Читать книгу Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen - Christoph Keller - Страница 6
1. Teil: Aufbauschemata mit Erläuterungen Vorbemerkungen
ОглавлениеAm Anfang steht die Frage nach einer Arbeitsdefinition für das Eingriffsrecht. Dieses wird (vereinfacht) beschrieben als die Summe der polizei- und strafverfahrensrechtlichen Normen, die die Polizei zu Eingriffen in die Grundrechte ermächtigen.1 In eingriffsrechtlichen Klausuren haben die Studierenden im Regelfall im Sachverhalt geschilderte, von Polizeibeamtinnen und -beamten getätigte Maßnahmen sozusagen „nachträglich“ auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu „prüfen“. Dabei sollten sie sich an einem konsistenten Prüfungsschema orientieren, denn eine nachvollziehbare, konsequente und überzeugende Reihenfolge der Darstellung gehört zu den wesentlichen Bewertungskriterien für Klausurbearbeitungen.2 Eine gewisse „Systematik“ gewährleistet, dass alle relevanten Fragen, die ein Sachverhalt aufwirft, benannt und eingeordnet werden. Mithin wird auch der Gnade der menschlichen Vergesslichkeit so entgegengetreten. Für die Prüfung einer Eingriffsmaßnahme aus dem Polizei- oder Strafprozessrecht werden daher Aufbauschemata zugrunde gelegt. Es handelt sich bei diesen Schemata allerdings nicht um eine zwingend zu beachtende Form, in die die Lösung hineingepresst werden muss. In der Klausur müssen zwar bestimmte Prüfungspunkte durchgegangen werden. Der konkret zu bearbeitende Fall darf aber nicht von dem Schema „verschluckt“ werden. Aufbauschemata bieten keineswegs die Gewähr für das Gelingen einer guten Fallbearbeitung, sie sind eher als Aufbauhilfen zu verstehen, die für die rechtliche Prüfung erforderliche Merkposten enthalten, ohne dass deswegen auch immer jeder Merkposten überhaupt oder in der gleichen Ausführlichkeit geprüft werden muss. Wer das Schema „im Kopf hat“, weiß zudem, welche Gesichtspunkte formeller und materieller Natur bei der Lösung eines Falles zu beachten sind. Zu beachten ist vor allem, dass nur solche „Schemapunkte“ näher auszuführen sind, die problematisch sind. Unproblematische Punkte sind dagegen mit bündiger Kürze im sog. Urteilsstil abzuhandeln. Es verbietet sich ein sklavisches Festhalten an Aufbauschemata („Schema-Manie“).3
„Schemata sind wie Laternen: Wenn es dunkel ist, können sie den Weg weisen, aber nur Betrunkene halten sich an ihnen fest“4
Prüfungsschemata sind Lern- und Verständnishilfen. Sie ermöglichen, einen thematischen Abschnitt und seine Vorschriften auf einen Blick zu erschließen. Viel wesentlicher ist noch die anwendungsorientierte Perspektive auf das geltende Recht. Schemata ermöglichen den Lernenden, die Prüfungsreihenfolge entsprechend der Systematik und Dogmatik zu erfassen.5
Prüfungsschemata ersetzen nicht das Verstehen rechtlicher Zusammenhänge und nicht die Lektüre des Gesetzes.
Gleichwohl kann die gutachtliche Prüfung einer polizeilichen Maßnahme durch eine Aufbauhilfe wesentlich erleichtert werden.6 Methodisches Vorgehen im Rahmen der Fallbearbeitung soll gewährleisten, dass alle rechtlich relevanten Fragen, die ein Sachverhalt aufwirft – und nur diese –, benannt und in ihren Konsequenzen zutreffend eingeordnet werden. Diesem Ziel dienen Aufbauschemata, die allerdings nur werthaltig verwendet werden können, wenn die den einzelnen Prüfungsstationen zu Grunde liegenden Sachfragen bekannt sind.7
Die richtige Schwerpunktsetzung in der Fallbearbeitung ist für das gesamte Studium wichtig.
Im Eingriffsrecht werden für die Überprüfung polizeilicher Maßnahmen (allgemein) verschiedene Lösungsschemata zugrunde gelegt8, die im Detail voneinander abweichen. Welches Schema im Einzelfall „benutzt“ wird, erscheint zweitrangig. Eine „Grundstruktur“ wird (abgestimmt) an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV NRW) im Rahmen des Bachelor-Studiums verwandt.9 Ansonsten folgt ein „allgemeiner“ Prüfungsaufbau einem „Dreierschritt“ und besitzt folgende „Grundstruktur“10:
I. Ermächtigung
– Grundrechtseingriff
– Zielrichtung
– Ermächtigungsgrundlage
II. Formelle Rechtmäßigkeit
– Zuständigkeit (örtliche, sachliche)
– Verfahren, Form
III. Materielle Rechtmäßigkeit
– Tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
– Besondere Verfahrensvorschriften
– Adressatenregelung
– Rechtsfolge, Bestimmtheit, Ermessen und Verhältnismäßigkeit
IV. Ergebnis
Erst die Grundrechtsbetroffenheit erzeugt ein Legitimationsbedürfnis. Liegt ein Grundrechtseingriff nicht vor, handelt es sich um sog. „schlicht-hoheitliches Handeln“. Es bedarf dann keiner gesetzlichen Eingriffsgrundlage. In diesem Fall reicht eine Aufgabenzuweisung aus. Zu prüfen ist dann (nur) die Zuständigkeit (formelle Rechtmäßigkeit). Es ist also zwingend zu klären, ob ein Eingriff vorliegt oder ob (nur) schlicht-hoheitliches Handeln vorliegt.11 Unter formeller Rechtmäßigkeit werden mithin alle rechtlichen Vorgaben hinsichtlich des Zustandekommens, unter materieller Rechtmäßigkeit die Anforderungen an den Inhalt staatlicher Maßnahmen geprüft. Die Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsanforderungen ermöglicht dabei einerseits eine übersichtlichere Darstellung und trägt andererseits der Tatsache Rechnung, dass Verstöße gegen formelle Vorgaben (Zuständigkeit, Verfahren, Form) im Vergleich zu Verletzungen materiellen, also inhaltlichen Rechts häufig von geringerem Gewicht sind.12
Die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Eingriffsmaßnahme bildet regelmäßig den Schwerpunkt in einer Fallbearbeitung.