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1. Wann ist man eigentlich alt?

In meiner früheren Gemeinde in Niedersachsen besuchte ich eine Frau, zweiundachtzig Jahre alt, und lud sie zum Seniorennachmittag ein. „Ich – zum Seniorennachmittag? Was soll ich denn dort?“, war ihre erstaunte Reaktion. „Da gehen doch nur alte Leute hin!“

Ein Einzelfall? Keineswegs! Alt werden will bekanntlich jeder. Es ist schließlich die einzige Möglichkeit, lange zu leben. Forscher haben übrigens herausgefunden, dass Menschen, die häufig Geburtstag feiern, länger leben. Aber alt sein? Eine Zweiundachtzigjährige jedenfalls nicht!

Und Fünfundsechzigjährige erst recht nicht. Als damals unser dörflicher Ortsrat zur Adventsfeier für Senioren einlud, meinte er es gut. Doch viele schüttelten den Kopf und warfen die Einladung sofort in den Papierkorb. Wir, mit fünfundsechzig und knapp darüber, zu den Senioren? Niemals!

Aber wann wird es denn nun Zeit, sich beim Seniorenkreis einzufinden? Wann ist man eigentlich alt?

Da habe ich manche kauzige Antworten gefunden: Alt ist man dann,

… wenn man beim Zubinden der Schnürsenkel überlegt: „Was kann ich wohl noch erledigen, wenn ich schon mal hier unten bin?“

… wenn die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen mehr gekostet haben als das süße Gebäck selbst.

… wenn man mehr Bekannte auf dem Friedhof hat als unter den Lebenden.

Alt sein? Nein, danke. Wer will das schon? Unwillkürlich verbinden wir damit Begriffe wie senil, dement, lethargisch, erwartungslos, klapprig. Die Zielgerade ist erreicht, das Ende ist nah. Jetzt befindet man sich auf einem toten Gleis. Mit dem Eintritt in den Ruhestand geht’s bergab. Perspektive gegen null. Der Körper wird peu à peu zur Baustelle. Alter – ein Abrissunternehmen, offensichtlich vor allem bei anderen.

Der Schriftsteller Eugen Roth bringt es humoristisch auf den Punkt:

Wir sehn mit Grauen ringsherum, die Leute werden alt und dumm. Nur wir allein im weiten Kreise, wir bleiben jung und werden weise.1

Wenn das nur so leicht ginge! Auf jeden Fall möchten wir nach dem Eintritt in den Ruhestand einigermaßen fit und lebensfroh unsere letzten Lebensjahrzehnte angehen.

Heute ist der Ruhestand glücklicherweise keine Restzeit mehr, in der unser Leben sachte austrudelt, sondern eine eigenständige Lebensphase von – statistisch gesehen – beachtlicher Länge, „oft die längste zusammenhängende Zeit in der Biografie eines Menschen“2. Die beruflichen Verpflichtungen liegen hinter uns. Weil wir über ein hohes Potenzial an Fähigkeiten und Lebenskraft verfügen, kann der Ruhestand zu einem Betätigungs- und Lernfeld eigener Art werden.

Sprachlich kommt „alt“ übrigens vom lateinischen „alo“ bzw. „alere“, was so viel bedeutet wie „ernähren, wachsen und wachsen lassen“. „Altus“ ist das Gereifte, das Gewachsene. Es ist etwas „erwachsen“ geworden. Das Alte(r) hat somit einen hohen Wert. Aber diese Werte verschieben sich. Manches spitzt sich im vorgerückten Alter zu, denn „wir können den Nachmittag des Lebens nicht nach demselben Programm leben wie den Morgen“3.

Neue Chancen

Dass, wie Hermann Hesse einmal formuliert hat, „jedem Anfang ein Zauber“ innewohnt, versteht sich dabei nicht von selbst. Mancher wird widersprechen: „Von Zauber keine Spur!“ Warum? Mit dem Eintritt in den Ruhestand verschieben sich einige Rahmenbedingungen, die bisher selbstverständlich waren. Zwar wird der Leistungsdruck des Berufslebens vom Dauerurlaub abgelöst. Morgens kann länger geschlafen werden. Der lästige Wecker wird abgeschafft. Entspannung pur!

Aber leider reduziert sich auch manches. Etwa der finanzielle Spielraum. Ob die Rente den gewohnten Lebensstandard sichern kann? Welche Einschnitte müssen verkraftet werden? Außerdem: Eheleute müssen sich daran gewöhnen, dass der Partner nun ständig zu Hause ist. Vieles im Miteinanderleben wird sich verändern. Die häuslichen Rollen werden neu verteilt: Wer findet morgens zuerst aus dem Bett und deckt den Frühstückstisch? Wer kauft ein? Hoffentlich wird die Arbeitsteilung zur beiderseitigen Zufriedenheit geregelt!

Im Miteinander bleiben Missverständnisse nicht aus, wie die folgende Begebenheit zeigt:

Ein Ehepaar feiert nach langen Ehejahren das Fest der Goldenen Hochzeit. Beim gemeinsamen Frühstück denkt die Frau: „Seit fünfzig Jahren habe ich auf meinen Mann Rücksicht genommen und ihm immer das knusprige Oberteil des Brötchens gegeben. Heute will ich mir endlich diese Delikatesse selbst gönnen.“ Sie schmiert sich das Oberteil des Brötchens und gibt das untere Teil ihrem Mann.

Entgegen ihrer Erwartung ist dieser hocherfreut, küsst ihre Hand und sagt: „Mein Liebling, du bereitest mir die größte Freude des Tages. Über fünfzig Jahre habe ich das Brötchen-Unterteil nicht mehr gegessen, das ich vom Brötchen am allerliebsten mag. Ich dachte mir immer, du solltest es haben, weil es dir so gut schmeckt.4

Wer mit seinem Ehepartner im lebendigen Gespräch bleibt, wer dazu viele Freunde und Bekannte hat, die eigenen Fähigkeiten kennt und nutzt, dem wird die neue Lage wenig Probleme bereiten. Denn sie eröffnet viele Chancen, das Leben in veränderter Weise auszugestalten. Der Alltag erweitert sich. Neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung tun sich auf. Nun ist mehr Zeit für Hobbys, für Reisen, für Fahrradtouren, aber auch für Konzert- und Theaterbesuche etc. Die Möglichkeiten sind Legion – je nach Vorlieben und finanziellen Möglichkeiten.

Tatsache ist: Wie alt wir einmal werden, haben wir nur begrenzt in der Hand. Aber wie wir alt werden, unter welchen Umständen und in welchem Format, das können wir selbst beeinflussen. Das kommt nicht einfach über uns, sondern dafür sind wir zu hohen Teilen selbst verantwortlich. Das will gewollt und angestrebt werden und hat auch mit unserem Denken, mit unserem Verhalten und unserem Glauben zu tun. Darum geht’s: Altwerden mit Verstand und Gottvertrauen.

Das Ehepaar feiert gemeinsam den 60. Geburtstag. Dabei überkommt die Frau der Wunsch, doch einmal etwas von der großen Welt zu sehen. Deshalb bittet sie Gott: „Jahrzehntelang habe ich mich für meine Familie abgearbeitet. Ich habe mich nicht geschont. Freizeit und Urlaub habe ich kaum gekannt. Nun habe ich den Wunsch, endlich einmal eine Weltreise zu unternehmen, eine Kreuzfahrt zu den schönsten Fleckchen der Erde.“

Kaum hat sie ihren Wunsch ausgesprochen, liegen die ersehnten Papiere vor ihr: Flugtickets, Hotelbuchungen und vieles mehr. Alles, was für die große Reise nötig ist. Die Frau staunt, ist beglückt und dankt Gott für dieses Geschenk.

Da wird ihr Mann neidisch. „Lieber Gott, darf ich dich auch um etwas bitten?“

„Ja, natürlich“, kriegt er zu hören.

„Ich wünsche mir eine dreißig Jahre jüngere Frau!“

Man stelle sich vor: Auch dieser Wunsch wird augenblicklich erhört: Ab sofort ist der Mann – schwuppdiwupp – neunzig.

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