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Rückblick


Dass mein Akku im Alter von 30 Jahren schon einmal nur zu ca. 40 % geladen war, erkannte ich nicht – bzw. wollte es erst Jahre später wahrhaben. Wie konnte es dazu kommen?

Nun, ich war 24 Jahre alt, hatte eine Handwerkerausbildung absolviert und bis hierhin sieben Jahre auf dem Bau gearbeitet. Neben diesem Job hatte ich noch viele weitere Nebentätigkeiten, um mein einfaches Leben finanzieren zu können. Auch damals schon nahm ich bei größter Hitze und Eiseskälte jede Überstunde und jeden neuen Auftrag eines Nebenjobs dankend an. Dass ich mich damit von meinen Sorgen und Problemen abgelenkt hatte, war mir damals nicht klar.

Ich stand gerade auf dem Dach eines Holzhauses, als ich mir mal wieder mit voller Wucht den Zimmermannshammer auf den Daumen schlug. Ich verfluchte gerade die ganze Welt und diese harte Arbeit, denn gemocht habe ich diese Tätigkeit nie. Sie war halt einfach gut bezahlt und ich war irgendwie ‚aufgehoben‘. Ich beobachtete gerade meinen Vorarbeiter, wie er mit einem Bausachverständigen die Rohbauabnahme durchführte. Dieser Mann hatte keine dreckigen Finger und keinen blutenden Daumen und musste ‚nur‘ ein paar Dinge begutachten.

Das will ich auch werden.

In jenem Moment kam mir diese wahnwitzige Idee.

Ich muss einfach nur studieren, dann habe ich ein leichteres Leben!

Wenn ich mir etwas vornahm, dann zog ich es auch durch. Wie man allerdings studieren konnte, ohne einen Schulabschluss zu besitzen, wusste ich damals noch nicht. Doch der Gedanke an ein besseres Berufsleben verfestigte sich, also fing ich an zu recherchieren und alle möglichen Leute um Rat zu fragen, bis sich mir der Weg offenbarte. Durch meine Handwerkerausbildung, hatte ich bereits meinen Hauptschulabschluss nachgeholt. Und den Realschulabschuss sowie das Abitur konnte man an einer Berufsoberschule nachholen.

Also saß ich tatsächlich ein paar Monate später wieder in der Schule und freute mich über Bildung, Wissen und auf eine Zeit, die leichter werden würde. Doch es wurde nicht leichter – sondern härter. Mein Einkommen beschränkte sich auf ein paar hundert Euro BAföG, weshalb ich gezwungen war, neben der Schule weiterhin arbeiten zu gehen. Dass ich ursprünglich keinen Schulabschluss besaß und irrsinnigerweise versuchte mein Abitur nachzuholen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, und dass ließen mich sowohl die Mitschüler, als auch die Lehrkräfte täglich spüren. Doch der Gedanke an die Schmach zurück auf den Bau zu gehen und mich von meinen Handwerkskollegen auslachen zu lassen, weil ich es nicht geschafft hatte, hinderte mich am Aufgeben. Obwohl 1/3 der Mitschüler, die alle besser ausgebildet waren als ich, durch die Abiturprüfungen gefallen waren, obwohl mir so viele Lehrkräfte rieten mein Vorhaben abzubrechen, bestand ich mein Abi beim ersten Versuch und schrieb mich sogar an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften ein, um tatsächlich zu studieren.

Das Studium war nochmals eine andere Hausnummer und forderte mich mehr als nur zu 100 %. Jeden Morgen fuhr ich mit meinen drei Kommilitonen in einer Fahrgemeinschaft rund eine Stunde zur Hochschule, um dort i. d. R. von 8:00 bis 18:00 Uhr viel zu viel Stoff eingetrichtert zu bekommen. Anschließen wieder eine Stunde zurück nach Hause, kurz was gegessen, um dann einen Kilometer im Hallenbad zu schwimmen, oder zum Thaiboxen zu fahren. Wieder ab nach Hause, den Stoff vom Vortag aufgearbeitet, bzw. ab hinter eine Bar und Bier oder Holunderblütenlikör bis in die frühen Morgenstunden ausgeschenkt. In den Semesterferien konnte ich mir auch keine Auszeit gönnen, da ich keinen finanziellen Puffer hatte, also verbrachte ich wochenlang auf Baustellen und nahm wieder jede bezahlte Überstunde dankbar an, fuhr nachts noch für ein Reisebüro Klienten zu Flughäfen und versuchte mein Glück im Casino. Zwischen all den Terminen hatte ich noch jede Menge Treffen mit Freunden und Dates wie am Fließband. Während den Prüfungsphasen, saß ich wochenlang täglich von 8:00 bis 23:00 Uhr, ohne nennenswerte Pausen, über den Büchern, um gute Noten zu schreiben können.

Das Wort ‚Stress‘ existierte damals in meinem Wortschatz noch nicht. Dass ich oft mit Erkältungen im Bett lag, ignorierte ich und Verletzungen vom Kampfsport waren für mich Trophäen. Sagen zu können, dass ich 12 Prüfungen in 10 Tagen geschrieben hatte, erfüllte mich mit Stolz und ich erhaschte mir dabei immer ein wenig Mitgefühl von anderen.

Bis zur totalen Erschöpfung

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