Читать книгу Vom höchsten Gut und vom größten Übel - Cicero, Georg Heinrich Moser - Страница 30
Kapitel VI.
ОглавлениеDa sagte Torquatus: Lass ab mit Fragen, wenn Du magst. Ich hatte schon gleich im Beginn darum gebeten, weil ich diese verfänglichen Fragen voraussah. – Also willst Du, sprach ich, dass wir lieber rednerisch als gesprächsweise die Erörterung fortsetzen? – Sollte denn, sagte er, die fortlaufende Rede blos den Rednern und nich auch den Philosophen gestattet sein? – Der Stoiker Zeno ist es, sagte ich, welcher, wie schon früher Aristoteles, meinte, die ganze Kraft der Rede sei in zwei Theile gesondert, von denen er die rednerische mit der flachen Hand und die gesprächsweise geführte mit der Frucht verglich, weil die Redner breiter, die Dialectiker aber gedrängter sprächen. Ich erfülle daher gern Deinen Wunsch und werde nach Möglichkeit rednerisch sprechen, aber doch nur in der Weise der Philosophen, nicht wie es im öffentlichen Gerichtsverfahren geschieht, wo man vor dem Volke spricht und deshalb etwas weniger scharfsinnig sich ausdrücken muss.
§ 18. Allein wenn Epikur, mein Torquatus, die Dialektik verachtet, die doch allein die Fähigkeit gewährt, den Inhalt einer Sache zu durchschauen, zu beurtheilen, was sie ist, und vernünftig und gerade aus etwas zu erörtern, so überstürzt er sich, wie mir scheint, in seiner Rede und unterscheidet nicht kunstgemäss, was er vortragen will, wie der eben besprochene Fall ergiebt. Das höchste Gut nennt Ihr Lust; Ihr habt also zu erklären, was die Lust ist, ohnedem kann das Gesuchte nicht entwickelt werden. Hätte Epikur dies gethan, so würde er nicht so schwanken, sondern entweder die Lust festhalten wie Aristipp, d.h. die Lust, wo die Sinne sanft und angenehm erregt werden, und die auch das Vieh, wenn es sprechen könnte, Lust nennen würde, oder wenn er durchaus seine eigene Sprache reden wollte und nicht die, welche
»Alle Danaer und Mycener und die Attische Jugend«
und die übrigen Griechen, die in diesem Verse genannt werden, reden, so hätte er diese Schmerzlosigkeit allein Lust nennen und die des Aristipp zurückweisen sollen. Hätte er aber beide Zustände gebilligt, wie er wirklich thut, so hätte er die Schmerzlosigkeit mit der Lust verknüpfen und zwei Endziele aufstellen sollen.
§ 19. Denn viele grosse Philosophen haben diese beiden höchsten Güter verbunden; so verknüpft Aristoteles die Uebung der Tugend mit dem Glück eines vollkommenen Lebens; auch Kallipho fügt zur Sittlichkeit die Lust, während Diodor zu derselben Sittlichkeit die Schmerzlosigkeit hinzufügt. Dasselbe würde Epikur gethan haben, wenn er die gegenwärtige Ansicht des Hieronymus milder ältern des Aristipp verbunden hätte. Diese Beiden stimmen nämlich nicht überein und stellen deshalb besondere Ziele; aber da Beide vortrefflich Griechisch sprechen, so setzt Aristipp, welcher die Lust für das höchste Gut erklärt, diese Lust nicht in die Schmerzlosigkeit, und Hieronymus, welcher die Schmerzlosigkeit für das höchste Gut erklärt, braucht dafür niemals das Wort Lust und rechnet die Lust nicht einmal zu den begehrenswerthen Dingen.