Читать книгу Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl - Christopher Germer - Страница 11

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2 Auf den Körper hören

Es ist einfach nur Aufmerksamkeit, durch die wir das Singen eines Vogels wirklich hören, die großartige Schönheit eines Herbstblattes wirklich sehen, das Herz eines anderen Menschen berühren und berührt werden.

CHRISTINA FELDMAN UND JACK KORNFIELD

Es ist nicht leicht, in einem menschlichen Körper zu leben, aber zum Glück sind wir mit allem Notwendigen ausgestattet. Wir verfügen über die menschlichen Eigenschaften „Bewusstsein“ und „Mitgefühl“. Der erste Schritt zu körperlichem Wohlbefinden besteht darin, den eigenen Körper aufmerksam wahrzunehmen. Wir müssen wissen, was uns plagt. Dann können wir mitfühlend darauf reagieren.

Wenn wir leiden, ist nicht immer sofort offensichtlich, worin das eigentliche Problem besteht. Werde ich zum Beispiel von meiner Firma entlassen, empfinde ich das möglicherweise als ungerecht und denke, dass mein Chef irgendetwas gegen mich persönlich hatte. In schlaflosen Nächten verzweifle ich vielleicht bei dem Gedanken, dass ich nicht in der Lage bin, meine Familie anständig zu ernähren und stelle mir vor, wie ich mich an meinem Chef räche. Aber wo bin ich – die verletzte Seele – bei all dem geblieben? Verschwunden! Ich habe mich in meinen Kopf geflüchtet, habe den Aufzug zum obersten Stockwerk genommen und meine Angst und Traurigkeit ausgeblendet. Ich streite mit der Welt über meinen persönlichen Wert und schmiede Rachepläne. So ist es doch oft, wenn wir leiden. Im Chaos unserer Gedanken und Gefühle finden wir uns selbst nicht wieder.

Achtsamkeit ist eine besondere Art des Gewahrseins, die uns helfen kann, sicher im Körper verankert zu bleiben, wenn die Zeiten härter werden. Mit ihr können wir zu einer Lebensweise finden, die uns vor unnötigem Leiden bewahrt. Wenn wir achtsam sind, müssen wir nicht mehr unbedingt vor unangenehmen Erfahrungen davonlaufen – sie sind nun von einer Art Pufferzone umgeben, in der wir Atem holen können. In diesem Kapitel wird erklärt, was Achtsamkeit ist (und was nicht), und wie befreiend es sein kann, wenn wir dem inneren Drang widerstehen, vor unserem Schmerz zu flüchten. Dazu stelle ich ein paar einfache Achtsamkeitsübungen vor.

Der Weg der Achtsamkeit

Wir müssen Achtsamkeit erfahren, um zu wissen, was sie bedeutet. Ein Moment der Achtsamkeit ist eine Art des Gewahrseins, das vor den Worten da ist, wie das Blinken der Sterne, bevor wir sie „Großer Wagen“ nennen oder wie ein Aufblitzen von etwas Rotem an der Haustür, bevor wir erkennen, dass es eine Freundin in einem neuen roten Kleid ist. Unser Gehirn durchläuft dieses prä-verbale Stadium des Gewahrseins ständig, aber normalerweise sind wir viel zu sehr mit unseren Alltagsdramen beschäftigt, um es zu bemerken.

Die folgenden poetischen Worte geben die einfache Erfahrung der Achtsamkeit wieder:

Jeden Tag

sehe oder höre ich

etwas,

das mich mehr oder weniger

in Entzücken versetzt,

mich wie eine Nadel

im Heuhaufen des Lichts

zurücklässt.

Dafür wurde ich geboren:

zu schauen, zu lauschen,

mich in dieser zarten,

feinen Welt zu verlieren –

mich selbst immer wieder

Freude und Lobpreis zu lehren.

Auch spreche ich nicht

vom Außergewöhnlichen,

vom Furchtbaren, Schrecklichen

oder ganz Besonderen –

sondern vom Gewöhnlichen,

Alltäglichen, Langweiligen,

dem ganz alltäglichen Theater.

Oh, gute Schülerin,

sage ich zu mir,

wie könntest du anders

als weise werden,

mit solchen Lehren –

dem unauslöschlichen Licht der Welt,

dem Leuchten des Ozeans,

den Gebeten,

aus Gras gemacht?

Mit ihrem Gedicht Mindful („Achtsam“) erinnert uns Mary Oliver daran, wie uns ganz einfache Wahrnehmungen, beispielsweise das Glitzern des Sonnenlichts auf einem nassen Grashalm, in Entzücken versetzen können.

Eine Definition von „Achtsamkeit“, die ich besonders hilfreich finde, ist die des Meditationslehrers Guy Armstrong: „Zu wissen, was du erlebst, während du es erlebst.“ Achtsamkeit ist Gewahrsein im Hier und Jetzt. Achtsamkeit befreit, denn indem wir dem Strom unserer Wahrnehmungen Aufmerksamkeit schenken, anstatt unseren Interpretationen davon, wird jeder Augenblick frisch und lebendig. Das Leben wird zu einem Fest für die Sinne, wenn wir achtsam sind. Betrachten Sie diese Momentaufnahme des ganz gewöhnlichen Alltags im Gedicht von Linda Bamber:

Plötzlich erscheint mir die Stadt,

in der ich lebe, interessant,

so als empfände ich auf einmal Nachsicht

mit der Menschheit, ihrer Art

und Weise, in Städten zu leben

und Straßen aufzureißen, so dass der Verkehr

um einen in sich zusammenfallenden weißen Drahtzaun

geleitet werden muss,

wie auf dieser Kreuzung.

Die Bewohner dieser Stadt,

die auf den Bürgersteigen hin und her eilen,

von denen jeder heute Morgen aufgestanden ist

und sich angekleidet hat,

sehen fast aus wie – wie

in einem Film, in dem Leute

die Straße überqueren.

Fragen wie:

Ist diese Szenerie auch nur eines einzigen Blickes wert?

Beispielsweise im Hinblick auf die Architektur,

urbane Räume und menschliche Interessen?

Und gibt es genügend Vielfalt hier?

Und sind diese Leute im Allgemeinen jünger oder älter als ich?

sind jetzt einfach nicht mehr wichtig.

In ihrer Abwesenheit habe ich dieses

schöne Gefühl, dass es viele Städte auf der Welt gibt,

und dass dies eine davon ist.

Vor Kurzem hat es geregnet.

Ich denke, ich werde zu den Mönchen gehen,

und ihnen beim Malen eines Sand-Mandalas

auf der Promenade zuschauen; und

wer weiß, vielleicht hole ich mir später

noch ein Sandwich.

Achtsamkeit hat eine Qualität des Seins im Hier und Jetzt, eine Qualität der Freiheit, der Weitsicht, der Verbundenheit, des Nicht-Urteilens, des Fließens im Alltag. Wenn wir achtsam sind, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass wir das Leben anders haben wollen, als es ist – zumindest für den Moment.

Manche Menschen scheinen achtsamer zu sein als andere, aber wo wir auch beginnen, wir können unsere Achtsamkeit immer durch Üben steigern. Und Sie müssen weder Mönch noch Künstler sein, um von einem solchen Achtsamkeitstraining zu profitieren. Sie müssen noch nicht einmal innerlich ruhig sein, um achtsam sein zu können. Sie müssen einfach nur die persönliche Entscheidung treffen, wach und bewusst zu sein. Sie können in Ihrem Alltag zu jeder Zeit und an jedem Ort „aufwachen“, indem Sie bewusst wahrnehmen und erkennen, was in Ihnen und um Sie herum vor sich geht. Fragen Sie sich: Bin ich durcheinander, gelangweilt, gestresst oder ruhig? Spüre ich eine Spannung im Bauch oder Hitze auf den Wangen? Mache ich mir Sorgen über die Zukunft oder über den Besuch bei meinem Vater, der heute noch ansteht? Ist dies das Geräusch des Windes, der durch die Blätter einer Pappel streicht? Jede bewusste Wahrnehmung in der Gegenwart kann ein Moment der Achtsamkeit sein und eine Befreiung von unserem üblichen, spannungserzeugenden Denken. Das Gegenteil von Achtsamkeit ist Unachtsamkeit, die sich beispielsweise darin zeigt, dass Sie

• den Namen eines Menschen vergessen, kaum dass er Ihnen vorgestellt wurde

• sich nicht daran erinnern können, warum Sie gerade in die Küche gegangen sind

• essen, wenn Sie keinen Hunger haben

• sich, wenn Sie im Stau stecken, darüber aufregen, dass Sie spät kommen

• sich wie ein Kind verhalten, wenn Sie Ihre Eltern besuchen

• eine Stunde auf der Autobahn fahren und sich kaum erinnern können

Das sind die Zeiten, in denen wir geistesabwesend sind, nicht wahrnehmen, was wir denken, fühlen oder tun und wie ferngesteuert reagieren. Vielleicht ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie unachtsam wir meistens sind!

Unachtsamkeit ist kein Problem, wenn der Film, der in unserem Kopf abläuft, süß und angenehm ist, aber manchmal ist er furchterregend, und wir würden am liebsten aufstehen und das Kino verlassen. Unsere Aufmerksamkeit wird von unserem Leiden „entführt“. So war es auch bei George, einem meiner Patienten.

Dem äußeren Anschein nach hatte George sein Leben im Griff. Seine Arbeit machte ihm Spaß, er hatte kürzlich ein Haus gekauft, lebte mit einer Partnerin zusammen, die ihn liebte, und er konnte seine Freunde mit seinem ausgezeichneten Gitarrenspiel in Entzücken versetzen. Aber je schöner sein Leben wurde, desto stärker quälten ihn Erinnerungen an seine schwierige Kindheit. Er war in einer armen Familie aufgewachsen, in der Vernachlässigung und Misshandlungen an der Tagesordnung gewesen waren, und seine geliebte Schwester hatte sich mit 16 Jahren das Leben genommen. Jedes Mal, wenn ihm etwas Gutes widerfuhr – eine Gehaltserhöhung, der Kauf eines neuen Autos oder eine Urlaubsreise – konnte er ein Schluchzen nicht unterdrücken. Er dachte an seine traurige Kindheit und an seine Schwester, die nie die Chance gehabt hatte, ihr Leben zu genießen. Dieses Bedauern hinderte ihn daran, sich zu freuen. Wenn er in der Zeitung von misshandelten Kindern las, wurde er manchmal ganz plötzlich von solchen Erinnerungen überwältigt. Seine Frau fürchtete, die Verbindung zu George zu verlieren, der zunehmend in seiner Vergangenheit zu versinken schien, während sich ihr gemeinsames Leben positiv entwickelte.

Auch George wollte seiner Frau nahe bleiben, die inzwischen manchmal die Geduld mit ihm verlor. Als er eines Tages, wie üblich mit den Gedanken in der Vergangenheit, am Strand spazieren ging, fiel sein Blick auf einen wunderschönen runden Stein. Er hob ihn auf, ließ ihn in der Hand hin und her gleiten, rieb damit über sein Gesicht und genoss die Berührung dieser kühlen, glatten Oberfläche auf seinen Wangen. Da er ein Sammler war, steckte er den Stein geistesabwesend in die Jackentasche. Als er später zu Hause seine Taschen leerte, fiel ihm der Stein in die Hand und wieder genoss er es, diese kühle, glatte, runde Oberfläche zu berühren. George stellte fest, dass es ihn irgendwie beruhigte, wenn er mit den Fingern über den Stein strich. Er nannte ihn scherzhaft seinen „Hier-und-Jetzt-Stein“ und trug ihn immer bei sich. Von nun an nahm er immer, wenn er einen „Flashback“ hatte und sich nicht in den Erinnerungen an seine Kindheit verlieren wollte, den Stein aus der Tasche und strich mit den Fingern darüber.

Ohne irgendeine Anleitung von außen war George über eine Möglichkeit gestolpert, seinen inneren Zustand durch Achtsamkeit zu steuern: Er brachte seinen Geist mit Hilfe der sinnlichen Wahrnehmung ins Hier und Jetzt. Anfangs benutzte George seinen Hier-und-Jetzt-Stein vor allem, um seine Aufmerksamkeit von dem, was ihn quälte, abzuziehen und in den gegenwärtigen Moment zu kommen. Später, als sein Stein und der gegenwärtige Augenblick in emotionalen Stresssituationen zu einem verlässlichen Zufluchtsort geworden waren, fasste George Mut und wandte sich seinen traumatischen Erinnerungen zu, um sie sich genauer anzuschauen. Achtsamkeit bedeutet, zu wissen, wo wir uns innerlich in jedem Augenblick gerade befinden und unsere Aufmerksamkeit bewusst und intelligent lenken zu können. Achtsamkeit erfordert eine gewisse Offenheit, um heilsam wirken zu können. So wie die Augen einer Mutter auf ihrem Neugeborenen ruhen, können wir etwas sehr lange anschauen, wenn wir es mögen oder wenn wir uns beim Schauen geliebt und unterstützt fühlen. Aber wir können unsere Aufmerksamkeit nicht lange aufrechterhalten, wenn uns das, was wir sehen, abstößt. Wir können die einzigartige Schönheit einer Rose oder eines Musikstückes oder uns selbst nur wahrnehmen, wenn wir emotional offen sind. Mit dieser inneren Haltung üben wir uns in Achtsamkeit.

Achtsamkeit üben: Der Anfang

Falls Sie die am Ende des letzten Kapitels beschriebene Übung gemacht haben, haben Sie bereits einen kleinen Vorgeschmack auf Achtsamkeit bekommen. Sie waren in einem relativ empfänglichen Zustand und haben eine Reihe von Eindrücken und Empfindungen bewusst wahrgenommen, ohne sie vergleichen, beurteilen, benennen oder werten zu müssen. Man kommt mit dem eigenen Geist relativ gut zurecht, wenn man einfach nur registriert, was kommt und geht. Probleme treten erst auf, wenn wir unbewusst vor unangenehmen Dingen zurückschrecken, nach Vergnügen streben und uns in Fantasien darüber verlieren, wie wir die Dinge gerne hätten. Ausnahmslos jede(r) von uns stellt schon bald fest, dass eine so einfache Übung wie „ein paar Minuten still sitzen und die Gedanken kommen und gehen lassen“ alles andere als einfach ist.

Geräusche achtsam wahrnehmen

Diese Übung dauert nur fünf Minuten. Suchen Sie sich einen ruhigen Ort, an dem Sie weder durch den Fernseher, Musik oder die Unterhaltungen anderer Menschen abgelenkt werden.

• Setzen Sie sich in entspannter, bequemer Haltung hin und achten Sie darauf, dass Ihre Wirbelsäule gerade ist. Schließen Sie die Augen ganz oder halb.

• Stellen Sie sich nun vor, Ihre Ohren seien Satellitenschüsseln, die alle Geräusche der Umgebung auffangen. Sie sitzen einfach da und empfangen Klangschwingungen. Sie müssen die Geräusche nicht benennen, Sie müssen sie auch nicht mögen, und Sie müssen sich nicht auf ein besonderes Geräusch konzentrieren – hören Sie einfach alles, was an Ihre Ohren dringt. Lassen Sie die Töne einen nach dem anderen kommen und gehen. Versuchen Sie nicht, Geräusche in Ihrer Umgebung zu entdecken. Lassen Sie sie auf sich zukommen.

• Wenn Sie merken, dass Sie sich in Gedanken verlieren, was unweigerlich geschehen wird, kehren Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit einfach zum Lauschen zurück.

• Öffnen Sie nach fünf Minuten langsam die Augen.

Haben Sie bemerkt, wie entspannend es sein kann, Geräusche einfach aufmerksam wahrzunehmen? Es könnte sein, dass Sie es noch angenehmer empfinden als andere Methoden, mit denen Sie vielleicht bereits Erfahrungen gemacht haben, wie Entspannungstraining oder Selbsthypnose. Das hängt damit zusammen, dass Sie innerlich alles loslassen, einschließlich der Aufgabe, sich zu „entspannen“, die Sie paradoxerweise in einem Spannungszustand halten kann. Bei dieser Übung geht es nur darum, mit der Symphonie der Umgebungsgeräusche zu „sein“.

Möglicherweise haben Sie sich dabei ertappt, dass Sie dem simplen Akt des Lauschens ein paar Extraaufgaben hinzugefügt haben. So haben Sie die Geräusche vielleicht mit den Etiketten „Auto“, „Kind lacht“, „Tür schließt sich“ versehen. Das ist zusätzliche Arbeit. Oder Sie haben sich gewünscht, an einem schöneren Ort zu sein, beispielsweise auf dem Land, wo man angenehmere Geräusche erwarten kann. Das erzeugt ein wenig Stress. Und wahrscheinlich sind Ihre Gedanken sehr schnell abgeschweift. Sie haben sich vielleicht gefragt, ob Sie die Übung richtig machen oder ob Sie sich eine leisere Klimaanlage anschaffen sollten. Jeder dieser automatisch ablaufenden mentalen Prozesse – Benennen, Urteilen, sich in Gedanken verlieren – macht das Lauschen ein bisschen schwieriger als nötig.

Machen Sie die Übung möglichst noch einmal. Sie können dann innerlich registrieren, wenn diese mentalen Prozesse einsetzen und sich wieder aufs Lauschen konzentrieren. Sagen Sie zu sich „Benennen“, wenn Sie merken, dass Sie etwas benennen, oder „Urteilen“, wenn Sie urteilen, und „Denken“, wenn Sie sich dabei ertappen, wie Ihre Gedanken abschweifen.

Einen geistigen „Anker“ finden

Unser Geist braucht einen „Anker“, das heißt einen Fixpunkt, auf den er sich beziehen kann. Unsere mentalen Probleme werden zum größten Teil dadurch verursacht, dass unsere Gedanken von einer Sache zur anderen springen, was ziemlich anstrengend ist, oder durch die ständige Beschäftigung mit deprimierenden oder negativen Gedanken oder Gefühlen. Wenn wir das feststellen, müssen wir unserem Geist einen Ankerplatz anbieten – einen neutralen und ruhigen Fixpunkt. Genau das tat George, wenn er über seinen „Hier-und-Jetzt-Stein“ strich, und Sie taten es ebenfalls, als Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit immer wieder zu den Geräuschen in Ihrer Umgebung zurückkehrten. Dieses Verankern hilft uns, innerlich ruhig zu werden.

Am häufigsten wird der Atem als geistiger Anker genutzt, und dafür gibt es ein paar gute Gründe:

• Wir atmen 24 Stunden am Tag.

• Es ist relativ einfach, sich auf den Atem zu konzentrieren, weil er eine spürbare Bewegung im Körper verursacht.

• Der Atem ist etwas Vertrautes und kann somit ein sicherer Hafen vor den Stürmen des täglichen Lebens sein.

• Er funktioniert automatisch, ohne persönliche Anstrengung.

• Er ist unser treuester Freund, der uns von der Geburt bis zum Tod begleitet.

Den eigenen Atem achtsam wahrzunehmen ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Aufmerksamkeit zu schulen und sich in den gegenwärtigen Moment zu bringen.

Für manche Menschen mag die Konzentration auf den Atem allerdings problematisch sein, beispielsweise für diejenigen, die physische Traumata erlitten haben. Sie wollen ihren Körper vielleicht gar nicht spüren, weil dadurch schlimme Erinnerungen ins Bewusstsein dringen könnten. Menschen, die ständig um ihre Gesundheit besorgt sind, stellen vielleicht fest, dass die Konzentration auf einen bestimmten Körperteil neue Ängste auslöst. Wer immer alles ganz korrekt machen will oder unter Zwangsstörungen leidet, könnte bei der Konzentration auf den Atem rigide werden und dadurch vielleicht Atemprobleme bekommen. Andere, die unzufrieden mit ihrem Aussehen sind oder sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen, empfinden es möglicherweise allgemein als unangenehm, durch den Atem intensiv in Kontakt mit dem Körper zu kommen.

Haben Sie das Gefühl, dass eines der oben genannten Probleme auf Sie zutreffen könnte, sollten Sie sich einen anderen „Ankerplatz“ für ihren Geist suchen. Er muss nur leicht und unmittelbar zugänglich sein. Manche Menschen bevorzugen ein bestimmtes Wort, das für sie eine besondere Bedeutung hat (siehe auch „Centering Meditation, Anhang B). Man kann sich auch auf den Boden unter den Fußsohlen, die im Schoß gefalteten Hände, eine bestimmte Körperregion wie beispielsweise den Herzbereich oder einen Punkt zwischen den Augen konzentrieren. Sollte es Ihnen schwerfallen, die Aufmerksamkeit in den Körper zu lenken, können Sie sich auch auf ein äußeres Objekt konzentrieren. Was Sie auch als geistigen Anker wählen, es wird im Laufe der Zeit wie ein guter Freund.

Die folgende Übung zeigt Ihnen, wie man den Atem als Anker benutzt, aber Sie können ihn jederzeit durch ein anderes Konzentrationsobjekt ersetzen.

Achtsam atmen

Diese Übung dauert 15 Minuten. Suchen Sie sich einen ruhigen, angenehmen Platz. Ihre Sitzhaltung sollte so sein, dass Ihre Muskulatur vom Knochengerüst gestützt wird, damit Sie während der gesamten Übung mühelos in derselben Position bleiben können. Dazu setzen Sie sich mit geradem Rücken hin, lassen die Schultern etwas nach hinten fallen und senken das Kinn zum Brustkorb. Sie können den Rücken anlehnen und mit einem Kissen unterstützen.

• Atmen Sie drei Mal langsam ohne Anstrengung ein und aus, um sich zu entspannen und alle Belastungen, die Sie mit sich herumtragen, loszulassen. Schließen Sie die Augen halb oder ganz, je nachdem, was sich angenehmer anfühlt.

• Lassen Sie nun ein inneres Bild von sich entstehen. Visualisieren Sie sich in Ihrer Sitzhaltung auf dem Stuhl oder Sessel, so als würden Sie sich von außen sehen. Lassen Sie Körper und Geist einfach so sein, wie sie jetzt sind.

• Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit dann auf Ihren Atem. Achten Sie darauf, wo Sie den Atem am stärksten spüren. Manche Leute fühlen ihn besonders an den Nasenöffnungen, vielleicht als kühle Brise über der -Oberlippe. Andere nehmen stärker das Heben und Senken des Brustkorbs wahr und wieder andere spüren ihren Atem am deutlichsten im Bauchraum, wenn sich der Bauch beim Einatmen ausdehnt und beim Ausatmen zusammenzieht. Finden Sie heraus, wo Sie Ihren Atem am besten wahrnehmen können.

• Achten Sie nun darauf, wann Sie den Atem am stärksten spüren: beim Ausatmen oder beim Einatmen. Ist die Wahrnehmung in etwa gleich, konzentrieren Sie sich auf eines von beiden. (Der Einfachheit halber gehe ich ab jetzt davon aus, dass Sie sich auf das Ausatmen und die Nase konzentrieren.)

• Achten Sie nun auf Ihr Gefühl bei Ausatmen. Spüren Sie, wie die Luft jedes Mal durch die Nasenlöcher ausströmt. Machen Sie dann beim Einatmen ein bisschen „Urlaub“ und lassen Sie in dieser Pause einfach alles so sein. Spüren Sie Ihren Atem jetzt wieder beim Einatmen.

• Der Körper atmet Sie. Das tut er sowieso automatisch. Nehmen Sie einfach bei jedem Ausatmen bewusst den Luftstrom in der Nase wahr.

• Ihre Gedanken werden immer wieder von der bewussten Wahrnehmung des Atems abschweifen. Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Wenn Sie merken, dass Sie mit den Gedanken woanders sind, kehren Sie einfach wieder zur Empfindung des Ausatmens durch die Nase zurück.

• Werfen Sie einen kurzen Blick auf Ihre Armbanduhr. Falls Sie noch ein paar Minuten Zeit haben, konzentrieren Sie sich jetzt bei jedem Atemzug auf die Bewegung Ihres gesamten Oberkörpers. Denken Sie nicht zu viel darüber nach. Spüren Sie einfach die Lebendigkeit und Bewegung Ihres Körpers beim Atmen.

• Öffnen Sie nach 15 Minuten langsam die Augen. Richten Sie den Blick nach unten und genießen Sie die Stille des Augenblicks, bevor Sie sich wieder anderen Dingen zuwenden.

Wahrscheinlich haben Sie bei dieser Übung bemerkt, dass ständig mentale und emotionale Prozesse ablaufen. Es ist sehr schwierig, inmitten all dieser konkurrierenden Gedanken und Gefühle beim Atem zu bleiben. Kaum haben wir uns voll auf das Ausatmen konzentriert, sind wir auch schon wieder geistesabwesend und folgen einem neuen Gedankengang. Vielleicht haben Sie gerade gedacht: „Oh, das ist ein schöner Atemzug“ und waren beim Einatmen bereits mit einer anderen Körperempfindung oder Ihren Plänen für den Tag beschäftigt. Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf ein gleichbleibendes, neutrales Objekt (anstatt auf etwas Neues oder Herausforderndes), wendet sich unser Gehirn sehr schnell anderen Dingen zu.

Durch das achtsame Wahrnehmen des Atems können wir uns darin üben, auf ein einziges Objekt konzentriert zu bleiben, aber Sie sollten nicht erwarten, dass Ihre Aufmerksamkeit unerschütterlich auf den Atem gerichtet bleibt. So funktioniert unser Gehirn nicht. Kehren Sie mit der Aufmerksamkeit einfach immer und immer wieder zum Atem zurück, wenn Sie feststellen, dass Ihre Gedanken abschweifen. Das ist alles. Denken Sie an den Zen-Spruch: „Wenn du sechs Mal hinfällst, stehe ein siebtes Mal auf.“ Leute, die behaupten: „Ich kann nicht meditieren“, gehen wahrscheinlich von der falschen Annahme aus, dass sie sich intensiver konzentrieren müssten.

Ablenkungen sind Teil der Meditation. Wir sollten jeden Augenblick, in welchem wir eine Ablenkung als solche erkennen, willkommen heißen und nicht als Gelegenheit zur Selbstkritik betrachten, denn er zeigt uns, dass wir gerade aus unseren Tagträumen „aufgewacht sind“.

Manchmal kann Tagträumerei auch eine gute Sache sein, beispielsweise eine Quelle kreativer Inspiration, ähnlich wie Sigmund Freud unsere nächtlichen Träume als den „Königsweg zum Unbewussten“ beschrieb. Wesentlich ist, dass wir wissen, wann wir Tagträumen und gelegentlich aufwachen. Leider geht unsere Aufmerksamkeit in den Tagträumereien meistens verloren und wir leiden unter belastenden Gedanken wie „Sehe ich fett aus?“ oder „Das war doof!“ Wenn wir dann zum Atem zurückkehren, bekommen wir eine Verschnaufpause. In diesem Moment gibt es kein Problem. Schauen Sie einmal, was passiert, wenn Sie, aufgeregt oder verärgert, einen Spaziergang machen und sich nur darauf konzentrieren, wie sich Ihre Fußsohlen beim Auftreten auf den Bürgersteig anfühlen. Keine Vergangenheit, keine Zukunft … kein Problem.

Das „Default–Netzwerk“

Im Jahre 2001 identifizierten die Hirnforscher Debra Gusnard und Marcus Raichle ein ganzes Netzwerk von Hirnarealen – das sogenannte Default Network –, die in Ruhe aktiver oder stärker vernetzt sind und die inaktiv werden, wenn Aufmerksamkeit gefordert ist, beispielsweise eine Aufgabe gelöst werden soll. Wenn die Gedanken während der Meditation „auf Wanderschaft gehen“ wechselt das ganze Gehirn in einen speziellen Modus, den Default Mode. Das Default Network arbeitet im Hintergrund, es verbindet unsere Vergangenheit mit der Zukunft und gibt uns ein „Ich-Gefühl“. Normalerweise werden wir nur dann auf es aufmerksam, wenn es versagt, wie beispielsweise bei Alzheimer-Patienten, die „mental leer“ erscheinen.

Guiseppe Pagnoni et al. von der Emory University beobachteten das Default Network während der Meditation mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie. Sie baten zwei Gruppen von Studienteilnehmern – Zen-Praktizierende, die über einen Zeitraum von drei Jahren täglich meditiert hatten und eine Vergleichsgruppe ohne jegliche Meditationserfahrung – sich auf ihren Atem zu konzentrieren, dabei gelegentlich zu entscheiden, ob eine gezeigte Buchstabenfolge ein echtes englisches Wort bildete („Begriffsverarbeitung“) und dann wieder zum Atem zurückzukehren. Die mentale Verarbeitung von Begriffen aktivierte das Default Network. Dabei zeigte sich, dass die Zen-Praktizierenden schneller in der Lage waren, zum Atem zurückzukehren und das Default-Network abzuschalten als die Teilnehmer der Vergleichsgruppe. Sie konnten sehr rasch die Assoziationskette unterbrechen, die durch das Nachdenken über die Bedeutung der Wörter spontan in Gang gesetzt wurde. Die Autoren der Studie nehmen daher an, dass diese Fähigkeit dazu beitragen kann, psychische Störungen zu lindern, die mit einem Hang zum Grübeln einhergehen, wie beispielsweise Zwangsstörungen, Angststörungen und schwere Depressionen.

Warum wir überhaupt ein solches Default Network haben, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Gusnard und Raichle vermuten aber, dass dieses Netzwerk unerlässlich für unser mentales Funktionieren ist. So ist beispielsweise der dorsomediale präfrontale Kortex, ein Hirnareal, das aktiv ist, wenn wir unsere eigenen Gedanken und Worte sowie die Handlungen anderer beobachten, Teil des Default Netzwerks. Dieser ist anscheinend nicht nur an der „freien Assoziation“ und dem „Schweifen der Gedanken“ beteiligt, sondern auch an unseren Zukunftsplanungen. Meditierende sollten sich also nicht dafür verurteilen, wenn ihre Gedanken abschweifen, denn ihr Gehirn tut etwas, das es von Natur aus im Ruhezustand tun muss.

Sollten Sie feststellen, dass sich Ihr Stresspegel bei der Übung „Achtsames Atmen“ erhöht, versuchen Sie sie anders zu machen. Lassen Sie als Erstes den Gedanken los, „es richtig machen zu wollen“. (Sie werden es nie richtig hinbekommen, und Sie werden es nie falsch machen.) Lernen Sie, harmonisch mit dem Geist zu arbeiten, so wie er ist. Es werden immer wieder Erinnerungen oder Gefühle hochkommen, die Ihre Konzentration stören, und es gibt keinen Grund zu verzweifeln, wenn das geschieht. Wir meditieren nicht, um „besser zu werden“, sondern, um unser zwanghaftes Bestreben, alles besser zu machen, aufzugeben. Einen erfahrenen Praktizierenden erkennt man daran, dass er bereit ist, urteilsfrei immer wieder zum Atem zurückzukehren – Jahrzehnte lang.

Das Ausrichten auf und Verankern der Aufmerksamkeit im Atem ist mehr als ein Hilfsmittel, um Konzentrationsfähigkeit und Gelassenheit zu üben – es hilft Ihnen, zu erkennen, wie Ihr Geist funktioniert. Es ist, als ob man eine Kamera ruhig hält, um eine Aufnahme zu machen. Die drei Übungen, die Sie bisher kennengelernt haben, haben Ihnen gezeigt, wie rasch der Geist abschweift, vergleicht, urteilt, und alles, was er wahrnimmt, mit einem Etikett versieht. Je öfter und länger Sie meditieren, desto mehr werden Sie über Ihren Geist herausfinden. Und Sie werden auch eine Menge über sich selbst herausfinden: über Ihre Gefühle, Erinnerungen und darüber, wie Sie auf verschiedene Umstände reagieren.

Zu wissen, dass Ihnen Ihr Anker jederzeit Zuflucht bietet, lässt Sie mutiger werden auf Ihrer inneren Entdeckungsreise. Wie ein Kind, das sich ängstlich hinter dem Rock seiner Mutter versteckt hat, wagen wir eher einen Blick in unsere turbulenten Innenwelten, wenn wir wissen, dass wir uns beruhigen können, indem wir zum Anker (Atem) zurückkehren.

Achtsamkeit auf den Körper

Der Körper ist die Basis der Achtsamkeitsschulung. Wir leben in einem Körper, also müssen wir, um das Leben in seiner Ganzheit wertschätzen zu können, auch den Körper ganz wahrnehmen und spüren. Wenn wir uns in Achtsamkeit üben, sollte der Körper für uns nicht weniger wichtig sein als der Geist. Alles, was jetzt da ist, kann als Objekt für achtsames Gewahrsein dienen. Da die körperlichen Abläufe relativ langsam und gleichbleibend sind, eignet sich der Körper ausgezeichnet als „Aussichtspunkt“ zur Beobachtung unserer Gedanken und Gefühle. Beim Versuch, in der Achtsamkeitsmeditation das Denken zu beobachten, haben wir ein Problem, weil unsere Gedanken so schnell kommen und gehen, dass wir ihnen kaum folgen können. In dem Moment, da wir ihrer gewahr werden, sind sie schon wieder Vergangenheit. Außerdem verliert sich der sich selbst beobachtende Geist leicht in seinen eigenen Gedankengängen. Es ist viel leichter, im gegenwärtigen Augenblick bewusst zu bleiben, wenn man sich auf den Körper konzentriert. Durch das Ausrichten auf den Atem haben wir schon mit der achtsamen Körperwahrnehmung begonnen. Jetzt wollen wir unser Wahrnehmungsfeld auf die mit dem Atem einhergehenden Körperempfindungen ausdehnen.

Körperempfindungen achtsam wahrnehmen

Diese Übung dauert etwa 20 Minuten. Nehmen Sie eine bequeme, stabile Körperhaltung ein, schließen Sie die Augen und atmen Sie drei Mal tief und entspannt ein und aus.

• Sehen Sie sich selbst vor Ihrem geistigen Auge. Visualisieren Sie Ihre Sitzhaltung auf dem Stuhl, so als würden Sie sich von außen betrachten.

• Spüren Sie Ihren Atem im Körper und üben Sie ein paar Minuten lang achtsames Atmen. Lassen Sie Ihren Körper von selbst einatmen und atmen Sie jedes Mal bewusst aus – ein Atemzug folgt auf den anderen.

• Dehnen Sie nach ein paar Minuten Ihre Aufmerksamkeit auf den ganzen Körper aus, den Raum, der von Ihrer Haut umhüllt ist. Ihr Körper ist immer aktiv, voller Leben. Lassen Sie Ihre Aufmerksamkeit von der stärksten Empfindung einfangen. Nehmen Sie einfach ein, zwei oder drei Körperempfindungen nacheinander bewusst wahr, beispielsweise Ihren Herzschlag, Ihr Gefühl in den Füßen, eine Verspannung im Nacken, warme Hände, eine kühle Stirn, die aufeinander gepressten Kiefer oder den Kontakt Ihres Körpers mit der Sitzfläche des Stuhles.

• Lassen Sie jede Empfindung einfach da sein. Sollte Ihnen die eine oder andere unangenehm sein, versuchen Sie, sich innerlich vorsichtig dafür zu öffnen.

• Bleiben Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit solange bei einem Körpergefühl, bis sie sich von selbst davon löst, und kehren Sie dann zum Atem zurück. Sie können jedes Mal zum Atem zurückkehren, wenn Sie sich innerlich sammeln und Ihre Aufmerksamkeit wieder ausrichten müssen.

• Öffnen Sie sich dann wieder für die Körperempfindungen, die sich in den Vordergrund drängen und die Sie am stärksten spüren. Alles geschieht ganz langsam und leicht. Es geht darum, bei den Empfindungen zu bleiben, die jetzt da sind, und nicht, so viele Empfindungen wie möglich zu identifizieren.

• Spüren Sie in den verbleibenden 10 bis 15 Minuten abwechselnd Ihren Atem und die vorherrschende körperliche Empfindung. Lassen Sie Ihre Aufmerksamkeit entspannt zwischen dem Atem und den anderen Empfindungen hin und her wandern. Nehmen Sie den Atem dann gleichzeitig mit den anderen Körpergefühlen wahr. Versuchen Sie, ganz im Körper zu sein – atmen Sie, fühlen Sie.

• Öffnen Sie langsam die Augen.

War es für Sie entspannend, nach der bewussten Wahrnehmung anderer Körperempfindungen zum Atem zurückzukehren? Oder war es umgekehrt? Fühlte sich die ausschließliche Konzentration auf den Atem vielleicht beengend an, während die achtsame Wahrnehmung des Körpers als Ganzes etwas Befreiendes hatte?

Die Achtsamkeitsmeditation ist eigentlich ein „Tanz“ zwischen der Konzentration auf ein einziges Objekt und dem nicht zielgerichteten Gewahrsein. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit zu stark auf den Atem konzentrieren und dadurch in Stress geraten, können wir uns entspannen, indem wir uns auch für andere Wahrnehmungen öffnen. Wird unsere Aufmerksamkeit andererseits durch die unablässig auftauchenden Gedanken oder Körperempfindungen hin und her gewirbelt, können wir in der zielgerichteten Konzentration auf den Atem Zuflucht vor dem Sturm finden.

Soll ich meditieren?

Es gibt zwei Arten der Achtsamkeitsmeditation: die formale und die informelle. Bei der „formalen“ Meditation nehmen wir uns Zeit – normalerweise eine halbe Stunde oder länger –, um bewusst wahrzunehmen, was wir empfinden, fühlen und denken. Die „informelle“ Meditation ist ein kurzer Augenblick der Achtsamkeit inmitten unseres geschäftigen Alltags. Beide Formen, die sich hauptsächlich im Hinblick auf den Zeitaufwand und das Ziel unterscheiden, können wir im Sitzen, Stehen, beim Gehen oder Essen praktizieren – immer und überall.

Jede(r) sollte für sich selbst entscheiden, ob eine formale Meditationspraxis für sie oder ihn sinnvoll ist. Diese Form ist natürlich intensiver und bewirkt eine tiefere innere Transformation, indem sie tiefere Einblicke in die Natur des Geistes und unsere persönliche Konditionierung ermöglicht. Wenn Sie sich dazu entschließen, eine formale Meditationspraxis aufzunehmen, sollte sie Ihnen Freude machen und zu Ihrem Temperament und Lebensstil passen. Die wenigsten Menschen sind daran interessiert, noch eine weitere Aktivität in Ihren übervollen Terminplan hineinzupressen. Und das sollten sie auch nicht tun. Ich habe dieses Buch nicht für Menschen geschrieben, deren Hauptanliegen die Meditationspraxis ist, obwohl einige Leser und Leserinnen möglicherweise Geschmack daran finden werden. Die hier beschriebenen formalen Meditationstechniken sollen Ihnen hauptsächlich eine direkte Erfahrung der Achtsamkeit und des Selbstmitgefühls ermöglichen. Sie können Ihnen als Anregung für eine mehr informelle Praxis dienen.

Eine formale Meditationspraxis ist kein Selbstzweck – das Leben selbst ist die Praxis. Es ist gewiss nicht leicht, inmitten der Flut von Sinneseindrücken und emotionalen Reaktionen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind, wach und bewusst zu bleiben. Wie würden Sie sich wohl an einem Morgen fühlen, wenn Ihr krankes Baby Sie die ganze Nacht wach gehalten hätte, Sie im Büro in drei Stunden eine Präsentation abliefern müssten, die Kühlschranktür über Nacht offen gestanden hätte, so dass die geschmolzene Eiscreme auf den Boden tropft und Ihre Babysitterin in Urlaub wäre? Die meisten Eltern würden sich wahrscheinlich schreiend auf dem Küchenboden wiederfinden. So bewusst und präsent zu bleiben, dass man Probleme ruhig und effizient angehen kann, ist eine Fähigkeit, die im Laufe der Meditationspraxis zunimmt. Wenn Sie sich täglich die Zeit nehmen, in der Meditation Ihr Inneres zu erforschen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie dieses mitfühlende Selbstgewahrsein für den Rest des Tages begleitet – sogar in den schlimmsten Momenten.

Durch die formale Achtsamkeitsmeditation können wir vor allem lernen, wie man mit unangenehmen Dingen leben kann. Sie hilft uns, so in unserem Körper zu Hause zu sein, dass sich nicht jeder alltägliche physische und/oder emotionale Schmerz zu einem größeren Problem auswächst. Je nachdem, wie Sie sich gerade fühlen, können Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem richten, einen körperlichen Schmerz untersuchen, zum Atem zurückkehren, ein Gefühl wahrnehmen, das Gefühl im Körper lokalisieren, atmen, den Körper ein wenig entspannen, atmen, Geräuschen aus der Umgebung lauschen, zum Atem zurückkehren und so weiter. Diese Praxis schenkt uns, wie Jon Kabat-Zinn sagt, die Freiheit, auf das Leben zu „antworten“, anstatt zu „reagieren“. Wir können kluge Entscheidungen treffen: „Soll ich das jetzt wirklich essen? Sollte ich jetzt mit meiner Frau (meinem Mann) streiten? Ist dies der richtige Moment, um einem sexuellen Verlangen nachzugeben?“

Wie lange sollte eine Meditationssitzung im Allgemeinen dauern? Normalerweise wird empfohlen, täglich 30 bis 45 Minuten zu meditieren. Es hat sich gezeigt, dass diese Meditationsdauer das allgemeine Wohlbefinden steigert und sogar das Immunsystem stärkt.

Training fürs Gehirn

Im Jahr 2003 fanden Richard Davidson, Jon Kabat-Zinn und Kollegen heraus, dass ein achtwöchiges Training in Achtsamkeitsmeditation (Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion oder MBSR [mindfulness-based stress reduction]), bei dem die Teilnehmer an sechs Tagen pro Woche täglich eine Stunde meditierten, dauerhafte Veränderungen im Gehirn und im Immunsystem hervorruft. 25 gestresste Angestellte eines Biotechnologieunternehmens erhielten eine Unterweisung in Achtsamkeitsmeditation, eine Vergleichsgruppe von 16 Teilnehmern erhielt keinerlei Training. Nach dem Meditationstraining sollten alle Teilnehmer eine der positivsten und eine der negativsten Erfahrungen ihres Lebens aufschreiben. Vor und nach der Schreibübung wurden mittels EEG die Hirnströme der Probanden gemessen. Außerdem wurden Blutproben genommen, um zu ermitteln, wie viele Antikörper sie als Reaktion auf eine Grippeimpfung produzierten.

Die EEG-Aufzeichnungen zeigten, dass bei den Meditierenden eine erhöhte Aktivität auf der linken Seite der frontalen Hirnregion stattfand, einem Bereich, der mit positiven Emotionen assoziiert wird. Diese Gehirnaktivität war sogar nachweisbar, als sie ihre negativen Erfahrungen beschrieben, was darauf hinweist, dass sie gelernt hatten, gut mit unangenehmen oder stressigen Gemütszuständen umzugehen. Die Blutuntersuchungen wurden 4 bis 8 Wochen nach Verabreichung des Grippeimpfstoffs durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass die Meditierenden mehr Antikörper gebildet hatten als die Teilnehmer der Vergleichsgruppe – ein Hinweis auf ein stärkeres Immunsystem. Interessanterweise beobachteten die Wissenschaftler eine Korrelation zwischen der Anzahl der Antikörper und der Aktivierung der linken vorderen Hirnregion: Je stärker dieser Bereich aktiviert wurde, desto mehr Antikörper waren nachweisbar.

Im Jahr 2008 untersuchten auch David Creswell et al. die Wirkung des MBSR-Programms auf die Immunfunktion. Sie führten einen ethnischen Querschnitt von 48 HIV-positiven Patienten in das MBSR-Trainingsprogramm ein und ermittelten danach die Anzahl der CD4 T-Zellen – jener Zellen, die vom AIDS-Virus zerstört werden. (Die CD4 T-Zellen oder T-Helferzellen gelten als das „Gehirn“ des Immunsystems, das den Körper vor Angriffen schützt.) Creswell und seine Kollegen fanden heraus, dass „je öfter Menschen an Kursen in Achtsamkeitsmeditation teilgenommen hatten, desto mehr CD4 T-Zellen waren am Ende der Studie im Blut nachweisbar.“

Charles Raison et al. von der Emory University untersuchten die Auswirkungen von Meditation auf das Entzündungsprotein Interleukin-6. Chronischer Stress führt zu einem erhöhten IL-6-Spiegel, der wiederum ein höheres Risiko für Gefäßerkrankungen, Diabetes, Demenz und Depression darstellt. Die Wissenschaftler verglichen eine Gruppe von Studenten, die an einem 8-wöchigen Kurs in Mitgefühlsmeditation teilgenommen hatten, mit einer Gruppe, die sich alle vierzehn Tage zu einem Gespräch über Gesundheitsthemen getroffen hatte. Anschließend wurden alle Studenten einer Stresssituation ausgesetzt: Sie mussten vor einem Publikum sprechen und Mathematikaufgaben lösen. Zwischen der Gruppe der Meditierenden und der Vergleichsgruppe waren keine eindeutigen Unterschiede im Hinblick auf den IL-6-Spiegel festzustellen. Allerdings wiesen jene Meditierenden, die überdurchschnittlich häufig praktizierten, signifikant niedrigere IL-6Spiegel auf als ihre weniger eifrigen Kollegen, was darauf hinweist, dass Achtsamkeitstraining Stress bedingte Entzündungsreaktionen reduzieren kann.

Vielbeschäftigte Menschen nehmen sich vielleicht ein oder zwei Mal am Tag nur 20 Minuten Zeit für die Meditation, aber das ist auch in Ordnung. Fortschritte scheinen „Dosis abhängig“ zu sein, das heißt, davon, wie viel Training das Gehirn bekommt.

Einige Hirnareale werden sogar dicker, wenn wir jahrelang täglich meditieren. Sara Lazar et al. von der Harvard University untersuchten, ob das Praktizieren der Achtsamkeitsmeditation über einen langen Zeitraum die physische Gehirnstruktur verändert. Sie stellten fest, dass der präfrontale Kortex und die rechte anteriore Insula, jene Hirnregionen, die mit Aufmerksamkeit, innerem Gewahrsein und der Verarbeitung von Sinneseindrücken assoziiert werden, bei Langzeit-Meditierenden dicker waren als bei entsprechenden Kontrollpersonen. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Verdickung des Kortex mit der Anzahl der Jahre der Meditationserfahrung korrelierte und den Alterungsprozess des Kortex (der mit den Jahren dünner wird) aufzuhalten schien.

Die psychischen Mechanismen, die bei einer langfristigen Achtsamkeitsmeditationspraxis ursächlich für die Verringerung des Leidens sind, werden derzeit erforscht. Eine Hypothese lautet, dass unsere problematischen Erinnerungen ihren Stachel verlieren, wenn sie ins Bewusstsein dringen, während wir innerlich ruhig sind – („interozeptive Exposition“). Eine andere besagt, dass wir lernen, unsere Aufmerksamkeit bewusst zu lenken, und dass uns diese Fähigkeit hilft, unsere Emotionen zu regulieren. George tat dies, indem er sich auf seinen „Hier-und-jetzt-Stein“ konzentrierte, wenn er plötzlich von traumatischen Erinnerungen überwältigt wurde. Ein weiterer potentieller Effekt der Achtsamkeitsmeditation ist die „Metakognition“, die Fähigkeit, sozusagen innerlich einen Schritt zurückzutreten und die eigenen Gedanken und Gefühle zu beobachten, anstatt von ihnen überflutet zu werden. Vielleicht ist aber die Tatsache, dass wir im Laufe der Zeit nützliche Einsichten über das Leben gewinnen, das überzeugendste Argument für die Wirksamkeit der Achtsamkeitsmeditation. Wir erkennen, wie sich alles verändert, wie wir unser Leiden selbst erzeugen, indem wir gegen Veränderungen ankämpfen, und wie wir uns unbewusst ein „Selbst“ zusammenzimmern. Die letztgenannte Einsicht ist nützlich, weil wir die meisten unserer wachen Stunden mit dem vergeblichen Versuch zubringen, unser zerbrechliches Ego aufzublähen oder ängstlich vor Angriffen zu schützen. (Mehr über dieses verwirrende, aber dennoch wichtige Thema erfahren Sie jeweils am Ende der Kapitel 4 und 5). Wenn wir diese Einsichten über das Leben tief und dauerhaft verinnerlichen, helfen sie uns, Erfolgen wie Fehlschlägen mit Gleichmut zu begegnen, emotionalen Schmerz in dem Bewusstsein anzunehmen, dass „auch dies vorübergehen wird“ und den Mut aufzubringen, jeden kostbaren Augenblick unseres Lebens zu ergreifen. Anders ausgedrückt: intuitive Einsichten, die uns in der Meditation geschenkt werden, können uns helfen, unsere Beziehung zur Welt flexibler, offener, weniger defensiv zu gestalten.

Was Achtsamkeit nicht ist

• Achtsamkeit ist keine Entspannungstechnik. Wenn uns bewusst wird, was in unserem Leben vor sich geht, ist das manchmal alles andere als entspannend, besonders wenn wir uns gerade in einer schwierigen Situation befinden. Je besser wir uns selbst allerdings kennenlernen, desto weniger werden uns die auftauchenden Gefühle überrumpeln. Unsere Haltung zum inneren Erleben ist dann weniger reaktiv. Wir können emotionale Stürme leichter erkennen und loslassen.

• Achtsamkeit ist keine Religion. Obwohl buddhistische Mönche und Nonnen seit über 2.500 Jahren die Praxis der Achtsamkeit ausüben, ist jede Aktivität, die unser Gewahrsein im Hier-und-Jetzt fördert, eine Achtsamkeitsübung. Wir können Achtsamkeit im Rahmen einer Religion praktizieren oder unabhängig davon. Die moderne wissenschaftliche Psychologie betrachtet die Achtsamkeitspraxis als wesentlichen Faktor bei Heilungsprozessen innerhalb einer Psychotherapie.

• Achtsamkeit ist keine Technik, mit der wir unserem gewöhnlichen Alltag entfliehen. Durch Achtsamkeit stellen wir einen direkten Kontakt zu jedem Augenblick unseres Lebens her, wie trivial oder profan er auch sein mag. In diesem Gewahrsein können die einfachsten Dinge zu etwas Besonderem werden – außergewöhnlich gewöhnlich. So nimmt man das Aroma einer Speise oder die Farbe einer Rose intensiver wahr, wenn man ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Achtsamkeit dient auch dazu, uns selbst intensiver wahrzunehmen, ohne zu versuchen, die profanen, unschönen Seiten unseres Lebens auszublenden.

• Achtsamkeit bedeutet nicht, den Geist „leer“ zu machen. Das Gehirn wird immer Gedanken hervorbringen – das ist seine Aufgabe. Achtsamkeit verhilft uns aber zu einer harmonischeren Beziehung zu unseren Gedanken und Gefühlen, weil wir ein tiefes Verständnis für die Mechanismen des Geistes entwickeln.

• Achtsamkeit ist nicht schwierig. Verlieren Sie nicht den Mut, wenn Sie feststellen, dass Ihr Geist immer wieder abschweift. Das ist seine Natur. Und es gehört auch zu seinem Wesen, sich dieses Abschweifens irgendwann bewusst zu werden. Paradoxerweise werden Sie also genau dann achtsam, wenn Sie darüber verzweifeln, dass Sie nicht achtsam sind. Man kann diese Übungspraxis weder perfekt beherrschen, noch kann man darin scheitern. Deshalb wird sie ja als „Übungspraxis“ bezeichnet.

• Achtsamkeit bedeutet nicht, dem Schmerz zu entkommen. Das zu akzeptieren fällt uns wohl am schwersten, denn wir tun selten etwas ohne den Wunsch, uns besser zu fühlen. Sie werden sich mit Achtsamkeit und Akzeptanz besser fühlen, aber nur, indem Sie lernen, nicht vor dem Schmerz davonzulaufen. Der Schmerz ist wie ein wütender Stier: In einer engen Box eingesperrt wird er wild und versucht auszubrechen, aber auf freiem Feld beruhigt er sich. Achtsamkeit schafft emotionalen Raum für den Schmerz.

Die Praxis der Achtsamkeit im Alltag

Achtsamkeit im Alltag ist eine „informelle“ Meditationspraxis. Kurze Augenblicke achtsamen Gewahrseins können den im Laufe des Tages aufgebauten Stress erheblich reduzieren. Außerdem fühlt es sich gut an, einfach nur zu sein, und sei es auch nur für ein paar Sekunden.

Mit informeller Praxis ist gemeint, dass wir uns bewusst dafür entscheiden, dem Aufmerksamkeit zu schenken, was im Augenblick vor sich geht. Jede momentane Erfahrung ist ein lohnendes Objekt für Achtsamkeit. Das kann bedeuten, dass wir den Vögeln lauschen, unser Essen bewusst schmecken, beim Gehen die Erde unter unseren Füßen spüren, den festen Griff unserer Hände am Lenkrad wahrnehmen, physische Empfindungen identifizieren, indem wir den Körper geistig sozusagen „abtasten“, oder unseren Atem bewusst wahrnehmen. Es könnte auch so etwas Einfaches sein, wie mit den Zehen wackeln. Der gegenwärtige Augenblick befreit uns von unserer „Gedankenmühle“, be- oder verurteilt uns nie und ist unendlich unterhaltsam.

Auch kurze Achtsamkeitsübungen sollten in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden. Ein Artikel in einer psychologischen Fachzeitschrift beschreibt einen 27-jährigen Mann namens James, der geistig leicht zurückgeblieben war und unter einer psychischen Störung litt. Mehrmals wurde er wegen aggressiven Verhaltens in eine Klinik eingewiesen. Während eines solchen Klinikaufenthaltes erhielt er fünf Tage lang zweimal täglich ein Achtsamkeitstraining sowie Anweisungen für die darauffolgende Woche, in der er allein üben sollte. Die Trainingsanweisung lautete folgendermaßen:

• Stell oder setz dich so hin, dass die Fußsohlen flach auf dem Boden aufliegen.

• Atme normal.

• Denk an etwas, das dich wütend macht.

• Richte deine Aufmerksamkeit auf deine Fußsohlen und warte, bis du innerlich wieder ruhig wirst.

Von nun an praktizierte James immer, wenn er wütend wurde, diese „Fußsohlen-Meditation“. Ein Jahr später hatte sich sein aggressives Verhalten signifikant gebessert, er konnte alle Medikamente absetzen und seine Betreuer betrachteten ihn nicht mehr als psychisch krank.

Einen individuellen Zugang zur Achtsamkeit finden

Denken Sie daran, dass Achtsamkeitsübungen, die Sie für sich selbst entwickeln, vor allem eines sein sollten: so angenehm wie möglich. Sie sollen Ihnen Spaß machen. Achtsamkeit stellt sich ganz von selbst ein, wenn uns eine Sache Freude macht. Alle Achtsamkeitsübungen schließen normalerweise drei Elemente ein:

• Innehalten

• Beobachten

• Zurückkehren

Innehalten

Zunächst müssen wir einmal innehalten bei dem, was wir tun. Wenn Sie mit jemandem am Telefon streiten, können Sie einen Moment still sein. Wenn Sie im Stau stehen und sich Sorgen darüber machen, dass Sie vielleicht zu spät kommen, können Sie einmal bewusst tief ein- und ausatmen. Dinge langsamer zu tun macht es uns ebenfalls leichter, achtsam zu sein. Wenn Sie langsamer essen, werden Sie bewusster wahrnehmen, was Sie zu sich nehmen, und geben damit Ihrem Körper vielleicht sogar eine Chance, Ihnen mitzuteilen, wann er genug hat. Wenn Sie langsamer gehen, bekommen Sie mehr von der Umgebung mit.

Beobachten

Beim Beobachten geht es nicht um Distanziertheit oder übertriebene Objektivität. Nein, Sie wollen ein „teilnehmender Beobachter“ sein, der innerlich von der Erfahrung berührt wird. Das Leben pulsiert in Ihnen und Sie sind mittendrin; dennoch können Sie beobachten.

Wenn Sie ruhiger werden wollen, ist es hilfreich, sich auf ein einziges Objekt zu konzentrieren, beispielsweise den Atem. Wollen Sie genauer untersuchen und besser verstehen, was Sie im Moment fühlen, können Sie Ihren Körper geistig „abtasten“ und Ihre Gefühle in Worte fassen: „Wut“, „Angst“, Traurigkeit“. (Im folgenden Kapitel erfahren Sie mehr über Achtsamkeit und Gefühle).

Zurückkehren

Wenn Sie merken, dass Sie sich in Tagträumen verlieren, kehren Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit einfach wieder zum Objekt Ihrer Beobachtung zurück. Falls Sie sich in der Natur aufhalten und Ihre Umgebung achtsamer wahrnehmen möchten, müssen Sie sich vielleicht immer wieder auf die Geräusche des Waldes konzentrieren. Sind Sie gerade beim Gemüseschneiden, wollen Sie mit Sicherheit auf die Entfernung zwischen Ihrem Finger und der Messerklinge achten. (Je näher unsere Finger der Klinge kommen, desto leichter fällt es uns, achtsam zu sein!)

Bewusstes Atmen

Immer wenn Sie sich innerlich blockiert fühlen oder verwirrt sind, können Sie die Situation zunächst mit einem bewussten Atemzug entspannen: Halten Sie einfach einen Moment inne und spüren Sie Ihren Atem. Sie können jederzeit und überall bewusst atmen: wenn Sie mit dem Auto an einer roten Ampel stehen, während einer Konferenz oder wenn Ihr Kind einen Wutanfall hat. Lassen Sie sich auf die aufbauende Erfahrung des Atmens ein. Wenn Sie dann ruhiger geworden sind und wieder klarer denken können, können Sie entscheiden, was als Nächstes zu tun ist. Bewusstes Atmen ist die einfachste und beliebteste Achtsamkeitstechnik. Die Herausforderung besteht darin, sich inmitten des oft hektischen Alltags daran zu erinnern.

Achtsames Gehen

Die Geh-Meditation ist eine wunderbare Methode, besonders wenn man den ganzen Tag über gesessen hat und ein bisschen Bewegung braucht. Achtsames Gehen kann als formale, 20- bis 30-minütige Meditation praktiziert werden oder als „Kurzstrecke“, beispielsweise, wenn Sie zur Bushaltestelle oder vom Auto zum Lebensmittelgeschäft gehen. Bei jedem Auftreten auf dem Gehweg können Sie meditieren. Ein meditativer Spaziergang durch den Wald bietet natürlich eine besondere Gelegenheit, sich für die Schönheit der Natur zu öffnen.

Im nächsten Kapitel richten wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Gefühle: Was sind sie? Woher kommen sie? Wie kann uns Achtsamkeit helfen, mit ihnen umzugehen, und wieso funktioniert das?

Achtsames Gehen

Die Übung sollte 10 Minuten oder länger dauern. Suchen Sie sich einen ruhigen Ort in Ihrer Wohnung, wo Sie mindestens sieben bis zehn Meter geradeaus oder im Kreis gehen können. Beschließen Sie ganz bewusst, diese Zeit zu nutzen, um achtsames, liebevolles Gewahrsein im gegenwärtigen Moment zu üben.

• Bleiben Sie einen Augenblick still stehen, um Ihre Aufmerksamkeit im Körper zu „verankern“. Nehmen Sie Ihren Körper in dieser Position bewusst wahr. Spüren Sie Ihren Körper.

• Beginnen Sie nun, langsam und bewusst zu gehen. Nehmen Sie bewusst wahr, wie es sich anfühlt, einen Fuß zu heben, einen Schritt nach vorne zu machen und den Fuß abzusetzen, während der andere Fuß sich vom Boden löst. Nun machen Sie das Gleiche mit dem anderen Fuß. Achten Sie immer wieder auf Ihre Empfindungen beim Anheben, Tragen und Absetzen. Sie können dabei auch die Worte „Anheben“, „Tragen“ und „Absetzen“ aussprechen, um sich auf die Aufgabe zu konzentrieren.

• Wenn Ihre Gedanken abschweifen, kehren Sie immer wieder zur physischen Empfindung des Gehens zurück. Falls Sie das Gefühl haben, sich schneller bewegen zu wollen, nehmen Sie das einfach wahr und kehren innerlich zu den mit dem Gehen verbundenen körperlichen Empfindungen zurück.

• Üben Sie dies mit Zuneigung und Dankbarkeit. Ihre relativ kleinen Füße tragen Ihren ganzen Körper, Ihre Hüften stützen Ihren Oberkörper. Erleben Sie das Wunder des Gehens bewusst.

• Bewegen Sie sich langsam und fließend, nehmen Sie wahr, dass Sie gehen. Manchen Leuten fällt das am leichtesten, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf den Bereich unterhalb der Knie oder ausschließlich auf die Fußsohlen richten.

• Wenn Sie am Ende Ihres „Gehweges“ angekommen sind, machen Sie eine kleine Pause, atmen Sie einmal bewusst ein und aus, bleiben Sie im Körper verankert und gehen Sie die Strecke auf die gleiche Weise zurück.

• Ist die Meditationszeit um, nehmen Sie sich vor, den ganzen Tag über auf Körperempfindungen zu achten. Nehmen Sie Ihre Empfindungen beim Gehen bewusst wahr, wenn Sie nun etwas anderes beginnen.

Machen Sie diese Übung zunächst (sehr langsam) zu Hause. Später können Sie achtsames Gehen draußen (in der Öffentlichkeit) praktizieren. Den Boden unter unseren Füßen bewusst wahrzunehmen kann uns sehr erden, besonders, wenn wir in Eile oder aufgeregt sind. Manche Leute ziehen es vor, sich beim Gehen nur auf den Atem zu konzentrieren. Das ist auch in Ordnung. Wie bei allen Achtsamkeitsübungen können Sie frei experimentieren und dabei entdecken, was für Sie am besten funktioniert.

Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl

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