Читать книгу Vom höchsten Gut und vom größten Übel - Cicero, Georg Heinrich Moser - Страница 31
Kapitel VII.
Оглавление§ 20. Denn es giebt nicht blos, wie Du meinst, zwei Worte, sondern auch zweierlei Zustände; der eine ist die Schmerzlosigkeit, der andere die Lust. Aus diesen verschiedenen Dingen wollt Ihr nun nicht blos einen Namen machen, was ich mir eher gefallen lassen würde, sondern auch einen Zustand, was durchaus unmöglich ist. Epikur, der beide Zustände billigt, musste sie als zwei behandeln, wie er es auch in der Sache thut, doch ohne sie in den Worten zu trennen. Denn da, wo er jenen Zustand an vielen Stellen lobt, den wir Alle mit Lust bezeichnen, wagt er zu sagen, dass es ihm nicht einfalle, irgend ein Gut getrennt von jener Lust des Aristipp anzunehmen, und er sagt dies da, wo seine ganze Rede nur von dem höchsten Gute handelt. Ja, in einem anderen Buche, in dem er durch kurzgefasste und bedeutungsvolle Aussprüche gleichsam Orakel der Weisheit, wie man sagt, von sich gegeben hat, schreibt er wörtlich, wie Dir, Torquatus, sicherlich bekannt sein wird, da wohl Jeder von Euch die »Hauptsätze des Epikur«, d.h. die am meisten gebilligten, gelernt hat, indem sie die wichtigsten bündigen Aussprüche über das glückliche Leben sein sollen, das Folgende, und gieb Acht, ob ich den Ausspruch richtig wiedergebe:
§ 21. »Wenn die Dinge, welche den verweichlichten und schwelgerischen Menschen Lust gewähren, sie auch in der Furcht vor den Göttern, vor dem Tode und von den Schmerzen befreien und ihnen die Grenze der Begierden lehren könnten, so könnte man solche Menschen nicht tadeln, denn sie wären aller Lust voll und empfänden von keiner Seite Schmerz oder Sorge, d.h. kein Uebel.« – Hier konnte Triarius sich nicht länger halten und rief: Ist es möglich, Torquatus, dass Epikur dies gesagt hat? Triarius schien mir zwar dies schon zu wissen, aber er wollte es doch von Torquatus zugestanden hören. Allein Torquatus erschrak darüber nicht, sondern sagte dreist: Allerdings sind dies des Epikur eigene Worte, allein Ihr verstellt nicht, was er damit meint. – Wenn er anders denkt, als spricht, sagte ich, so würde ich nie verstehn, was er will; allein er spricht so deutlich, dass ich es wohl verstehe, und wenn er daher sagt, dass die Schwelger nicht zu tadeln seien, wenn sie weise wären, so spricht er ebenso widersinnig, als wenn er sagte, die Vatermörder seien nicht zu tadeln, sofern sie nicht unmässig seien und sofern sie die Götter und den Tod und die Schmerzen nicht fürchten. Und wie gehört es hierher, den Schwelgern eine Ausrede zu bieten oder sich Menschen zu erdenken, die schwelgerisch leben, aber von dem bedeutendsten Philosophen unter dem Beding nicht getadelt werden, dass sie nur sonst seine Regeln innehalten?
§ 22. Müsstest Du, mein Epikur, nicht vielmehr diese Schwelger deshalb tadeln, dass sie in dieser Weise ihr Leben nur mit Verfolgung aller Arten von Lust verbringen, wenn doch, wie Du sagst, die Schmerzlosigkeit schon die höchste Lust ist? Nun kann man aber Schwelger finden, welche zuerst so wenig gewissenhaft sind, dass sie selbst aus einer Opferschale essen würden, und die ferner den Tod so wenig fürchten, dass sie jene Worte aus der »Hymnis« im Munde führen:
»Sechs Monate sind mir genug des Lebens,
den siebenten weihe ich dem Orcus.«
Ferner werden sie jene Epikureischen Arzneien gleichsam aus der Apothekerbüchse hervorholen: »Ist der Schmerz gross, so ist er kurz, und ist er lang, so wird er leicht.« Nur das Eine verstehe ich nicht, wie es möglich ist, dass ein Schwelger Maass in seinen Begierden halten könne.