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Geist, in seiner menschlichen Kundgebung,

ist Antwort des Menschen an sein Du.

Der Mensch redet in vielen Zungen,

Zungen der Sprache, der Kunst, der Handlung,

aber der Geist ist einer,

Antwort an das aus dem Geheimnis erscheinende,

aus dem Geheimnis ansprechende Du.

Geist ist Wort.

MARTIN BUBER 4

Das Thema Potenzial-Entwicklung boomt seit Jahren. Und gerade jetzt ganz besonders, weil es ohne nicht mehr geht. Wir brauchen nicht nur Richtlinien, um im Tsunami um uns herum navigieren zu können, sondern auch, um ein Leben zu führen, das uns erfüllt. Doch anders als uns Trainer und Berater glauben lassen möchten, tragen wir all diese Navigationshilfen in unserem Inneren und brauchen nur in uns hineinzuhorchen.

Unsere geistige Dimension ist Quelle, Kompass, Begleiter und liebender Freund zugleich.

Sie ist etwas sehr Großes und Komplexes. Diesen Geist in Ihnen, aber auch den Geist an sich, will ich nun für Sie näher erläutern und versuchen, ihn in einfache, nachvollziehbare Worte, Bilder und Beispiele zu fassen.

In uns gibt es eine Glut, die nie erlischt, die wärmt und stärkt und die darauf wartet, entfacht zu werden. Der Geist entfacht unser Potenzial und bringt damit die Glut zum Lodern und unser inneres Feuer zum Brennen.

Die Größe des Geistes ist unermesslich –

universell, unfassbar und manchmal erahnbar.

Und sie ist – wenn wir sie in uns entdecken dürfen –

sehr persönlich, einmalig und einzigartig.

Den Gedanken und die Erfahrung von Geist empfinde ich so spannend und be-geisternd, weil ich in mir und ohne Zutun von außen Zugang dazu habe. Zwar kann ich mir helfen lassen, mich inspirieren lassen, mich in (neuen) Erfahrungen versichern, aber es bin immer ICH, der den Geist lebendig werden lässt. Geist sprengt, wenn wir dieses Feuer in uns erfahren, das Gefühl des Isoliertseins und erweckt ein Gefühl der Verbundenheit (Beziehungsstreben) und des Aufgehobenseins (Urvertrauens).

In dem nachfolgenden Abschnitt versuche ich, diese Größe für Sie einzufangen.

Geist – eine kurze Einordnung

Der Geist kann aus psychologischer Sicht wohl sehr treffend folgendermaßen definiert werden: »Geist ist die eher dem Gefühl als dem Verstand erkennbare, erfahrbare, erlebbare Urkraft des Lebens.«

Das Wort Geist hat seine Wurzeln in dem indogermanischen Wort »gheis«5, das zwei Bedeutungswelten eröffnet. Erstens ein Erschaudern vor der Größe. Zweitens eine Aufregung, die bewegt, in Dynamik versetzt, die uns leben lässt.

Geist ist Einmaligkeit!

Für Frankl, dessen Lehre mich sehr prägte, ist Geist nach seinen zehn Thesen zur Person6, Individuum, unteilbar und insummabile, nicht auflösbar in etwas Größeres (Gemeinschaft, Gesellschaft, Rasse …). Geist, oder – wie er es auch nennt – die geistige Person, ist jedes Mal ein absolutes Novum, etwas Neues. Dieser Geist macht jeden Menschen zum Einmaligen, Einzigartigen, Unersetzbaren, Unverwechselbaren und Unaustauschbaren.

Geist, menschlicher Geist, besteht nicht für sich selbst, man kann ihn erleben und erfassen. Und dieser einmalige Geist will mit mir in diesem Leben Erfahrungen machen. Ist das nicht wunderbar? Der Geist ist keine Größe, zu der ich mir mühsam Zugang verschaffen muss oder wofür ich gar auf Mittler angewiesen bin. Nein, der Geist in mir ist Teil von mir und er ist auf mich angewiesen – er braucht mich, um lebendig zu werden. Das heißt, jeder Versuch, mich mit dieser Kraft zu verbinden, wird belohnt und ist gut – egal wie schwer oder bruchstückhaft oder kurz er zunächst sein mag. Im Tun wirkt der Geist. Jedes Mal, wenn ich versuche, mich zu verbinden, mich einzulassen, gebe ich ihm und mir eine Chance. Jeder Versuch ist wertvoll, auch wenn es sich nicht gleich so anfühlt. Thomas von Aquin (1225–1274) sagt: »Geist ist nicht Körper, sondern verwirklicht Körper!« Geist ist das Prinzip des Lebens – Principium Vitae.7

Es ist Frankls großes Anliegen, den Geist in seiner Anthropologie als selbstständige Dimension (Geist-Person) zu definieren, ihn aber nur zusammen mit dem Psycho-Physikum, unserem Körper und unseren Gefühlen, Wahrnehmung und Denken, zu sehen.

Unsere alten Gefüge, die uns Stütze, Mut, Korrektiv und Orientierung gaben, wie analoges, nichtdigitales Miteinander, Firmen, die lebenslange Anstellung versprachen, Familie, Kirchen, Vereine oder Freundschaften, haben sich verändert. Sie sind zum Teil zerbrochen, und so suchen wir neuen Halt. Wir glauben, ihn in Beratern und in immer mehr Experten – im Privaten, in Ausbildungen und im Beruf, in der Medizin, in der Politik … zu finden. Weil wir meinen, auch wenn uns ein mulmiges Bauchgefühl dabei beschleicht, mit ihrer Hilfe besser entscheiden zu können: Wie wir erziehen, wie wir uns ernähren sollen, ja, wie wir lieben sollen. Bis dahin, dass sich die Politik durch Ethikkommissionen in schwierigen moralischen Entscheidungen aus der Verantwortung stiehlt und sich auch dort auf scheinbar objektive Fachleute herausredet. Berater sind aber leider versucht, mit einer Außensicht und aus ihrer je eigenen Perspektive Vorschläge zu machen, die gar nicht wirklich zu dem passen, was aus uns selbst heraus leben möchte, sich nach Verwirklichung sehnt. Hier ist eine ganz neue Kultur an Beratung gefragt, die zuerst nach der Glut und dem Feuer im Inneren sucht, um dann zu unterstützen, wie all das umgesetzt werden kann.

Es scheint kaum mehr Bereiche zu geben, in denen man mit gutem Haus- und Menschenverstand arbeiten kann, weil es überall Zusatzausbildungen gibt. Und dadurch entsteht eine große Verunsicherung – na, wenn es überall ExpertInnen und Expertenmeinungen gibt, was fange ich dann mit meinem »Bauchgefühl«, mit meiner Intuition an!?

Damit meine ich kein spontanes Bauchgefühl. Nein. Intuition bildet sich heraus aus Erfahrung und Wissen. Und es gibt seit Jahren in Berlin am Max-Planck-Institut einen Bereich zur Intuitionsforschung, das in diesem Sinne tolle Arbeit leistet. Und trotzdem bleibt in meinen Augen diese Forschung zu kurz, da sie die Dynamik des Geistes in uns nicht einbezieht.

Geist ist zeitlos

Geist verbindet mich mit anderen, mit der Vergangenheit, der Zukunft, mit dem, was mich übersteigt, aber auch mit dem, was mich im Kern ausmacht – gerade, weil ich ICH bin. Durch mein Sein, durch mein Tun wird er lebendig. Und ist in all dem keiner Mode, keinem Zeit-Geist unterworfen, keinem Stress des Immer-Größer, Immer-Schneller, Immer-Mehr ausgeliefert.

Geist hat ein Sein, ein ewiges Sein, ein ewiges Da-Sein

Nicht zuletzt seit Charles Darwin ist die Idee des Geistes verflacht worden. Der Geist wurde als »ein Produkt biologischer Vorgänge«8 dargestellt. Wir dürfen diesen Geist nun wiederentdecken lernen. In seiner Existenzphilosophie beschreibt Karl Jaspers »Geist ist das Umgreifende« und rückt damit die Verbindung des Geistes mit unseren Möglichkeiten an eine zentrale Stelle: Geist verbindet das Greifbare mit der Welt der Ideen und Möglichkeiten. Geist ist die Kraft, die Wirklichkeiten schafft, Realitäten entstehen lässt, Möglichkeiten ins Sein bringt.

Geist ist immer gesund

Wahrscheinlich ist dies die provokativste These Viktor Frankls: Das, was er als Geistige Person bezeichnet, kann zwar verschüttet oder blockiert sein, doch das Wesen dieses Geistes ist ein unverletzbares, heiles, immer gesundes.

Vielleicht ist es nur der Begriff, an den wir uns gewöhnen müssen. Mir ist auch gar nicht wichtig, wie Sie diesen heilen Personskern nennen. Aber damit wir hier in diesen Seiten eine gemeinsame Sprache finden, verweise ich darauf, dass es nicht um sprachliche Definition geht, sondern um die Unterscheidung. Ich unterscheide zwischen der körperlichen Dimension (Soma oder Physis) des Menschen, die erkranken kann, der Psyche (Triebe, Gefühle, Wahrnehmung, Denken u.a.), wo wir Störungen (z. B. übermäßige Ängste) benennen können, und der Geistigen Person als »Träger« meines Wesens, meines Selbst, meines Höheren Ichs, die niemals erkrankt. Viktor Frankl im Zitat: »In Wahrheit gibt es nämlich gar keine ›Geistes‹-Krankheiten. Denn der ›Geist‹, die geistige Person selbst, kann überhaupt nicht krank werden, und auch noch hinter der Psychose ist sie da, wenn auch selbst dem Blick des Psychiaters kaum ›sichtbar‹.«9

Dabei ist Geist, wie ich ihn verstehe – darauf möchte ich immer wieder aufmerksam machen, um kein Missverständnis zu erzeugen –, nicht Verstand, Denken, Wahrnehmung, nicht Intellekt allein, nicht Interesse allein. Das alles sind lediglich psychische Kräfte und Funktionen.

Geist ist ein Kompass

Ein Kompass, der sich und mich immer wieder ausrichtet, sobald ich die Hand, in der ich ihn halte und meinen Blick ruhig werden lasse, mich umschaue und orientiere. Dieses Loslassen und Vertrauen ist ähnlich und eine Vorbereitung auf die Erfahrung des Geistes und doch auch mehr als die Erfahrung der Leere und des Nichts, wie sie uns in alten östlichen Traditionen gelehrt wird.

Geist ist eine Orientierungshilfe in einer Zeit, die uns so oft überfordert, wo wir selbst so viele Ansprüche an uns stellen und manchmal schier nicht mehr wissen, wohin, das tut richtig gut. Wir können darauf vertrauen, in uns selbst ein Sinn-Organ (so nennt es Frankl einmal) zu haben, das uns immer wieder ausrichtet auf das, was wertvoll und gut für uns ist. Natürlich klappt das nicht immer gleich auf Anhieb. Wir müssen unseren Kompass schon kennen und den Umgang mit ihm etwas üben, um ihn schnell und zuverlässig einsetzen zu können, wenn wir Orientierung brauchen.

Geist ist und will Beziehung

So formuliert der Soziologe Hartmut Rosa: Geist sei Resonanz.10 Er schlägt in seinen ganz aktuellen soziologischen Visionen vor, dass wir gerade aus dem Gefühl und Leben von Resonanz einen Gegenpol zur Beschleunigung unserer Zeit schaffen könnten.

Ich gehe dabei noch einen Schritt weiter und schreibe in meinem Buch Was meinem Leben echten Sinn gibt: Sinnerfülltes Leben ist Leben in Beziehung. Nämlich indem ich eine Beziehung zu mir selbst pflege, zu anderen, zu einer sinnerfüllten Aufgabe, zur Welt und schlussendlich zu meinem Geist.

Geist ist weiblich und männlich

In der griechischen Sprache gibt es für den Begriff Geist zwei Worte, die sich dem Femininen und auch dem Maskulinen zuwenden. Einerseits finden wir dort »Pneuma« (fem.), ein Wort, das eher in der Theologie verwendet wird. Zum anderen begegnen wir dem maskulinen »Nous«, den wir von Platon bis zu Viktor Frankls Lehre kennen.11

Schließlich wird für Geist im Altgriechischen auch das maskuline Wort »Logos« verwendet, aus dem Frankl den Begriff der Logotherapie ableitet.

Auch im Lateinischen finden wir zwei Begriffe: »Spiritus« (mask.) und »Anima« (fem.). Im biblischen Hebräisch wird Geist mit »Ruach« (fem., Atem, Hauch, Sturm) beschrieben. Mein persönliches »Credo« ist der unbedingte Glaube an den lebendigen, wirkungsvollen Geist in mir!

»Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.« Dieses Zitat von dem französischen Mathematiker und Philosophen Blaise Pascal (1623–1662) kann hier vielleicht als Ausgangsbild dienen, als das Herz dieser Betrachtungen. Denn es ist eine Weisheit des Herzens, wenn und dass wir über die Dimension des Geistes überhaupt nachdenken (können).

Geist ist immer mehr

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir den Geist in uns und damit unser Potenzial immer weiter erschließen sollten. Viktor Frankl hat sie als Mediziner in den medizinisch-wissenschaftlichen Diskurs eingebracht. Das war revolutionär. Er hat sehr klar den »Reduktionismus« rein naturwissenschaftlichen Denkens und Forschens kritisiert und wurde dafür von manchen belächelt, ja angefeindet. Viele sind ihm dabei aber gefolgt und haben seine Ideen weiterentwickelt. Die Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts gibt immer wieder Zeugnis davon. Trotzdem bleibt die Gefahr des »Rückfalls« in den alleinigen Glauben an das Mess- und Abbildbare bestehen. Ich möchte damit keineswegs naturwissenschaftlichen Fortschritt ablehnen. Dazu bin ich selbst zu dankbar der modernen Medizin gegenüber und geradezu vernarrt in die Erkenntnisse der aktuellen Forschung in Physik und Chemie und ganz besonders die der modernen Hirnforschung. Schließlich faszinieren mich die Naturwissenschaften schon seit Schulzeiten. Gleichzeitig bin ich der Überzeugung:

Wir dürfen dem Geist weit näherkommen, als wir bisher es zu denken und fühlen wagen. Wir können darüber so viel mehr erfahren, was uns selbst und unsere Lebensqualität stärkt und fördert. Unser Leben erstrahlen lässt und freudvoller macht. Dieses Ent-decken wird nichts zerstören, aber es wird uns hinterfragen und herausfordern. In positiver Weise, denn Geist will immer aufbauen, weiterentwickeln, in liebevoller Art zum Leben beitragen. Trauen Sie sich und lassen Sie sich darauf ein.

Die Glut in dir

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