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2. Der Hintergrund: das Referat Deutschland, die Judenpolitik und das Auswärtige Amt 1933–1940

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Vor 1940 spielte das Auswärtige Amt eine untergeordnete Rolle in der Gestaltung der Judenpolitik. Judenangelegenheiten galten als innere Angelegenheiten, und das Auswärtige Amt beschränkte sich auf jene Aspekte der „Judenfrage“, die die auswärtigen Beziehungen betrafen. Den beherrschenden Einfluss übten Göring, die SS, das Reichsministerium des Innern, das Reichswirtschaftsministerium und mit Goebbels verbündete radikale Parteimitglieder aus; Außenminister Konstantin von Neurath bzw. ab 1938 Joachim von Ribbentrop konnten mit ihnen nicht mithalten. Ihre Führungsschwäche schmälerte die Effizienz des Auswärtigen Amtes oft selbst dann, wenn sich Judenpolitik und auswärtige Politik überschnitten. Dennoch ist die Haltung, die die Beamten des Auswärtigen Amtes in Sachen „Judenfrage“ in dieser Phase an den Tag legten, wichtig für das Verständnis der späteren Rolle des Amtes.

Wie ihre Kollegen in der gesamten deutschen Bürokratie standen die konservativ-nationalistischen Beamten des Auswärtigen Amtes den antisemitischen Ausschreitungen radikaler Parteimitglieder nicht positiv gegenüber. Sie befürchteten, die „Judenfrage“ könne von anderen ausgenutzt werden, um Deutschland zu isolieren und seine internationale Position zu schädigen. Neurath unterstützte daher Hindenburg, als dieser Anfang April 1933 auf eine Aufhebung des Boykotts jüdischer Geschäfte drängte.1 Den legislativen Ansatz zur „Judenfrage“ fanden die Beamten des Auswärtigen Amtes gleichwohl sympathischer. Darauf bedacht, die Situation von 1918 wiederherzustellen, zeigten sie wenig Verständnis für die Juden, die das Opfer dieser „Restauration“ waren. Obwohl oder gerade weil die „legitimen“ gesetzlichen Beschränkungen der neuen Regierung im Hinblick auf die Rolle der Juden im Leben Deutschlands Proteste aus dem Ausland auslösten, waren Neurath, Staatssekretär Bernhard von Bülow und die Abteilungsleiter des Auswärtigen Amtes entschlossen, Deutschlands Ruf und Ehre gegen diese ungerechtfertigten und unbefugten Eingriffe in innere Angelegenheiten zu verteidigen.

Ein wichtiges Instrument auf dem Weg zu diesem Ziel war das Referat Deutschland, das am 20. März 1933 unter dem Cousin von Staatssekretär Bülow, Vicco von Bülow-Schwante, als Verbindungsbüro zwischen der Wilhelmstraße und der Partei eingerichtet worden war.2 Da Judenangelegenheiten zu den wichtigsten Nazi-Aktivitäten zählten, die Deutschlands Beziehungen zum Ausland betrafen, war es ganz selbstverständlich, dass sie von Anfang an als wichtige Aufgabe des neuen Referats galten. Am 23. März, noch vor dem Boykott und den ersten Rassengesetzen, schickte Bernhard von Bülow seinem Cousin Vicco einen „vertraulichen“ handschriftlichen Brief, in dem er seine eigene, wenig verständnisvolle Sicht der Juden und den Willen, die gegen sie ergriffenen Maßnahmen zu verteidigen, kundtat:

„Für die Direktoren u. mich, ev. auch für die Unterrichtung der Missionen, wäre es als Unterlage für Gespräche mit Diplomaten u. Ausländern gut, einiges Material zusammenzustellen, das die Ursachen der antisemitischen Bewegung in Deutschland erläutert.

Viell. können die Nazi, sonst die inneren Behörden Zahlen u. Daten (unter der Hand) liefern.

Ich habe Diplomaten immer auf den starken Zustrom von Ostjuden hingewiesen sowie auf deren massenweise Einbürgerung durch die sozialistische Preuss. Reg. Darüber müssten Zahlen erhältlich sein. Ferner habe ich angeführt, dass z. B. die ganze Stadtverwaltung von Berlin und die Städt. Krankenhäuser verjudet waren. Ich glaube, das ist richtig u. kann auch belegt werden. Ferner ließe sich viell. ein starker % satz Juden in der Kommunist. Fraktion des letzten Reichstags feststellen. Sicher gibt es auch handgreiflichere Beispiele für das Vordringen der Juden in Justiz, Universität, Schulen u. s. w. seit 1918.“3

Was auch immer seine Vorbehalte gegenüber der Gefahr von Hitlers Außenpolitik gewesen sein mögen: Bülow sorgte sich offenbar weniger um den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland als um den Niedergang der Weimarer Republik.4

Auf Grundlage der handschriftlichen Anweisungen des Staatssekretärs nahm das Referat Deutschland seine Tätigkeit in Judenangelegenheiten als Apologet des Auswärtigen Amtes und Propagandist der antisemitischen Bewegung in Deutschland auf. Bülow-Schwante traf sich persönlich mit Goebbels, um Material zur „Judenfrage“ zu beschaffen; am 19. April 1933 legte er dieses zusammen mit einem Anschreiben vor. Bülow-Schwante behauptete, die derzeitige Situation in Deutschland sei im Wesentlichen eine Reaktion gegen Bewegungen, die seit 1918 ihren Lauf genommen hätten; seit dieser Zeit hätten die Sozialdemokraten massiver Einwanderung von Ostjuden Vorschub geleistet und Juden einen Einfluss auf das öffentliche Leben eingeräumt, der ihrem Prozentsatz an der Bevölkerung in keinster Weise entspreche. Nachdem er diese den meisten konservativen Deutschen genehme Behauptung vorgebracht hatte, bekräftigte er in plumpester Manier die Nazi-Theorie der kommunistisch-jüdischen Weltverschwörung. Die jüdischen Viertel der größten Städte, so schrieb er, dienten als die „üppigsten Brutstätten“ der Kommunisten, die mit den reichen Juden vom Kurfürstendamm, den sogenannten „Edelkommunisten oder Salon-Bolschewisten“, zusammenarbeiteten. Der Kampf gegen den Vormarsch der Juden im Leben Deutschlands sei somit nur die logische Konsequenz des Kampfes gegen Marxismus und Kommunismus.5

Bülow hatte den Eindruck, die Qualität des von Goebbels gelieferten Materials sei „recht dürftig“. Er machte zahlreiche Verbesserungen im Entwurf seines Cousins Vicco und fügte einige Statistiken hinzu; unter anderem behauptete er, mehr als die Hälfte aller Anwälte in Berlin und Ärzte in Berliner Krankenhäusern seien Juden. Trotz einiger Korrekturen von Bülow blieben die haarsträubendsten Teile unverändert stehen. Sowohl Bülow als auch Neurath waren einverstanden, das Schreiben an alle Vertretungen des Auswärtigen Amtes im Ausland weiterzuleiten, wo es zur Förderung des Verständnisses der deutschen Judenpolitik genutzt werden sollte.6 Drei Monate nach der Machtergreifung und auf eigene Initiative hatten die Führungsetagen des Auswärtigen Amtes also offiziell der weltweiten Verbreitung der krudesten Form von antisemitischer Propaganda zugestimmt, um Deutschlands Ruf und Ehre zu verteidigen.

Bülow-Schwante, ein ehemaliger Kavallerie-General, verdankte seine Position im Auswärtigen Amt familiären Beziehungen und hatte die erforderliche Prüfung nie absolviert. Sein Assistent wurde im Mai 1933 Legationssekretär Dr. Emil Schumburg, Karrierebeamter seit 1926, der sich von nun an auf jüdische und polizeiliche Angelegenheiten spezialisierte.7 Die Arbeit des Hochschulabsolventen Schumburg war differenzierter und eher auf die Verwendung durch Deutschlands Diplomaten im Ausland abgestimmt. Die zukünftigen Runderlasse des Auswärtigen Amtes zur „Judenfrage“ betonten, wie diszipliniert die „Deutsche Revolution“ verlaufen sei. Maßnahmen gegen Juden hätten im rechtlichen Rahmen stattgefunden; die Juden seien keineswegs ihrem Ruin ausgeliefert worden, sondern genössen vollständige Freiheit in wirtschaftlicher Tätigkeit. Die endgültige Stellung der Juden in Deutschland könne jedoch nicht definiert werden, solange die Lügenkampagne und der Boykott deutscher Waren anhielten.8

Angesichts des anfänglichen Antisemitismus der alten Garde des Auswärtigen Amtes, wie sie Bülow verkörperte, überrascht es nicht, dass sich unter dem Eindruck des Boykotts deutscher Exporte und dem Hagel an ausländischer Kritik, die die Behandlung der Juden durch die Nazis hervorgerufen hatte, die Wilhelmstraße an die Nazi-Prämisse gewöhnte, das Weltjudentum sei der Feind Deutschlands.9 Nicht nur das Referat Deutschland, sondern das gesamte Auswärtige Amt verteidigte und rechtfertigte die deutsche Judenpolitik. Ein Rückzug als Reaktion auf diese jüdischen Proteste gegen Deutschland war undenkbar, denn dies hätte nach Ansicht der Beamten der Wilhelmstraße eine erbärmliche Kapitulation vor den Feinden Deutschlands bedeutet. Die Nazis konnten sich der Verteidigung ihrer Judenpolitik durch das Auswärtige Amt gewiss sein, wenn sie diese Politik einfach als patriotischen Akt deklarierten.

Die Beamten des Referats Deutschland brachten diesen neuen Konfrontationskurs klar zum Ausdruck. Im September 1934 wurde die Deutsche Botschaft in London informiert, die Anführer der Boykott-Bewegung in Großbritannien seien bereit, nach Berlin zu reisen, um ein Abkommen auszuhandeln: Als Gegenleistung für eine Aufhebung des Boykotts sollte Deutschland zusagen, die deutschen Juden über die bestehende Gesetzeslage hinaus unversehrt zu lassen. Bülow-Schwante schrieb an Bülow, dass nach Ansicht des Referats Deutschland jedwede Verhandlungen oder Abkommen mit egal welchen jüdischen Organisationen oder jüdischen Vertretern für alle Zeiten ausgeschlossen seien. Deutschland müsse immer aus einer Position der Stärke, nicht der Schwäche agieren, und alle Zugeständnisse in der „Judenfrage“ unter wirtschaftlichem oder politischem Druck würden die Juden nicht befrieden, sondern Deutschlands ideologische Position nur unterlaufen. „Je schlechter daher die Wirtschaftslage ist, desto weniger sollte an Kompromisse in der Judenfrage gedacht werden.“ Diese Empfehlung traf so perfekt die Stimmung der Wilhelmstraße, dass Neurath Bülow-Schwantes Runderlass wortwörtlich an alle Vertretungen im Ausland schickte.10

Das Auswärtige Amt wusste, wogegen es in Judenangelegenheiten war – rebellische Ausschreitungen, die nicht nur anti-deutscher Propaganda Vorschub leisteten, sondern angesichts von Protesten im Ausland auch Anlass zum Rückzug gaben. Allerdings wusste es nicht, wofür es war. Es gab keine positive Judenpolitik mit einem klar definierten Ziel, nur negative Sabotage. Entsprechend beteiligten sich die verschiedenen Büros innerhalb des Auswärtigen Amtes an der gleichen Art von Tauziehen um die Judenpolitik, wie sie in größerem Stil auf allen Ebenen des Naziregimes stattfand. So wenig Hitler der Regierung und Partei eindeutige Prioritäten vorgab, so wenige Vorgaben machten auch Neurath und sein Nachfolger Ribbentrop dem Auswärtigen Amt. Selbst bei Aspekten der „Judenfrage“, die wie die Auswanderung oder der Umgang mit jüdischem Vermögen untrennbar mit Fragen der Außenpolitik verbunden waren, hatte das Auswärtige Amt relativ wenig Einfluss auf die Politik.

Seit 1933 hatte das Naziregime die Auswanderung deutscher Juden nach Palästina gefördert, denn Auswanderer konnten aufgrund des Haavara-Abkommens mit Zionisten in Palästina einen Teil ihres in Deutschland blockierten Geldes durch den Export deutscher Waren nach Palästina zurückerhalten.11 Anfänglich unterstützte das Referat Deutschland das Haavara-Abkommen und die Kooperation mit Zionisten, da es die Auswanderung nach Palästina mit der angestrebten Beseitigung der Juden aus Deutschland als völlig vereinbar betrachtete.12 Jedoch nahm Großbritannien zunehmende jüdisch-arabische Spannungen in Palästina zum Anlass, die gesamte Frage des Palästina-Mandats zu überdenken. Der Antritt der Peel-Kommission 1936 und die Möglichkeit einer Teilung Palästinas zwischen Arabern und Juden, die zur Schaffung eines unabhängigen jüdischen Staates geführt hätte, bewirkten einen Meinungsumschwung innerhalb des Referats Deutschland. Schumburg und Bülow-Schwante sprachen sich nun für die Beendigung des Haavara-Abkommens aus. Eine verstärkte jüdische Auswanderung aus Deutschland dürfe nicht durch administrative Maßnahmen erzielt werden, unter denen der Devisenhandel leiden würde, sondern solle durch verstärkten Auswanderungsdrang mittels interner Maßnahmen erzielt werden wie etwa einer Sonderabgabe für Juden, „der die Abwanderung der Juden aus eigener Initiative automatisch zur Folge hätte“. Außerdem solle die Auswanderung der Juden nach Palästina „fragmentiert“, nicht konzentriert verlaufen und die Gefahr eines unabhängigen Judenstaates nicht erhöhen.13

Die Wirtschaftsabteilung des Auswärtigen Amtes stellte sich dem Referat Deutschland entgegen mit der Begründung, vom wirtschaftlichen Standpunkt aus sei jüdische Auswanderung nach Palästina wünschenswerter als eine dezentrale Verteilung unter vielen Ländern, in denen die Emigranten den Boykott deutscher Exporte verstärken würden.14 Die Meinungen gingen darüber auseinander, ob bei der Bewertung des Haavara-Abkommens politischen oder wirtschaftlichen Überlegungen Vorrang zu geben sei. Die Debatte spiegelte einen größeren Graben innerhalb der deutschen Regierung wieder, in der das Wirtschaftsministerium eisern die Weiterführung des Abkommens gegenüber zahlreichen Kritikern verteidigte. Hitler schob eine Entscheidung vor sich her, bis Großbritannien im Januar 1938 den Plan für eine Teilung Palästinas auf unbestimmte Zeit verschob. Da nun nicht länger die Gefahr eines unabhängigen jüdischen Staates drohte, ordnete Hitler schließlich an, die Auswanderung von Juden auf jede Weise weiter zu forcieren.15

Obwohl sich das Auswärtige Amt gegenüber dem Ausland der relativ uneingeschränkten wirtschaftlichen Aktivitäten der Juden in Deutschland rühmte, trug es im Inland wenig zur Weiterführung dieser Politik bei. 1935 wendete Hjalmar Schacht, Reichswirtschaftsminister und Reichsbankpräsident, erneute Angriffe von Julius Streicher und anderen radikalen Parteimitgliedern auf die wirtschaftlichen Aktivitäten der Juden ab. Der schwache Zustand der deutschen Wirtschaft und das vorrangige Ziel der Wiederaufrüstung, so argumentierte er, ließen es derzeit nicht zu, dass die anti-jüdische Kampagne sich auf seinen Kompetenzbereich auswirke. Damit gewann er zumindest zeitweise Hitlers Unterstützung.16

Unterstützung aus dem Auswärtigen Amt erhielt Schacht dabei nicht. Als er am 20. August 1935 eine interministerielle Konferenz einberief, um das Problem zu erörtern, nahm das Amt eine extrem mehrdeutige Position ein. Schumburgs vorbereitender Aktenvermerk für Bülow betonte, innere Maßnahmen gegen die Juden könnten weder aufgeschoben, noch unter Druck des Auslands abgeschwächt werden. Aus rein politischer – und nicht wirtschaftlicher – Perspektive hielte das Referat Deutschland es nicht für wünschenswert, die deutsche Judenpolitik zu mäßigen. Behalte man die Judenpolitik der NSDAP vollständig bei, so sollten jedoch die unauffälligsten Methoden gewählt werden, um so nicht anti-deutscher Hetze im Ausland Vorschub zu leisten.17 Bülows Beitrag zur Konferenz spiegelte diese allgemeine Verwirrung wider. Auf der einen Seite führte er an, Exzesse gegen die Juden seien eine außenpolitische Last für Deutschland. Angesichts der bevorstehenden Olympischen Spiele und des erwarteten Zustroms von Ausländern seien Vorfälle wie die Ausschreitungen auf dem Kurfürstendamm schlichtweg untragbar. Auf der anderen Seite wandte sich Bülow gegen die Veröffentlichung einer Anordnung des Reichsministers des Innern, Frick, die darauf zielte, derartige Ausschreitungen zu stoppen; Bülows Ansicht nach würden diese vom Weltjudentum nur als Sieg der Boykott-Bewegung interpretiert werden.18

Im Februar 1938 löste Joachim von Ribbentrop Neurath als Außenminister ab, und Vicco von Bülow-Schwante wurde zum Botschafter in Belgien ernannt. Dr. Walter Hinrichs, ein eher älterer Karrierebeamter, wurde bis September 1939 neuer Leiter des Referats Deutschland. Danach übernahm Dr. Emil Schumburg die offizielle Leitung, wenn er auch bereits seit langem die treibende Kraft hinter vielen Maßnahmen des Referats gewesen war.19 Das Referat Deutschland erhielt nicht nur eine neue Führung, sondern verlor auch einen Teil seiner Aufgaben. Ende 1938 wurde seine Funktion als Verbindungsbüro zur NSDAP dem neu geschaffenen Referat Partei unter einem Protegé von Ribbentrop namens Martin Luther übertragen. Dem gestutzten Referat Deutschland blieb die Zuständigkeit für Judenangelegenheiten und die Verbindungsarbeit zu SS und Polizei.20

1938 machten sich rasche und dramatische Veränderungen in der Judenpolitik bemerkbar, die im Sieg von Göring und Himmler über ihre Rivalen, der Verdrängung von Juden aus der deutschen Wirtschaft und dem Versuch gipfelten, jüdische Auswanderung zu beschleunigen. Göring eröffnete den Angriff auf wirtschaftliche Aktivitäten von Juden mit dem April-Dekret, demzufolge jeder vermögende Jude in Deutschland diese Vermögenswerte (sowohl in Deutschland als auch im Ausland) anmelden musste; darüber hinaus konnte sein Vermögen im Einklang mit den Interessen der deutschen Wirtschaft eingesetzt werden.21 Da die Gesetzesvorlage keinerlei Ausnahmen für Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit vorsah, wurde das Auswärtige Amt um Stellungnahme gebeten.

Bis dato hatte das Amt auf der Gültigkeit der deutschen Judengesetze für alle in Deutschland lebenden ausländischen Juden bestanden. Protesten aus dem Ausland entgegnete man, dies stelle keinen völkerrechtlichen Bruch dar, denn ausländischen Juden gestehe man die gleichen Rechte wie deutschen Juden zu. Allerdings traf dies nur auf zivilrechtliche Fragen zu. Erst 1937 hatte das Auswärtige Amt darum gebeten, das Vermögen ausländischer Juden von diskriminierender Behandlung auszunehmen.22

Zunächst nahm das Referat Deutschland nun den Standpunkt ein, ausländische Juden hätten auch in Bezug auf ihr Vermögen vollständig Görings neuer Verordnung zu unterliegen. Proteste aus dem Ausland zwangen Schumburg jedoch dazu, seine Position zu überdenken, und er teilte Bülows Nachfolger, Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, daraufhin mit, der interne Nutzen der derzeitigen Politik stände in keinem rechten Verhältnis zu den politischen Nachteilen im Ausland.23 Weizsäcker trug die Vorbehalte des Auswärtigen Amtes dem Wirtschaftsministerium vor, und Göring war zu zwei Zugeständnissen bereit. Nur ausländische Juden in Deutschland, nicht jedoch Juden mit Wohnsitz im Ausland, sollten ihr deutsches Vermögen anmelden müssen; was den Einsatz ihres Vermögens anging, werde man die Staatsrechte von Ausländern berücksichtigen.24 Angesichts des ersten großen Angriffs auf jüdisches Vermögen unternahm die Wilhelmstraße also keinerlei Versuch, eine pauschale Ausnahmeregelung für ausländisches Vermögen von Juden in Deutschland zu erwirken. Die Anwendung aller zukünftiger Gesetze, die jüdisches Vermögen betrafen, sollte von nun an im Hinblick auf Staatsverträge und politische Zweckdienlichkeit im Einzelfall untersucht werden. Das Auswärtige Amt zog dieses komplizierte Prozedere einer allgemeinen Ausnahmeregelung für ausländische Juden vor, denn diese hätte im Ausland womöglich zum Schluss geführt, Deutschland beuge sich ausländischem Druck.25

Die polnische Regierung hatte bereits ein Gesetz verabschiedet, nach dem polnische Staatsangehörige, die sich seit fünf Jahren im Ausland aufhielten, ausgebürgert werden konnten. Anfang Oktober 1938 ordnete sie nun an, dass ab dem 30. Oktober nur noch von einem Konsul abgestempelte Pässe zur Wiedereinreise nach Polen berechtigten. Ribbentrop befürchtete, zahlreiche polnische Juden könnten nach dem 30. Oktober in Deutschland eingeschlossen werden. Da es von polnischer Seite keinerlei Meldungen gab, die diese Befürchtung entkräfteten, bat er Heydrich und die Gestapo, mit der Ausweisung polnischer Juden am 28. Oktober zu beginnen. Polen schloss seine Grenzen und drohte im Gegenzug damit, deutsche Bürger aus Polen auszuweisen. Schließlich einigte man sich auf einen „Waffenstillstand“. Das Schicksal der deportierten Juden wurde zum Gegenstand langwieriger Verhandlungen zwischen dem Auswärtigen Amt und Polen und führte schließlich zu einer Kompromisslösung.26 Die Arbeit der niederen Ränge bei den Verhandlungen übernahm dabei die Rechtsabteilung, die für Fragen in Deutschland lebender Ausländer, Pässe und Ausweisungen zuständig war – nicht das Referat Deutschland.

Ein Nachspiel der Affäre war die Ermordung des deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris durch Herschel Grynszpan, dessen Familie sich unter den deportierten polnischen Juden befand. Goebbels gab daraufhin den Startschuss für die Ausschreitungen der Kristallnacht. Hitler übertrug die Verantwortung für Judenangelegenheiten nun Göring, der beschleunigte Arisierung und forcierte Emigration anordnete. Da Fälle, die das Vermögen ausländischer Juden betrafen, individuell untersucht werden mussten, brachte die Beschleunigung der Arisierung jedoch erheblichen Verwaltungsaufwand im Auswärtigen Amt mit sich; dennoch wurde keine neue Grundsatzentscheidung getroffen. Allerdings musste das Auswärtige Amt aufgrund von Görings Wunsch, die jüdische Auswanderung „mit allen Mitteln“ zu fördern, seine frühere Haltung nun überdenken. Auswanderungsmaßnahmen waren untrennbar mit außenpolitischen Erwägungen verbunden, und das Auswärtige Amt hätte Gelegenheit gehabt, seinen Einfluss geltend zu machen. Diese Gelegenheit vertat es jedoch aufgrund seiner inkompetenten und sturen Führung.

Im Sommer 1938 hatte Ribbentrop jegliche Zusammenarbeit mit der internationalen Konferenz im französischen Evian abgelehnt, um das Problem jüdischer Flüchtlinge zu besprechen – ein Problem, das durch Eichmanns systematischen Plan der Zwangsauswanderung österreichischer Juden nach dem Anschluss an Schärfe gewonnen hatte. Ohne die Zusage Deutschlands, jüdische Auswanderung werde ordnungsgemäß fortgeführt und Auswanderer hätten das Recht, ausreichend Vermögen mitzunehmen, um im Ausland neu anzufangen, konnten die teilnehmenden Länder keine Einigung im Hinblick auf ihre Bereitschaft erzielen, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Die Konferenz wurde vertagt, nachdem ein Exekutivkomitee unter Leitung des amerikanischen Anwalts George Rublee eingesetzt worden war; seine Aufgabe war es, einerseits die Deutschen dazu zu bewegen, verträgliche Auswanderungsverfahren anzuwenden, und andererseits andere Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen zu veranlassen.27

Im Herbst 1938 baten Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten wiederholt das Auswärtige Amt darum, einem Vertreter des Exekutivkomitees zu erlauben, nach Berlin zu reisen und die Frage jüdischer Auswanderung zu besprechen; Ribbentrop wies jedoch an, ein derartiger Besuch käme nicht in Frage und entsprechende Anfragen sollten unbeantwortet bleiben.28 Maßgebliche Unterstützung erhielt er dabei von Staatssekretär Weizsäcker; die drei Länder waren die einzigen gewesen, die sich auf der Evian-Konferenz bereiterklärt hatten, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen, und Weizsäcker unterstellte nun, sie seien schlichtweg verärgert, dass Deutschland jüdischen Emigranten keine Devisen zugestehe, und wollten Deutschland die Schuld am Scheitern der jüdischen Auswanderung geben.29 Die alte Garde im Auswärtigen Amt betrachtete das Interesse des Auslands in der „Judenfrage“ als Einmischung von außen in die inneren Angelegenheiten Deutschlands und als Versuch, das Ansehen Deutschlands zu verunglimpfen.

Nur Schumburg schien zu begreifen, wie hinderlich die Politik des Auswärtigen Amtes in Sachen jüdischer Emigration war. Ende Oktober, kurz vor der Kristallnacht, schrieb er, dass die jüdische Immigration aufgrund der steigenden Verdrängung von Juden aus der deutschen Wirtschaft eine zunehmend schwere Last für die Empfangsländer bedeute und zu Gegenmaßnahmen geführt hätte, um dies zu vermeiden. Im Gegenzug hätten die deutschen Behörden verstärkt von illegalen Deportationen über unbewachte Grenzen – die „grüne Grenze“ – Gebrauch gemacht. Jedoch war klar, dass die Emigration von Juden aus Deutschland bald stocken würde und es „daher einer rechtzeitigen, großzügig vorbereiteten und endgültigen Lösung bedarf“. Sollte sich der Außenminister weiter weigern, mit der Evian-Konferenz zusammenzuarbeiten, sei eine Grundsatzentscheidung über die Art jüdischer Auswanderung erforderlich.30

Trotz Schumburgs Drängen erwies sich das Auswärtige Amt allein als unfähig, in der Frage der Judenemigration über eine Politik der bloßen Behinderung hinauszugehen. Im Anschluss an die Kristallnacht und der Entscheidung, die Auswanderung von Juden zu beschleunigen, ging die Initiative, mit Rublee zu verhandeln, von anderer Seite aus. Einer von Görings Männern, Hans Fischböck, schlug vor, die Auswanderung von Juden analog zum Haavara-Abkommen mit deutschen Exporten zu verknüpfen, woraufhin Ribbentrop rein informellen, unverbindlichen Kontakten außerhalb Deutschlands zustimmte. Er plante ein ausgeklügeltes Nacht-und-Nebel-Rendezvous zwischen Fischböck und Rublees Stellvertreter, Robert Pell, in einem Brüsseler Hotel. In der Zwischenzeit hatte Hitler jedoch auch Hjalmar Schacht beauftragt, nach London zu reisen, um die Finanzierung der Emigration von Juden zu erörtern. Das Brüsseler Treffen wurde abgesagt, so dass Ríbbentrop völlig ins Abseits gedrängt wurde.31

Schacht führte in London nicht nur Gespräche mit Rublee und anderen, sondern setzte nach seiner Rückreise nach Berlin am 19. Dezember 1938 einen Nachrichtenartikel in Umlauf, der weitere Treffen zwischen dem Exekutivkomitee und den zuständigen deutschen Behörden vorsah.32 Ribbentrop war empört und beauftragte Weizsäcker, bei Schacht anrufen und ihn wegen des Artikels, der von der Politik des Außenministers abrückte, „zur Rede zu stellen“. Da das Auswärtige Amt seit sechs Monaten Verhandlungen mit der Evian-Konferenz abgelehnt hatte, wollte Weizsäcker wissen, ob Schacht die Befugnis für entsprechende Gespräche gehabt habe. Schacht entgegnete, dass er explizit sowohl von Göring als auch von Hitler beauftragt worden sei; er müsse erst Hitler Bericht erstatten, bevor er die Angelegenheit weiter mit Ribbentrop bespreche; vor seiner Abreise habe er keine Zeit gehabt habe, Ribbentrop über die Reise nach London zu informieren, selbst wenn er das Auswärtige Amt hierfür für zuständig betrachtet hätte. Am 4. Januar 1939 erklärte Schacht Weizsäcker, er habe zwei Tage zuvor Hitler getroffen; dieser habe ihn beauftragt, die Gespräche fortzusetzen und Rublee sogar nach Berlin einzuladen.33

Ribbentrop und Weizsäcker war klar, wie sinnlos eine Fortsetzung der Blockadepolitik war, solange sowohl Hitler als auch Göring hinter Schacht standen. Sie versuchten stattdessen, Schachts Verhandlungen von innen lahmzulegen. Ribbentrop erklärte daher seine Zustimmung zur Fortsetzung dieser Verhandlungen und bestimmte sogar einen Verbindungsmann, Ernst Eisenlohr, der den Verlauf verfolgen sollte. Allerdings instruierte Ribbentrop Eisenlohr, dass die Unterzeichnung eines Abkommens mit Rublee außer Frage stände und Rublee gegenüber kein Versprechen hinsichtlich der Behandlung von Juden in Deutschland – ein Hauptanliegen des Exekutivkomitees – gemacht werden könne.34

Die Schacht-Rublee-Verhandlungen dauerten an, bis Schacht am 20. Januar 1939 plötzlich als Präsident der Reichsbank abberufen wurde. Diese Entlassung hing nicht mit den Rublee-Verhandlungen zusammen, denn Göring betraute umgehend seinen eigenen Stellvertreter für den Vierjahresplan, Helmuth Wohlthat, mit der Fortführung der Gespräche.35 Wohlthat bestätigte eilig den Schacht-Rublee-Plan, der die Auswanderung von 150 000 erwerbsfähigen Juden im Alter zwischen 15 und 45 Jahren über einen Zeitraum von drei Jahren in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Aufnahmeländer vorsah. Sobald sie sich dort eingerichtet hätten, sollten 250 000 Familienangehörige folgen. Etwa 200 000 Juden, die für eine Ausreise zu alt und schwach waren, sollten die Erlaubnis erhalten, in Deutschland in Frieden zu leben. Den auswandernden Juden wollte man gestatten, ihre persönliche Habe und ihr Berufswerkzeug mitzunehmen. Vom Rest ihres Vermögens sollten 25 Prozent in einen Treuhandfond übergehen; dieses Geld konnte nach der Haavara-Methode transferiert werden, wenn es zum Kauf deutscher Exporte diente. Die übrigen 75 Prozent jüdischen Vermögens sollten zur Unterstützung von Juden eingesetzt werden, die auf ihre Ausreise warteten und zur Unterstützung derer dienen, die nicht zur Ausreise in der Lage waren und in Deutschland blieben.36 Nachdem man eine Übereinkunft mit Deutschland erzielt hatte, musste das Exekutivkomitee der Evian-Konferenz noch Siedlungsgebiete für jüdische Emigranten sowie Geldquellen außerhalb Deutschlands erschließen, um die unmittelbaren Kosten der Umsiedlung zu bezahlen.37 Man fand weder das eine noch das andere, und so wurde der Schacht-Rublee-Plan zur organisierten Auswanderung deutscher Juden nie in die Tat umgesetzt.

Als Göring die Forcierung jüdischer Auswanderung auf jede Weise anordnete, verfolgte er selbstverständlich andere Möglichkeiten als die Schacht-Rublee-Gespräche. Am 24. Januar 1939 beauftragte er Reinhard Heydrich mit der Einrichtung einer Reichszentrale für jüdische Auswanderung in Deutschland, einer vergrößerten Version von Eichmanns Organisation in Wien. Als Teil der Reichszentrale setzte Heydrich ein Komitee, bestehend aus Vertretern der verschiedenen in Judenangelegenheiten involvierten Dienststellen, ein, und Hinrichs bat Ribbentrop, ein Mitglied des Referats Deutschland zu ernennen, das das Auswärtige Amt vertreten solle. Um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen, leitete er den jüngsten, von Schumburg am 25. Januar 1939 verfassten Runderlass des Referats Deutschland an Ribbentrop weiter: „Die Judenfrage als Faktor der deutschen Außenpolitik im Jahre 1938.“38

In dem Runderlass erklärte Schumburg, das letzte Ziel der deutschen Judenpolitik sei die Auswanderung aller im Reichsgebiet lebenden Juden. Der Auswanderungswillen der Juden könne am besten durch Maßnahmen gefördert werden, die sie daran hinderten, ihren Lebensunterhalt in Deutschland zu verdienen. Die Evian-Konferenz habe weder die Frage der Finanzierung organisierter Auswanderung noch die der Zielländer klären können. Andere Länder wie Polen seien darauf bedacht, sich nur ihrer eigenen Juden zu entledigen. Deutschland müsse also eigenständig Wege, Mittel und Zielländer jüdischer Auswanderung finden. Palästina sei nicht in der Lage, einen Massenzustrom von Juden aufzunehmen, und die Bildung eines Judenstaates in Palästina sei nicht im deutschen Interesse. Deutschland sei vielmehr an einer Zersplitterung des Judentums interessiert, die zu einer weltweiten Welle von Antisemitismus führen würde und die beste Propaganda für die deutsche Judenpolitik wäre. Hinrichs Bitte und Schumburgs Runderlass waren so überzeugend, dass Ribbentrop der Entsendung eines Mitglieds des Referats Deutschland als ständigem Vertreter des Auswärtigen Amtes in Heydrichs Komitee zustimmte. Für den Posten nominierte Hinrichs Schumburg.39

Dieser Sieg des Referats Deutschland innerhalb des Auswärtigen Amtes war allerdings ein Pyrrhussieg. Heydrich hatte einen rasanten Aufstieg in Judenangelegenheiten erzielt, der bald in der Kontrolle nicht nur über die Auswanderung, sondern auch über die jüdischen Gemeinden in Deutschland gipfeln sollte. Und er dachte gar nicht daran, seine neu errungene Macht mit dem interministeriellen Komitee des Reichszentralbüros für jüdische Auswanderung zu teilen. Auswanderungsangelegenheiten wurden von Heydrichs Gestapo abgewickelt, und Schumburg war trotz seiner Position im interministeriellen Komitee ohne Einfluss. Als Schiffladungen von Juden aus Deutschland ohne irgendein Einreisevisum von Hafen zu Hafen segelten, um die unerbetene Fracht abzuladen, zwang das Ausmaß ausländischen Protests das Referat Deutschland, die Gestapo zu bitten, solch „wilde Transporte“ zu stoppen.40 Diese Bitte blieb ohne spürbare Wirkung.

Nach Kriegsausbruch enthielt man Schumburg und dem Auswärtigen Amt sogar zunehmend Informationen über die Judenpolitik der SS vor, insbesondere den Entwurf für ein Judenreservat in der Nähe von Lublin als Alternative zur stockenden Auswanderung. Als die ersten Judentransporte Mitte Oktober aus Österreich und dem Protektorat aufbrachen, verbreiteten sich Gerüchte über das Reservat in Windeseile. Nach Anfragen seitens der Rumänischen Botschaft wandte sich Schumburg zunächst an Görings Mann Wohlthat, der nichts davon wusste, und dann an die Gestapo. Diese gab zu, dass polnische Gebiete östlich von Krakau inspiziert worden seien, um 1,5 Millionen polnische Juden zu konzentrieren; sie bestritt jedoch, dass Deportationen von Juden aus dem Altreich in Betracht gezogen würden. Ganz im Gegenteil verfolge man jüdische Emigration vorwiegend über Italien.41 Kurz darauf berichtete eine deutsche Nachrichtenagentur, dass 2000 Juden aus Wien auf dem Weg zu einem Siedlungsraum in der Nähe von Lublin seien. Als Schumburg erneut nachhakte, bestätigte die Gestapo den Wahrheitsgehalt des Berichts, weigerte sich jedoch, Einzelheiten zur Einrichtung des Judenreservats anzugeben.42 Auch dem Referat Deutschland gingen Berichte zu, wonach die Presse in Rom das Lublin-Reservat als Faktum behandle und der Londoner „Daily Herald“ von der Deportation polnischer Juden aus Deutschland berichte.43 Während also die Gestapo nur minimale Informationen an Schumburg weitergab, waren er und das Auswärtige Amt sich durchaus über die Installation eines Judenreservats in der Nähe von Lublin im Klaren.

Während Juden (und Polen) aus den angegliederten Gebieten ins Generalgouvernement deportiert wurden, hatte die SS auch Pläne, in Osteuropa angesiedelte ethnische Deutsche heim ins Reich zu bringen. Am 30. Januar 1940 kündigte Heydrich an, dass die Wohnungen von 1000 in Stettin lebenden Juden für diese Aktion benötigt würden; diese Juden würden daher ins Generalgouvernement deportiert.44 Die Deportation, die zum ersten Mal Juden mit deutscher Staatsangehörigkeit betraf, sorgte für Aufsehen. Ausländische Radiosender und die Presse berichteten in allen Einzelheiten von der Härte und Grausamkeit der Deportation, und ein Schweizer Korrespondent behauptete, in ganz Norddeutschland bereite man ähnliche Deportationen vor. Ein anonymer Brief an das Auswärtige Amt – der erste einer Reihe von Briefen zur „Judenfrage“, die in den folgenden eineinhalb Jahren auftauchten – protestierte ebenfalls gegen die Deportation.45

Weizsäcker bat das Referat Deutschland nachzuforschen, ob die Stettiner Deportation tatsächlich der Beginn von allgemeinen Maßnahmen dieser Art im ganzen Reich sei. Sowohl Walter Schellenberg als auch Heinrich Müller im Reichssicherheitshauptamt (dem RSHA, Heydrichs neuem Konglomerat von Polizei und Geheimdiensten) behaupteten, die Stettiner Aktion sei eine Einzelaktion gewesen, die Platz für aus dem Baltikum zurückkehrende Deutsche schaffen solle; sie sei kein Auftakt zu weitergehenden Maßnahmen dieser Art. Schumburg verlangte, dass Deportationsmaßnahmen „auf lautlose und vorsichtige Weise“ ausgeführt werden, um im Ausland kein Aufsehen zu erregen.46

Trotz der Versicherungen des RSHA erhielt das Auswärtige Amt jedoch Mitte März Berichte über die Deportation von 160 deutschen Juden aus Schneidemühl nach Lublin. So wie bereits vorher 250 der 1200 Stettiner Juden gestorben waren, so wurden die Juden aus Schneidemühl in der Nähe von Lublin aus dem Zug geworfen und gezwungen, in bitterer Kälte einen 14-stündigen Marsch zu Dörfern zurückzulegen, wo ihnen weder Übernachtungsmöglichkeiten noch Essen angeboten wurde. Als Schumburg erneut beim RSHA nachhakte, berichtete ihm Eichmann (der unlängst zum Chef des Gestapo-Referats für Räumungsangelegenheiten im RSHA aufgestiegen war), die Schneidemühler Juden seien bereits aus Polen wieder zurückgebracht worden, allerdings nicht nach Schneidemühl, denn ihre Wohnungen dort würden von anderen benötigt.47

Schumburg und Wohlthat, die angesichts der anhaltenden Gerüchte über bevorstehende Großdeportationen aus Deutschland beunruhigt waren, arbeiteten einen Plan aus: Das Auswärtige Amt solle Himmler bitten, „wenn möglich“ von jüdischen Räumungen Abstand zu nehmen und im Gegenzug die jüngste Versicherung des RSHA an ausländische Diplomaten weiterleiten, dass die Aktionen in Stettin und Schneidemühl Notfallmaßnahmen seien, nicht der Auftakt zu einer allgemeinen Deportation der deutschen Juden.48 Doch noch bevor dies geschehen konnte, erfuhren sie, dass aufgrund von Beschwerden von Hans Frank, dem Chef des Generalgouvernements, derzeit keine Aufnahmemöglichkeiten bestünden. Göring habe weitere Deportationen ins Generalgouvernement untersagt.49 Dieses Verbot setzte nicht nur den sporadischen Deportationen aus dem Altreich ein Ende, sondern auch den viel massiveren Deportationen aus den angegliederten Territorien, Österreich und dem Protektorat. Die Pläne für das Lublin-Reservat wurden schrittweise aufgegeben. Sowohl Aufstieg als auch Fall des Reservatsplans spielten sich völlig außerhalb des Dunstkreises des Auswärtigen Amtes ab.

Das Ende des Reservatsprojekts von Lublin ging dem Niedergang des Referats Deutschland um nur einen Monat voraus. Am 7. Mai 1940 richtete Ribbentrop eine neue Abteilung im Auswärtigen Amt unter seinem Protegé Martin Luther ein, die Abteilung Deutschland, die die Zuständigkeit des Referats Deutschland für Judenangelegenheiten und die Verbindung zu SS und Polizei übernahm. Schumburg wurde versetzt, und eine neue Generation von Judenexperten übernahm seinen Platz im neuen Judenreferat, dem Referat D III des Auswärtigen Amts.

Sieben Jahre hatte sich das Referat Deutschland an Judenangelegenheiten beteiligt, jedoch war es nie von großer Bedeutung gewesen. Erstens spielte das Auswärtige Amt keine große Rolle bei der Gestaltung der Judenpolitik, denn diese war in erster Linie eine innere Angelegenheit. Selbst wenn sie die Außenpolitik betraf, konnten weder der träge Neurath noch der inkompetente Ribbentrop mit Göring, Himmler und Heydrich konkurrieren. Zweitens war die Vormachtstellung des Referats Deutschland innerhalb des Auswärtigen Amtes keinesfalls ein fait accompli. Wenn Judenangelegenheiten wie im Falle des Haavara-Abkommen die Wirtschaft betrafen, wusste die Wirtschaftsabteilung ihre Position gegen Widerstand des Referats Deutschland energisch zu verteidigen. Wenn Judenangelegenheiten juristische Formalitäten betrafen, wie es während der Vertreibung der polnischen Juden der Fall war, wurden diese von der Rechtsabteilung bearbeitet. Das Referat Deutschland war damit nur eins von vielen Referaten, die die Judenpolitik des Auswärtigen Amtes gestalteten, und das Auswärtige Amt wiederum spielte nur eine minimale Rolle bei der Gestaltung der deutschen Judenpolitik.

Die Bedeutung des Referats Deutschland lag weniger in seinen Maßnahmen, als in dem, was es über die Haltung des Auswärtigen Amtes zur „Judenfrage“ verriet. Zu Beginn zeigte sich die alte Garde in der Wilhelmstraße wenig besorgt über das Schicksal der deutschen Juden und neigte stattdessen eher zu systematischen, gesetzmäßigen antijüdischen Maßnahmen. Hierin unterschied sie sich nicht von der Mehrheit der konservativen deutschen Bürokratie. Die Verteidigung dieser Politik war für sie nicht nur eine Sache politischer Überzeugung, sondern angesichts der ausländischen Kritik an der deutschen Judenpolitik und des Boykotts deutscher Waren, der von im Ausland lebenden Juden organisiert wurde, auch ein patriotischer Akt. Ein Rückzug oder eine Korrektur der Judenpolitik – ja sogar Verhandlungen über sie – waren indiskutabel, denn dies hätte auf eine Schwäche deutschen Willens, auf Angreifbarkeit gegenüber Druck aus dem Ausland hingedeutet und hätte so das Ansehen Deutschlands geschmälert. Das Referat Deutschland, von der alten Garde als Instrument zur Verteidigung der deutschen Judenpolitik eingesetzt, war ein Symbol für diese frühe Komplizenschaft des Auswärtigen Amtes.

Doch die Haltung des Auswärtigen Amtes spielte 1940 keine große Rolle mehr. Die SS hatte es – zusammen mit vielen anderen Institutionen in Deutschland – erfolgreich ausgeklammert, effektiven Einfluss auf Judenangelegenheiten auszuüben. Die Situation hielt allerdings nicht an. Als Ribbentrops zäher politischer Machtrivale Martin Luther die Judenpolitik des Auswärtigen Amtes unter seine Fittiche nahm, vollzog er eine entscheidende Wende. Das Auswärtige Amt gewann nicht nur seine verlorene Position in Judenangelegenheiten zurück, sondern vergrößerte seinen Einflussbereich in dieser Hinsicht sogar erheblich und trug bedeutend zur letzten Phase der deutschen Judenpolitik – der „Endlösung“ – bei. Die alte Garde, die ihrem Ansehen bereits durch die dienstbeflissene Verteidigung der Judenpolitik in den 1930er Jahren geschadet hatte, war nicht in der Lage, sich gegen diese Entwicklung zu wehren oder sie aufzuhalten. Sie klammerte sich an ihre Posten, um angeblich „das Schlimmste zu verhindern“ und willigte passiv in die Verstrickung des Auswärtigen Amtes in den Massenmord der Juden ein.

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