Читать книгу Vom höchsten Gut und vom größten Übel - Cicero, Georg Heinrich Moser - Страница 22

Kapitel XIX.

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§ 62. Allerdings kann dies in einem gewissen Sinne behauptet werden, ohne dass wir dem entgegentreten; im Gegentheil, wir stimmen zu, da Epikur das Glück des Weisen immer so beschreibt, dass er seine Begierden in Schranken hält, den Tod nicht scheut, in Betreff der unsterblichen Götter ohne alle Furcht ist, die Wahrheit kennt und nicht ansteht, das Leben zu verlassen, wenn es so besser ist. So ausgerüstet, befindet der Weise sich stets in der Lust; zu jeder Zeit überragt bei ihm die Lust den Schmerz, da er des Vorgegangenen sich dankbar erinnert und das Gegenwärtige in seiner ganzen Fälle und Annehmlichkeit bewusst erfasst; er sorgt sich nicht um das Kommende, sondern geniesst in dessen Erwartung das Gegenwärtige. So ist er von jenen Fehlern, die ich vorhin erwähnte, völlig frei und wird von einer hohen Freude erfüllt, wenn er das Leben des Thoren mit dem seinigen vergleicht. Treffen den Weisen einmal Schmerzen, so sind sie doch nie von einer solchen Stärke, dass er nicht immer mehr haben sollte von dem, was ihn erfreut, als von dem, was ihn ängstigt.

§ 63. Vortrefflich ist der Ausspruch Epikur's, dass das Schicksal dem Weisen nur wenig in den Weg trete; dass die grössten und wichtigsten Angelegenheiten nach seinem Rath und seiner Anweisung besorgt werden, und dass selbst ein unendlich langes Leben nicht mehr Lust gewähren könne, als schon das jetzige beschränkte gewähre. Von Eurer Dialektik meinte er, dass sie kein Mittel zum bessern Leben sei und selbst bei den Erörterungen nichts nütze; auf die Naturwissenschaften legte er aber grosses Gewicht; durch sie könne auch die Kraft der Worte, die Natur der Rede und das Verhältniss der Einstimmung und des Widerstreits erkannt werden, und durch die Erkenntniss der Natur aller Dinge werde man allein von dem Aberglauben befreit, von der Todesfurcht erlöst und nicht irregeführt durch jene Unkenntniss der Dinge, welche oft ausserordentliche Schrecknisse veranlasse. Selbst sittlich besser werde man, wenn man gelernt habe, was die Natur verlangt. Hält man die Erkenntniss der Dinge unverrückt fest und bewahrt man dabei jene Regel, die für die Erkenntniss der Dinge gleichsam vom Himmel gefallen ist und nach der sich alle Urtheile über die Dinge bestimmen, so wird man niemals, durch die Rede eines Andern besiegt, seine Meinung aufzugeben brauchen.

§ 64. Aber ohne Erkenntniss der Natur der Dinge wird man niemals die Ansprüche der Sinne vertheidigen können. Ueberdem kommt Alles, was man im Geiste sieht, von den Sinnen, und man kann nur dann mittelst ihrer Etwas wahrnehmen und erkennen, wenn sie sämmtlich als wahrhaft gelten, wie Epikur's Lehre besagt. Erkennt man dies nicht an und leugnet man eine Erkenntniss durch die Sinne, so kann man bei solcher Beseitigung derselben nicht einmal das verständlich machen, was man verhandelt. Auch wird mit Aufhebung der Kennt nisse und Wissenschaften aller Anhalt für die Führung des Lebens und die Besorgung der Geschäfte unmöglich. Somit wird durch die Naturwissenschaft auch die Festigkeit gegen alle Todesfurcht und die Unerschütterlichkeit gegen die Drohungen der Religion gewonnen. Ist die Unwissenheit über die verborgenen Dinge beseitigt, so tritt die Ruhe des Gemüths ein, und wenn die Natur der Begierden und ihrer Arten eingesehen ist, so folgt die Mässigung. Mit jener erwähnten Regel der Erkenntniss und mit dem von ihr geleiteten Urtheile wird die Unterscheidung des Wahren und Falschen gewonnen.

Vom höchsten Gut und vom größten Übel

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