Читать книгу Vom höchsten Gut und vom größten Übel - Cicero, Georg Heinrich Moser - Страница 29
Kapitel V.
Оглавление§ 15. Was meinst Du nun? Kenne ich wohl genügend den Sinn der Worte, oder muss ich auch jetzt noch erst griechisch oder lateinisch sprechen lernen ? Und dabei bedenke doch auch, ob, wenn ich den Epikur nicht verstehen sollte, obgleich ich das Griechische fertig verstehe, die Schuld nicht Den trifft, der so spricht, dass man ihn nicht versteht. Dies kann allerdings in zwiefacher Weise geschehen, ohne dass man es tadeln kann; entweder wenn es absichtlich geschieht, wie bei Heraklit, der den Beinamen des »Dunkeln« bekommen hat, weil er über die Natur zu Dunkles lehrte, oder wenn die Dunkelheit des Gegenstandes und nicht die der Worte die Rede unverständlich macht, wie in Plato's Timäus. Aber Epikur will, glaube ich, wenn er kann, deutlich und klar sprechen, und ebenso wenig behandelt er, wie die Naturforscher, einen dunklen oder, wie die Mathematiker, einen verwickelten Gegenstand, sondern einen sehr bekannten und leichten, den bereits Jedermann aus dem Volke kennt. Wenn Ihr also nicht bestreitet, dass wir den Begriff der Lust kennen, sondern nur nicht wissen, was Epikur damit bezeichne, so folgt daraus nicht, dass wir den Begriff jenes Wortes nicht kennen, sondern dass Epikur seine besondere Sprache redet und um unsre sich nicht kümmert.
§ 16. Wenn er dasselbe meint, wie Hieronymus, welcher das höchste Gut in ein Leben ohne Beschwerde setzt, weshalb gebraucht er da das Wort Lust statt Schmerzlosigkeit, wie Jener thut, der weiss, was er sagt? Wenn er aber die Lust, welche in Bewegung ist, hinzufügen zu müssen glaubt (denn er nennt das angenehme Gefühl die Lust in Bewegung und die Schmerzlosigkeit die Lust in Ruhe), was bezweckt er damit? Denn er kann es doch unmöglich dahin bringen, dass Jemand, der sich selbst kennt, d.h. der seine Natur und seine Gefühle durchschaut hat, die Schmerzlosigkeit und die Lust für dasselbe halten sollte? Das heisst, mein Torquatus, den Sinnen Gewalt anthun und aus der Seele die Bedeutungen der Worte herausreissen, in denen man auferzogen worden ist. Jedermann muss ja hier drei natürliche Zustände anerkennen: einen, wo man sich in der Lust befindet, einen zweiten, wo man Schmerzen hat, und einen dritten, in dem ich jetzt bin, und ich glaube, auch Ihr, nämlich den von Schmerz und Lust freien. Deshalb hat derjenige Lust, welcher beim Gastmahle sitzt, und der Schmerzen, welcher gefoltert wird; und solltest Du nicht zwischen diesen die grosse Anzahl von Menschen sehen, die weder Lust noch Schmerz empfinden?
§ 17. Durchaus nicht, sagte Torquatus, vielmehr behaupte ich, dass Jeder, der keine Schmerzen hat, sich in der Lust, und zwar in der höchsten befindet. – Sonach hätte also Der, welcher einem Andern das Getränk mit Honig mischt, ohne selbst zu dursten, und Der, welcher durstet und es trinkt, die gleiche Lust?