Читать книгу Vom höchsten Gut und vom größten Übel - Cicero, Georg Heinrich Moser - Страница 20
Kapitel XVII.
Оглавление§ 55. Ich will nun kurz darlegen, was mit diesem festen und gesicherten Grundsatz verknüpft ist. In dem höchsten Gut und Uebel, d.h. in der Lust oder in dem Schmerze, kann man sich nicht irren, aber wohl kann man in den Gegenständen fehlgreifen, wenn man nicht weiss, aus welchen Ursachen jene hervorgehen. Wir gestehen, dass die Lust und der Schmerz der Seele aus der Lust und dem Schmerz des Körpers entsteht. Ich gebe deshalb zu, dass, wenn Einzelne von uns hier anderer Ansicht sind, dies, wie Du sagtest, die Sache verloren macht; es sind dies zwar Viele, aber doch nur Unerfahrene. Wenn auch die Lust der Seele uns Freude macht und ihr Schmerz uns unangenehm ist, so entspringen doch beiderlei Gefühle aus dem Körper und werden auf ihn bezogen. Doch kann trotzdem die Lust und der Schmerz der Seele viel grösser als die des Körpers sein; denn mit dem Körper kann man nur das Gegenwärtige und Anwesende empfinden, mit der Seele aber auch das Vergangene und Kommende. Wenn man auch bei körperlichen Schmerzen ebenso in der Seele leidet, so kann doch dieses Gefühl erheblich steigen, wenn man meint, von einem dauernden und endlosen Uebel bedroht zu sein; und dasselbe gilt von der Lust, sie steigt, wenn man nichts dergleichen befürchtet.
§ 56. So erhellt schon hieraus, dass die grösste Lust und der grösste Schmerz der Seele von höherer Bedeutung für das glückliche oder elende Leben ist, als beiderlei Empfindung, wenn sie gleich lange im Körper ist. Nach unserer Ansicht folgt aus der Entziehung der Lust nicht sofort die Traurigkeit; es müsste denn an Stelle der Lust zufällig ein Schmerz getreten sein; aber umgekehrt erfreut der Nachlass der Schmerzen, auch wenn keine die Sinne erregende Lust nachfolgt, und daraus kann man ersehn, welche grosse Lust in der Schmerzlosigkeit enthalten ist.
§ 57. Ebenso wie man durch die Güter, welche man erwartet, aufgerichtet wird, freut man sich ihrer in der Erinnerung. Nur die Thoren quälen sich mit dem Andenken der vergangenen Schmerzen, während der Weise sich an den vergangenen Gütern erfreut, die er in dankbarer Erinnerung sich erneut; denn es liegt in unserer Macht, das Unangenehme gleichsam in ewiges Vergessen zu hüllen und des Angenehmen sich gern und freudig zu erinnern. Betrachtet man aber das Vergangene scharf und aufmerksam, so ereignet es sich, dass, wenn es ein Uebel gewesen, man traurig, und wenn es ein Gut gewesen, man fröhlich wird.