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Erläuterungen zur Prüfung einer Eingriffsmaßnahme ohne Zwang zu I.: Ermächtigungsgrundlage Eingriffsbegriff

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Nach einem Einleitungssatz beginnt die Prüfung mit der Feststellung der Grundrechte, in die durch die polizeiliche Maßnahme eingegriffen wird. Häufig greift die Polizei mit ihren Maßnahmen in die Schutzbereiche von Grundrechten ein. Hierfür benötigt sie aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.15 Der Begriff „Schutzbereich“ drückt nicht aus, dass ein bestimmtes, darunter fallendes Verhalten einen absoluten Schutz genießt, sondern dass der Staat zwar in das Grundrecht eingreifen kann, aber hierfür eine Rechtfertigungslast hat.16 Die Schutzbereiche der entsprechenden Grundrechte sind mit (kurzer) Begründung zu benennen. Es ist darauf zu achten, dass alle in Betracht kommenden Grundrechte Erwähnung finden. Nach herkömmlichem Verständnis gehören zum klassischen Eingriffsbegriff die Merkmale der Finalität, der Unmittelbarkeit, der Qualität als Rechtsakt sowie der Durchsetzung mit Befehl oder Zwang. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ gegeben sein und zu einer Verkürzung des Schutzbereichs führen.17 Allerdings greift dieser (klassische) Eingriffsbegriff in der heutigen Grundrechtsdogmatik zu kurz, z. B. im Falle einer polizeirechtlichen Observation, die sich als Realakt darstellt. Es bedarf der Erweiterung dieses Eingriffsbegriffs.18 Mithin versteht man unter einem Eingriff jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht (sog. Moderner Eingriffsbegriff).19 Mit diesem weiten Begriffsverständnis sollen vor allem mittelbare und auch faktische Eingriffe abgedeckt werden. Diese Begriffe sind aber nicht synonym zu verwenden. Mittelbar ist zunächst nur der Gegensatz zur Unmittelbarkeit, faktisch bedeutet „tatsächlich“ und ist als Gegensatzpaar zur Rechtsförmlichkeit zu verstehen.

Prüfungsreihenfolge: Eingriff20
1. Klassischer Eingriffa) Verkürzung des Schutzbereichsb) durch staatliches Handeln Kumulativ: Final, unmittelbar, rechtsförmlich, imperativ
2. Moderner Eingriffa) Verkürzung des Schutzbereichsb) durch staatliches Handeln Kausalität: Äquivalenz und Adäquanz Alternativ: Final, unmittelbar, rechtsförmlich, imperativ

Ein Eingriff ist dann zu verneinen, wenn der Betroffene wirksam auf das Grundrecht verzichtet (Grundrechtsverzicht).21 So ist eine Anordnung gem. § 105 Abs. 1 StPO dann entbehrlich, wenn der von der Durchsuchung Betroffene in die Durchführung der Maßnahme eingewilligt hat. Zu berücksichtigen ist generell, dass es immer nur um eine individuelle Verfügung gehen kann; ein allgemeiner (Grundrechts-)Verzicht würde die Wesensgehaltsgarantie missachten (Kollektivtheorie). Grundsätzlich gilt: Dem Einwilligenden geschieht kein Unrecht (volenti non fit iniuria). Ein Verzicht auf die Menschenwürde ist mithin nicht möglich.22 Dagegen kann auf die Ausübung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verzichtet werden.

Zielrichtung

Als nächstes ist die sog. Zielrichtung der polizeilichen Maßnahme zu bestimmen. Sofern nicht ein Fall der Wahrnehmung einer besonderen polizeilichen Aufgabe vorliegt, geht es allein um die Abgrenzung von „präventivem“ und „repressivem“ Handeln.23 Es ist zu bewerten, ob die konkret zu prüfende Maßnahme der Gefahrenabwehr (präventives Tätigkeitsfeld) oder der Erforschung und Verfolgung von Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten (repressives Tätigkeitsfeld) zuzuordnen ist. Es kann sich allerdings die Notwendigkeit ergeben, mit eingehender Begründung eine Zuordnung vornehmen zu müssen. Dies ist etwa dann erforderlich, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die sowohl präventive als auch repressive Ziele verfolgt (sog. doppelfunktionale Maßnahme). Ein mögliches Abgrenzungskriterium ist die Zuordnung nach dem Schwerpunkt der konkreten Maßnahme, wobei dies nach objektiven Maßstäben oder aber aus Sicht der handelnden Beamten bewertet werden kann.

Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen

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