Читать книгу Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl - Christopher Germer - Страница 10

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1 Gut zu sich sein

Das Leiden an sich ist gar nicht so schlimm;

der Widerstand gegen das Leiden macht den eigentlichen Schmerz aus.

ALLEN GINSBERG

Ich habe Angst vor dem, was Sie mir sagen werden, weil es wahrscheinlich nicht funktionieren wird!“, platzte Michelle heraus, in der sicheren Erwartung, dass das, was ich zu sagen hatte, eine Enttäuschung für sie sein würde. Michelle hatte mir gerade ihren jahrelangen Kampf gegen ihre Schüchternheit geschildert, und ich atmete erst einmal tief durch.

Ich war beeindruckt von Michelles Intelligenz und Ernsthaftigkeit. Sie hatte viele Ratgeber zur Überwindung von Schüchternheit gelesen, und dies war ihr vierter Therapieversuch. Sie wollte einfach keine weitere Enttäuschung erleben. Erst kürzlich hatte sie ihr Master-Studium an einer renommierten Universität abgeschlossen und eine Stelle als Unternehmensberaterin im hiesigen Raum gefunden. Ihr Hauptproblem war das Erröten. Ihrer Meinung nach signalisierte es anderen Menschen, dass sie inkompetent war und man besser nicht ernst nahm, was sie zu sagen hatte. Je mehr Sorgen sich Michelle aber über ihr Erröten machte, desto häufiger errötete sie vor anderen. Ihre neue Stelle war eine wichtige Karrierechance, die sie nicht aufs Spiel setzen wollte.

Ich versicherte ihr, dass sie recht hatte: Was ich auch vorschlagen würde, es würde nicht funktionieren. Nicht, weil sie ein hoffnungsloser Fall war, nein, keineswegs, sondern, weil alle gut gemeinten Strategien zwangsläufig fehlschlagen müssen. Das liegt weder an den Techniken, noch an der Person, die sich besser fühlen möchte. Das Problem liegt in unserer Motivation und einer falschen Vorstellung von der Funktionsweise unseres Verstandes. Wie Michelle durch ihren jahrelangen Kampf nur zu gut wusste, führt vieles, was wir tun, um uns nicht schlecht zu fühlen, dazu, dass wir uns noch schlechter fühlen. Es ist wie bei jenem Gedankenexperiment: „Versuche, nicht an einen rosafarbenen Elefanten zu denken (einen sehr großen, sehr rosafarbenen).“ Hat eine Idee oder Vorstellung Eingang in unser Denken gefunden, wird sie jedes Mal verstärkt, wenn wir versuchen, nicht daran zu denken. Sigmund Freud gelangte zu dem Schluss, dass das Unbewusste „keine Verneinung kennt“. Alles, womit wir unser Problem also bombardieren – Entspannungstechniken, Gedankenkontrolle, positive Affirmationen – muss letztendlich enttäuschen, und uns bleibt nichts anderes übrig, als nach einer anderen Lösung zu suchen, um uns besser zu fühlen.

Während wir über diese Dinge sprachen, begann Michelle leise zu weinen. Ich wusste nicht, ob sie nun noch entmutigter war oder einfach erkannte, dass wir nur ausgesprochen hatten, was sie all die Jahre erlebt hatte. Sie erzählte mir, dass nicht einmal ihre Gebete erhört worden waren. Wir sprachen über die zwei Arten von Gebeten: diejenigen, mit denen wir Gott bitten, unangenehme Dinge von uns zu nehmen, und die, bei denen wir uns hingeben: „Dein Wille geschehe.“ Michelle sagte, es sei ihr nie in den Sinn gekommen, ihre Probleme in Gottes Hand zu legen, das war einfach nicht ihre Art.

Nach und nach arbeiteten wir heraus, was Michelle tatsächlich gegen ihre Ängste und ihr Erröten helfen könnte – weder Tiefenatmung, noch „in den Arm zwicken“, weder das Trinken von kaltem Wasser, noch eine Maske der Unerschütterlichkeit. Da Michelle nicht zu jenen Menschen gehört, die irgendwann aufgeben, musste sie einen völlig neuen Weg finden. Sie erkannte, dass ihre Angst und Anspannung nachließen, je mehr sie sie akzeptierte, und dass sie zunahmen, je weniger sie sie annahm. Daher schien es ihr nur vernünftig, sich in Zukunft darum zu bemühen, ihre Angst sowie die Tatsache, dass sie einfach eine ängstliche Person war, zu akzeptieren. Der Erfolg unserer Therapie war also nicht daran zu messen, wie häufig oder selten sie errötete, sondern in welchem Maße sie ihr Erröten akzeptieren konnte. Das war eine völlig neue Vorstellung für Michelle. Sie verließ die erste Therapiestunde begeistert, wenn auch ein wenig verblüfft.

In der folgenden Woche teilte sie mir per E-Mail glücklich mit, dass „es funktioniert“. Da wir nicht über irgendwelche neuen Techniken gesprochen hatten, war ich nicht sicher, was Michelle damit meinte. Später erzählte sie mir, dass sie sich angewöhnt hatte, zu sich selbst zu sagen „Ich bin bloß ängstlich, ich bin bloß ängstlich“, wann immer sie merkte, dass sie angespannt war. Das Benennen ihrer Angst schien sie vom Erröten ihres Gesichtes abzulenken, so dass sie beispielsweise in der Lage war, in der Kantine kurz mit Kollegen zu plaudern, ohne dass etwas passierte. Sie war erleichtert, dass sie sich nun wie „eine ängstliche Person beim Mittagessen“ fühlte und nicht wie eine „schwache, hypersensible, lächerliche Person, die nicht weiß, wovon sie redet.“ Ich war erstaunt, dass Michelle das Prinzip „Akzeptanz“ so rasch verinnerlicht und eine alltagstaugliche Technik entwickelt hatte.

Doch bei unserem nächsten Treffen wirkte sie wieder sehr niedergeschlagen. Ihre Vorstöße in der Kantine waren einmal mehr zu einem Kampf gegen das Erröten geworden, und ihr ursprünglicher Wunsch, „nicht mehr ängstlich zu wirken“, trat wieder in den Vordergrund. Das „Akzeptieren“ funktionierte zwar für Michelle, aber sie bemühte sich nicht mehr darum, eine echte innere Haltung des Annehmens zu entwickeln. Ihr Irrtum bestand darin, dass sie glaubte, eine schlaue Lösung gefunden zu haben, um ihr Problem zu umgehen.

Doch wir können uns nicht selbst „austricksen“. Ein Teil von Michelle sagte: „Ich praktiziere Akzeptanz, um die Angst zu verringern.“ Aber das hat eben nichts mit echtem Annehmen zu tun. In der modernen Psychologie bedeutet Akzeptanz, dass wir alles, was in jedem beliebigen Augenblick in uns hochkommt, einfach so annehmen, wie es ist. Manchmal ist es ein angenehmes Gefühl, manchmal ein unangenehmes. Natürlich wollen wir die angenehmen Gefühle festhalten und die unangenehmen anhalten, aber mit dieser Absicht funktioniert die Sache nicht. Die einzig richtige Antwort auf unsere Probleme ist, sie zunächst einmal ganz und gar zu haben, egal, worum es sich dabei handelt. Michelle hatte gehofft, diesen Teil überspringen zu können.

Die hedonistische Tretmühle

Im Jahre 1971 schrieben Philip Brickman und Donald Campbell, dass wir uns auf der Suche nach dem Glück in einer hedonistischen Tretmühle drehen und vergeblich versuchen, Erfüllung zu finden, indem wir immer nach dem streben, was wir gerade nicht haben, was aber hinter der nächsten Ecke auf uns zu warten scheint: eine bessere Beziehung, ein leichterer Job, ein schöneres Auto. Das Problem ist nur, dass wir uns sehr schnell an alles Neue gewöhnen. Wie lange haben Sie Freude an Ihrem schönen neuen Auto, bis Sie daran denken, Ihre Wohnung zu renovieren? Diverse Studien zeigen, dass die meisten Lottogewinner letztendlich nicht glücklicher sind als Nichtgewinner, und dass Querschnittgelähmte gewöhnlich dasselbe Zufriedenheitsniveau erreichen wie Menschen, die laufen können. Was auch geschieht – wir passen uns an gute und schlechte Lebensbedingungen an. Diese allgemeine Anpassungstheorie wird seit Jahrzehnten durch empirische Studien gestützt. (Über einige neue Aspekte dieses Themas erfahren Sie mehr in Kapitel 5.)

Drehen wir uns allerdings zu lange in der hedonistischen Tretmühle, können Erschöpfung und Krankheit die Folge sein. In seinem höchst unterhaltsamen und informativen Buch Warum Zebras keine Migräne kriegen über die Ursachen und Folgen von Stress beschreibt Robert Sapolsky die perfekt angepassten Reaktionsmuster von Tieren auf physische Krisen und Gefahrensituationen. Denken Sie beispielsweise an ein Zebra, das vor einem Löwen flieht, der es in Stücke reißen will. Ist die Gefahr vorüber, beginnt das Zebra sofort wieder friedlich zu grasen. Und was tun die Menschen? Wir wittern hinter jeder Ecke Gefahren. Sapolsky fragt: „Wie viele Flusspferde machen sich Sorgen darüber, ob ihre Rentenversicherung noch solange existieren wird wie sie selbst oder was sie bei einer ersten Verabredung sagen sollen?“ Unser Körper reagiert auf psychische Bedrohung genauso wie auf physische Gefahren und ein Gefühl permanenter Bedrohung erhöht unseren allgemeinen Stresspegel und damit das Risiko für Herzerkrankungen, Immunschwäche, Depressionen, Kolitis, chronische Schmerzen, Gedächtnisschwäche, sexuelle Probleme und viele andere.

Auf welche Weise psychischer Stress zur Entstehung von körperlichen Erkrankungen beiträgt, ist noch nicht völlig geklärt, vorläufige Forschungsergebnisse weisen aber darauf hin, dass dies mit unseren Telomeren zusammenhängen könnte: den DNA-Protein-Komplexen an den Chromosomenenden. Zellen altern, das heißt, sie hören auf sich zu teilen, wenn sie ihre telomerische DNA verlieren. Es hat sich gezeigt, dass sich die Telomere im Immunsystem durch Stress verringern und dass eine geringere Anzahl von Immunzellen Krankheiten begünstigen und das Leben verkürzen kann.

Die Geschichte hat ein Happy End, das sich allmählich im Laufe von zwei Jahren manifestierte. Michelle fand heraus, wie sie in Einklang mit ihrem sensiblen Nervensystem leben konnte. Rückfälle stellten sich regelmäßig ein, wenn sie versuchte, nicht zu erröten, aber sie errötete kaum noch, wenn sie bereit war, das Erröten zuzulassen. Als sie damit Frieden geschlossen hatte, stellte sie fest, dass sie dieselben Prinzipien auch auf andere Stresssymptome anwenden konnte, die im Alltag unweigerlich auftraten – Spannungsgefühle im Brustkorb, Kopfschmerzen, Herzklopfen –, so dass ihr Leben um vieles leichter wurde.

Ich möchte mit diesem Buch aufzeigen, wie wir profitieren können, wenn wir uns unserem emotionalen Schmerz zuwenden. Das ist ein dicker Brocken und jeder vernünftige Mensch würde wahrscheinlich zuerst einmal fragen: „Warum um Himmels willen sollte ich das tun?“ In diesem Kapitel erfahren Sie, wieso es oft die beste Lösung ist. Der Rest des Buches zeigt Ihnen, wie Sie diese große Aufgabe meistern können. Als Erstes werden Sie lernen, Dinge, die Ihnen Probleme bereiten, achtsam wahrzunehmen. Dann lernen Sie, gut zu sich selbst zu sein – besonders, wenn Sie sich sehr schlecht fühlen. Diese Verbindung aus Achtsamkeit und Selbstmitgefühl kann sogar die schlimmsten Zeiten Ihres Lebens transformieren.

Sich dem Schmerz zuwenden

Vom Augenblick unserer Geburt an sind wir auf der Suche nach dem Glück. In den ersten Tagen genügt schon die Muttermilch, um uns zufriedenzustellen, aber mit der Zeit vervielfachen sich unsere Bedürfnisse und Wünsche. Als Erwachsene sind die meisten von uns überzeugt, dass zum Glücklichsein eine nette Familie, ein guter Job, gute Gesundheit, eine Menge Geld und die Liebe und Bewunderung anderer Menschen gehören.

Doch wir bleiben selbst bei besten Lebensbedingungen nicht von Schmerz verschont. Der Milliardär Howard Hughes starb als verzweifelter, einsamer Mann. Und unsere Lebensumstände ändern sich unweigerlich. Beim einen zerbricht die Ehe, ein anderer bekommt vielleicht ein behindertes Kind und ein dritter verliert seine gesamte Habe durch eine Flutwelle. Das Ausmaß oder die Art des Leids, das Menschen ertragen müssen, mag verschieden sein, aber niemand kommt ganz ungeschoren davon. Schmerz und Leid sind wie ein roter Faden, der alle Menschen miteinander verbindet.

Schmerz erzeugt eine Diskrepanz zwischen dem, was ist und unserer Vorstellung, wie die Dinge sein sollten, und das macht uns unzufrieden mit unserem Leben. Je mehr wir uns wünschen, unser Leben möge anders sein, desto schlechter fühlen wir uns. Wird ein Mensch beispielsweise durch einen Unfall für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt, ist das erste Jahr gewöhnlich das schwerste. Wenn wir uns dann nach und nach an die Situation anpassen, erreichen wir normalerweise wieder unser früheres „Glücksniveau“. Wie glücklich oder unglücklich wir sind, zeigt sich in der Kluft zwischen dem, was wir uns wünschen und dem, was ist.

Viele Menschen glauben, ihr Glück hinge von ihren äußeren Lebensumständen ab. Deshalb verbringen wir unser Leben in einem Hamsterrad, ständig auf der Jagd nach Vergnügen und auf der Flucht vor dem Schmerz. Erleben wir etwas Angenehmes, verlangen wir nach mehr. Machen wir schmerzliche Erfahrungen, flüchten wir. Das sind instinktive Reaktionen, aber keine Erfolg versprechenden Strategien für unser emotionales Wohlergehen.

Beim Streben nach Vergnügen gibt es ein Problem: Das Vergnügen hat irgendwann ein Ende und wir sind enttäuscht. Unsere Verliebtheit endet, unsere Bäuche werden voll, unsere Freunde gehen nach Hause. Bei der Vermeidung von Schmerz gibt es ebenfalls ein Problem: Es ist schlicht unmöglich, Schmerz zu vermeiden, und er wird oft umso größer, je mehr wir das versuchen. Essen wir beispielsweise, um Stress zu bekämpfen, kann Fettsucht die Folge sein, und exzessives Arbeiten zur Bekämpfung eines geringen Selbstwertgefühls kann uns ins Grab bringen.

Man kann im Hinblick auf das Streben nach Vergnügen und das Vermeiden von Schmerz vollkommen vom Instinkt gesteuert sein. Ich kenne einen Mann, Stewart, dem es in jungen Jahren besonderes Vergnügen bereitete, Alkohol zu trinken. Er begann mit 14 Jahren zu trinken, und als er 20 war, trank er regelmäßig einen Kasten Bier (24 Dosen) pro Abend. Eines Abends hatte er in betrunkenem Zustand eine Panikattacke, die ihm dermaßen zusetzte, dass er nie wieder Alkohol trank. Bier, die Quelle seines Vergnügens war über Nacht zu etwas Bedrohlichem geworden, denn er brachte seine Panikattacke damit in Verbindung. Von nun an mied Stewart alle Orte oder Situationen, die eventuell eine Panikattacke auslösen könnten, einschließlich solcher Dinge, die ihm früher viel Spaß gemacht hatten, wie mit seinem Kleintransporter durch die Stadt zu fahren oder sich ein Baseballspiel im Stadion anzuschauen. Zuerst hatte der Alkohol sein Leben beherrscht, nun war es die Angst vor einer Panikattacke. Stewart war zur Geisel dieser flüchtigen emotionalen Zustände geworden: Vergnügen und Schmerz.

Den Schmerz in der Ehe annehmen

Der Psychologe John Gottman führte an der University of Washington eine Langzeitstudie über 14 Jahre mit 650 Paaren durch, um herauszufinden, was eine glückliche Ehe ausmacht. Er behauptet, mit 91 %iger Sicherheit vorhersagen zu können, welche Ehen vor dem Scheidungsrichter enden werden. Es sind jene Paare, deren Kommunikation hauptsächlich aus Kritik, Abwehr, Verurteilung und „Mauern“ besteht, den „vier apokalyptischen Reitern“. Gottman hat außerdem beobachtet, dass 69 % aller ehelichen Konflikte nie gelöst werden, insbesondere solche, bei denen es um Persönlichkeitsmerkmale und unterschiedliche Werte geht. Da die meisten Paare nicht in der Lage sind, ihre persönlichen Differenzen aufzulösen, lernen erfolgreiche Paare, sie irgendwie zu akzeptieren. Glückliche Paare „sind einander sehr vertraut, sie kennen die Vorlieben und Abneigungen des anderen, seine ‚Macken‘, Hoffnungen und Träume.“

Die Psychologen Andrew Christensen und Neil Jacobson haben eine auf Akzeptanz basierende Paartherapie entwickelt: die sogenannte integrative Paartherapie. Bei diesem Therapieansatz werden Differenzen, die gelöst werden können, mit Verhaltenstherapie angegangen, während man unveränderbaren Dingen mit „Akzeptanz“ begegnet. Akzeptanz bedeutet hier das Annehmen der Probleme als Chance zu mehr Nähe sowie das Loslassen des Wunsches, den Partner zu ändern. Im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie wurden Paare sechs Monate lang bei ihrer wöchentlichen Therapie begleitet. Es zeigte sich, dass zwei Drittel der Paare, die vor der Therapie unter chronischen Beziehungsproblemen gelitten hatten, auch noch zwei Jahre danach deutlich glücklicher miteinander waren.

Doch wir können mit Schmerz und Vergnügen auf eine neue, ungewohnte Weise umgehen, indem wir unser Verhältnis dazu ändern. Wir können einen Schritt zurücktreten und lernen, mitten im Schmerz ruhig zu bleiben, und wir können Vergnügen oder Genuss einfach kommen und gehen lassen. Das ist Gelassenheit. Wir können sogar lernen, den Schmerz, das Vergnügen und alle Zustände dazwischen bereitwillig anzunehmen und so jeden Augenblick unseres Lebens auszukosten. Das ist Freude. Auf der Suche nach persönlichem Glück müssen wir lernen, auch mit dem Schmerz zu sein. Es mag paradox klingen, aber um glücklich zu sein, müssen wir auch „ja“ zum Unglücklichsein sagen.

Was wir ablehnen, verfolgt uns

Unseren instinktiven Umgang mit Schmerz kann man auf die einfache Formel bringen:

Schmerz x Widerstand = Leiden

Der Begriff „Schmerz“ bezieht sich hier auf unkontrollierbare schmerzliche Erfahrungen und Ereignisse, die uns im Leben widerfahren können – ein Unfall, eine Krankheit, der Tod eines geliebten Menschen. Mit „Widerstand“ sind alle Versuche gemeint, den Schmerz abzuwehren, wie beispielsweise das Anspannen des Körpers oder die ständige Suche nach Möglichkeiten, den Schmerz loszuwerden. „Leiden ist das Resultat unseres Widerstandes gegen den Schmerz. Leiden ist die emotionale Spannung, die wir unserem Schmerz Schicht um Schicht hinzufügen.“

Bei dieser Formel bestimmt unser Umgang mit dem Schmerz das Ausmaß unseres Leidens. Tendiert unser Widerstand gegen den Schmerz gegen null, so gilt das auch für unser Leiden. Schmerz mal null ist gleich null. Kaum zu glauben? Die Schmerzen des Lebens sind da, aber wir bleiben nicht unnötig darin gefangen. Wir nehmen sie nicht überallhin mit.

Wir leiden zum Beispiel, wenn unsere Gedanken Stunden und Tage lang darum kreisen, dass wir unsere Aktien vor dem Zusammenbruch des Marktes hätten verkaufen sollen, oder wenn wir uns ununterbrochen Sorgen darüber machen, dass wir vor einem bevorstehenden wichtigen Ereignis krank werden könnten. Natürlich müssen wir uns immer wieder auch Gedanken machen, um Probleme im Vorfeld zu erkennen oder möglicherweise zu verhindern, aber oft bleiben wir im Bedauern über Vergangenes oder in den Sorgen über die Zukunft stecken.

Schmerz ist unvermeidlich, Leiden nicht. Je tiefer unser emotionaler Schmerz, desto mehr scheinen wir unser Leiden durch zwanghaftes Verhalten, Selbstanklagen und Versagensgefühle zu vergrößern. Das Gute daran ist, dass wir etwas dagegen tun können, weil unser Schmerz in Wirklichkeit meistens Leiden ist – das Resultat unseres erbitterten Kampfes gegen die Erfahrung des Schmerzes.

Vom Nutzen der Sorgen

Warum können wir anscheinend nie aufhören, uns Sorgen zu machen? Tom Borkovec von der Pennsylvania State University bat 45 Studenten, die Angst hatten, vor Publikum zu sprechen, sich zehn beängstigende Situationen vorzustellen. „Stellen Sie sich vor, Sie müssten gleich eine wichtige Rede vor einem großen Publikum halten … Sie stehen am Rednerpult und spüren, wie ihr Herz rast …“ Borkovec hatte die Studenten zuvor in drei Gruppen eingeteilt, die jeweils an entspannende, neutrale oder besorgniserregende Dinge denken sollten. Dann ließ er ihre Herzfrequenz messen, während sie an die beängstigenden Szenen dachten. Überraschenderweise wurde bei jenen Studienteilnehmern, die vorab an etwas Besorgniserregendes denken sollten, im Vergleich zu den anderen Teilnehmern keine erhöhte Herzfrequenz festgestellt. Das sorgenvolle Denken verhinderte also tatsächlich, dass die Angst körperliche Symptome hervorrief, welche normalerweise (unbewusst) dazu führen, dass wir uns noch mehr Sorgen machen. Leider zeigte sich jedoch, dass sich jene Teilnehmer, die sich vorab Sorgen gemacht hatten, beim aktiven Visualisieren der beängstigenden Situation mehr Angst fühlten als die anderen, obwohl ihre Herzfrequenz nicht anstieg.

Wir wollen uns nun vier weit verbreitete Probleme etwas näher anschauen – Rückenschmerzen, Schlafstörungen, die Angst, vor Publikum zu sprechen und Beziehungskonflikte – und uns überlegen, wie sie durch Akzeptanz und Loslassen gemildert werden können.

Chronische Rückenschmerzen

Chronische Rückenschmerzen sind ein sehr Kräfte zehrendes Leiden, das in Nordamerika unglücklicherweise weitverbreitet ist. Mindestens fünf Millionen Menschen sind ständig davon betroffen, und das bedeutet, dass 60 – 70% aller Amerikaner irgendwann in ihrem Leben eine Schmerzsymptomatik im unteren Rücken entwickeln. Überraschend ist, dass zwei Drittel der Menschen ohne chronische Rückenschmerzen dieselben funktionellen Rückenprobleme haben wie die Schmerzgeplagten. Was geht also im Geist und im Körper derjenigen vor, die unter chronischen Schmerzen leiden? Widerstand! Betrachten wir Miras Fall.

Mira ist ein 49-jähriger Yoga-Fan mit einer beachtlichen beruflichen Karriere. Sie gehört gewiss nicht zu den Menschen, die man mit Rückenschmerzen in Verbindung bringen würde, wenn man einmal davon absieht, dass sie an alles, was sie tut, mit außergewöhnlichem Eifer herangeht. Bei einer besonders anstrengenden Yoga-Sitzung durchzuckte sie plötzlich ein stechender Schmerz während einer Vorwärtsbeuge. Kurz darauf verspürte sie ein Kribbeln im Ischiasnerv bis hinunter in die Wade. Sie konnte praktisch nur noch aufrecht stehen oder flach liegen, ohne unter Schmerzen im unteren Rücken zu leiden. Nach einer Kernspintomografie wurde die Diagnose „Bandscheibenvorfall“ gestellt, ein äußerst schmerzhafter Zustand, bei dem die Bandscheibe von den Rückenwirbeln gegen einen Nerv gedrückt wird. Mira verzichtete auf ihre geliebten Yoga-Stunden und konsultierte einen Physiotherapeuten, der ihr beibrachte, Gewichte so zu heben, dass ihr Rücken dabei gerade blieb und nicht schmerzte. Doch die Rückenschmerzen kehrten zurück und wurden im Laufe der Zeit immer schlimmer. Mira war außerdem sehr unglücklich darüber, dass sie ihre intensiven sportlichen Aktivitäten aufgeben musste, die stets ihr wichtigstes Ventil für ihren beruflichen Stress gewesen waren. Sie sah sich zu einem Leben ohne Bergsteigen, Radfahren oder Yoga verdammt. Außerdem machte sie sich Vorwürfe, denn sie gab sich selbst die Schuld an ihrem Bandscheibenvorfall. Diese Mischung aus Sorgen, Selbstvorwürfen, zunehmender innerer Anspannung aufgrund von Bewegungsmangel und sich verschlimmernden Rückenschmerzen ließ Mira schließlich zu der Überzeugung gelangen, dass es am besten wäre, sich einer Operation zu unterziehen.

Da sie sich vorher, wie es ihre Art war, gründlich informierte, fand sie allerdings heraus, dass die Langzeitprognose für Bandscheibenvorfälle mit Operation nicht besser ist als ohne. Außerdem las sie Ronald Siegels Buch Selbsthilfeprogramm für den Rücken, in dem erklärt wird, dass die effektivste Behandlung bei Bandscheibenvorfällen in der Regel darin besteht, die Angst vor dem Schmerz zu verlieren und die normalen Aktivitäten so bald wie möglich wieder aufzunehmen.

Das heißt, Gewichte ungefähr so zu heben, wie man es schon immer getan hat, damit die Rückenmuskeln nicht durch Unterforderung schrumpfen. Mira fand auch heraus, dass chronische Rückenschmerzen in den meisten Fällen durch permanente Muskelverspannung und nicht durch strukturelle Anomalien verursacht werden. Und die Muskelspannung erhöht sich sowohl bei Unterforderung als auch bei übermäßigen Sorgen. Zusätzlich verstärken Sorgen oder angstvolle Gedanken die Schmerzsignale und somit unser Schmerzempfinden.

Mira nahm sich diese Hinweise zu Herzen. Sie ließ sich Massagen für ihre schmerzenden Muskeln verschreiben, benutzte jeden Abend ein Heizkissen und begann mit einem moderaten Training. Ihre Angst schwand in gleichem Maße wie ihre Schmerzen und innerhalb von zwei Wochen hatten sich ihre Rückenbeschwerden um 50 % verringert

Die meisten Menschen mit chronischen Rückenschmerzen werden nun sagen, dass Mira einfach Glück hatte oder eben eine Ausnahme war. Aber in Wirklichkeit ist sie die Regel. Interessanterweise kommen chronische Rückenschmerzen am seltensten in den Ländern der Dritten Welt vor, wo die Menschen viel mehr körperlich anstrengende Arbeit verrichten als in den Industrieländern. Gewöhnlich wird ein Rückenproblem durch eine Verletzung ausgelöst, aber Miras Rückenschmerzen wurden nicht durch die Verletzung aufrechterhalten. Ihr Widerstand gegen den Schmerz, insbesondere ihre Angst, ihren dynamischen, aktiven Lebensstil aufgeben zu müssen, verschlimmerten ihre gesundheitliche Krise kontinuierlich. Als sie anfing, den körperlichen Schmerz anzunehmen und mit ihm zu arbeiten, konnte sie zu ihrer normalen Lebensweise zurückkehren.

Unzufriedenheit im Beruf und chronische Rückenschmerzen

Kreuzschmerzen sind eine der häufigsten und kostspieligsten Ursachen von Arbeitsunfähigkeit. Dabei scheinen psychosoziale Faktoren eine weitaus größere Rolle zu spielen als physische Probleme. Im Rahmen einer von Rebecca Williams et al. durchgeführten Studie wurden 82 Männer zwischen 18 und 52 Jahren untersucht, die über Zeiträume von 6 bis 10 Wochen unter Rückenschmerzen litten. Williams wollte herausfinden, ob ein Zusammenhang zwischen beruflicher Unzufriedenheit und Schmerzen, psychischen Problemen und/oder Arbeitsunfähigkeit besteht. Sechs Monate später klagten die Arbeiter, die mit ihrer beruflichen Situation zufrieden waren deutlich weniger über Schmerzen und Einschränkungen durch Rückenprobleme und zeigten auch weniger Stresssymptome. Der soziale Status und die Art der Arbeit hatten keinen Einfluss auf die Ergebnisse dieser Studie, die darauf hinweisen, dass Menschen, die mit ihrer Arbeitssituation zufrieden sind, trotz ihrer Rückenbeschwerden weiterarbeiten und wieder zu ihrem Normalzustand zurückfinden.

Schlaflosigkeit

Die meisten von uns kennen Schlaflosigkeit aus eigener Erfahrung. Nahezu die Hälfte der erwachsenen Amerikaner und Amerikanerinnen berichtet, zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens unter Schlafstörungen gelitten zu haben. Es gibt zahlreiche körperliche Ursachen. Dazu zählen beispielsweise Kaffeegenuss vor dem Schlafengehen, der Versuch, neben einem schnarchenden Partner einzuschlafen, zu häufige „Nickerchen“ zwischendurch, Bewegungsmangel, die Einnahme von Medikamenten sowie Schlafapnoe. Abgesehen von der eigentlichen Ursache stellen viele Menschen fest, dass der verzweifelte Versuch einzuschlafen das Problem noch verschlimmert. Wie das? Erinnern Sie sich noch an das letzte Mal, als Sie sich in der Nacht vor einem wichtigen Termin schlaflos im Bett wälzten? Vielleicht stand am nächsten Tag ein Vorstellungsgespräch oder eine wichtige Präsentation an. Sie lagen in Ihrem Bett und konnten nicht aufhören, daran zu denken, dass sich jede schlaflose Stunde am nächsten Tag mit Konzentrationsmangel und Benommenheit rächen würde. Mit jeder Stunde, die verstrich, wurden Sie ärgerlicher auf sich selbst und gelangten vielleicht zu dem Schluss, dass Sie eigentlich überhaupt nicht mehr normal schlafen können. Und bei jedem Blick auf die Uhr verspürten Sie einen unangenehmen Adrenalinstoß in der Brust oder im Bauch.

Das Problem ist, dass unser Nervensystem in die „Flucht-oder-Kampf-Reaktion“ umschaltet, wenn wir um den Schlaf kämpfen. Es ist also ein Teufelkreis: Der Versuch, einzuschlafen, stresst den Körper und hält ihn dadurch wach. Wir müssen also den Teufelskreis durchbrechen, indem wir den Kampf aufgeben, und es gibt ein paar Möglichkeiten, das zu erreichen:

1. Erinnern Sie sich daran, wie gut Sie auch mit wenig Schlaf funktionieren. Das tun die meisten Menschen. Dadurch tritt das Gefühl der Dringlichkeit in den Hintergrund.

2. Denken Sie daran, dass schon das entspannte Liegen im Bett eine wertvolle Ruhezeit ist, ob Sie dabei nun einschlafen oder nicht.

3. Vergessen Sie nicht, dass sich der Körper den Schlaf nimmt, wenn er ihn wirklich braucht, was im Augenblick offensichtlich nicht der Fall ist.

4. Versuchen Sie, eine halbe Stunde lang ganz wach zu sein. Vielleicht genügt das dem Kopf, um abzuschalten und schläfrig zu werden.

5. Bekräftigen Sie Ihre Absicht, die Schlaflosigkeit zu akzeptieren, indem Sie immer, wenn Sie merken, dass Sie noch wach sind, entschlossen sagen: „Es ist mir gleich!“

6. Zählen Sie Ihre Atemzüge.

Oft verfehlen aber auch diese Tricks ihre Wirkung, wie alle von Schlaflosigkeit geplagten Menschen Ihnen bestätigen würden. Und warum? Weil wir unseren Verstand nicht zum Narren halten können – er weiß genau, dass wir all das nur tun, um einzuschlafen. Es ist beispielsweise ein großer Unterschied, ob Sie einfach „Ihre Atemzüge zählen“ oder ob Sie „Ihre Atemzüge zählen, um einzuschlafen.“ Ist Einschlafen Ihr Ziel, können Sie gar nicht verhindern, unterschwellig wütend auf sich selbst zu werden, wenn Sie feststellen, dass Sie immer noch wach sind. Mit jeder Stunde, die verstreicht, werden Sie verzweifelter und verwirrter. Um das Problem zu lösen, müssen Sie Ihre Einstellung zur Schlaflosigkeit ändern. Im selben Augenblick, in dem Sie wirklich und wahrhaftig akzeptieren, dass Sie nicht schlafen können, bekommt Ihr Körper endlich die Chance, zur Ruhe zu kommen.

Die Angst vor öffentlichen Auftritten

Jerry Seinfeld witzelte einmal: „Viele Studien weisen darauf hin, dass das Sprechen vor Publikum Menschen am meisten Angst macht. An zweiter Stelle folgt die Angst vor dem Tod. Der Tod steht an zweiter Stelle! Klingt das normal? Bei einer Beerdigung bedeutet das für den Durchschnittsmenschen, dass der, der im Sarg liegt, besser dran ist, als derjenige, der die Trauerrede halten muss.“

Die Angst vor öffentlichen Auftritten ist in der Tat sehr weitverbreitet: Mindestens ein Drittel aller Menschen empfinden „sehr große“ Angst, wenn sie vor einem Publikum stehen. Einer von zehn Befragten gibt an, dass diese Angst sein Berufsleben deutlich beeinträchtigt hat. Auch ich habe mich mit dieser Angst herumgeschlagen. Mir geht es dann so: Steht eine wichtige Rede im Terminkalender, spüre ich jedes Mal, wenn ich daran denke, die Anspannung im Bauch – ein kleiner Adrenalinstoß, eine kleine Muskelkontraktion. Dieses vorhersehbare Problem tritt besonders dann auf, wenn ich über ein neues Thema sprechen will und meine Rede noch nicht vorbereitet habe. Ich stelle mir vor, wie ich mich während meines Vortrags zu oft räuspere, nach Worten suche, Witze mache, über die niemand lacht und die Gereiztheit in den Gesichtern der Zuhörer und Zuhörerinnen beobachte.

Unterdrücke es!

Der junge Dostojewski soll seinen Bruder einmal aufgefordert haben, nicht an einen weißen Bären zu denken und ihn damit in große Verwirrung gestürzt haben. Im Jahre 1987 stellten Daniel Wegner et al. einer Gruppe von Studenten die gleiche mentale Aufgabe: Die Studienteilnehmer sollten fünf Minuten lang ihre Gedanken kontrollieren und nicht an einen weißen Bären denken. Jedes Mal, wenn sie an einen weißen Bären dachten, sollten sie eine Klingel betätigen und gleichzeitig aussprechen, was ihnen gerade in den Sinn kam. Danach wurde diese Gruppe aufgefordert, fünf Minuten lang bewusst an einen weißen Bären zu denken und dabei dasselbe zu tun. (Die Teilnehmer einer Vergleichsgruppe sollten während der gesamten Dauer des Experiments an einen weißen Bären denken). Die Probanden, die ihre Gedanken unterdrücken sollten, waren nicht nur in den ersten 5 Minuten dazu außerstande, sondern dachten auch in den folgenden 5 Minuten öfter an weiße Bären als die Teilnehmer der Vergleichsgruppe, die ihre Gedanken zu keiner Zeit unterdrücken mussten. Diese klassische Studie zeigt, dass Unterdrückung die intensive Beschäftigung mit eben jenem Objekt provoziert, gegen das sie gerichtet ist. Klinische Forscher vermuten, dass ähnliche Prozesse bei psychischen Störungen wie posttraumatischem Stress, Depressionen und Zwangsstörungen ablaufen: Die Gedanken, die wir unterdrücken, kehren zurück und beginnen, uns zu verfolgen.

Im Rahmen eines anderen Experiments, bei dem es um die Unterdrückung von Gefühlen ging, forderten Wissenschaftler der Florida State University Studenten auf, beim Betrachten eines Horrorfilms nicht zurückzuschrecken und bei einer Komödie nicht zu lachen. Danach sollten sie eine komplizierte Fingerübung ausführen. Der Versuch, ihre emotionalen Reaktionen auf die Filme unter Kontrolle zu halten ließ bei den Studienteilnehmern den Blutzuckerspiegel sinken, und die Studenten mit niedrigerem Blutzuckerspiegel gaben bei den Fingerübungen schneller auf. Als man denselben Teilnehmern zuckerhaltige Getränke verabreichte, um den Blutzuckerspiegel wieder zu erhöhen, zeigten sie größere Ausdauer bei der gestellten Aufgabe. Die Unterdrückung von Gefühlen scheint also die Willenskraft zu verringern, und ein Grund dafür könnte ein niedriger Blutzuckerspiegel sein.

Diese beiden Studien liefern vielleicht eine Erklärung dafür, wieso der Versuch, einem Schokoladenkeks zu widerstehen, ein so schwieriges und häufig erfolgloses Unterfangen ist.

Vielleicht will mir jemand aus dem Publikum helfen und ruft: „Atmen Sie doch einmal tief durch!“ (Das ist mir tatsächlich schon passiert.) Hinter meiner Angst steckt der Wunsch, gemocht zu werden, intelligent und charmant zu wirken und das Publikum nicht zu langweilen. Ich gehe von der falschen Vorstellung aus, dass ich absolut zufrieden wäre, würde mich jeder im Publikum mögen. Aber es gibt ja auch noch einen anderen Grund, vor einem Publikum zu sprechen: Man möchte anderen etwas Wichtiges oder Wissenswertes vermitteln. Eine Strategie, die ich schon öfter angewendet habe, um meiner Angst vor öffentlichen Auftritten Herr zu werden, besteht darin, mich wieder auf die eigentlichen Inhalte zu besinnen, die ich den Menschen nahebringen will. Geht es beispielsweise um „Hirnforschung“, konzentriere ich mich darauf, am Ende meiner Rede ein paar nützliche Dinge zum Thema Hirnforschung gesagt zu haben. Es scheint tatsächlich hilfreich zu sein, die Aufmerksamkeit von „mir“ abzuziehen.

Leider kann diese Technik mein Problem nur teilweise lösen, wenn ich mir unbewusst immer noch wünsche, vor meinen Zuhörern und Zuhörerinnen nicht angespannt zu wirken. Der Meditationslehrer Joseph Goldstein sagt: „Das Motiv ist das Entscheidende.“ Was will ich beim Sprechen erreichen? Nicht nervös zu wirken? Wenn ja, wird ein kleiner Kontrolleur in meinem Kopf sitzen, der mich ständig fragt: „Bist du nervös? … Bist du jetzt nervös?“ Diese bohrende Frage löst genau die Angst aus, die ich zu unterdrücken versuche, und wenn ich erst einmal Angst habe, bekomme ich Angst vor der Angst.

Es gibt nur eine einzige dauerhafte Lösung für die Angst, vor Publikum zu sprechen: sie einfach zu haben. Wir müssen aufhören, uns vor der Angst zu schützen, müssen bereit sein, beim Sprechen vor Angst zu schlottern. Wenn ich das tue, verschwindet meine Angst nach kurzer Zeit. Selbst lange vor einem öffentlichen Auftritt verhindert meine Bereitschaft, die Angst zuzulassen, dass die Negativspirale in Gang gesetzt wird.

Beziehungskonflikte

In Beziehungen gibt es gute und schlechte Phasen innerhalb der Gezeiten von Nähe und Distanz. Wollen wir uns mit unserem Partner verbunden fühlen, wollen wir das Gefühl haben, gesehen und gehört zu werden, auf derselben „Wellenlänge“ zu sein, und dieses Gefühl stellt sich nicht ein, so ist das sehr schmerzhaft. Alle Paare machen solche schmerzhaften Phasen durch, die manchmal über einen langen Zeitraum anhalten:

Suzanne und Michael gingen durch die „kalte Hölle“. Die kalte Hölle ist ein Zustand, in dem Beziehungspartner ablehnend und misstrauisch aufeinander reagieren und in einem kühlen, bewusst unpersönlichen Ton miteinander sprechen. Manche Paare halten das jahrelang durch, sozusagen eingefroren am Rande der Scheidung.

Nach fünf Monaten erfolgloser Therapiesitzungen, die in zweiwöchigem Abstand stattgefunden hatten, gelangte Suzanne zu dem Schluss, dass es nun an der Zeit sei, die Scheidung einzureichen. Für sie war klar, dass Michael sich nie ändern würde: Er würde nie weniger als 65 Stunden pro Woche arbeiten und auch nie auf seine Gesundheit achten (er hatte 50 Pfund Übergewicht und rauchte). Noch mehr belastete sie allerdings die Tatsache, dass Michael nicht das geringste Interesse zeigte, ihrer Ehe schöne Seiten abzugewinnen. Sie gingen nur selten aus und waren vor 2 ½ Jahren zum letzten Mal im Urlaub gewesen. Suzanne fühlte sich einsam und abgelehnt. Michael hatte dagegen das Gefühl, dass seine harte Arbeit für die Familie nicht anerkannt wurde.

Suzannes Schritt in Richtung Scheidung brachte die Wende, denn er bescherte ihnen das „Geschenk der Verzweiflung“. Zum ersten Mal schien Michael bereit zu sein, wirklich hinzuschauen und zu sehen, wie schmerzvoll sein Leben geworden war. Als sie während einer Therapiesitzung über einen schweren Schneesturm in der Umgebung von Denver sprachen, erwähnte Michael, dass sein 64-jähriger Vater an diesem Tag zum ersten Mal in 20 Jahren nicht zur Arbeit erschienen sei. Ich fragte Michael, was das für ihn bedeute. Seine Augen füllten sich mit Tränen und er sagte, er wünschte, sein Vater hätte sein Leben mehr genießen können. Ich dachte laut darüber nach, ob sich Michael das jemals für sich selbst gewünscht hatte. „Ich habe Angst“, erwiderte er. „Ich habe Angst vor dem, was passieren würde, wenn ich nicht mehr ununterbrochen arbeitete. Ich habe sogar Angst davor, aufzuhören, mir Sorgen über meine Arbeit zu machen – dass ich vielleicht etwas Wichtiges übersehen könnte und meine ganze Karriere vor meinen Augen wie ein Kartenhaus einstürzen würde.“ Bei diesen Worten ging Suzanne ein Licht auf. „Vernachlässigst du deshalb mich und die Kinder und deinen Körper?“, fragte sie. Michael nickte, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. „Oh Gott“, sagte Suzanne, „Ich dachte es läge an mir – dass ich nicht gut genug sei, dass ich eine zu große Belastung für dich sei. Wir haben beide Angst – aber vor unterschiedlichen Dingen. Du hast Angst um deine berufliche Position und ich habe Angst um unsere Ehe. Während du bei der Arbeit bist, lebe ich Tag für Tag in der Angst, dass unsere Ehe wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen könnte.“ Allmählich begann das eisige Gefühl der Entfremdung zu schmelzen, das Michael und Suzanne jahrelang voneinander getrennt hatte.

Michael wusste seit unserer ersten Therapiesitzung, dass er arbeitssüchtig war. Ihm war sogar bewusst, dass er seine Familie genauso vernachlässigte, wie er von seinem Vater vernachlässigt worden war. Aber er fühlte sich hilflos und konnte nicht verhindern, dass sich dieses Leid von einer Generation auf die nächste übertrug. Doch als er den Schmerz über die drohende Scheidung fühlte, kam etwas in Bewegung. Michael gestand sich ein, wie leidvoll sein Leben geworden war, und er empfand einen Funken Mitgefühl – zuerst für seinen Vater und dann für sich selbst.

Suzanne warf Michael oft vor, sich nicht genügend um die beiden gemeinsamen Kinder zu kümmern. Aber hinter ihren Vorwürfen steckte ein Wunsch, der Müttern von kleinen Kindern vertraut ist: dass Michael, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, zuerst einmal ihr Aufmerksamkeit schenken und danach mit den Kindern spielen solle. Suzanne schämte sich für diesen Wunsch, denn sie hielt ihn für egoistisch und für den Beweis, dass sie keine gute Mutter war. Nachdem sie ihn aber als natürlichen Ausdruck ihres Bedürfnisses nach Nähe zu ihrem Mann erkennen konnte, war sie in der Lage, diesen Wunsch offener und selbstbewusster zu äußern. Und das machte es Michael wiederum viel leichter, darauf einzugehen.

Schon ein bisschen Selbstakzeptanz und Selbstmitgefühl half den beiden, ihre schwierigen Gefühle zu transformieren. In Beziehungen verbirgt sich hinter heftigen Gefühlen wie Scham und Wut oft ein großes ICH VERMISSE DICH! Es tut einfach weh und fühlt sich irgendwie nicht richtig an, sich mit den Menschen, die wir lieben, nicht verbunden zu fühlen.

Trotz der offenkundigen Unterschiede zwischen der Angst, vor Publikum zu sprechen, Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit und Beziehungskonflikten ist diesen Problemen normalerweise eines gemeinsam: der Widerstand gegen das Leid. Doch der Kampf gegen das, was uns unangenehm ist, macht alles nur noch schlimmer. Je mehr wir unsere Ängste oder körperlichen Beschwerden, die Schlaflosigkeit oder den Schmerz der Getrenntheit – und die damit verbundenen Selbstzweifel – annehmen können, desto besser sind wir dran.

Sie können diese Dynamik gewiss auch in Ihrem eigenen Leben beobachten. Wie erfolgreich ist Ihre Schlankheitskur, wenn Sie dabei extrem streng und selbstkritisch sind? Was geschieht, wenn Sie mit Ihrer Tochter im Teenageralter über deren neuen Freund streiten? Wo bleibt ihre Wut, wenn Sie sie unterdrücken? Einer meiner Kollegen witzelte einmal: „Wenn du etwas ablehnst, geht es in den Keller und trainiert Gewichtheben!“

Im schlimmsten Fall kann der Versuch, sich Schamgefühle zu ersparen, indem man andere verbal oder physisch angreift, Beziehungen oder ein ganzes Leben zerstören. Wenn wir zum Alkohol greifen, um Ängsten auszuweichen oder traumatische Erinnerungen auszublenden, können wir alles verlieren, was wir haben oder uns jemals erträumten. Die eigene Haut zu ritzen, um sich Erleichterung von emotionalem Schmerz zu verschaffen, löst gar nichts. Die Herausforderung besteht darin, sich den eigenen Schwierigkeiten mit urteilsfreiem Gewahrsein und Mitgefühl zuzuwenden.

Den Mittelweg finden

Es ist viel verlangt, sich unangenehmen Empfindungen zu öffnen. Als ich beschloss, mir zu erlauben, vor meinem Publikum zu zittern, musste ich mir erst einmal klar machen, was das wirklich bedeutet. Nicht nur darüber nachzudenken, sondern die Szene tatsächlich schaudernd zu durchleben: wie die Leute über mich lachen, sich gegenseitig auf meine armselige Vorstellung hinweisen und sich verächtlich abwenden. Nur so konnte ich sehen, dass mein Leben weitergehen würde, wenn ich ein lausiger Redner wäre. Es war eine Art Desensibilisierung: Ich gewöhnte mich in meiner Vorstellung daran. Glücklicherweise oder leider konnte ich dabei auch auf ein paar reale Erfahrungen zurückgreifen.

Manche Menschen können da einfach hineinspringen und ihr emotionales Leid annehmen. Andere brauchen mehr Zeit. Sich in dieses Wildwasser zu stürzen funktioniert bei einigen, aber die Bereitschaft dazu ist kein Hinweis auf besondere Tapferkeit – vor allem, wenn man nicht schwimmen kann. Man muss sich sicher und kompetent fühlen, wenn man diesen ersten Schritt auf den eigenen Schmerz zugeht.

Bei den meisten von uns löst die Vorstellung, sich dem eigenen emotionalen Schmerz zu öffnen, bestimmte Befürchtungen aus. Depressive Menschen fürchten vielleicht, von ihren Gefühlen überwältigt zu werden und im Alltag nicht mehr funktionieren zu können. Menschen mit Angststörungen machen sich Sorgen, es könnte sie zurückwerfen und ihnen eine weitere Panikattacke bescheren, die sie so schnell nicht wieder vergessen würden. Traumatisierte Menschen erwarten, von schrecklichen Erinnerungen eingeholt zu werden, die sie tagsüber quälen könnten. Menschen, die in einer schwierigen Ehe ausharren, befürchten vielleicht, im Hinblick auf ihre Beziehung etwas verändern zu müssen, wenn sie sich erlauben, zu fühlen, wie schlimm es wirklich geworden ist. All das könnte tatsächlich passieren und wir müssen auf solche Dinge vorbereitet sein.

Der Sinn und Zweck dieses Buches ist, Ihnen das notwendige Wissen und die Fertigkeiten zu vermitteln, die Sie brauchen, um dem Leid aus einer Position der Stärke begegnen zu können. Eines kann Ihnen dieses Buch allerdings nicht geben: die Intuition, ob es für Sie zu einem bestimmten Zeitpunkt sicher ist, sich Ihrem Schmerz zu öffnen. Das müssen Sie selbst entscheiden. Wir alle sind empfindsame Wesen, auch wenn wir es nicht zeigen. Wir haben ein zartes Nervensystem. Lernen Sie, Ihrer Intuition zu trauen, um zwischen „Sicherheit“ und „Leiden“ zu unterscheiden. Sich verletzlich oder unwohl zu fühlen bedeutet nicht unbedingt, dass man nicht sicher ist: „Schmerz“ ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit „Schaden“. Wollen Sie Ihr Leben ganz leben, ist es wichtig, diesen Unterschied zu kennen.

Wir nehmen im Allgemeinen alle möglichen Unannehmlichkeiten in Kauf, um ein sinnvolles Leben zu führen. Ist es Ihnen beispielsweise wichtig, Kinder zu haben, werden Sie wahrscheinlich das Risiko einer schmerzhaften Geburt eingehen, um Ihren Traum zu verwirklichen. Weisheit ist, die kurz- und langfristigen Konsequenzen des eigenen Handelns zu erkennen und den Weg zu wählen, der den größten langfristigen Nutzen und Segen bringt. Trotz mancher Hindernisse seinen tiefsten Überzeugungen und Werten treu zu bleiben, ist weise, weil es uns langfristig glücklich macht.

Am besten ist es, einen „Mittelweg“ zu suchen zwischen der Konfrontation mit unseren emotionalen Problemen und dem Umgehen derselben. An einem Tag fühlen Sie sich vielleicht eher schwach und unfähig, sich Ihren Herausforderungen zu stellen. In diesem Fall können sie vielleicht warten. Stellen Sie sich vor, Sie sind im Skiurlaub. An manchen Tagen haben Sie vielleicht Lust, besonders schwierige Hänge zu bezwingen, und an anderen wollen Sie einfach nur in der Skihütte sitzen und heiße Schokolade schlürfen. Wenn Sie versuchen, einen steilen Hang hinunterzufahren, ohne innerlich bereit zu sein, könnten Sie einen Skiunfall haben. Bleiben Sie andererseits immer auf dem Anfängerhügel, werden Sie nie die Freude erleben, „es geschafft zu haben.“ Wenn Sie wählen können, sollten Sie neue Herausforderungen nur annehmen, wenn es Ihnen gut geht und Sie innerlich bereit sind. Geben Sie aber auch nicht auf!

Manche Leute fragen sich, wie Antidepressiva und angstlösende Medikamente in dieses Bild passen. Sind das nicht bloß Formen der Vermeidung, die emotionale Herausforderungen wegschieben oder verdecken? In manchen Fällen mag das zutreffen, aber im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass wir gar nicht in der Lage sind, an unseren Problemen zu arbeiten, wenn wir von Angst und Trauer überwältigt oder völlig verwirrt sind. Vermeidung ist gut, wenn sie uns hilft, wieder klarer zu sehen. In diesem Sinne können Medikamente das emotionale Leid wieder überschaubar machen. Manche Menschen können ihre Medikamente irgendwann mit Hilfe von Selbsthilfetechniken, wie sie auch in diesem Buch beschrieben werden, reduzieren.

Der menschliche Geist hat seine eigenen natürlichen Mechanismen, negativem Stress auszuweichen. Dazu zählen unsere „Verteidigungsstrategien“ wie „Verleugnung“, „Projektion“ und „Abspaltung“. Mit Abspaltung bezeichnet man gewöhnlich die Tendenz des menschlichen Geistes zum Schwarz-Weiß-Denken, wenn wir uns bedroht fühlen: „Er ist nur gut, sie ist nur schlecht.“ Solches Denken tröstet uns. Verleugnung ist die Weigerung, bedrohliche Dinge wie den Alkoholismus oder eine Affäre des Partners zu akzeptieren. Bei einer Projektion überträgt man die eigenen inakzeptablen Gefühle auf einen anderen Menschen, um sich mit sich selbst besser zu fühlen: „Er ist ein Rassist“ oder „Sie ist nur eifersüchtig.“

Verteidigungsmechanismen sind ein wesentlicher Faktor zur Aufrechterhaltung des emotionalen Gleichgewichts, weshalb wir ihnen wohl oder übel eine Berechtigung zugestehen müssen. So kann es beispielsweise klug sein, vor der Affäre des Partners die Augen zu verschließen (Verleugnung), bis man die Kraft hat, sich damit auseinanderzusetzen. Es nützt niemandem, wenn wir uns von unseren Gefühlen überwältigen lassen und nicht mehr fähig sind, im Alltag zu funktionieren. Außerdem können manche vorübergehenden emotional schmerzhaften Zustände durchaus erfolgreich ausgeblendet werden – wenn sie nie zurückkehren, umso besser. Unsere psychischen Verteidigungsmechanismen sollen unser Leben aber nicht beherrschen oder unnötig kompliziert machen.

Auf die hedonistische Tretmühle zu steigen, um Angenehmes zu erleben und Schmerz zu vermeiden, kann manchmal sogar positiv sein. Wie können Sie denn je glücklich sein, wenn Sie nicht tun, was Ihnen Freude macht? Wer, wenn nicht Sie, wird kurz- oder langfristig Ihre Bedürfnisse befriedigen oder kann überhaupt wissen, was Sie brauchen, um glücklich zu sein? Für die meisten Erwachsenen sind jene Zeiten, da andere ihre Bedürfnisse besser kannten als sie selbst, lange vorbei. Wir müssen die Verantwortung für unsere innere Zufriedenheit übernehmen, und alles, was uns Freude macht, weist uns den Weg. Es ist jedoch zu hoffen, dass wir uns für langfristige Freuden entscheiden, beispielsweise die Freude an einem gesunden Körper, an geistiger Bereicherung und die Freude, anderen etwas Gutes zu tun.

Entscheidend ist, dass wir erkennen, wann unsere instinktiven Gewohnheiten beim Streben nach Vergnügen und Schmerzvermeidung uns mehr Probleme einbringen, als sie wert sind. Wenn wir uns solchen Aktivitäten hingeben, lässt der Stress nicht lange auf sich warten. Wir leiden, wenn wir nicht bekommen, was wir wollen, wenn wir verlieren, was wir haben und wenn wir bekommen, was wir nicht wollten. Dann ist es hilfreich, die Dinge so anzunehmen und sehen zu können, wie sie sind.

Die Phasen des Annehmens

Die innere Hinwendung zum Schmerz ist ein Prozess, der in mehreren Phasen abläuft. Durch das Leiden wird unser Widerstand allmählich aufgeweicht. Nach anfänglicher heftiger Abwehr treten wir in diesen Prozess ein, indem wir uns dem Problem mit einer gewissen Neugier nähern, und gelangen, wenn alles gut geht, schließlich zu einer vollen Annahme dessen, was in unserem Leben passiert. Dieser Prozess verläuft normalerweise langsam und natürlich. Es ist unsinnig, eine Phase überspringen zu wollen, solange wir uns in unserem jetzigen Zustand nicht stabil fühlen. Die einzelnen Phasen sind:

1. Abwehr – Widerstand, Vermeidung, Grübelei

2. Neugier – man wendet sich dem Problem oder Ereignis mit Interesse zu

3. Toleranz – man erträgt den Schmerz

4. Zulassen – man lässt die Gefühle kommen und gehen

5. Anfreunden – man nimmt die Dinge an, erkennt den verborgenen Wert

Abwehr ist stets unsere erste, instinktive Reaktion auf unangenehme oder schmerzliche Gefühle. Wir wenden beispielsweise den Blick ab, wenn wir etwas Unangenehmes sehen. Abwehr kann auch zu innerer Verstrickung oder Grübelei führen, beispielsweise wenn wir ständig darüber nachdenken, wie wir das Gefühl loswerden können. Wenn die Abwehr nicht funktioniert, treten wir nach einer Weile in die 2. Phase ein: Neugier. „Was für ein Gefühl ist das eigentlich?“ „Wann tritt es auf?“ „Was bedeutet es?“ Wenn wir dann wissen, womit wir es zu tun haben, und der Schmerz anhält, treten wir vielleicht in die 3. Phase ein: Toleranz. Toleranz bedeutet, dass wir den emotionalen Schmerz „ertragen“, ihm aber noch Widerstand leisten und wünschen, er möge vergehen. Wenn unser Widerstand aufweicht, beginnt die 4. Phase: Zulassen. Wir lassen die unangenehmen oder schwierigen Gefühle einfach kommen und gehen. Und irgendwann, nach einer Zeit der Anpassung und Verinnerlichung, befinden wir uns vielleicht in der Phase des Anfreundens, in der wir tatsächlich den verborgenen Sinn oder Wert in unserer Tragödie erkennen. Die Geschichte von Brenda, einer lieben Freundin, mag verdeutlichen, was es bedeutet, diese Phasen zu durchleben.

Brenda und ihr Mann Doug hatten zwei Kinder. Ihr Sohn Zach, der drei Jahre jünger war als seine Schwester, hatte einen angeborenen Herzfehler. Wenn Brendas Familie weite Reisen nach Australien oder Hawaii unternahm, hatte Zach manchmal einen Herzanfall. Trotz seiner Herzkrankheit und der Medikamente war er ein fröhlicher, lebendiger Junge, aber mit neun Jahren starb er plötzlich im Schlaf. Das war vor 19 Jahren.

1. Phase: Abwehr

Der Verlust eines Kindes ist ein unbeschreiblicher Schmerz. Obwohl Brenda und Doug wussten, dass Zach wahrscheinlich nicht lange leben würde, konnte sie nichts auf diesen Schmerz vorbereiten. Es war ein „emotionaler Tsunami“. Beim Begräbnis war Brendas Nervensystem so überlastet, dass ihr peripheres Sehen nicht mehr funktionierte. Nachdem sie nach jüdischer Sitte die siebentägige Trauerzeit Shiva gehalten hatte, legte sie sich ins Bett, und verließ es nur noch selten, um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Brenda fühlte sich unter Menschen wie eine Fremde und beobachtete völlig unbeteiligt, wenn jemand in der Kassenschlange ein Aufhebens machte, weil er seine Lieblingsnudeln nicht hatte finden können. Sie hatte sich ganz in sich selbst zurückgezogen.

2. Phase: Neugier

Irgendwann kam Brenda der Gedanke: „Wenn ich einfach aufgeben würde, könnte ich sterben“. Das erschien zunächst wie eine Erlösung, aber dann kam Panik hoch: „Was ist mit meiner Tochter? Was würde sie tun? Ich kann entweder in meinem Leid versinken oder eine bewusste Entscheidung treffen.“ Brenda wachte allmählich auf und erkannte ihre Situation. Ihr wurde klar: „Sich schlecht fühlen kann auch gefährlich sein.“

3. Phase: Toleranz

Nach zwei Wochen beschloss Brenda, das Bett zu verlassen. „Ich war entschlossen, für meine Tochter zu leben.“ Als Kind hatte sich Brenda um ihre eigene Mutter kümmern müssen. Deshalb wollte sie auf keinen Fall, handlungsunfähig durch ihre Trauer, zu einer Belastung für ihre Tochter werden. „Ich muss als Mutter für sie da sein. Das Leben gehört den Lebenden,“ sagte sie sich. Später erklärte sie mir einmal: „Für andere da zu sein war das Einzige, das mein Leid lindern konnte.“

4. Phase: Zulassen

Brenda beschreibt sich selbst als eher „intellektuellen Typ“, der Probleme durch gründliches Nachdenken zu lösen versucht, nach dem Motto: „Wenn dein Ansatz nicht funktioniert, probiere es mit einem anderen“. Aber die Wucht der Trauer hatte sie völlig unvorbereitet getroffen. Sie und Doug hielten ihren Kummer auf einem erträglichen Level, indem sie Zachs Grab nur zweimal jährlich besuchten und hin und wieder seine Sachen hervorholten und betrachteten. „Wusstest du, dass sein Geruch nach fünf Monaten aus dem Bademantel verschwindet?“ Nach und nach konnten beide mehr Schmerz zulassen, wenn sie bei diesen „Besuchen“ zusammen weinten.

Innerlich hielt Brenda eine liebevolle Beziehung zu Zach aufrecht. Diese Verbindung wollte sie nicht aufgeben, und das war auch gar nicht nötig. Brenda stellte fest, dass sie sich Zach immer dann nahe fühlte, wenn sie traurig war. Aber sie fühlte sich ihm auch nahe, wenn sie eine Welle der Dankbarkeit verspürte – Dankbarkeit dafür, dass sie ihn überhaupt gekannt hatte. Brenda war damals in psychotherapeutischer Behandlung und einmal fragte sie ihren Therapeuten: „Ist es in Ordnung, eine lebendige Beziehung zu einem verstorbenen Menschen zu haben?“, und er erwiderte: „Warum nicht? Schmerz und Dankbarkeit sind Formen der Liebe.“ Brenda verließ sich auf ihre Intuition, um in ihrer Beziehung zu Zach ein gesundes Maß zu finden.

5. Phase: Anfreunden

Als ich Brenda 17 Jahre nach dem Tod ihres Sohnes begegnete, sagte sie zu mir: „Der Schmerz über Zachs Tod hat mich mit allen Müttern verbunden, die je ein Kind verloren haben.“ Zwei Jahre später nahm sie an einem Meditations-Retreat teil, bei dem der Meditationslehrer die Teilnehmer einlud, „mit ihrem Leid in Kontakt zu treten.“ Brenda hörte eine innere Stimme sagen: „Tu’ es nicht!“ Daraufhin sagte der Lehrer zu ihr: „Wenn du die schwierigen Momente nicht voll und ganz erleben kannst, wirst du wahrscheinlich auch die besten Momente deines Lebens nicht voll und ganz erleben.“ In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie an ihrem Schmerz festgehalten hatte, und sie dachte: „Vielleicht brauche ich das gar nicht mehr?“ Gegenüber ihrer 32-jährigen Tochter hatte sie diese Begebenheit mit keinem Wort erwähnt, aber eine Woche nach dem Retreat rief die Tochter bei ihr an und bat sie um die Adresse eines guten Psychotherapeuten, um über den Tod ihres Bruders sprechen zu können. Dass Brenda nun lernte, mit ihrem Schmerz Freundschaft zu schließen, hatte vielleicht ihre Tochter auf unsichtbaren Wegen dazu gebracht, dasselbe zu tun. Brenda sagte zu mir: „Ich habe so viele Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass ich voll und ganz lieben kann, ohne zu leiden.“

Diese Geschichte zeigt uns, wie unser Widerstand gegen unerträglichen emotionalen Schmerz allmählich aufweichen kann. Die einzelnen Phasen verlaufen nicht unbedingt linear. An manchen Tagen fallen wir zurück und an anderen machen wir einen Sprung nach vorne. Je größer der Schmerz, desto länger brauchen wir, um die Phasen des Annehmens zu durchlaufen. Es hilft jedoch nichts, wenn wir versuchen, den Prozess zu beschleunigen, denn das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass wir den Schmerz eher wegschieben wollen, anstatt zu lernen, ihn anzunehmen. Dieses Buch will Ihnen zeigen, wie Sie das Annehmen Tag für Tag üben können – insbesondere im Hinblick auf sich selbst.

Vom Annehmen zum Selbstmitgefühl

In der Psychotherapie erkennt man heute zunehmend, wie wichtig das Annehmen des emotionalen Schmerzes für den Heilungsprozess ist. Wenn jemand zum Psychotherapeuten geht und sagt: „Ich bin total gestresst“, versucht der Therapeut normalerweise, diesem Menschen zu helfen, seinen Stresspegel zu senken – etwa indem er ihm Entspannungstechniken beibringt. In dieser Hinsicht sind Psychotherapeuten sehr gefällig. Manchmal versuchen sie, negative Denkmuster zu verändern, die die Depressionen des Klienten auszulösen scheinen (wie beispielsweise „Ich bin dumm“ oder „am Ende werde ich doch immer verlassen“). Diese Strategien fallen unter die Rubrik: „Schildere mir das Problem, und wir lösen es.“ Im Grunde gehen Therapeuten und Klienten hier eine unbewusste Allianz ein, um negative Erfahrungen auszumerzen.

Mit solchen Ansätzen konnte man einigen Erfolg erzielen, doch neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass der Heilungsprozess im Rahmen einer erfolgreichen Therapie anders verläuft, als wir bisher dachten: Es ist ein Prozess, bei dem wir ein ganz neues Verhältnis zu unseren Gedanken und Gefühlen entwickeln, anstatt sie direkt anzugehen und zu versuchen, sie zu ändern. Dieses neue Verhältnis ist weniger vermeidend, weniger verstrickend, annehmender, mitfühlender und bewusster. Indem wir unseren Problemen mit offenen Augen und Herzen begegnen – mit Wachheit und Mitgefühl – erfahren wir emotionale Heilung.

Was ist Akzeptanz?

Wie bereits erwähnt, schließt das „Akzeptieren“ oder „Annehmen“ eine Reihe von Erfahrungen ein, wie beispielsweise Neugier, Toleranz, Bereitschaft und Freundschaft. Das Gegenteil von Akzeptanz ist Widerstand. Wo Widerstand Leid erzeugt, wird Akzeptanz Leid lindern. Akzeptieren bedeutet nicht, schlechtes Verhalten einfach hinzunehmen, sondern sich emotional dem zu öffnen, was im gegenwärtigen Moment in unserem Innern vor sich geht. Wenn Sie in einer leidvollen Beziehung leben, bedeutet Akzeptanz nicht, „Ja“ zu der Beziehung als Ganzes zu sagen, sondern eher, sich einzugestehen: „Das tut weh!“ Ich konnte oft beobachten, dass Menschen ihr Leben änderten – Beziehungen, Essgewohnheiten, Jobs –, wenn sie mit den Gefühlen in Kontakt kamen, die eine Situation oder ein Verhalten in ihnen auslösten, und wirklich spürten, wie sehr sie darunter litten. Akzeptanz hat nichts mit Resignation oder Stagnation zu tun, denn auf das Annehmen folgt die Veränderung ganz von selbst.

Aber wir müssen wissen, was wir annehmen oder akzeptieren. Wenn wir nicht „wach“ sind, kann es sein, dass unser Akzeptieren zur Anpassung wird, so wie bei vielen Menschen, die für einen politischen Kandidaten stimmen, den sie kaum kennen. Blinde Akzeptanz kann auch in Sentimentalität ausarten – man überdeckt die Realität mit einem Zuckerguss. All das hat überhaupt nichts mit echtem Annehmen zu tun und führt letztendlich dazu, dass wir noch mehr leiden. Wenn ich in diesem Buch von „Akzeptanz“ oder „Annehmen“ spreche, meine ich die bewusste Entscheidung, die eigenen Empfindungen, Gefühle und Gedanken im gegenwärtigen Moment zu erleben, wie sie sind.

Was ist Selbstmitgefühl?

Selbstmitgefühl ist eine Form der Akzeptanz. Normalerweise bezieht sich Akzeptanz auf das, was wir erleben – das Akzeptieren eines Gefühls oder eines Gedankens. Selbstmitgefühl bedeutet, dass wir die Person akzeptieren, die diese Dinge erlebt. Wir nehmen uns in unserem Schmerz an.

Sowohl das Annehmen als auch das Selbstmitgefühl scheinen uns leichter zu fallen, wenn wir aufgehört haben, zu kämpfen und uns nicht länger darum bemühen, uns besser zu fühlen. Die Anonymen Alkoholiker nennen diesen Zustand „das Geschenk der Verzweiflung“. Wenn alle Versuche fehlgeschlagen sind, werden wir wahrscheinlich empfänglicher dafür, uns anzunehmen und Mitgefühl entgegenzubringen. Obwohl Sie sich vielleicht immer noch besser fühlen wollen, glauben Sie nicht mehr daran, dass Ihnen noch irgendetwas helfen kann. Ihr Vertrauen ins Leben ist fast auf dem Nullpunkt, der Verstand hat alle seine Möglichkeiten ausgeschöpft.

An diesem Punkt haben wir die Chance, vom Kopf zum Herzen zu gelangen. Selbstmitgefühl entfaltet sich auf einer Ebene jenseits des Intellekts und des Bemühens. Wenn wir uns inmitten des Leidens wiederfinden und uns die Heftigkeit unseres Kampfes eingestehen, beginnt sich das Herz ganz von selbst zu öffnen. Wir mühen uns nicht länger damit ab, uns besser zu fühlen, sondern entwickeln Zuneigung zu uns selbst. Wir fangen an, uns liebevoll zu umsorgen, weil wir leiden.

Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen „umsorgen“ und „kurieren“. Wir wollen etwas „kurieren“, wenn wir eine Möglichkeit haben, ein Problem zu beheben. Aber wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft und alle Bemühungen um Heilung fehlgeschlagen sind, können wir immer noch fürsorglich sein. Es ist wie beim Umsorgen eines sterbenden Menschen: Wir geben den Kampf auf und nehmen empfindsam Anteil an der Erfahrung des Sterbens. Auf der emotionalen Ebene wird es uns umso besser gehen, je eher wir aufhören, darum zu kämpfen, dass es uns besser geht. Paradoxerweise führt dann die Fürsorglichkeit zur Heilung.

Das englische Wort für Mitgefühl – compassion – stammt vom Lateinischen ab: com (mit) und pati (leiden) oder „Mitleiden“. Wenn wir echtes Mitgefühl empfinden, nehmen wir am Leiden eines Menschen Anteil. Mitfühlend zu sein bedeutet, dass wir den Schmerz eines anderen Menschen anerkennen, dass wir unsere Angst vor oder unseren Widerstand gegen sein Leiden aufgeben und dass ein natürliches Gefühl der Liebe und Zuneigung zu dem leidenden Individuum strömt. Mitgefühl ist das völlige Loslassen des Widerstandes gegen emotionales Leid. Es ist totales Annehmen: der betroffenen Person, des Schmerzes sowie unserer eigenen Reaktionen auf den Schmerz.

Selbstmitgefühl bedeutet einfach, dass wir uns selbst dieselbe Freundlichkeit entgegenbringen, mit der wir uns um andere kümmern würden. Wie ich schon in der Einleitung erklärt habe, kann bereits ein kleiner Wechsel der Blickrichtung unser Leben völlig verändern – sowohl in leidvollen Zeiten als auch im Umgang mit unseren Alltagsproblemen. Mitgefühl mit sich selbst zu haben ist eigentlich ein natürlicher menschlicher Instinkt – manchmal verschüttet oder unterdrückt –, der noch stärker ist als der instinktive Widerstand gegen den Schmerz. Glücklicherweise kann jeder dieses Selbstmitgefühl wiederentdecken.

Unbefangen herangehen

Sollten Sie diese Aussagen zunächst befremdlich oder verwirrend finden, lassen Sie sich bitte nicht abschrecken. Wenn Sie anfangen, sie in die Praxis umzusetzen, werden Sie den Sinn dahinter erkennen. Die folgenden Kapitel führen Sie Schritt für Schritt, bis Sie sich selbst Liebe geben können, wann immer Sie es nötig haben.

In den Kapiteln 2 und 3 geht es um Achtsamkeit: Wie können wir in jedem Augenblick liebevoll und wach wahrnehmen, was in uns vorgeht? Die meisten von uns sind so tief in den alltäglichen Dingen verstrickt, dass sie es noch nicht einmal merken, wenn sie leiden. Aber wir müssen das Problem lokalisieren – den Stachel im Herzen –, bevor eine Lösung überhaupt möglich wird. In Kapitel 2 erfahren Sie, wie Sie Ihren Körper sicher und mitfühlend achtsamer wahrnehmen können, und Kapitel 3 dehnt dieses Gewahrsein auf die emotionale Ebene aus. Ab Kapitel 4 lernen Sie dann, Selbstmitgefühl zu entwickeln.

Denken Sie nun bitte nicht, es käme eine Menge Arbeit auf Sie zu. Einer meiner Patienten sagte einmal über die Liebe zu sich selbst: „Es hat nichts mit kämpfen zu tun und deshalb ist es gar nicht so schwer, wie ich dachte.“

Vielleicht ertappen Sie sich dennoch gelegentlich dabei, wie Sie eine Übung mit grimmiger Entschlossenheit praktizieren. Damit muss man rechnen – alte Gewohnheiten sind hartnäckig. Versuchen Sie wahrzunehmen, wenn Sie sich anstrengen, und schauen Sie, ob Sie einen Weg finden können, dasselbe mit mehr Leichtigkeit und Freude zu tun. Wir wollen unserem Leben ja nichts hinzufügen, sondern etwas wegnehmen: Die Spannung, die wir uns unbewusst aufzwingen, um unsere Erfahrungen zu kontrollieren oder zu manipulieren.

Die der Achtsamkeit und dem Selbstmitgefühl zugrunde liegenden Prinzipien sind mindestens ebenso wichtig wie die Techniken, die Sie nun lernen werden. Der Sinn hinter den Techniken muss klar sein. Wenn Sie beispielsweise feststellen, dass eine Übung nicht funktioniert, könnte es sein, dass Sie „Selbstverbesserung“ praktizieren anstatt „Selbstakzeptanz“. Sie müssen den Unterschied kennen. Haben Sie erst einmal ganz und gar verstanden, was Achtsamkeit und Selbstmitgefühl bedeuten, können Sie die in diesem Buch beschriebenen Übungen abändern und an jede Situation anpassen.

Sollten irgendwann einmal gewisse Zweifel auftauchen, ob Sie je fähig sein werden, mitfühlender und liebevoller mit sich selbst umzugehen, dann halten Sie inne und schenken Sie sich gerade in diesem Moment ein wenig Freundlichkeit. Damit tun Sie genau das, worum es in diesem Buch geht.

Sich fürsorglich um sich selbst kümmern

Meistens kümmern wir uns um andere – was sie fühlen, sagen oder tun. Selten schenken wir uns dieselbe Fürsorge und Aufmerksamkeit. Das wollen wir jetzt versuchen. (Sie können dabei nichts falsch machen.)

• Suchen Sie sich einen Ort, an dem Sie ungestört sind, setzen Sie sich bequem hin, schließen Sie die Augen und spüren Sie, wie es sich anfühlt, in Ihrem Körper zu sein. Nehmen Sie einfach wahr, wie die körperlichen Empfindungen kommen und gehen, ohne sich besonders auf eine zu konzentrieren. Ist es eine angenehme Empfindung, registrieren Sie sie einfach und lassen Sie sie wieder los. Ist es eine unangenehme, tun Sie dasselbe. Vielleicht spüren Sie Wärme in Ihren Händen, das Gewicht Ihres Körpers auf dem Stuhl oder Sessel, ein Kribbeln in der Stirn? Nehmen Sie diese Empfindungen aufmerksam wahr, so wie eine Mutter ein neugeborenes Baby betrachten und sich fragen würde, was es wohlfühlt. Registrieren Sie einfach alles, was auftaucht – eine Empfindung nach der anderen. Nehmen Sie sich Zeit.

• Öffnen Sie nach etwa fünf Minuten langsam die Augen.

Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl

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