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LebensBild

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Es ist Samstagvormittag, 11 Uhr. In der WG, zu der Mark12 gehört, wird gerade gefrühstückt. Die Party endete spät letzte Nacht. Man bietet mir Rühreier an. Nach mehrmaligen Danke-Neins nehme ich einen Kaffee.

Seit Marks Studienbeginn hat er in Wohngemeinschaften gelebt und schätzt diese Lebensform immer noch. In den letzten zehn Jahren waren vier verschiedene Wohnungen sein Zuhause und er hat sein Leben mit etwa einem Dutzend unterschiedlicher Menschen geteilt. Heute ist er 31 und berufstätig, und darum haben die Räume auch nichts von einer verlotterten Studentenbude, sondern gefallen mit Parkettboden, stilvollem Inventar und dem MacBook auf dem Schreibtisch. Doch auch wenn es aus finanziellen Gründen nicht mehr sein müsste: das WG-Leben bleibt.

„Bist du ein Beziehungsmensch?“, frage ich ihn und bin erleichtert, als er das bejaht. Immerhin ist dies der Grund, warum ich jetzt auf seinem Balkon sitze. „Absolut! Das Beste, was ich in meinem Leben bisher erlebt habe, entstand dadurch, dass wir mit ein paar Leuten gemeinsam eine Sache angepackt haben.“

Schon wenn Mark von seiner Kindheit in dem kleinen unterfränkischen Ort am Main erzählt, denkt er an das offene Haus seiner Eltern. Sie hatten häufig Gäste, oft auch über Nacht. Für andere Menschen da zu sein, liegt ihm wohl in den Genen, denn beide Elternteile haben ihre Berufsausbildung im sozialen Bereich absolviert: der Vater als Sozial-, die Mutter als Sonderpädagogin.

Die berufliche Laufbahn des Vaters erzählt sich abenteuerlich. Nach dem Studium und einem Praktikum in einer Jugendeinrichtung wechselt er in die professionelle Werbefotografie, übernimmt einige Jahre später das Schuhgeschäft des Großvaters und führt es zum Erfolg, nur um heute seine Brötchen wieder mit (außergewöhnlich guter!) Hochzeitsfotografie zu verdienen. Da vereint sich also eine soziale Ader mit Liebe zur Kunst und unternehmerischem Geschick – eine seltene Kombination.

„Ich glaube“, sagt Mark, „die berufliche Flexibilität meines Vaters hat viel damit zu tun, dass es mir heute leicht fällt, mit Leuten Beziehungen zu knüpfen. Ich interessiere mich für Menschen genauso wie für Technik; um ein Haar hätte ich Informatik anstelle von Sozialpädagogik studiert. Ich merke, dass es mir leicht fällt, mit den verschiedensten Menschen Kontakte aufzubauen, weil es eigentlich nichts gibt, was mich nicht interessiert.“

Und weil ich ihn kenne, weiß ich, dass das wahr ist. Es gibt wohl kaum einen Menschen, mit dem es leichter ist, über irgendwas zu quatschen.

Im Jahr 1993 geschieht etwas Entscheidendes in seinem jungen Leben. Die Familie findet zu Gott. Die Mutter ist ihren katholischen Wurzeln immer treu gewesen, doch der Vater hat mit Religion bisher nichts am Hut. In einer evangelistischen Veranstaltung mit Billy Graham steht Papa gegen Ende des Vortrags plötzlich auf und verkündet der erschrockenen Familie „Wir gehen! … Wir gehen nach vorne!“, und er bekennt sich öffentlich zum Glauben an Jesus Christus.

Von da an verändert sich das Leben der Familie sehr. Man schließt sich einer kleinen Gemeinde an, lernt andere Christen kennen und die Kinder sind beeindruckt von der positiven Kraft, mit der der Vater nun seinen Glauben lebt. Beziehungen zu Menschen waren schon immer wichtig; nun kommt die Beziehung zu Gott mit ins Spiel.

Schon bald beginnen Mark und sein jüngerer Bruder sich ehrenamtlich in der Kirche zu engagieren. Als er 14 ist, gründen sie eine Jungschargruppe für Kinder. Später leiten sie den Teenkreis. Über Jahre nehmen sie an einem Sommercamp teil und am Ende gehören sie zum Leitungsteam.

Das Telefon klingelt und unterbricht das Interview. „Hallo? … ja, sorry, ich hatte noch keine Zeit, zurückzurufen … ja, ich hab Zeit … wo? … bei dem Bäcker an der Ecke … okay, 14.30 Uhr, cool, bis dann.“ Ein Beziehungsmensch eben, denke ich lächelnd …

In der Jugendzeit spielen Freunde eine große Rolle in Marks Leben. Er lernt Leute aus Würzburg und eine neue Gemeinde kennen. Es bildet sich eine Clique und ein junger Mitarbeiter sieht das Potenzial dieser Jugendlichen und investiert sich in sie. Begleitet sie. Hat Zeit. Einige dieser damaligen Freundschaften bestehen bis heute. Sie haben Mark sehr geprägt.

„Braucht man Freunde, um sich selber kennenzulernen?“, frage ich und weiß, dass ich diese Frage einem Sozialpädagogen stelle. Er nickt: „In meinem Job führe ich mit Jugendlichen ein soziales Kompetenztraining durch. Und der Hauptpunkt dabei ist, dass sie lernen, Freundschaften zu leben. Denn Freunde sind wie ein Spiegel. In Beziehungen erlebst du dich selbst, bekommst eine direkte Rückmeldung auf dein Verhalten. Zu erleben, dass du für andere wichtig bist und dass andere für dich wichtig sind, ist absolut zentral im Leben.“

Mark selbst empfindet es als sehr wichtig, dass er damals in Würzburg Kontakte ohne seinen Bruder knüpfen konnte.

„Irgendwie ist mein Bruder immer der Angesagtere von uns beiden gewesen. Die Freunde, die ich hatte, hatte ich über meinen Bruder. Jetzt war das anders und ich merkte: Hey, ich allein bin ja auch cool.“ Und er lächelt über diese umwerfende Erkenntnis.

Die Dynamik, die sich dann entwickelt, hält Mark eigentlich bis heute in Atem. Aus der Clique entsteht eine Jugendgruppe, aus der Jugendgruppe ein großes Gottesdienstprojekt, das vielen Jugendlichen hilft, wieder in Kontakt mit Gott und der Kirche zu kommen. Mark ist im Leitungsteam und erlebt den Flow, der entsteht, wenn ein paar Leute ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Er ist 22, als ein Freund ihm von einer noch verrückteren Idee erzählt. Der Pastor seiner Gemeinde hat den Traum, eine neue Kirche zu gründen. Eine Kirche für junge Leute. Eine Kirche im Kino. Mark ist sofort begeistert.

„Mir war, als hätte ich mein Leben lang auf diese Möglichkeit gewartet. Als Jugendleiter hatten wir einen Ort geschaffen, an dem Jugendliche ihre Freunde mitbringen konnten. Aber ich selbst war kein Jugendlicher mehr. Diese Kirche nun würde ein Ort werden, an dem meine eigenen Freunde einen Zugang zum Glauben finden könnten.“

Im Jahr 2003 wird die CityChurch gegründet, die Kirche, in der ich heute arbeite. Mark gehört zu den tragenden Leuten des Gründungsteams und ist bis heute ein Mann, der sehr viele Leute in unserer Kirche kennt und miteinander verbindet.

„Das finde ich das Geniale an Kirche. Da kommen Leute zusammen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber weil sie ein gemeinsames Ziel haben, stellen sie etwas Tolles miteinander auf die Beine. Das macht für mich die Faszination von Gemeinschaft aus.“

Mark ist ein Beziehungsmensch. Er investiert viel Zeit in seinen Freundeskreis und immer wieder auch in Menschen, die Hilfe brauchen. Seine WG hat schon einige Male Menschen aufgenommen, die übergangsweise ein Zuhause brauchten. Vor einigen Jahren boten sie einem jungen Mann ein Zimmer an, von dem vorher niemand geahnt hatte, dass er Job und Wohnung nur erfunden hatte und stattdessen unter der Brücke schlief. Diese Scheinexistenz hatte funktioniert, bis er im Knast landete. Mark und seine Mitbewohner nahmen ihn auf, bis er sein Leben auf der Reihe hatte. Heute hat er Frau und Kind und Mark sagt: „Ich glaube, dass Gemeinschaft Leben verändern kann.“

Ich bin froh, Mark interviewt zu haben, denn sein Leben zeigt, welche Bedeutung den Beziehungen in unserem Leben zukommt: der Beziehung zu anderen Menschen, der Beziehung zu Gott und der Beziehung zu uns selbst.

„Würdest du auch einen kritischen Gedanken in das Kapitel rein nehmen?“, fragt er. Ich nicke. „Was ich in letzter Zeit leider auch merke, ist dies: Ich habe zu oft das Leben anderer geteilt und zu wenig an mein eigenes gedacht. Ich habe oft den Schmerz anderer gespürt, doch den eigenen darüber ganz vergessen. Wenn du das Gleichgewicht nicht hältst zwischen den Beziehungen zu anderen und der Beziehung zu dir selbst, ist die Gefahr groß, dass du dich selbst verlierst. Ich werde da in Zukunft an einer besseren Balance arbeiten müssen!

Und damit liefert er mir die Steilvorlage für das, was das LebensMuster der Triangel sagen will.

Neunmalweise

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