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Das mathematische Genie

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Von den Bergen her wehte ein kalter Wind. Noch schneite es nicht, doch das war sicher nur eine Frage von Tagen. Geldersbuch lag in einem Tal, das, eingekesselt von gleich vier Dreitausendern, nur selten die Sonne sah. Im Winter dauerten die Sonnentage fünf oder sechs Stunden und schon herrschte wieder Dämmerlicht. Wie das Wetter, so war auch das Gemüt der hier lebenden Menschen.

»Rumtreiber, Tippelbruder!«

Sie betrachteten ihn, als käme er vom Mars. Tobias, der Anführer der Bande, war ein rothaariger Angeber, ein Snob, der seine Esprit Baseballkappe ständig falsch herum auf dem Kopf trug. Auf der Frontseite der Kappe hatte er ein rundes Abzeichen drauf genäht, auf dem ein blutrotes T vor hellem Hintergrund zu sehen war. Er trat einen Schritt auf Tassilo, den Zigeuner, zu. Auf den Zehenspitzen wippend, sagte er: »Du stinkst und ich möchte wetten, dass Flöhe und Läuse auf deinem Kopf Samba tanzen.«

»Rumba«, erwiderte Tassilo trocken.

»Was?«

»Meine Läuse. Sie tanzen Rumba, nicht Samba.«

Einige Kinder lachten, die Mitglieder der Bande zogen lange Gesichter und Tobias, sein iPhone-7 in der Linken, kriegte den Mund nicht mehr zu. Hatte sich der Zigeunerjunge tatsächlich an ihn gewandt?

»Ich an deiner Stelle würde mich vorsehen. Läuse auf‘m Kopf ist wie Friedhof um halb zwölf.« Daraufhin hielt er Tassilo ein sorgfältig zusammengefaltetes Blatt Papier unter die Nase. »Hör zu. Ich will, dass du diesen Wisch vor versammelter Klasse vorliest. Kapiert? Und zwar Morgen, in der Mathestunde.«

Tassilo kniff die Augen zusammen. Instinktiv wollte er klein beigeben, doch diesmal siegte seine Neugier über die Vorsicht.

»Nein«, sagte er resolut. »Ich sehe mich nicht als dein Handlanger, Tobias.«

In den Reihen der Bande entstand Bewegung. Tobias Freunde wurden unruhig, sie wollten Taten sehen. Mit einem unauffälligen Seitenblick versicherte sich Tobias davon, dass sie noch hinter ihm standen und krempelte dann langsam die Ärmel hoch.

»Du hast es so gewollt, du verdammter Zehenzwischenraumabtrockner.«

Tobias war als Schläger bekannt. Seine Opfer, allesamt schwächer und kleiner als er, konnten ein Lied davon singen. Als Tassilo die Entschlossenheit seines Gegenübers spürte, verkrampfte sich sein Magen. Sein Vater, der ihn einst in die Kunst des Überlebens der ´Reisenden Leute` eingeweiht hatte, pflegte zu sagen: Kämpfe nur, wenn die Aussicht besteht, den Kampf auch zu gewinnen. Tassilo hob ebenfalls beide Fäuste. Er war sich nicht sicher, gewinnen zu können, hatte es aber satt, ständig vor Tobias davonzurennen. Von weitem hörte er den Schrei einer Eule, was ungewöhnlich war zu dieser Tageszeit. Irgendwo bellte ein Hund.

Ja. Sie würden es austragen. Hier und jetzt.

Tobias Grinsen wurde breiter. »Na also. Sonst rennst du immer davon wie ein Wiesel. Hast wohl heute deine Nike nicht an?« Er zog den Kopf zwischen die Schultern und setzte sich in Bewegung.

»Tu das nicht, Tobias!«

Alle Köpfe flogen herum. Erstaunt. Gespannt. Irritiert. Die Gestalt des Mädchens wirkte winzig. Angst ein Fremdwort, fegte sie wie eine Furie heran und zwängte sich zwischen die beiden Streithähne. Dabei bedachte sie Tobias mit einem Blick, der einen Grizzlybären in die Knie gezwungen hätte.

»Jenny?«

Respektvoll wich er einen Schritt zurück. Gleichzeitig sah er sich um. Seinen Freunden lag die Unsicherheit quer und schief im Gesicht. Sie hatten den Atem angehalten. Jenny hatte Tobias nämlich vor nicht allzu langer Zeit eine blutige Nase verpasst. Seitdem stand sie im Ruf, eine gnadenlose Kampffusel zu sein. Tobias fluchte innerlich, denn genau betrachtet blieben ihm nur zwei Möglichkeiten. Entweder vermöbelte er Jenny nach Strich und Faden, was unweigerlich seinen Ruf ruiniert hätte - welcher Kerl vergreift sich schon an einem Mädchen? - oder er machte einen eleganten Rückzieher. In beiden Fällen hätte er die A-Karte gezogen. Während es hinter seiner Stirn fieberhaft arbeitete, musterte er Jenny wütend.

»Halt dich da raus, Jenny. Das ist meine Sache.«

Jenny hörte ihm gar nicht zu. Mit dem Finger zeigte sie in Tassilos Richtung. »Er kann kaum lesen«, fauchte sie. »Na los, her mit dem Wisch. Ich übernehme das.«

Tobias griente. Tat sich da eine dritte Möglichkeit auf? »Du überrascht mich wieder einmal mehr. Aber bitte.« Er reichte ihr das Blatt. An Tassilo gewandt, sagte er. »Du kannst froh sein, dass sie aufgetaucht ist.«

Tassilo zuckte nur mit der Schulter. Er ließ seine Fäuste sinken und drehte Tobias den Rücken zu.

»Sieht so aus, als verdanke ich dir meine Rettung«, sagte er an Jenny gewandt.

Er kannte Jenny kaum. Bisher hatte er ihr nur flüchtige Blicke über die Köpfe der anderen hinweg zugeworfen und jedes Mal dabei gedacht, dass sie ein Mädchen war, das ihm ganz gut gefallen könnte. Was er jetzt aber sah, warf alles über den Haufen. Diese Jenny war Bombe! Jenny, recht irritiert, warf einen Blick auf den Text, den Tobias ihr überreicht hatte. Der begann mit ... alle Zigeuner sind Sockendealer und stinken wie Kanalratten! Es folgten die üblichen Schimpftiraden. Trotz ihrer Sympathie für Tassilo musste sie lächeln. Man konnte über Tobias sagen, was man wollte, einen fantasiereichen Wortschatz, den hatte er.

Sich der prüfenden Blicke Tassilos nur allzu sehr bewusst, straffte sie die Schultern. »Gaff mich nicht so an. Es sollte unter deiner Würde sein, dich mit dem da zu prügeln.«

»Ich hab nicht angefangen«, frotzelte Tassilo.

Jenny trat einen Schritt auf ihn zu, blieb aber so abrupt stehen, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Angewidert rümpfte sie die Nase. »Puh! Ich bin mir zwar fast sicher, dass du keine Flöhe und Läuse hast, aber eine heiße Dusche könnte dir trotzdem nicht schaden.«

Die Meute hinter Tobias brach in schallendes Gelächter aus. Einige rümpften ebenfalls die Nase, andere begnügten sich mit Ausrufen wie Stinkstiefel, Schweineigel, sogar ´wandelnde Jauchegrube` war zu hören. Tassilo war, als hätte ihm jemand ins Gesicht geschlagen. Einer Mauer von Hass und Ablehnung gegenüber stehend, fühlte er sich machtlos. Und einsam. Wie ein in die Enge getriebenes Tier sah er um sich. Er war Roma. Und er war stolz auf seine Herkunft. Aber wie, so fragte er sich, sollte er, Dreikäsehoch und schüchtern wie Vier, es schaffen, Vorurteile aus dem Weg zu räumen die schon seit Jahrhunderten existierten? Dass Zigeuner Zauberer und Wahrsager waren, wussten nur die wenigsten. Wie sollten sie auch, gab es doch niemanden, den es wirklich interessierte. Es gingen irrsinnige Gerüchte umher. Eines davon besagte, dass alle Zigeuner stinkreich wären. Weil sie keine Steuern zahlen müssten, oder so. Tassilo hatte seine liebe Mühe, das zu verstehen, denn seine Eltern waren von jeher arm wie Kirchenmäuse. Warum also diese Lügen, woher diese himmelschreiende Ungerechtigkeit? Das alles ging ihm in Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf, während er gleichzeitig die Gesichter um sich herum musterte. Er horchte tief in sich hinein, suchte vergeblich eine Art von Erkenntnis, eine Antwort gar. Doch schließlich zuckte er nur mit den Schultern. Er weigerte sich fortan, über etwas nachzudenken, was sein Begriffsvermögen überstieg. Jenny und der Bande den Rücken zudrehend, schlenderte er ohne ein weiteres Wort zu verlieren davon. Auf dem Nachhauseweg und nachdem er sich versichert hatte, dass niemand ihn sehen konnte, brach er schließlich in Tränen aus. Am nächsten Tag saß Tobias, Arme und Beine gekreuzt, auf einen der hintersten Sitze des Klassenzimmers und wartete ungeduldig. Er genoss das Getuschel und die anerkennenden Blicke der anderen Mitschüler. Bei Schulbeginn hatten ihn alle, mit Ausnahme von Tassilo, einstimmig zum Klassensprecher gewählt. Nicht etwa weil er intelligenter als andere Schüler war oder in einem Fach besonders glänzte. Weit gefehlt. Sie hatten ihn gewählt, weil er mit seiner FIRMA, (so nannte Tobias seine Bande) gerade unter den jüngeren Schülern Angst und Schrecken verbreitete. Auf den Flugblättern, die sie heimlich auf der Toilette verteilten, stand in krakeliger Schrift zu lesen.

Liste der zur Wahl des Klassensprechers bereitstehenden Kandidaten.

Kandidat 1: Tobias, Strebermann.

Kandidat 2: Strebermann, T.

Kandidat 3: Tobias, S.

AGBs (Allgemeine Geschäfts-Bedingungen) für die Wahl des Klassensprechers: Nur einen Namen angeben! WARNUNG: Wer aus Versehen einen Kandidaten wählt, der NICHT auf der Liste steht, wird von der FIRMA, nach dem Motto, nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer, behandelt.

Pünktlich um acht war es dann soweit. Die Türe öffnete sich und der Lehrer betrat mit Jenny, Tassilo und einigen anderen Nachzüglern im Kielwasser das Klassenzimmer. Noch im Schulhof hatte Jenny Tassilo kurz am Ärmel gezupft und gesagt. »Ich werde ab heute immer ein Auge auf dich haben. Ein scharfes Auge!«

Wie sie das meinte, war Tassilo ein Rätsel. Bodenhausen, der Lehrer für Mathematik, war ein imposanter Mann mit einem spitzen, nach oben gezwirbelten Schnauzbart. Eine mit Silber beschlagene Nickelbrille mit winzigen, kreisrunden Gläsern à la Harry Potter thronte auf einer Nase, die mit roten, winzigen Äderchen durchzogen war. Man sagte ihm nach, dass er gerne tief ins Glas schaute, aber egal. Er war ein Mathematikgenie. Außer Mathematik lehrte er noch Geschichte und Biologie. Mit ihm war der Unterricht nicht nur ein stures Pauken, sondern ein leidenschaftliches Wühlen in der Vergangenheit und ein gnadenloses Vorstoßen in die Zukunft. War er mit den Schülern in Geschichte unterwegs, hatte er die Fähigkeit, den Lehrstoff so lebhaft und auch wirklichkeitsnah vorzutragen, dass seine Schüler glaubten, sie würden neben Hannibal die Alpen überqueren oder an der Seite einer Horde Kreuzritter Jerusalem gegen Salah ad-Dins Wüstenschergen verteidigen. Ebenso verhielt es sich mit Biologie und Mathematik. Jede Minute mit ihm als Pauker glich einem Erlebnis, aus dem man nicht nur als Held, sondern auch noch reich an vermitteltem Wissen hervorging. Bodenhausen, bei den Schülern allgemein bekannt unter dem Spitznamen Hosenboden, stürmte mit langen Schritten auf sein Pult zu. Dann begann eine den Schülern wohlbekannte Zeremonie. Er zog schweigend ein Bild aus seinem Portemonnaie und betrachtete es einige Sekunden lang. Das Bild zeigte ihn als Vierjährigen auf einem Dreirad mit ausgeleierten, verrosteten Stützen. Neben ihm stand seine inzwischen verstorbene Mutter. Er hatte sie vergöttert, vergötterte sie noch. Dann, die Augen feucht vom Raureif, den vermutlich der Wind durchs Klassenzimmer blies, musterte er über den Rand seiner Nickelbrille hinweg jeden seiner Schüler einzeln. Er kannte sie alle. Nicht wenige wichen seinem Blick aus, denn er konnte in ihren Gesichtern lesen, wie in einem Buch. Im Klassenzimmer herrschte derweil ein eisernes Schweigen.

»Tobias«, sagte er schließlich mit einer ungewöhnlich milden Stimme. »Ich muss gestehen, dass ich mich gewaltig in dir getäuscht habe.«

Die Klasse blieb auch nach dieser kleinen Rede stumm. Erst als der Pauker sich geräuschvoll räusperte, ging ein Tuscheln der Erwartung durch die Reihen. Pauker Hosenboden sprach mit Engelszungen? Vorsicht war also geboten!

Er winkte mit erhobenem Finger. »Komm nach vorne, mein Junge.«

Tobias war entsetzt. Er konnte kaum sprechen, geschweige denn laufen.

»Jenny!« Mit einem Kopfnicken rief Hosenboden auch Jenny zu sich.

Am Pult des Paukers angekommen, trat Tobias solange unsicher von einem Bein aufs andere, bis Hosenboden, nun an alle gewandt, endlich die Katze aus dem Sack ließ.

»Jenny wird euch nun einen Aufsatz vorlesen, den angeblich Tobias geschrieben hat.« Sein Blick fiel auf Tobias. »Na ja. Ihr alle kennt ja seine Schreibkünste.«

Die Klasse tobte.

»Der Brief ist Tassilo und seiner Familie gewidmet.«

Bodenhausen wählte seine Worte mit Bedacht, denn Tobias Vater war immerhin der Rektor der Schule. Tassilo errötete. Er wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. In der hintersten Reihe schoss derweil ein Finger in die Höhe. Es war Frank, einer von Tobias Bande.

»Schieß los, junger Mann«, forderte Hosenboden ihn auf. »Ich hoffe, es ist kein Unfug.«

Frank erhob sich. »Herr Lehrer. Es war abgemachte Sache, dass Tassilo diesen Wisch selbst vorliest, aber dafür ist er wohl zu dämlich. Und was Jenny angeht. Sie ist ein Mädchen. Und Mädchen sind doof, das lernen wir Jungs schon in der dritten Klasse. Im Deutschunterricht, bei Frau Watzke.«

Sofort war im Klassenzimmer die Hölle los. Andere Stimmen wurden laut, doch schließlich war es die lange Lisa die, ohne zu zögern, das Wort ergriff.

»Tobias soll vorlesen.«

Jawohl, Tobias soll selbst vorlesen!

Tobias, Tobias, Tobias, tönte es im Chor.

Hosenboden hatte alle Mühe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

»Ruuuhe«, brüllte er, während sein Zwirbelbart auf und ab hüpfte, was wiederum allgemeines Gelächter hervorrief. Jenny nutzte diese Gelegenheit, Tobias das Blatt zuzuschieben. Auf ihrem Gesicht erschien dabei ein unergründliches Lächeln.

In einem Büro eine Etage höher, hatte sich Rektor Strebermann, ein kleiner schmalbrüstiger Mann mit einem ständig selbstgefälligen Lächeln im Gesicht, gemütlich hinter seinem Schreibtisch niedergelassen. Er war stolz darauf, diesen Posten innezuhaben. Stolz, eine Schule zu leiten, in dessen Mauern Friede und Ordnung herrschten. Der einzige Dorn in seinem Auge war der Clan der Zigeuner und die schreckliche Gewissheit, dass einer von ihnen seine Schule besuchte. In Gedanken überquerte er den Schweinsbach und dachte an Tassilos Schwester in dieser verdammten Holzkiste, die sie bei ihren fragwürdigen Darbietungen einfach mittendurch sägten. Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, denn genau in diesem Augenblick begann es im Klassenzimmer unter ihm zu toben. Der Lärm schwoll an und wurde mit der Zeit so laut, dass das ganze Schulgebäude bebte.

Mit einem Satz war der Rektor auf den Beinen. Sicher, dass es sich um eine Rebellion, um einen Aufstand gegen seine Autorität und gegen seine Schule handelte, stürmte er mit wehenden Haaren die Treppe hinunter und flog förmlich ins Klassenzimmer, mitten hinein ins Getöse.

»Was zum Teufel geht hier vor?«

Schlagartig wurde es still. Nur die lange Lisa konnte nicht umhin, hinter vorgehaltener Hand zu kichern.

»Du da!« Strebermann zeigte mit dem Finger auf sie. »Steh gefälligst auf und erkläre mir dein unverschämtes Verhalten.«

»Wenn ich mich weigere?«

»... fliegst du von der Schule!«

Lisa ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit einem triumphierenden Lächeln erhob sie sich, raffte ihre Siebensachen zusammen und schickte sich an, das Klassenzimmer zu verlassen. Kaum an der Tür angekommen, holte Strebermanns Stimme sie ein.

»Schon gut, schon gut. Ich wollte ja nur wissen, über was du dich lustig machst. Setz dich, dumme Gans.«

Lisa grinste, streckte Zeige- und Mittelfinger zum Victoryzeichen in die Luft und ging zurück zu ihrer Bank. Dort angekommen wandte sie sich an den Rektor.

»Da war noch etwas, Herr Rektor.«

»Ich höre.«

»Der Bart von Pauker Hosenboden wackelt wie der von einem alten Ziegenbock«, puffte sie.

»Sei still«, wies der Rektor sie scharf zurecht. Und mit einem Blick in die tobende Klasse. »Ich freue mich ja, dass unser Kollege Bodenhausen bei euch so ein gutes Echo findet, aber das ist zu viel.«

Alle Augen richteten sich auf Pauker Bodenhausen. Der jedoch schien sich köstlich zu amüsieren. Tobias und Jenny standen immer noch wie angewurzelt neben ihm. Tobias zitterte am ganzen Leib und so war es schließlich Jenny, die mit fester und lauter Stimme das Wort ergriff.

»Herr Rektor. Tobias hat sich dazu entschlossen einen Aufsatz vor versammelter Klasse vorzulesen, nicht wahr Tobias?«

Sie boxte Tobias dabei mit ihrem Ellbogen heftig in die Seite, was diesen aus seiner Erstarrung löste. Ein tückisches Grinsen huschte augenblicklich über sein Gesicht.

»Ja, Vater.«

Mit einer Geschwindigkeit, die niemand ihm zugetraut hätte, trat Strebermann einen Schritt auf Tobias zu und versetzte ihm eine saftige Ohrfeige. »Jawohl, Herr Rektor, heißt das«, korrigierte er ihn. »Was ist das für ein Aufsatz?«

Tobias begann zu lesen. »Zigeuner ...«, sprach er und stockte plötzlich mitten im Satz. Er sah aus, als hätte er einen Frosch verschluckt. Verwundert drehte und wendete er das Papier in seinen Händen.

»Lies weiter«, donnerte sein Vater.

Aller Augen richteten sich wie gebannt auf Tobias. Wohl auch deswegen sah niemand die Eule, die draußen auf der verschneiten Fensterbank saß, ins Klassenzimmer starrte und alles genau beobachtete. Dabei erweckte sie ganz und gar den Anschein, zu verstehen, was so alles gesprochen wurde. Hätte jemand genauer hingesehen, so wäre ihm sicher aufgefallen, dass sie sich sogar Notizen machte.

Zigeuner, begann Tobias heiser, sind ehrenwerte, aufrichtige Bürger. Sie zaubern Lächeln auf unsere düsteren Gesichter und bringen Licht in die trüben, dunklen Schatten unserer äh... unserer spießbürgerlichen Herzen. Mit ihren Künsten malen sie kunterbunte Begeisterung auf unsere vom Alltag abgestumpften Seelen. Und das alles für lächerliche zwei Euro fünfzig. Als Tobias den Aufsatz mit Zigeuner sind Menschen wie du und ich beendete, geriet die Klasse außer Rand und Band. Tosender Beifall erklang. Tobias hatte erreicht, was er ursprünglich wollte. Er stand im Mittelpunkt. Doch, so sagte er sich mit hochrotem Kopf, hätte er unter diesen Umständen gerne darauf verzichtet. Der Gewinner dieses abgekarteten Spieles war eindeutig Tassilo.

Blechbrezel

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