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Ganz dicke Freunde

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Zwei Wochen waren seit diesen Ereignissen vergangen. Weihnachten näherte sich mit riesigen Schritten. Es war bitter kalt, dicke Schneeflocken fielen vom silbergrauen Himmel und die Landschaft glich einer weißen Decke, sanft, weich, makellos. Jenny und Tassilo waren längst dicke Freunde geworden. Den Großteil ihrer Freizeit verbrachten sie mit Lisa und einem pausbackigen Jungen namens Karl unten am Schweinsbach. Ihr Terrain war das Lager der Zigeuner, auf der anderen Seite des Bachs. Dort, wo niemand hätte wohnen wollen, dort, wo es im Frühling und Herbst sumpfig und feucht, im Sommer knochentrocken und von Moskitos verseucht und im Winter kalt wie am Nordpol war. Karl saß Lisa gegenüber und hantierte mit einem gefährlich aussehenden Messer. Es hatte einen rabenschwarzen Griff, dessen Ende ein Knauf in Form eines Totenkopfes zierte. Die Augen des Totenkopfes funkelten wie Rubine. Als Zeichen ihres Freundschaftsbundes hatte er auf der silbernen Klinge eine fette 4 eingravieren lassen: Vier Freunde. Das machte schon was her!

»Und? Was habt ihr euch zu Weihnachten gewünscht?«

Diese Frage kam überraschend. Lisa, die sonst stets ein loses Mundwerk hatte und nie um eine Antwort verlegen war, wusste zunächst gar nichts damit anzufangen. Obwohl sie sich für solche Spielchen zu alt vorkam, arbeitete es tief in ihr. Schlimmer noch, nie, so gestand sie sich, hatte sie je eine Frage so berührt.

»Ich weiß nicht, was ich überhaupt davon halten soll«, gab sie zu und machte ein ziemlich ratloses Gesicht. »Ein Fahrrad wär mir ganz recht. So ein silbernes. Silbern wie ein Blitz. Dann könnt ich auf und davon fahren. Weg von hier. Dorthin, wo mich jeden Tag jemand fragt, was ich gern hätte, zu Weihnachten und überhaupt. Aber so einen Ort gibt’s ja nicht. Geldersbuch ist ein elendes Kaff, falls ihrs noch nicht geschnallt haben solltet.«

Karl, das Frettchen, wie er auch genannt wurde, hatte da seine eigene Philosophie.

»Ich finde Weihnachten t-t-toll«, sagte er mit einem süffisanten Grinsen. »Zumindest ist es mal was anders, als …«

»Das fände ich in deiner Situation auch«, unterbrach Lisa ihn scharf. Geniert starrte sie auf ihre Löcher in den Jeans. Die hatten mehr mit roten Zahlen als mit Trendmode zu tun. Frettchen Karl, und nur darauf spielte Lisas Kommentar ab, stammte aus einer reichen Familie. Karl überhörte den tadelnden Unterton in ihrer Stimme. Er redete einfach weiter drauf los. »Ich will ’n iPhone 8 und einen tragbaren DVD- Player von Philips, l-l-letzte Version für sage und schreibe dreihundert achtundneunzig Euro.«

Schweigen.

Erst jetzt merkte er, dass er etwas Falsches gesagt hatte. Er stand auf, zog sich die Mütze vom Kopf und verneigte sich: »Mea Culpa, tut mir leid. Sind wir trotzdem noch Freunde?«

»Klar«, sagte Lisa. »Manchmal aber bist du richtig Snob. Dann könnte ich ausrasten.«

Karl konnte die Zeichen an der Wand sehr wohl lesen. Schnell wechselte er deshalb das Thema. »Was mich an Weihnachten stört, ist, dass es keinen echten W-W-Weihnachtsmann gibt. Mit einer hammermäßigen Kutsche die von zwölf Rentieren gezogen wird oder so ...« Er schwieg eine Weile, während ein Schatten sein Gesicht verdunkelte. »Ellie mochte Rentiere«, fügte er ganz leise hinzu, während seine Augen sich langsam mit Tränen füllten.

Lisa und Tassilo wussten, wie sehr Karl unter dem Tod seiner Schwester litt. Sie kam vor nicht mal einem Jahr bei einem schrecklichen Verkehrsunfall ums Leben. Ein LKW hatte ihren Volkswagen Beetle mit voller Wucht von hinten gerammt, als dieser bei Rot vor der Ampel stand. Karl und sein Vater wurden aus dem Auto geschleudert, doch Ellie, eingeklemmt und bei vollem Bewusstsein, verbrannte darin. Karl gab sich selbst die Schuld, denn normalerweise hätte er hinten sitzen müssen. Karl hatte bereits seinen Bruder verloren, doch diesen düsteren Gedanken verdrängte er, so gut es ging.

»Klugscheißer, Karlie«, sagte Tassilo, um ihn abzulenken. »Du glaubst also nicht, dass es Väterchen Frost gibt?«

Karl, zwölf und clever wie Einstein, glaubte fest an den Weihnachtsmann, doch er wollte sich keine Blöße geben. »Nicht die Bohne«, sagte er deshalb schnell. »Weihnachten an sich ist okay, aber an den Weihnachtsmann zu glauben ist was für Loser.«

Er hielt den Atem an und warf einen schnellen Blick in die Runde. Das Thema schien alle etwas zu verunsichern. Alle, außer Tassilo.

»Wie feiern übrigens Z-Z-Zigeuner Weihnachten?«

Abwesend an einem Strohhalm knabbernd, machte Tassilo ein nachdenkliches Gesicht. Er trug Bluejeans und einen dicken, schwarzen Rollkragenpullover mit einer roten Kapuze. Auf dem Rücken des Pullovers stand in weißen Buchstaben Polizei K-9. Ein schwarzer Schal schützte sein Gesicht vor der klirrenden Kälte.

»Weihnachten? Bei uns? Na ja, es wird viel getanzt. So viel, dass ich mir daheim manchmal vorkomme wie in der Zappelbude. Überhaupt ist es eine ganz schön flippige Angelegenheit. Jeder lacht, jeder singt. Enzo, mein großer Bruder spielt den ganzen Tag auf der Fidel. Drei Tage lang essen wir uns satt. Bis zum Platzen, ich schwöre es. Und ...« Er unterbrach sich. »Na ja, ehrlich gesagt schließe ich mich ganz Karls Meinung an. Die Geschichte vom Weihnachtsmann ist Kinderkram. Wir quatschen uns damit völlig unnötigerweise ein Kotelett ans Ohr.«

»Bingo, Mann«, sagte die lange Lisa. »Leider hast du so was von recht. Letztes Jahr bin ich bei uns im Keller auf eine alte Kiste gestoßen. Na prächtig kann ich euch sagen. Ich mache sie auf und was finde ich? Bart, Mantel und Kapuze. Zunächst dachte ich an Karneval oder daran, dass jemand von meinen Eltern Mantel-und-Degen Komödien à la Cyrano de Bergerac spielt. Bis mir dann ein Licht aufging. Weihnachtsmann? Showbiz, sag ich deshalb da nur. Der kommerzielle Kram steht im Vordergrund. Der Rest ist alles eine große verarsche.«

»Du willst doch nicht etwa b-b-behaupten, dass dein V-V-Vater sich als Weihnachtsmann verkleidet, oder?«

»Mein Vater, mein Onkel oder wer auch immer«, gab Lisa nüchtern zurück. »Tassilo hat's erfasst. Es gibt keinen Weihnachtsmann, aus, basta. Lasst uns damit aufhören, an das zu glauben, was andere uns partout weismachen wollen. Finden wir uns endlich damit ab: Die Welt, in der wir leben, ist realitäts- und schotterorientiert. Wer träumt und deswegen den Zug verpasst, bleibt auf der Strecke. Surfe im Net, bleib up to date und die Welt liegt dir zu Füssen. Sei Kind, schließ die Augen und fang an zu träumen und der moralische Untergang ist dir gewiss.«

Karl tat so, als hörte er Lisa nicht, obgleich die Worte die sie sprach, ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlten. Er hatte so fest an den Weihnachtsmann glauben wollen und nun das. Schöne Bescherung. »Aber warum machen Erwachsenen sowas?«, empörte er sich. »Ich meine, warum kommen sie uns ständig mit diesen naiven Verwandlungskünsten an Weihnachten?«

»Warum?«, fragte Tassilo. »Sie lenken sich damit von ihren Alltagsproblemen ab, denken, wir merken es nicht. Für sie sind wir armselige Kniebeißer, mehr nicht.«

Lisa lachte. »Weißt du was Karl? Bei der nächsten Gelegenheit ziehst du einfach mal ganz fest am Bart vom Heuchel- Weihnachtsmann und fragst deinen Paps oder wer immer es auch ist, selbst.«

»Ich hasse Weihnachten!«

Alle Köpfe fuhren herum. Jenny, die bisher so getan hatte, als ginge sie das alles nichts an, stand mit verschränkten Armen vor ihnen. Lange Zeit sagte sie nichts mehr, starrte nur irgendwo ins Leere, wobei ihr Gesicht zuckte und sich dann förmlich in Tränen auflöste.

»Ich hasse Weihnachten ...«, rief sie erneut. »Der Weihnachtsmann kann mir gestohlen bleiben. Das Leben macht keinen Spaß und ich denke, es wird Zeit, sich daraus zu verabschieden.«

Kaum gesagt, stand sie auf und fegte wie der Blitz davon.

Frettchen Karl und die lange Lisa blickten sich verständnislos an.

»Habt ihr das genauso gehört wie ich?«, fragte Lisa.

»Die wird schon wieder«, gähnte Tassilo. »Mädchen in diesem Alter haben nun mal solche zickigen Anfälle.«

Karl schüttelte den Kopf. »Nicht Jenny. Wir müssen etwas unternehmen sonst tut sie es wirklich!«

»Was? Sich umbringen?«

Lisa nickte. »Ich hab läuten hören, sie hätte da ein Problem mit ihrem Vater. Was da alles so schief läuft weiß ich auch nicht. Karl hat aber recht. Jenny ist nicht der Typ, der leere Versprechungen macht oder nur dumm daher labert.«

Tassilo sprang auf. Er hatte genug gehört. »Worauf warten wir dann noch? Wir müssen ihr hinterher.«

Mit einem einzigen Satz heftete er sich auf Jennys Fersen. Draußen war es fast dunkel. Zu allem Überfluss schneite es inzwischen so stark, dass er kaum über seine Nasenspitze hinweg sehen konnte. Zunächst rannte er einfach blind darauf los, doch schon nach einigen Metern wurde er sich der Absurdität seines Handelns bewusst. Es gab keine Spuren im Schnee. Außerdem war Jenny viel schneller unterwegs als er. Leichtfüßig wie eine Gazelle war sie ihm auf kurzen Distanzen haushoch überlegen. Auch schien sie ganz genau zu wissen, wohin sie wollte. Plötzlich kam ihm ein Einfall.

Das Baumhaus, natürlich!

Der Hang, an dem sie es gebaut hatten, lag auf der anderen Seite des Schweinsbaches unmittelbar unterm Damm. Der Damm, eingebettet in einer Talmulde zwischen den Bergen, war zu dieser Zeit sicher längst zugefroren. Man konnte dessen fast hundert Meter hohe, bedrohlich aussehende Mauer, schon von weitem sehen. Tassilo hatte sich immer schon gefragt, was geschehen könnte, würde diese Mauer eines Tages dem extremen Druck der Wassermengen nachgeben. Jenny und er hatten eine ganze Woche an dem Baumhaus gearbeitet und es war ihr kleines, prickelndes Geheimnis. Dort konnten sie ungestört heile Welt spielen! Urplötzlich hörte es auf, zu schneien. Dafür blies ein eisiger Wind von den nahen Bergen, dessen Gipfel nun silbern glänzten. Ungeachtet der bitteren Kälte stapfte Tassilo weiter durch die dunklen Gassen. Am Ende der Stadt tat sich eine sanfte Hügellandschaft vor seinen Augen auf. Unter seinen Füssen krachten und knirschten kalte Eiskristalle, während sich heiße Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten und seine Spuren sich im Schnee verewigten. Einmal die ersten Hügel hinter sich, ging es urplötzlich steil bergauf. Der zähe Pappschnee reichte ihm bis an die Knie und es dauerte nicht lange, bis seine Beine sich anfühlten wie Blei. Sein Atem hörte sich an wie eine Babyrassel und er wünschte Jenny heimlich zum Teufel. Plötzlich hörte er eine Stimme. Lisa und Karl? Waren sie ihm gefolgt?

»Mach schnell.«

Da war sie wieder. Er blieb stehen, sah zurück.

»Nicht stehen bleiben!«

Die Stimme klang schrill. Und sie klang urig. Wie die ersten empörten Worte eines Trolls, so dachte er, der, tausend Jahre in eine Kiste gesperrt, erstmals das Licht des Tages wieder sah. Im Mondlicht konnte er Karls und Lisas Silhouetten ausmachen. Einige hundert Meter talabwärts, bahnten sie sich ihren Weg zu ihm herauf. Die Stimme. Sie konnte unmöglich von Karl und Lisa stammen. Er rieb sich die Augen, sah sich weiter um und erschrak heftig. Seine eigenen Spuren im Schnee! Sie waren nicht zu sehen. Es war, als hätte eine teuflische Hand die vor zehn Sekunden noch sichtbaren Spuren einfach weggewischt. Doch wer ...?

»Schwing die Hufe, Kamerad. Der Damm bricht, du musst schleunigst weg von hier!«

Das war hinter ihm. Er fuhr herum. Im vagen Licht, dort, wo keines hätte sein dürfen, stand eine uralte Eiche. Auf einem ihrer knorrigen Äste saß eine Eule. Sie starrte ihn unverwandt an.

»Na? Was denn nun?«, fragte sie ihn. Dabei wackelte ihr ganzes Federkleid. »Spreche ich chinesisch?«

Bevor Tassilo seiner Verblüffung Luft machen konnte, war von weit oben, dort wo er den Staudamm vermutete, ein unheimlicher Laut zu hören. Es war ein dumpfes Grollen, so, als würde das Meer in seinen Untiefen riesige Steine und Felsen hin und her bewegen, sie gegeneinander schlagen und gerade in diesem Augenblick an Land spucken. Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm.

Der Damm?

Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gesponnen, bewegte sich der Boden unter seinen Füßen. Die Erde bebte.

»Schneeeeell!« Es war wieder die Eule. »Du hast keine Zeit mehr. Wenn du am Leben bleiben willst, und nur lebend kannst du Jenny helfen, dann folge mir so schnell du kannst.« Die Eule sah über ihre Schulter hinweg und war plötzlich der Panik nahe. »Oh Gott, oh Gott, mir schwant Übles. Lass es nicht schon zu spät sein.« Daraufhin stieß sie sich von ihrem Ast ab und flog, ohne sich noch einmal umzusehen, eilig davon. Für Tassilo, der sich inzwischen von seiner Überraschung erholt hatte, gab es nichts mehr zu überlegen. Er rannte, was seine Beine hergaben. Er flitze auf einen braunen Erdhügel zu, den er noch nie vorher gesehen hatte. Überall lag der Schnee meterdick, dieser Hügel aber war braun vom Dreck. Aus seinem Inneren stieg Dampf. Während er den Hügel hinaufstürmte, dachte er an Jenny. Sie konnte überall sein. Am liebsten wäre es ihm natürlich, sie befände sich bereits im Baumhaus, denn dort war sie sicher.

»Mach dir keine Gedanken um Jenny, sondern nimm die Beine in die Hand!«, schimpfte die Eule, die zurückgeflogen war und nun aufgeregt um seinen Kopf herumflatterte. Kaum hatte sie jedoch die letzten Worte heraus, wurde Tassilo, der bereits auf dem Hügel stand, von eisernen Händen erfasst. Sie rissen ihn von den Füssen, zerrten ihn gnadenlos in die Tiefe. Er wollte schreien, schluckte Wasser, spuckte aus, nur um noch mehr Wasser zu schlucken. Mit einem Schlag wurde es dunkel um ihn.

»Tassilo. Schnell, meine Hand!«

Es war Karls Stimme.

Tassilo würgte, brachte aber kein Wort heraus. Plötzlich spürte er, wie sich Karls Hand um seine eigene schloss. Einen langen Moment sah es so aus, als ob es Karl gelingen würde, ihn ans Trockene und in Sicherheit zu ziehen. Doch dann wandte sich das Blatt. Er verspürte einen wilden Schmerz am Knöchel. Als er durch die halbgeöffneten Schlitze seiner Augen nach unten sah, und erkannte, was die Ursache dafür war, setzte sein Herz für einige lange Sekunden aus. Er blickte direkt in zwei kugelrunde Augen von enormer Größe. Diese saßen im unförmigen Kopf einer Gestalt, die größer war, als jedes Tier, das ihm spontan in dem Sinn kam.

Es waren böse, listige Augen!

Die mächtigen Fangarme dieses Monsters hatten sich einige Male um sein linkes Bein gewickelt und zogen ihn unbarmherzig weiter unter Wasser. Als es ihm gelang, einmal kurz nach oben zu schauen, erkannte er Karls verschwommenen Schatten. Doch der wurde immer kleiner und kleiner, bis er schließlich ganz verschwunden war. Gleichzeitig spürte er, wie die Luft in seinen Lungen knapp wurde. So also sieht das Ende aus, dachte er noch und ließ sich fallen. Immer weiter, immer tiefer …..

Phillipenius der Zweite

»Er ist weg. Er ist einfach weg!«

Lisa gelang es nicht, die Angst aus ihrer Stimme zu verbannen. Karl saß am Rande des tobenden Eisstroms und starrte fassungslos auf seine leeren Hände. Sein Gesicht war eine Maske des Schreckens. Immer wieder schüttelte er seinen Kopf.

»W-w-was war das?« Er sah Lisa an. »Menschenskind, sag was.«

»… einfach weg« stammelte Lisa.

»Wo immer er jetzt auch ist - sollten wir nicht bei ihm sein, anstatt feige hier herum zu sitzen?«

Lisa schüttelte den Kopf. Sie rieb sich die Augen, atmete laut ein und presste den Atem dann wieder laut aus ihren Lungen. »Ich weiß es nicht.« Mehr wollte nicht über ihre Lippen kommen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich gefasst hatte. »Ich wüsste nicht, was wir noch für Tassilo tun könnten, aber wir müssen Jenny finden.«

»Ja, aber wo sollen wir nach ihr s-s-suchen?«

Karl löste den Blick vom immer schneller ansteigenden Wasserpegel im Talweg. Unter lautem Getöse bahnten sich die Fluten unaufhaltsam ihren Weg nach unten, dorthin wo Geldersbuch und seine Einwohner seelenruhig und nichts ahnend schliefen. Gott sei Dank, so dachte er - nein, so hoffte er, würde das Wasser, kurz bevor es mit seiner Urgewalt die kleine Stadt erreichte, in der flachen Ebene seine Kraft verlieren.

»J-J-Jenny hat mir mal was von einem Baumhaus erzählt.« Er sah sich um. »Es muss irgendwo hier oben sein.«

»Dann könnten wir genauso gut eine Nadel im Heuhaufen suchen, Karl, denn Bäume gibt‘s hier wie Sand am Meer. Streng dich an. Hat sie nicht gesagt, wo es zu finden ist? Liegt es ...«

Lisa brachte ihren angefangenen Satz nicht zu Ende. Etwas war plump vor ihren Füssen gelandet. Dieses Etwas entpuppte sich als ein Knäuel aus weißen und braunen Federn. Nur mühsam richtete sich dieses Knäuel auf. Es war eine Eule. Sie war ziemlich mitgenommen.

»Wenn ihr genau solche Knallerbsen seid wie euer Freund, dann gute Nacht!«, sagte sie.

Lisa war sprachlos, während Karl vor lauter Aufregung einen Moment lang sogar das Stottern vergaß.

»Wer zum Teufel bist du?«

»Tut das was zur Sache?«

»Doch, schon«, erwiderte Karl. »Du k-k-könntest dich vorstellen. Das macht man so in unsren Breiten.«

Die Eule warf sich in die Brust. »Phillipenius der Zweite, kurz Fips. Lange Rede kurzer Sinn, wenn ihr eurem Freund helfen wollt, falls es dazu noch nicht zu spät ist, dann krempelt eure Socken hoch.«

»Wohin führst du uns?«

»Zum Nebeneingang einer Höhle, in der das übelste Monster lebt, das je auf Erden existiert hat.«

Dies sagend, ließ Fips Karl und Lisa stehen und flog unter großem Gezeter los.

Als Tassilo die Augen aufschlug, starrte er direkt auf den Rücken des Monsters. Es war eine wabbelnde, unförmige, braune Masse aus Schleim. Dieser wabbelnde Fleischberg hatte einen seiner Fangarme fest um sein Fußgelenk geschlungen und zerrte ihn durch einen tiefschwarzen Gang, an dessen Ende sich ein dunkles, gähnendes Loch befand.

Sein Loch!

»Lass mich los, du Biest!«

Um sich aus der Umklammerung zu befreien, trommelte Tassilo mit beiden Fäusten auf das Ungeheuer ein. Umsonst. Das schaurig- dunkle Loch kam näher und näher.

Blechbrezel

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