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Martin Luther und die Abteilung Deutschland

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Martin Franz Luther wurde am 16. Dezember 1895 in Berlin geboren.1 Er brach das Gymnasium ab, um im August 1914 in das deutsche Heer einzutreten und diente während des Krieges in Eisenbahn-Einheiten. Im Anschluss daran machte er sich selbständig und ging so unterschiedlichen Aktivitäten nach wie dem Export, dem Gütertransport, der Entrümpelung und der Möbellieferung. Obwohl er mit dieser ersten Unternehmung in Konkurs ging, war er in den 1930er Jahren ein begüterter Mann.2

Luther trat am 1. März 1932 in die NSDAP und die SA ein und wurde aktives Mitglied im Gemeinderat und bei Parteiangelegenheiten in Berlin-Dahlem. Während er Spenden für die Nazi-Hilfsorganisation sammelte, machte er die Bekanntschaft der Ribbentrops und wurde beauftragt, ihre Dahlemer Villa zu renovieren. Als Ribbentrop im Herbst 1936 als Botschafter nach London ging, begleitete ihn Luther – angeblich auf Vorschlag von Frau Ribbentrop –, um den Umbau der Innenräume der Deutschen Botschaft zu überwachen. Während seiner gesamten Karriere verfolgte Luther bei den Ribbentrops die Taktik des Einschmeichelns, indem er Frau Rippentrops Hunger nach Luxus stillte.

Luthers Verbindung zu den beiden ging bald über die des Innenarchitekten hinaus. Im August 1936, drei Monate vor Ribbentrops Abreise nach London, wurde er Mitarbeiter in dessen Büro, einer Behörde der Nazi-Partei, die Hitler in der Außenpolitik beriet. Im November erhielt er den Auftrag, eine neue Parteiverbindungsstelle innerhalb des Büros einzurichten, die für die Verbindungen zu anderen Parteiorganisationen zuständig sein sollte. Dies lag Ribbentrop besonders am Herzen, da er unter den anderen Nazi-Häuptlingen nicht als alter Kämpfer galt. Ganz so wie sich Luther im Ribbentropschen Haushalt mit den vielen Erledigungen für einen luxuriöseren Lebensstandard unentbehrlich machte, so wurde Luther auch zum Bollwerk der Verteidigung des zukünftigen Außenministers gegen Parteirivalen.

Beim Aufbau der Parteiverbindungsstelle bewies er phänomenales Organisationstalent, das zum Markenzeichen seiner Karriere werden sollte. Im Gegensatz zu Ribbentrops eher laxer Einstellung ging Luther systematisch vor. Er besuchte die verschiedenen Gauleiter und Leiter der Parteiorganisationen und bat sie, geeignete junge NSDAP-Mitglieder als Verbindungsleute für das Büro Ribbentrop zu benennen. Luther wählte dann die besten Kandidaten aus, stellte relativ reibungslose Kommunikationslinien zu Parteiorganisationen sicher und umgab sich zugleich mit einer Gruppe sehr junger, aktiver und loyaler Männer – einer jungen Garde.

Von unbändigem Ehrgeiz angetrieben und hemmungslos in seinen Methoden der innenpolitischen Machtkämpfe sicherte Luther seinem Verbindungsbüro bis Mitte 1937 eine unabhängige Stellung innerhalb des Büros Ribbentrop.3 Doch dann brach das Unglück über ihn herein. Luthers Verbindungsmann zur SS, Lothar Kühne, verfasste einen äußerst unvorteilhaften Bericht über das Büro Ribbentrop an den SD, der den Botschafter empörte. Luther wurde schlagartig abgesetzt und seine Organisation aufgelöst. Obwohl seine Rivalen ihn verabscheuten oder gar hassten, erwiesen ihm seine Untergebenen paradoxerweise immer bedingungslose Treue. Angeführt von Walter Büttner konspirierten Luthers Männer im Geheimen, um ihren Führer zu rehabilitieren und warben im Auftrag von Luther um Unterstützung beim Gauleiter von Sachsen, Martin Mutschmann, sowie dem Reichsstudentenführer Dr. Scheel. Noch entscheidender war vermutlich die Unterstützung von Werner Lorenz, dem Chef der Volksdeutschen Mittelstelle (oder VoMi) und Ribbentrops ständigem Stellvertreter im Büro Ribbentrop. Anfang 1938 gab Ribbentrop nach und erklärte sich bereit, Luther wieder anzustellen, wenn auch die neue Parteiberatungsstelle – Büro Luther genannt – bescheidener ausgestattet war als ihr Vorläufer: Statt zwölf Mitarbeitern besaß Luther jetzt nur noch vier.4

Luthers Wiederanstellung fiel zeitlich mit Ribbentrops Beförderung zum Außenminister zusammen. Da dieser ihm nun wieder wohlwollend gegenüberstand, war Luthers Hauptaugenmerk darauf gerichtet, sich Eintritt ins Auswärtige Amt zu verschaffen. Dem standen jedoch größere Hindernisse im Weg. Ribbentrop versetzte nicht viele Büro-Mitarbeiter ins Auswärtige Amt, was Luther zu der Beschwerde veranlasste, der neue Außenminister umgebe sich mit „Weihnachtsmännern“. Zudem war gegen Luther Anklage wegen Veruntreuung von Parteigeldern erhoben worden, und solange das Schwert des Parteiausschlusses über ihm hing, konnte er nicht in den Staatsdienst eintreten.

Doch all dies schreckte Luther nicht ab, der verzweifelt versuchte, nicht mit dem Rest des Büros Ribbentrop sitzen gelassen zu werden. Er hielt dem Außenminister eine Flut von Beispielen vor, wie verschiedene Parteibehörden das Auswärtige Amt und das Büro Ribbentrop gegeneinander ausspielten, ja sogar hinter Ribbentrops Rücken Kontakte knüpften und Verhandlungen mit dem Ausland führten. Um die einheitliche Behandlung aller Angelegenheiten der Parteiorganisationen zu gewährleisten, die die Außenpolitik berührten, solle das Referat Deutschland – das Büro im Auswärtigen Amt, das sowohl für die „Judenfrage“ als auch für Parteiangelegenheiten zuständig war – nach Luthers Vorschlag zweigeteilt werden. Ferner schlug er ganz unbescheiden vor, man solle ihn zum Leiter des Referats für Parteiangelegenheiten im Auswärtigen Amt ernennen. Damit entstände eine Personalunion zwischen dem Referat und der Parteiberatungsstelle des Büros Ribbentrop.5

Ribbentrop reagierte recht positiv auf den Vorschlag und schaltete sich bei Martin Bormann wegen Luthers anhängigem Veruntreuungsprozess ein. Bormann wiederum schrieb dem Obersten Parteigerichtshof, er wünsche eine zügige Bearbeitung. Im Anschluss an den Ausgang des Münchner Abkommens wurde die Klage gegen Luther als Teil einer Amnestie fallengelassen.6 Im November trat Luther somit als Chef des neuen Referats Partei ins Auswärtige Amt ein, allerdings nicht ganz mit der Kompetenz, die er sich erhofft hatte. Das Referat Deutschland verlor seine Funktion als Verbindungsstelle zur Partei, fungierte jedoch weiterhin als Verbindung zum halb-parteilichen, halb-staatlichen SS- und Polizeikonglomerat von Himmler und Heydrich. Es war selbstverständlich weiter für Judenangelegenheiten zuständig, dem einzigen Gebiet, das Luther nicht für sich beansprucht hatte.7

Die Phase vom Herbst 1938, als Luther in das Auswärtige Amt eintrat, bis zum Frühjahr 1940 war die ereignisloseste Zeit seiner politischen Laufbahn. Er verteidigte weiter Ribbentrop gegen die Angriffe von Parteirivalen, wachte eifersüchtig über die ausländischen Kontakte der Partei und jetzt auch staatlicher Organisationen, und kontrollierte Erwerb, Bau und Ausstattung einer zunehmenden Zahl von Ribbentrops Immobilien. Seinen glühenden Ehrgeiz befriedigte dies jedoch nicht. Luther reagierte empfindlich auf seinen Status im Auswärtigen Amt, wo die Experten den „ehemalige[n] Spediteur“ genauso sehr verachteten wie den „Champagnerverkäufer“ Ribbentrop; Luther war der Ansicht, aufgrund seiner verschiedenen Aktivitäten hätte er nicht nur den Rang eines Referatsleiters, sondern den eines Abteilungsleiters verdient.8

Einen entsprechenden Vorstoß unternahm Luther bei einem Treffen mit Ribbentrop am 16. April 1940, als er dem Außenminister vorschlug, eine neue Abteilung Deutschland innerhalb des Auswärtigen Amtes unter seiner, Luthers, Leitung zu bilden. Zusätzlich zu den Aktivitäten, die er bereits kontrollierte – Verbindungsbüro zur Partei, ausländische Kontakte der Partei und staatlichen Organisationen sowie Sonderbauten (eine beschönigende Umschreibung für die Verwaltung von Ribbentrops Immobilien) – sollte sie verschiedene neue Bereiche umfassen. Das Referat Deutschland, das Luther 1938 hatte opfern müssen, sollte aufgelöst werden und seine Zuständigkeiten in zwei Abteilungen aufgeteilt werden, eine für Verbindungsarbeit zum Reichsführer-SS und zur Polizei, die andere im Wesentlichen für Judenangelegenheiten. Luther verlangte auch die Kontrolle des technischen Apparats zum Druck und Vertrieb aller Publikationen des Auswärtigen Amtes. Ribbentrop war einverstanden und versah das Schreiben mit seinen Initialen.9

Die offiziell am 7. Mai 1940 gegründete Abteilung Deutschland war wie folgt organisiert:

Referat Partei: Verbindungsarbeit zu allen Parteiorganisationen mit Ausnahme der deutschen Bürger im Ausland (Verantwortlichkeit der Auslandsorganisation), der SS und der Polizei.

Referat D II: Angelegenheiten des Reichsführer-SS, des Reichssicherheitshauptamtes, der internationalen Polizeikommission und des Freimaurertums.

Referat D III: Judenfrage, Rassenpolitik, deutsche Flüchtlinge, Nationalbewegungen im Ausland.

Referat D IV: Herstellung und Vertrieb von Duckmaterialien.

Referat D V: Auslandsreisen von wichtigen deutschen Persönlichkeiten.

Referat D VI: Sonderbauten.

Im Juli kam der Geographische Dienst als Referat D VII hinzu; ihm oblag die Beschaffung von Informationen und Landkarten für die verschiedenen Regierungsstellen.10 Diese sieben Einheiten bildeten die Basis, auf der Luther sein persönliches Imperium innerhalb des Auswärtigen Amtes errichten sollte.

Luthers Expansionspläne wurden erheblich dadurch begünstigt, dass Ribbentrop ihn zum Leiter eines Sonderreferats Organisation ernannte, das direkt dem Außenminister unterstand und dessen Aufgabe darin bestand, Pläne zur Umstrukturierung des Auswärtigen Amtes auszuarbeiten. Dieser Auftrag erlaubte Luther, sich in alle Abteilungen einzuschalten, und führte dazu, dass er sich in Anspielung auf seinen Namen als „Reformator“ des Auswärtigen Amtes bezeichnete. Seine Reformen kamen einem gewaltigen Feldzug des bürokratischen Imperialismus gleich.11

Luther übernahm die Verantwortung für die gesamte Propaganda des Auswärtigen Amtes, da zu den Funktionen des Sonderreferats Organisation nun die „Koordination“ relevanter Aktivitäten der Deutschen Informationsstelle, der Rundfunkpolitischen Abteilung, der Informations- und Kulturabteilungen sowie Luthers eigenes Referat D IV hinzukamen. Aus der Kulturpolitischen Abteilung machte er einen Trümmerhaufen: Einige ihrer Sektionen gingen als Mäzenat an Luthers Verbündete in der Informationsabteilung; andere wurden direkt der Abteilung Deutschland (Referat D VIII und IX, für die politischen bzw. wirtschaftlichen Angelegenheiten deutscher Minderheiten im Ausland) angegliedert. Letzteres geschah trotz des offenen Widerstands von Unterstaatssekretär Ernst Woermann aus der Politischen Abteilung, der die Angelegenheiten Volksdeutscher für sich beanspruchte. Drei andere Sektionen wurden ebenfalls zur Abteilung Deutschland hinzugefügt: D X für die Bearbeitung von Problemen in Zusammenhang mit ausländischen Arbeitern in Deutschland, D XI für internationale Angelegenheiten von Veteranenorganisationen und D XIII für Kirchenfragen. Luther fädelte darüber hinaus die Ernennung dreier prominenter SA-Männer zu Botschaftern in Südosteuropa ein.12

Die Abteilung Deutschland war eine bunt gemischte, ausufernde Organisation, die durch die Personalpolitik und Führungsqualitäten von Martin Luther zusammengehalten wurde. Von den ersten Tagen seiner Laufbahn an ging Luther bei der Einstellung von Mitarbeitern wohlüberlegt vor; er führte persönlich Vorstellungsgespräche mit zukünftigen Mitarbeitern, bevor er die endgültige Entscheidung über ihre Eignung traf.13 Die Mitarbeiter, die Luther um sich versammelte, waren eine Gruppe fähiger und gebildeter junger Männer, die meisten von ihnen Parteimitglieder seit der Machtergreifung, die auf Gauebene der Partei aktiv gewesen waren. Ein typischer Mitarbeiter war Luthers Stellvertreter Walter Büttner: 1908 geboren, wurde er 1929 Partei- und SA-Mitglied, zählte zum Mitarbeiterstab des Gauleiters von Sachen, machte 1936 sein Ingenieurdiplom und wechselte 1938 von der SA zur SS.14

Seine Mitarbeiter entwickelten sich zu einer schlagkräftigen Truppe, da Luther die Fähigkeit besaß, ihnen Loyalität und Korpsgeist einzuflößen. Während die Arbeitsmoral der älteren Beamten des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop nachließ, ihre Karriere vor sich hindümpelte und sie nichts als Hass und Abscheu für den Protegé Luther übrig hatten, arbeiteten Luthers Männer effizient und loyal für ihren Vorgesetzten. Im Vergleich zu den Älteren sahen sie Luther als unkonventionellen, eigensinnigen „Typ des modernen Managers“, der für ein gutes Arbeitsklima sorgte und die Dinge anzupacken wusste.15

Doch es war mehr als bloß sein Organisationstalent und seine Tüchtigkeit, die Luther diese beachtliche Loyalität verschafften. Er setzte sich unermüdlich für das Fortkommen und die Beförderung jener ein, die er eingestellt hatte, denn ihm war sehr wohl bewusst, welche Auswirkungen die Aussichten auf rasche Beförderung auf die Arbeitsmoral seiner Männer hatten.16 Luther kümmerte sich darüber hinaus um „seine“ Leute. Als nach dem Scheitern des ersten Russlandfeldzuges besonders viele von ihnen zum Militär eingezogen wurden, führte er umfangreiche Korrespondenz mit seinen Ex-Mitarbeitern an der Front. Er übernahm die Rolle einer Informationszentrale und hielt alle über jeden auf dem Laufenden. Darüber hinaus unternahm Luther besondere Anstrengungen, durch die Botschaft in Rom eine Sonderbehandlung für zwei seiner Männer, die in Nordafrika verletzt worden waren, zu erwirken.17

Was für eine Art von Mensch war Luther? Seine Feinde, von denen es nicht wenige gab, übertrafen sich mit den schillerndsten Beschreibungen. Ulrich von Hassell beschreibt ihn als „ungehobelt, anmaßend, falsch und wahrscheinlich korrupt“. Für Peter Kleist war er „bedenkenlos“ und ein „Totengräber“. Adolf Steengracht bezeichnete seine Methoden als „grässlich und abscheulich“; Weizsäcker nannte ihn ein „Reptil“. Und Himmler soll ihn als „einen gewöhnlichen, unangenehmen Typen – schleimig und ungehobelt“ beschrieben haben.18 Das Urteil derjenigen, die keine absoluten Gegner waren, fiel nur wenig milder aus. Walter Schellenberg charakterisierte ihn als „tatkräftig, von rascher Auffassungsgabe und nicht untalentiert als Organisator“, jedoch „als Regierungsbeamter ziemlich ungeeignet“ und „nur von den Berechnungen eines Geschäftsmannes geleitet“. Er sei aggressiv, kalt, skrupellos gewesen, „in der Lage alles zu sagen und zu tun. […] Eine gefährliche Person, wie sie nur ein totalitäres System hervorbringen konnte.“19 Rudolf Rahn beschrieb ihn als einen „zweifellos fähige[n] Organisator, von großer Willensstärke und Arbeitskraft, ungeheuer robust und völlig bedenkenlos in der Wahl seiner Mittel. […] Ihm ging es ausschließlich um die Eroberung der inneren Macht, und hierbei bewies er ein unbestreitbares Geschick.“20

Doch Menschen sind selten so einseitig und schlicht wie das Bild, das diese Zeugen von Luther zeichnen. Vieles an ihm war paradox. Alle bestätigen seine Tatkraft, doch diese leitete sich nicht aus körperlicher Stärke ab. Sein Gesundheitszustand war allenfalls mittelmäßig. Er sah schlecht, benötigte dicke Brillengläser und hatte aufgrund einer Nebenhöhlenentzündung permanent geschwollene Augen.21 Er war oft krank und musste zu Hause arbeiten. Im August 1942 erlitt er einen heftigen Angina-Anfall, ein Vorbote des Herzleidens, das ihn drei Jahre später das Leben kostete.22 Luthers Energie war nicht körperlicher Art; sie beruhte auf einem glühenden Ehrgeiz, der ihn trotz seines chronischen Nebenhöhlenleidens, seines schwachen Herzens und anderer Krankheitsschübe antrieb.

Mit Gegnern konnte Luther scharf ins Gericht gehen, doch die Loyalität seiner Untergebenen war ihm sicher. Er war um das Wohlergehen seiner Leute ernsthaft besorgt, insbesondere dann, wenn sie an der Front waren. Wenn ihn jedoch ein Mitarbeiter betrog, schnaubte er vor Rache. Als der Hausmeister des Mietshauses, das Luther gehörte, seine Arbeit ohne eine korrekte Kündigung aufgab, um eine bessere Stelle beim Auswärtigen Amt anzutreten (er sollte sich um die konfiszierte polnische Botschaft kümmern), sorgte Luther dafür, dass der Mann für alle Anstellungen im Auswärtigen Amt auf die schwarze Liste gesetzt wurde.23

Trotz zunehmender Macht und konstanter Beförderung (vom bloßen Legationsrat im November 1938 zum Unterstaatssekretär im Juli 1941) fühlte sich Luther den alten Experten des Auswärtigen Amtes gegenüber unsicher und war extrem sensibel, wenn ihn jemand persönlich brüskierte. Als Staatssekretär Weizsäcker eine allgemeine Konferenz mit der Aufforderung an die Abteilungsleiter, noch zu bleiben, beendete und gleichfalls „Herrn Luther zu bleiben“ bat, tobte Luther. Er verlangte erneut, dass seine Position im Auswärtigen Amt ein für alle Mal geklärt werde. Weizsäcker stimmte entschuldigend zu.24 Als Ernst Bohle, der Leiter der Auslandsorganisation (dem Büro der NSDAP für im Ausland lebende Deutsche) sich ostentativ weigerte, Luther bei einem offiziellen Abendessen für einen spanischen Würdenträger, der gerade zu Besuch war, zu grüßen, beschwerte sich Luther geradewegs bei Ribbentrop.25

In seinem Machtstreben folgte Luther keinem höheren Ziel oder einer Mission. Er sprach nie von Leitprinzipien, einem anzustrebenden langfristigen Ziel. Macht diente ihm dazu, nur noch mehr Macht zu erlangen. Selbstverständlich spielte er die Rolle des guten Nationalsozialisten und ließ seine Mitarbeiter die Parteiinsignien tragen.26 Doch er war kein doktrinärer Rassist wie Heinrich Himmler, der den Traum eines zukünftigen arischen Himmels auf Erden träumte. Genausowenig war er ein alter Kämpfer wie Goebbels, der in Nostalgie schwelgte und bereit war, bis zum Ende an Hitlers Seite zu stehen. Luther diente den eingefleischten Nazis und trug seinen Teil zu der Expertise bei, die ihre entsetzlichen Träume möglich machte. Aber er war nicht einer von ihnen. In erster Linie war ein amoralischer Machttechniker, und man kann sich ihn gut an der Spitze eines anderen Regimes vorstellen, wo er seinen Ehrgeiz ausleben konnte. Sicherlich versprach die Nazi-Umgebung größere Erfolgschancen für die Methoden, die Luthers Temperament entsprachen, doch gründete sich Luthers Affinität zum Nazismus auf dessen Mitteln, nicht dem Zweck.

Gerald Reitlinger behauptet, dass Luther „Antisemitismus zu seinem Lebenswerk machte“.27 Diese Behauptung ist absurd. Als Luther 1938 in das Auswärtige Amt eintrat, bat er Ribbentrop, ihm die Verantwortung über Parteiangelegenheiten zu übertragen und schlug ausdrücklich vor, dass Judenangelegenheiten beim Referat Deutschland verbleiben – eine äußerst merkwürdige Vorgehensweise für einen Mann, der angeblich sein Leben der antisemitischen Sache widmete. Als Judenangelegenheiten 1940 schließlich in seinen Zuständigkeitsbereich fielen, waren sie eine von zwei Dutzend Aktivitäten, die Luther zeitgleich ausübte und konnten schwerlich „sein Lebenswerk“ darstellen. Luther war zweifellos antisemitisch eingestellt, doch seine Ressentiments waren nicht die Triebfeder seiner Karriere. Wenn er antijüdische Maßnahmen effizient und skrupellos ausführte, so war dies seine Art; er hätte genausogut eine andere Politik verfolgen können, wenn ihm deren effiziente und skrupellose Umsetzung zu einem Aufstieg in der Machthierarchie verholfen hätte. Politischer Ehrgeiz, nicht Antisemitismus war der Motor von Luthers kometenhaftem Aufstieg.

Die

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