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Zwei

Die Wärter der Haftanstalt Guilford wussten eigentlich gar nicht so genau, woran die Insassen überhaupt arbeiteten. Angeblich hoben sie Bewässerungsgräben aus, doch das war bei diesem trockenen, harten Boden etwa so sinnvoll wie Schafen Wollpullover zu stricken. Wenn es regnete, was selten genug vorkam, wurde die Prärie ein, zwei Tage lang regelrecht überflutet, und dann war das Wasser auch schon wieder versickert und der Boden noch unfruchtbarer als vorher. Immerhin – die Zisternen füllten sich.

Bewässerungsgräben waren nur sinnvoll, wenn man das Wasser eines Flusses umleiten wollte, und im Umkreis von zehn Meilen um Hawley in Kansas war jeder noch so kleine Bach längst ausgetrocknet. Manchmal wurden die Gefangenen losgeschickt, um die kärgliche, mühselig dem Boden abgetrotzte Ernte an Weizen und Mais einzubringen. Häufiger jedoch pflückten sie einfach nur Disteln und Gestrüpp als Futter für die Tiere. Ohne die harte Arbeit ihrer Insassen hätte niemand in der Haftanstalt, ob Gefangener, Wärter oder Direktor, etwas zu essen auf dem Teller gehabt.

Die Bewässerungsgräben jedoch … Bei der Arbeit daran kam sich Hank Burnside vor, als würde er sein eigenes Grab schaufeln.

Die mit Schrotflinten und Gewehren bewaffneten Wärter suchten so weit wie möglich den Schatten und hielten sich von der sengenden Sonne fern, was für die Häftlinge Fluch und Segen zugleich war. Einerseits waren die Wärter viel zu träge, um die Gefangenen zum bloßen Vergnügen zu drangsalieren, wie sie es bei kühleren Temperaturen oft taten. Die Hitze sorgte jedoch auch dafür, dass ihnen schnell der Geduldsfaden riss. Die Gefangenen taten also gut daran, sie nicht zu provozieren.

Hank hielt inne, rammte die Schaufel in den Boden und stützte sich darauf. Er zog einen Lappen hervor und wischte sich mit übertriebener Geste den Schweiß von der Stirn. Die Wärter sollten ruhig mitbekommen, wie hart er arbeitete. Doch als er die Schaufel wieder aufnahm und in die lockere, trockene Erde stieß, tat er dies mit langsamen Bewegungen, um sich nicht zu überanstrengen. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie andere Gefangene vor Erschöpfung zusammengebrochen und im Dreck liegen geblieben waren, und hatte nicht vor, dieses Schicksal zu teilen. Solange er so tat, als würde er hart arbeiten, würde ihm kein Wärter zu nahe kommen.

Das war bei dieser Hitze sowieso viel zu anstrengend.

Er umklammerte den Griff der Schaufel noch fester mit den schwieligen Händen. Nach zwei langen Jahren im Lager hatte er sich an die ständige Erschöpfung gewöhnt. Mit dem gestrigen Tag hatte er die Hälfte seiner Haftstrafe verbüßt, und es lagen weniger Tage in Gefangenschaft vor als hinter ihm. Dieser Gedanke machte die Hitze, den Schweiß, die schmerzenden Knochen, den an der Haut klebenden Schmutz und den Staub, der in den Augen brannte, etwas erträglicher.

Das Schaufelblatt stach mit einem kratzenden Schabgeräusch in das graue, lockere Erdreich. Hank hielt inne. Der Schweiß, der seinen Rücken hinunterlief, fühlte sich auf der sonnenverbrannten Haut beinahe kühl an, und er schauderte.

Plötzlich kam Wind auf. Er drehte schnell den Kopf zur Seite, um keinen Staub zu schlucken.

»Grundgütiger, sieh dir das an.«

Hank legte schützend eine Hand über die Augen und spähte in Richtung Horizont. Der Anblick verschlug ihm den Atem. In vier bis fünf Meilen Entfernung endete die sonnenverbrannte Erde vor einer tiefschwarzen Mauer, einer brodelnden Wolke aus kohlschwarzen Schatten, als hörte die Welt vor einem bodenlosen Abgrund einfach auf.

»Scheiße auch, Hank, hast du schon mal so einen Sturm gesehen?«, fragte Terry Pritcher, ein Viehdieb, der seit seinem siebzehnten Lebensjahr hier einsaß. Vierzehn Jahre Feldarbeit hatten ihm zu einem sehnigen, muskulösen Körper verholfen, ihn aber leider nicht schlauer gemacht.

Hank schüttelte den Kopf, ohne Terry anzusehen. »Noch nie.«

Sekunden später zerrte heftiger Wind an ihnen und wirbelte den Staub auf. Die winzigen Körner peitschten gegen ihre Haut. Hank hielt sich die Hände vors Gesicht und konnte trotzdem den Blick nicht vom Sturm abwenden.

Er kam genau auf sie zu.

Der Himmel über ihnen verdunkelte sich.

»Was sollen wir machen, Boss?«, fragte er den nächsten Wärter. »Wir sollten uns irgendwo unterstellen, meinen Sie nicht?«

Dicke, warme Regentropfen fielen auf ihn herab, doch anstatt die Hitze zu lindern, schienen sie Hank regelrecht zu verbrühen. Der trockene, durch die Luft wirbelnde Staub saugte die Feuchtigkeit gierig auf.

Der Wärter, ein gewisser J. D. Cotton, runzelte die Stirn, blickte dann aber doch in die Richtung, in die Pritcher zeigte. Sobald er das tat, folgten alle anderen, die Wärter wie auch die zur Zwangsarbeit abkommandierten Gefangenen, seinem Beispiel.

Die Oberkante des Staubsturms wurde immer breiter, dehnte sich aus, als wollten die dunklen, grimmigen Wolken die ganze Welt verschlingen. Schon bald hatten sie die Sonne völlig verdeckt. Aus helllichtem Tag wurde Nacht, und sie waren dem Wind und dem Staub schutzlos ausgeliefert.

»Na schön, Männer.« Cotton hob die Schrotflinte und schoss in die Luft. »Setzt euch in Bewegung, aber bleibt zusammen. Wer das für eine günstige Gelegenheit hält, die Fliege zu machen, kann sich schon mal auf ein paar Schrotkugeln in den Eiern freuen. Na los!«

Die Männer brachten die Schaufeln und Schubkarren zu den Lastwagen hinüber und luden sie ein.

Dann veränderte sich etwas in der Luft.

Hank spürte es und blieb stehen. Sein Hintermann lief in ihn hinein.

»Himmelarsch, Burnside, was zum Teufel ist los mit dir?«, bellte eine wütende Stimme.

Er hörte sie gar nicht. Mit besorgter Miene drehte er sich zur Sturmfront um. Der Luftdruck war gesunken und der Wind hatte gedreht. Er kniff die Augen zusammen und blinzelte ein paarmal, als könnte er nicht glauben, was er da sah.

Die Wolkentürme bedeckten nun den ganzen Himmel und kamen immer näher. Mehrere röhrenförmige Gebilde schälten sich aus der wirbelnden Dunkelheit. Die rasenden Staubsäulen reichten bis zum Boden hinab.

»Tornados!«, schrie Hank und deutete darauf.

Die Häftlinge und Wärter brüllten und fluchten durcheinander, dann nahmen sie die Beine in die Hand. Die Wärter kletterten in die Fahrerhäuser, die Gefangenen warfen sich auf die Ladeflächen. In ihrer Hast achteten sie nicht darauf, ob sie sich die Knie an den Schaufeln blutig schlugen. Sie wollten einfach nur ins Gefängnis zurück. Statt von Mauern war die Guilford-Haftanstalt von Stacheldraht umgeben, die Gebäude selbst jedoch waren massiv wie Bunker. In den Zellen und Kellerräumen waren sie vor dem Sturm geschützt.

Hank Burnside hatte vor nichts Angst, doch nur ein Narr hätte angesichts eines solchen Sturms nicht sofort Schutz gesucht. Während er auf die Ladefläche kletterte, heulte der Motor auf. Der Fahrer legte den Gang ein und raste los. Hank sah sich um. Eine einsame Gestalt in einem schmutzigen Häftlingsoverall lief auf einen Bewässerungsgraben zu.

Die Wärter waren beschäftigt, und Terry Pritcher nutzte die Gelegenheit zur Flucht.

J. D. Cotton tauschte die Schrotflinte gegen ein Gewehr und schätzte in aller Seelenruhe Entfernung und Windstärke. Dann legte er an und schoss Pritcher aus hundert Metern Entfernung in den Kopf. Blut, Gehirnmasse und Knochensplitter spritzten auf, und der staubige Wind trug sie mit sich fort. Pritcher – tot wie die sonnenverbrannte Erde – sank in den Graben.

Der Lastwagen rumpelte über die unebene Straße auf das Gefängnis zu.

Der Sturm kam immer näher und der Himmel färbte sich schwarz. Ein Tornado nach dem anderen erreichte den Boden. Die Erde bebte und der Wind brüllte.

BLUTBESUDELT OZ

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