurzfristige Treffen in Europa lehnte er wegen weiterer Verpflichtungen in Südamerika ab. Erst nach einigem Hin und Her stimmte Graf zu, Mahmut vierzehn Tage später in Marbella zu treffen.

Djihad

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