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2. Wir freuen uns über unser Alter und danken Gott

Hurra, wir leben! Es gibt uns noch. Gott will uns haben. Es ist ein Geschenk, dass wir über dieses Thema nachdenken dürfen. Grund für Lob- und Dankgesänge! Als Reichskanzler Bismarck im 19. Jahrhundert die Rentenversicherung einführte, kam kaum einer in den Genuss dieser Altersversorgung: Sie wurde nämlich erst ab dem siebzigsten Lebensjahr ausgezahlt. Doch dieses Alter erreichten nur wenige.

Anders geht es heute zu. Immer mehr Menschen werden immer älter. Wer heute siebzig Jahre alt ist und einigermaßen gesund, der hat statistisch noch rund zwanzig Jahre (Männer) bzw. rund dreiundzwanzig Jahre (Frauen) vor sich. Pfarrfrauen, so habe ich mir sagen lassen, werden besonders alt. Ein Drittel der Mädchen, die heute geboren werden, hat in unseren Breitengraden eine statistische Lebenserwartung von hundert Jahren.

Insgesamt: Tendenz steigend. Gott sei Dank! Zivilisation und medizinischer Fortschritt ermöglichen uns ein Lebensalter, von dem unsere Vorfahren nur träumen konnten. Wir gehören zu den wenigen Menschen auf der Welt, die sich auf der Sonnenseite befinden. Indem wir Gott dafür danken, machen wir uns bewusst, wie gut wir dran sind. Das versteht sich nicht von selbst.

Nur dieses eine Leben?

Bei vielen ist die Sehnsucht riesig, sehr alt zu werden. Aber hier hat sich in den vergangenen Jahrhunderten viel verschoben. In früheren Zeiten lebte man vielleicht gut vierzig Jahre. Viel mehr gab die allgemeine Lebenserwartung nicht her. Aber man war überzeugt: Ich habe die Ewigkeit im Jenseits vor mir.

Heute lebt man vielleicht achtzig, neunzig Jahre. Aber die meisten sind überzeugt: Das war’s dann auch. Darüber hinaus sieht man keine Perspektive und denkt: „Mit dem Tod ist alles aus und vorbei.“

Das verändert natürlich die Lebenshaltung. Wer nur das Diesseits hat, muss hier und heute alles Glück erwerben und auskosten, so gut es nur geht. Das erhöht den Druck, den man auf sich ausübt.

Auch deshalb sind die Erwartungen an Medizin und Wellness gigantisch geworden. Ärzte werden als „Halbgötter in Weiß“ mit Verehrung überhäuft und mit Erwartungen überfordert. Angebote lebensverlängernder Maßnahmen stehen hoch im Kurs. Weil man die Ewigkeit verloren hat, bleibt schließlich nur dieses eine Leben – und das muss dann „mit aller Gewalt“ alle Erwartungen erfüllen.

„Erstmals seit Bestehen der Menschheit sind Menschen in Mitteleuropa nicht mehr so ganz sicher, ob nicht vielleicht doch mit dem Tod alles aus ist“, stellt Manfred Lütz fest.5 Und Dieter Hildebrandt schreibt: „Das Altern ist gerade noch erlaubt, aber man sieht es nicht gerne“6 – weder bei sich noch bei anderen. Warum? Manfred Lütz sagt es zugespitzt: „Eine ganze Gesellschaft ist in kopfloser Flucht vor dem Tod.“7

Wie die Zeit vergeht!

Umso kostbarer werden dann Augenblicke, in denen man das Leben genießt und die Zeit am liebsten anhalten würde. Das wusste bereits Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832): „Möcht ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön.“ Jeder weiß von Momenten, in denen er besonders glücklich war. Da möchte man am liebsten die Augen schließen und die Uhr anhalten: So soll es für immer bleiben. Ja nicht weiter, ja nicht verändern. Am liebsten das Rad der Zeit zurückdrehen: „Man müsste noch mal zwanzig sein …“ Kein Wunder, dass an keiner Grenze so geschummelt wird wie an der Altersgrenze.

Doch hier lauert die Gefahr, dass wir nicht mit der Zeit gehen, sondern lediglich dem Vergangenen nachtrauern. Das wird dabei oft in ein goldenes Licht getaucht: alles hell, alles gut, alles freundlich. Die Gegenwart hingegen wird eher als bedrückend erlebt. Das Entscheidende fand in der Vergangenheit statt. Was für ein Jammer, dass man nicht wieder dorthin zurückgehen kann!

Die Sehnsucht nach Entschleunigung – so sagt man heute – liegt dann besonders nahe, wenn wir älter werden. Langsamer soll die Zeit laufen. Doch dreht sie sich, je älter wir werden, nicht immer schneller?!

Bei einer Veranstaltung Mitte September erinnerte ich daran: „In drei Monaten ist Weihnachten“, woraufhin ein leises Seufzen zu vernehmen war: „Tja, schon wieder. Haben wir nicht gerade erst die Weihnachtssachen weggeräumt?“

Warum dieses Empfinden im Alter: Die Zeit vergeht schneller? Untersuchungen belegen, was wir selbst erleben: Die Abläufe und Handgriffe sind im Laufe der Jahrzehnte zur Routine geworden. Im Kinder- und Jugendalter dagegen hat vieles den Reiz des Neuen. Es muss erobert und gelernt werden: Zähneputzen, Einkaufen, schulisches Pensum etc. Da geht es oft mühevoll und zeitaufwendig zu. Das Leben wird als spannend und aufregend empfunden. Wir Älteren erledigen vieles mit der linken Hand. Unsere alltäglichen Abläufe sind eingespielt. Diejenigen Ereignisse werden selten, die wir zum ersten Mal erleben. Außerdem steht vielen nicht – oder nicht mehr – der Sinn danach, Neues auszuprobieren.

Zugleich nimmt der Zeitdruck zu. Viele stehen wie unter Dampf. Davon wusste bereits Hiob: „Der Mensch lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe“ (Hiob 14,1). Warum? Wenn ich nur dieses eine kleine Leben habe, muss ich zusehen, nichts zu verpassen. Alles will ich mitkriegen und mitmachen.

Erst recht dort, wo man keine Ewigkeit kennt, wird das Hier und Heute zum Ein und Alles. Der Tod gerät zum schieren Unglück, in dem uns alles genommen wird, was wir sind und haben. „Man könnte hierin eine Tragödie des modernen Menschen sehen. Während er den Eindruck hat, in einem unbarmherzigen Hamsterrad gefangen zu sein, wird sein Lebens- und Welthunger nicht befriedigt, sondern zunehmend frustriert.“8 Er findet nie das Maß an Erfüllung, das er ersehnt.

Und am Lebensende ist man wirklich am Ende. So hat es ein Freund erlebt, der einen Anruf von einem älteren Ehepaar bekam. Das berichtete ihm von seinem Umzug in ein Seniorenheim und teilte die neue Adresse mit. Der Freund fragte: „Wie geht es euch jetzt?“ Die triste Antwort: „Wir sitzen hier und warten auf den Tod.“ So sieht es aus, wenn Menschen über ihren Tod hinaus nichts zu hoffen haben. Da gleicht das Leben im Alter einem Wartesaal auf den Tod.

In Ewigkeit vollendet

Anders geht es dagegen zu, wenn wir uns im Glauben geborgen wissen. In Gottes Händen aufgehoben zu sein, verhilft uns zu einem gelassenen und zugleich zielstrebigen Leben. Als Christ weiß ich: Gott hat mir mein Lebensmaß zugemessen. Daran kann ich nichts ändern. Und danach wartet auf mich ein ewiges Zuhause bei Gott.

Deshalb muss ich in diesem Leben nicht alles haben, alles gewinnen und alles leisten. Auch dort, wo es bei mir bruchstückhaft zugeht und ich im Rückblick erkenne, was mir alles nicht gelungen ist: Mein Leben als Christ wird nicht hier auf diesem Erdboden vollendet, sondern in Gottes Ewigkeit. Weil ich heute zu Jesus gehöre, habe ich Zukunft ohne Ende. Der Tod ist mir keine Mauer mehr, an der alles zerschellt, sondern die Tür, die mir aufgeht zum Himmel.

Das zu wissen, entlastet. Es nimmt den Druck heraus. Es entkrampft, was meine Glückserwartungen hier und heute betrifft. Unter einem offenen Himmel lebt es sich getroster und fröhlicher. Uns läuft auch im Alter die Zeit nicht weg – deshalb können wir alle Tage zuversichtlich leben.

Als Christen nehmen wir alles aus der Perspektive des Glaubens wahr. Unser Glaube ist kein abgegrenzter Bezirk, den man betritt und wieder verlässt, sondern er ist das prägende Vorzeichen für alles, was wir tun und lassen. Alles will vom Glauben durchdrungen und eingefärbt sein. Ganz im Sinne des Apostels Paulus: „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus, und dankt Gott, dem Vater, durch ihn“ (Kolosser 3,17). Es gibt keinen Sektor, auf dem wir vom Glauben absehen könnten. Erst recht nicht, wenn’s ums Altern geht.

Spätestens jetzt zeigt sich, ob unser Glaube nur schönes Wetter verträgt oder ob er auch dann lebendig und tragfähig ist, wenn sich Lebensumstände gravierend ändern und sich manches Gute nicht mehr von selbst versteht.

Weise & gelassen älter werden

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