Читать книгу Vom höchsten Gut und vom größten Übel - Cicero, Georg Heinrich Moser - Страница 16
Kapitel XIII.
ОглавлениеJene, welche dies höchste Gut nur allein in die Tugend setzen und, durch den Glanz des Wortes geblendet, nicht erkennen, was die Natur verlangt, würden von diesem grossen Irrthume befreit werden, wenn sie den Epikur hören wollten. Denn wenn diese Eure vortrefflichen und schönen Tugenden zu keiner Lust führten, so würde sie Niemand für etwas Löbliches oder Begehrenswerthes halten. So schätzt man die Kunst der Aerzte nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie die Gesundheit bewirkt, und die Kunst des Steuermannes wird nicht als solche, sondern wegen ihres Nutzens für die gute Schifffahrt gelobt, und so würde auch die Weisheit, die nur als die Lebenskunst anzusehen ist nicht begehrt werden, wenn sie nichts bewirkte; man verlangt nach ihr nur, weil sie gleichsam der Werkmeister ist, der die Lust beschafft und bereitet.
§ 43. Ihr seht also, was ich unter der Lust verstehe; deshalb lasst Euch durch ihren verhassten Namen meine Rede nicht abschwächen. Nur weil man die Güter und Uebel nicht kennt, wird das Leben hauptsächlich beschwerlich; wegen dieses Irrthums büsst man oft die grössten Freuden ein und wird von den härtesten Seelenschmerzen gepeinigt. Deshalb bedarf man der Weisheit, welche alle Strecken und Begierden beseitigt, alle dreisten, falschen Meinungen zerstört und sich damit als den sichersten Führer zur Lust bewährt. Denn nur die Weisheit allein vermag die Seele von der Traurigkeit zu befreien; nur sie lässt uns durch die Furcht nicht in Schrecken gerathen; unter ihrer Führung kann man die Hitze aller Begierden kühlen und ein ruhiges Leben führen. Denn die Begierden sind unersättlich; nicht blos Einzelne, sondern ganze Familien bringen sie in das Verderben, ja oft erschüttern sie selbst den Staat.
§ 44. Von den Begierden kommt der Hass, die Uneinigkeit, der Streit, der Aufruhr, der Krieg. Auch werfen sie sich nicht blos nach Aussen und stürzen in blindem Ungestüm nicht blos auf Andere, sondern auch innerlich, in der Seele eingeschlossen, streiten und bekämpfen sie sich selbst und verbittern damit das Leben. Deshalb kann nur der Weise, der alle Eitelkeit und allen Irrthum von sich abgethan und beseitigt hat, zufrieden in den von der Natur gesetzten Schranken ohne Aerger und Furcht sein Leben verbringen.
§ 45. Denn welche Unterscheidung ist wohl nützlicher und für ein gutes Leben geeigneter, als die, welche Epikur gezogen hat? In die eine Klasse der Begierden stellte er die natürlichen und zugleich nothwendigen, in die zweite die natürlichen, aber nicht nothwendigen, und in die dritte die, welche weder natürlich noch nothwendig sind. Ihr Verhältniss ist der Art, dass die notwendigen ohne viele Mühe und Kosten sich befriedigen lassen.
§ 46. Ebenso verlangen auch die natürlichen nicht viel, weil die Natur selbst die Güter, mit denen sie zufrieden ist, bereitet und abgrenzt; nur von den eitlen Begierden kann weder ein Maass noch ein Ende gefunden werden.