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Frau Neuweg

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Verliebt war ich nicht, geheiratet habe ich ihn trotzdem. Und ich bin unendlich dankbar dafür. Ich hätte viele haben können, sehr viele. Und als ob sie es beweisen wollte, zählt sie Namen, Berufe, Wohnorte auf. Fügt dann aber rasch hinzu: Ich kann froh sein, dass ich die vielen, die ich hätte haben können, nicht genommen habe. Ich kann wirklich froh sein, ich muss Gott dafür danken. Meine Geduld hat sich gelohnt. Denn eines Tages kam er: Ich arbeitete damals in der Bäckerei und im Café meiner Eltern, war Fräulein für alle und alles. Ich habe Brotlaibe, Pralinés und Nussgipfel verkauft. Regale aufgefüllt. Abgewaschen. Serviert. Bis er auftauchte. Per Zufall. Er war auf der Durchreise und hatte Lust auf etwas Süsses. Als er den Laden betrat, wusste ich sofort: ein Fremder, kein Einheimischer. Dieses ­sau­ber rasierte, schmale und etwas bleiche Gesicht, das im Kontrast zur schwarzen Hornbrille stand, hatte ich noch nie zuvor im Laden gesehen. Es war Frühling, Anfang Mai. Er kaufte sich eine Schlossbergkugel. Und ich musste ihm, da er diese Süssigkeit nicht kannte, in allen Einzelheiten erklären, aus welchen Zutaten sie bestand, wie sie hergestellt wurde. Während des Zu­­hörens schaute er mir aufmerksam und liebevoll in die Augen, ein kindliches Lächeln auf den Lippen. Danach kam er immer wieder, jeden Samstagnachmittag. Das eine Mal kaufte er sich eine Schlossbergkugel, das an­dere Mal ein Meitschibei. Er war ein bisschen steif, ein bisschen ein Pedant, aber seine mit einer Prise Humor gespickte Freundlichkeit strahlte etwas Sympathisches, Vertrauenerweckendes aus. Er trug bei jedem Wetter, selbst bei Sommerhitze, eine Krawatte, meistens von dunkler, unauffälliger Farbe. Seine Hemden waren weiss. Manchmal hatte er eine Ledermappe unter den Arm geklemmt oder einen Regenschirm. Bald stellte sich heraus: Er war ein Schreibmaschinenvertreter, besuchte Kunden in unserer und in angrenzenden Gemeinden. Auch am Samstagmorgen war er unterwegs. Einmal tran­ken wir zusammen im angebauten Kaffeestübchen einen Milchkaffee. Es war kurz nach Ladenschluss. Zum Kaffee ass er eine mit Zucker glasierte Vanillebrezel, die ich ihm spendiert hatte. Er fasste das Gebäck sehr zart und vorsichtig an, als wäre es aus Porzellan, biss ein Stückchen ab. Er kaute es mit geschlossenem Mund und blickte mich so unglaublich treuherzig und ehrlich an, dass ich mich zwar nicht gerade in ihn verliebte, sein Angebot aber, mit ihm am Sonntag einen Spaziergang zu machen, nicht ausschlagen konnte. Und während des Schlenderns dem Seeufer entlang machte er mir im Schatten einer Rosskastanie einen wohl zu Hause Wort für Wort auswendig gelernten Heiratsantrag. Weshalb lange überlegen, dachte ich, sag doch einfach: Ja! Bei ihm wirst du in sicheren Händen sein. Besser ich nehme ihn, ich gründe mit ihm bald einmal eine Familie – anstatt dass ich auch noch mit fünfzig Jahren im Geschäft meiner Eltern das Fräulein spielen muss und ewig ledig bleibe. Er wird bestimmt ein pflichtbewusster Vater sein. Und er wird dir, das war in seinen Augen zu lesen, nie untreu werden. Einen Besseren wirst du nicht mehr so schnell finden. Es war also mehr ein Kopf- als ein Herzentscheid. Aber irgendwann muss man sich entscheiden. Irgendwann muss man Ja sagen, auch wenn vieles im Unklaren bleibt. Und Liebe, mein Lieber, ist kein Gefühl; Liebe ist eine Haltung, eine Frage des Willens.

Der Staubwedel muss mit

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