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Thüringen

Es hat für mich von jeher einen großen Reiz, in alten Schulbüchern zu lesen, wie die Welt und unsere Heimat den Kindern vor vielen Jahren nahegebracht wurden. Am schönsten sind die Texte, die vor dem 1. Weltkrieg entstanden, als Deutschland noch unter den Völkern geachtet war und als man zum Beispiel, um Chemie oder Physik ordentlich zu studieren, an eine deutsche Universität ging, oder als man Deutsch lernte, um die deutschen Philosophen lesen zu können.

Auch lese ich gern in Büchern, die bereits die Reformbemühungen im deutschen Schulwesen zeigen und noch nicht vom Nazigeist beeinflusst sind, Texte, die entstanden, bevor ein großer Teil der deutschen geistigen Elite im Dritten Reich vernichtet oder vertrieben worden ist und das Wort Buchenwald noch nicht die kaum wieder zu tilgende furchtbare Konnotation hatte.

Lesen Sie den Abschnitt über Thüringen aus dem „Realienbuch Nr. 138 von Kahnmeyer und Schulze, enthaltend Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Physik, Chemie und Mineralogie, Ausgabe B, Mittlere Ausgabe“, erschienen in Bielefeld und Leipzig im Jahre 1932 im Verlag von Velhagen und Klasing.

Es macht Ihnen vielleicht auch Freude zu merken, wie die älteren Sprachformen noch heute ihren eigenen Reiz auf den Leser ausüben. Wir benutzen sie nicht mehr und verstehen sie dennoch in ihrer von der Lingua Tertii Imperii noch unverdorbenen romantischen Anmutung:

Thüringen, Landschaft und Volkstum

Zwischen Harz und Thüringer Wald breitet sich ein Becken aus, das von Hügelreihen durchzogen wird. Gegen den Ernst und die dunklen Farben der Waldgebirge erscheint die Beckenlandschaft freundlich und heiter. In anmutigem Wechsel umschwingen die hellwandigen, buchenwaldgekrönten Höhenzüge sanfte Talungen, in denen unter Obstbäumen versteckt am murmelnden Bachlauf die Dörfer sich erstrecken. Auch wo größere Ebenen sich dehnen, wird der Blick von Bergen begrenzt. Die Saale, die das Becken durchfließt, eilt vorbei an herrlichen Buchenwäldern, an kühnen Burgen, grünen Rebhängen und altertümlichen Städtchen.

Und dieser Landschaft, der zwar das Große fehlt, die aber an liebenswürdiger Schönheit von keiner anderen deutschen Raumschaft übertroffen wird, entspricht die Wesensart ihrer Bewohner in hohem Maße; denn schon länger als zweitausend Jahre siedeln die Thüringer in ihrer Heimat. In der Geschichte des deutschen Volkes ist der thüringische Stamm freilich nie zu hervorragender Führerrolle berufen worden, dafür mangelte ihm wohl der kriegerische Sinn. Zudem wurde der Blick in die Weite durch blaue Hügelketten eingeengt. Auch das staatliche Leben zersplitterte sich in viele kleine Fürstentümer, die sich erst 1920 zu einem Staate Thüringen zusammenschlossen. So fand der Thüringer Genüge im kleinen Kreise, hier aber bewährt er sich als fleißig und anspruchslos. Seine heitere Lebensauffassung macht ihn freundlich und gesprächig. In munteren Liedern gibt er seinem reichen Gefühlsleben Ausdruck, wie er auch Geselligkeit liebt und gern in froher Volksgemeinschaft Feste feiert.

Zuerst erschienen im Jahre 2009 in der „Thüringen-Lese“ des Bertuch Verlages Weimar, einer Internet-Publikation.

Wintermorgen - Geschichten und Geschichtliches

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