Читать книгу Commissario Paola Rossi - Cinzia G. Agostini - Страница 8

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Als sie am Tatort ankam, war die Spurensicherung bereits im Einsatz. Ispettore Nero kam auf sie zu.

»Ciao, Paola!«

»Ciao, Maria, was haben wir?«

Maria Nero eine Frau Ende zwanzig mit einem flotten Kurzhaarschnitt klappte ihr Notizbuch auf und fing zu sprechen an.

»Clarissa Angelo, 23 Jahre, studiert Veterinärmedizin in Milano und war auf dem Weg zu ihren Eltern.«

»Habt ihr schon mit den Eltern gesprochen?«

»No, wir haben eine Nachricht auf ihrem telefonino gefunden.« Maria Nero holte aus ihrer Jacke einen Beutel, darin befand sich das telefonino des Opfers.

»Ach Maria, dann muss ich mich gleich auf den Weg zu den Eltern machen.«

Ispettore Nero schaute Paola betroffen an.

»Ich begleite dich, hier ist noch etwas Wichtiges. Laut dem Notfallarzt müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen. Der Täter oder die Täterin hat mit einer solchen brutalen Wut auf das Opfer eingestochen, dass sie sehr viel Blut verloren hat.«

»Madonna!«, entfuhr es Paola, »gibt es Augenzeugen?«

»! Signor Scarpa. Er steht dort links, ich bringe dich gleich hin. Er steht ziemlich unter Schock. Er bog gerade von der Via Santa Chiara hier in diese Straße und sah sie am Boden liegen.«

Paola beugte sich zum Boden und schaute sich die Stelle des Verbrechens an. Das Blut war schon dickflüssig und an einigen Stellen getrocknet. Doch die Menge des Blutes ließ auf nichts Gutes hoffen. Paola sah in ihrem Kopf die Szene des Verbrechens vor sich und schüttelte sich. Brutal ohne Zweifel, doch bevor sie sich ein komplettes Bild vom Tathergang machen konnte, musste sie mit dem Augenzeugen sprechen. Hoffentlich hatte er etwas bemerkt, sie war gespannt. Paola sprach noch mit einem anderen Kollegen, der den Inhalt der Handtasche des Opfers überprüfte.

»Etwas Interessantes dabei?«

Salvatore Torri nickte Paola zu.

»Ich bin mir noch nicht sicher, ich muss es erst überprüfen. Schau hier an der Schnalle der Tasche hängt eine Faser. Die Schnalle ist recht scharfkantig, vielleicht haben wir hier nicht nur eine Faser, sondern auch noch etwas Hautabschürfungen und DNA vom Täter.«

Paolas Augen weiteten sich. »Das wäre gut! Ich warte deinen Bericht ab und dann sehen wir weiter. Danke Salvatore! Gute Arbeit! Wir sehen uns morgen in der Questura.«

Sie drehte sich um und lief zum Zeugen.

»Buonasera, Signor Scarpa, mein Name ist Commissario Rossi. Ich bin die leitende Ermittlerin. Sie haben das Opfer gefunden?«

Signor Scarpa nickte, man sah ihm an, wie sehr ihn das eben Erlebte noch immer in den Knochen steckte.

»Piacere! Buonasera, Commissario, ja, ich habe das arme Mädchen gefunden.«

Dann wisperte er: »Sie hat so geblutet! Madonna!« Er bekreuzigte sich. »Ich habe nur noch jemanden weglaufen sehen, wäre ich doch nur eine Minute früher um die Ecke gelaufen, dann hätte ich ihr helfen können.« Ihm standen Tränen in seinen Augen. »So etwas habe ich noch nicht gesehen. Entschuldigen Sie.«

Paola schaute ihn besorgt an und fragte: »Geht es wieder, wollen wir uns in das Polizeiauto setzen.«

Signor Scarpa nickte ihr zu.

Im Auto angekommen, beruhigte er sich und Paola konnte die Zeugenaussage fortsetzen.

»Wenn ich doch nur mehr hätte tun können!«, rief Signor Scarpa immer wieder aus.

Paola versuchte ihn zu beruhigen und lobte seine besonnene Art sofort Hilfe geholt zu haben.

»Meinen Sie, sie kommt durch?«

Paola sah ihn an und erkannte die große Betroffenheit in seinem Gesicht.

»Sie haben auch eine Tochter, ist das so?«

Er war auf einmal ganz ruhig und fragte ganz beklommen:

»Ja, wieso fragen sie?«

Paola schaute ihn an. »Das spüre ich.«

Mehr musste sie nicht sagen, sie nickten sich zu. Leider hatte der Zeuge nur noch einen Schatten wegrennen sehen. Er hatte sich um Clarissa gekümmert, einen Notarzt und die Polizei gerufen. Dann hatte er sich zu ihr hingekniet und auf den Rettungswagen gewartet.

»Hat das Opfer etwas zu Ihnen gesagt oder sich irgendwie bemerkbar gemacht?«, fragte Paola.

»Als ich angerannt kam, hatte ich sie angesprochen, doch sie schien bewusstlos zu sein. Als ich mich über sie beugte um zu schauen, öffnete sie nur kurz die Augenlider und hauchte so etwas wie: Famiglia Ma… Ich habe schon überlegt, was sie meinen könnte. Vielleicht Mamma? Leider habe ich nicht mehr verstanden. Ich hoffe, sie kommt durch und sie finden den Täter!«

»Glauben Sie«, fragte Paola, »dass es ein männlicher Täter war?«

Signor Scarpa überlegte und sagte dann: »Ich glaube, es war ein Mann, aber ich habe ja nur einen Bruchteil einer Sekunde den Täter weglaufen sehen. Auf jeden Fall hatte er eine Baseball-Cap tief im Gesicht, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Warten Sie, mir fällt noch etwas ein…als der Täter weglief, rannte er nicht gleichmäßig, fast so, als hätte er sich verletzt. Ach, wäre ich doch nur hinter ihm her…«

Paola sah ihn an und sagte sofort: »Auf keinen Fall, Sie haben alles richtig gemacht. Es war leider niemand weiter auf der Straße. Sie haben richtig entschieden, sich um das Opfer zu kümmern und die Einsatzkräfte zu informieren. Alles gut!«

Signor Scarpa nickte ihr zu und bedankte sich. Paola gab ihm seine Karte.

»Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie bitte an. Vielen Dank für Ihre Mithilfe. Auf Wiedersehen, Signor Scarpa!«

Er gab ihr die Hand und sie verabschiedeten sich.

Paola rief einen Mitarbeiter zu sich, der Signor Scarpa nach Hause bringen sollte. Dann ging sie zu Ispettore Maria Nero und brachte sie auf Stand.

»So wie der Zeuge ausgesagt hat, bestätigt das die Vermutung von Salvatore, dass nicht nur Fasern an der Schnalle der Tasche vorhanden sind.«

Ispettore Nero nickte ihr zu und verstand, was sie meinte. Womöglich konnte sich das Opfer wehren und die Schnalle der Tasche verletzte wiederum den Täter oder die Täterin. Jetzt mussten sie sich auf einen unangenehmen Weg machen. Sie mussten den Eltern erklären, dass ihre Tochter schwerverletzt im Krankenhaus liegt und womöglich an den Folgen der Tat sterben könnte. Das war das Schlimmste an ihrer Arbeit. Paola besprach noch etwas mit Salvatore, dann wandte sie sich an einen Sergente.

»Bitte senden Sie mir eine Notiz mit dem Zimmer des Opfers und fragen bitte, wer der behandelnde Arzt ist. Schicken sie es mir bitte schnellstmöglich auf mein telefonino zu.«

»Wird gemacht, Commissario!«

Paola und Ispettore Nero hatten nur noch einige Minuten am Tatort zu tun.

»So Maria, lass uns zu den Eltern gehen. Es sind nur ein paar Meter. Wir müssen ihnen Bescheid geben.«

»Leider! Gehen wir.«

Sie liefen die Straße Via Santa Chiara ein paar Meter entlang und an der Numero 20 hielten sie an. Beide schauten sich noch einmal an, nickten sich zu und Ispettore Nero klingelte bei Angelo. Bevor der Summer ertönte, rief eine Stimme durch die Sprechanlage:

»Ciao cara Clarissa, bist du endlich da, hast du wieder deinen Schlüssel verkramt, ich mache auf!«

Die beiden Frauen räusperten sich.

»Scusi, hier sind Commissario Rossi und Ispettore Nero, lassen sie uns bitte herein.«

Auf einmal war Stille.

Paola wollte erneut auf die Klingel drücken, da nichts passierte, doch da ertönte der Summer und die Tür öffnete sich. Sie nahmen die Treppe und liefen nach oben. Im zweiten Stockwerk sahen sie bereits von der Treppe aus, eine Tür offenstehen. Paola klopfte.

»Signora Angelo, wo sind sie? Dürfen wir hereinkommen?«

Eine leise Stimme war zu hören: »Erste Tür links!«

Sie betraten die Wohnung und sahen eine Frau am Tisch sitzen, mit den Händen den Kopf halten. Sie blickte hoch und man sah, rot verweinte Augen.

»Buonasera. Mein Name ist Commissario Rossi, das ist Ispettore Nero!«

Dabei zeigten sie ihre Dienstausweise. Die Frau saß zwar immer noch am Tisch, doch hatte ihren Kopf angehoben und sah beide mit weit aufgerissenen Augen an.

»Sagen Sie schon, ist etwas mit meiner Clarissa? Ist etwas passiert?«

Paola räusperte sich, es fiel ihr sichtlich schwer, der Mutter erklären zu müssen, dass ihre Tochter vielleicht nie mehr durch diese Tür kommen würde. Sie nahm einen tiefen Atemzug!

»Signora Angelo, es tut uns sehr leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass ihre Tochter Clarissa Opfer eines Verbrechens geworden ist.«

Signora Angelo fing augenblicklich laut zu weinen an. Ispettore Nero lief auf sie zu und strich über ihren Arm.

»Sie lebt!«, rief Paola in das Weinen hinein.

Sie beugte sich zu Signora Angelo, sah ihr in die rot verweinten Augen und sagte eindringlich:

»Hören Sie! Ihre Tochter lebt! «

Ein weiterer Schwall Tränen folgte.

Paola griff zu der Wasserflasche, die auf den Tisch stand und zu einem Glas und goss etwas Wasser ein. Dann reichte sie Signora Angelo das Glas, nickte ihr zu und die Frau nahm mechanisch das Glas in die Hand und trank einen großen Schluck daraus. Sie stellte es ab, griff danach in ihre Hosentasche, ein Taschentuch kam hervor, tupfte ihre Augen und schnäuzte sich kräftig. Danach atmete sie tief durch und fragte etwas ruhiger, an die beiden Polizistinnen gewandt: »Was ist mit meiner Clarissa passiert? Wie geht es ihr? Wo ist sie?«

Paola machte mit ihrer Hand eine Bewegung zum Stuhl, schaute Signora Angelo fragend an. Sie nickte ihr zu, das war das Zeichen für Paola sich hinsetzen zu können und sie erzählte Signora Angelo den Tathergang. Dann und wann griff die Mutter zu einem Taschentuch, doch sie schien gefasst zu sein, wie Paola feststellen musste.

»Signora Angelo, ich habe folgende Frage an Sie: Waren sie in den letzten drei Stunden hier, es tut mir aufrichtig leid…«

Sie machte eine kurze Pause. »Ich muss Ihnen diese Frage stellen, aber…«

Weiter kam sie nicht, Signora Angelo nickte verständnisvoll: »Ich verstehe schon, sie müssen Ihre Arbeit machen, ich nehme es Ihnen nicht übel.«

Paola war froh, dass Signora Angelo derart entgegenkommend wirkte.

»Commissario, ich war den ganzen Tag hier. Habe Essen gekocht und die Wohnung geputzt. Vorhin hatte ich mit meinem Mann Mario gesprochen, ich habe ihn daran erinnert, dass Clarissa heute zum Essen kommt und er zusehen soll, früh Feierabend zu machen.«

Paola schaute fragend,

»Bevor sie fragen, er ist Koch in einem Restaurant. Manchmal kommt er erst recht spät, aber heute wollte er alles versuchen, um früher zu kommen. Clarissa ist sein…«, erneut fing Signora Angelo zu weinen an.

Paola schaute sie ganz ruhig an und hoffte, dass die Signora dadurch zu weinen aufhörte, damit sie mit der Befragung weitermachen konnte.

»Unsere Tochter studiert in Milano Tiermedizin. Wir sind so stolz auf sie! Sie ist die Erste in unserer Familie, die zu studieren anfing. Clarissa ist immer schon so ein aufgewecktes intelligentes Mädchen gewesen und hat uns nur Freude gemacht. Als sie ein Stipendium bekommen hat, waren wir so stolz und haben sie tatkräftig unterstützt. Eine Cousine meines Mannes lebt in Milano und so konnten wir sie mit einem guten Gefühl dorthin gehen lassen.«

Ispettore Nero machte sich derweil Notizen von dem Gesagten. Paola rückte den Stuhl etwas näher zur Signora.

»Wissen Sie, ob ihre Tochter einen Freund hat? Hat sie erzählt, dass sie mit jemandem Ärger oder Stress hatte? War sie in der letzten Zeit anders als sonst, beunruhigt oder wirkte sie ängstlich? Hatten Sie das Gefühl, Clarissa verbirgt etwas vor ihnen? Alles ist wichtig, auch wenn Sie vielleicht denken, das tut nichts zur Sache. Wir wollen herausfinden, wer oder was dahintersteckt.«

Signora Angelo nahm ihre rechte Hand und stützte den Kopf. Sie überlegte!

Nach einer Weile sagte sie: »Es ist tatsächlich etwas Merkwürdiges gewesen. Letztens habe ich mit Clarissa telefoniert. Sie erzählte mir von ihren Kommilitonen und von ihrem Professore. Clarissa sagte: ›Mamma, wenn ich nach Hause komme, will ich dir etwas zeigen. Ich will es nicht am Telefon besprechen.‹ Ich habe natürlich gefragt!«

Dazu nahm sie ihre Arme und hielt sie in die Höhe.

»Hat Sie Ihnen etwas gesagt?«, fragte Paola die Signora.

»Nein, sie war auf einmal sehr bestimmt und meinte: ›Mamma, es ist nichts Schlimmes, mache dir bitte keine Sorgen. Ich erzähle es dir doch noch.‹ Ich wollte nicht nachbohren, sie hörte sich so entschieden an, aber ich dachte, sie hat vielleicht einen jungen Mann kennengelernt. Madonna! Hätte ich doch nur eindringlicher gefragt…«

Erneut weinte Signora Angelo los.

Paola konnte es nicht mehr mit ansehen und brach die Befragung ab.

»Signora Angelo, Sie wollen doch bestimmt zu Ihrer Tochter?«

Die Signora weinte noch immer, dennoch nickte sie hinter ihrem Taschentuch hervor. »Sì!«

»Können Sie Ihren Mann telefonisch erreichen?«

Signora Angelo schaute auf die Uhr.

»Er müsste eigentlich gleich nach Hause kommen. Wieso?«

»Wir sehen doch wie stark sie das alles belastet, dürfen wir Sie zum Krankenhaus bringen?«

In dem Moment drehte sich ein Schlüssel im Schloss und eine Stimme war zu hören: »Ciao, ihr Beiden! Ich habe mich beeilt, wo seid ihr… «

Signor Angelo stand im Türrahmen zur Küche und schaute die beiden Polizistinnen fragend an. Paola und Maria erhoben sich von ihren Stühlen, zückten ihre Dienstausweise und Paola stellte sich und ihre Kollegin vor.

»Buonasera, Signor Angelo, mein Name ist Commissario Rossi, das ist meine Kollegin Ispettore Nero. Wir sind die ermittelnden Beamten im Überfall auf Ihre Tochter Clarissa.«

Sofort schossen Signor Angelo Tränen in die Augen, er schwankte. Paola hatte Sorge, dass er umfallen könnte. Sie nahm den Stuhl, auf dem sie zuvor gesessen hatte und schob ihn Signor Angelo unter.

»Setzen Sie sich erst einmal.«

Paola schaute zu Ispettore Nero und zeigte auf die Flasche Wasser. Maria verstand sofort, was sie meinte, goss in einem sauberen Glas etwas Wasser ein und reichte es dem Vater. Signor Angelo nahm es, trank einen Schluck und kaum, dass er das Glas geleert hatte, fing er zu fragen an.

Paola berichtete auch ihm den Tathergang und in welchem Krankenhaus seine Tochter aufgenommen worden war. Bei der Schwere der Verletzungen fiel es ihr bei Gott nicht leicht, sachlich und ruhig zu bleiben. Der Vater war sichtlich betroffen und starrte ins Leere. Er verharrte in einer Art Schockzustand, anders als die Mutter, die nun erst richtig zu weinen begann. Paola ging mit Maria in den Flur, um sich zu besprechen.

»Kannst du schon einmal vorfahren ins Krankenhaus und schauen, ob der zuständige Arzt noch da ist und ihn befragen«, sagte Paola.

»Ich würde gerne das Ehepaar Angelo in das Krankenhaus begleiten, du siehst ja selbst wie durcheinander sie sind. Dann kann ich den beiden noch ein paar Fragen im Auto stellen und im Krankenhaus bringe ich sie zum Zimmer ihrer Tochter. Danach komme ich zu dir und du bringst mich auf den neuesten Stand.«

Ispettore Nero nickte, »Weißt du, auf welche Station sie gebracht wurde? Hast du schon die Info?«

»Warte!«, Paola zog ihr telefonino aus der Tasche.

»Ja, habe ich! Ich schick dir die Nachricht weiter.«

Im nächsten Moment hörte man ein Piepsen, Maria Nero schaute auf ihr telefonino und sagte:

»OK. Alles da. Perfetto! Ich fahre los und wir sehen uns im Krankenhaus.«

»So machen wir das. Ich rufe mal schnell Francesco an und sage ihm, dass es länger dauert als gedacht…«, erwiderte Paola.

Ispettore Maria Nero verabschiedete sich vom Ehepaar Angelo und winkte ihrer Kollegin beim Verlassen der Wohnung zu. Paola rief bei Francesco an. Nach dem Gespräch lief sie zurück in die Küche. Die Eltern standen engumschlungen und man sah, dass beide emotional am Ende waren. Bei jedem Schluchzen vibrierten die Körper der beiden. Paola räusperte sich und klopfte an den Türrahmen. Sofort ließen sie einander los und schauten Commissario Rossi traurig und verweint an.

»Wollen wir losfahren?«, fragte Paola.

Beide nickten ihr zu. Händchenhaltend gingen sie langsam aus ihrer Küche und man sah ihnen an, wie viel Angst und Sorge sie vor dem Besuch im Krankenhaus hatten.

»Commissario, bitte tun Sie alles, was in ihrer Macht steht, um den Täter zu schnappen. Sie können uns alles fragen, wir wollen Gerechtigkeit für unseren Engel.« Der Vater machte einen entschlossenen Gesichtsausdruck, als er dies sagte.

»Ich verspreche Ihnen beiden, ich werde alles in meiner Macht Stehende unternehmen, um den Täter zu überführen. Ich danke Ihnen für ihre Zusammenarbeit. Lassen Sie uns jetzt gehen.«

Paola ging voraus.

Die Eltern des Mädchens gingen sehr gekrümmt und man sah ihnen ihr Leid in jeder Faser ihres Körpers an. Zum Glück stand Paolas Wagen in einer Seitenstraße und sie mussten nicht an dem eigentlichen Tatort vorbei. Sie öffnete die Türen des Autos und die beiden nahmen Platz.

Paola fuhr los.

Eine ungeheure Stille machte sich breit.

Paola verbannte den Gedanken, den Eltern weitere Fragen zu stellen. Das würde sie am nächsten Tag machen. Das Wichtigste hatte sie bereits notiert. Nach einer kurzen Fahrt kamen sie am Krankenhaus an. Paola schaute auf ihr Display und suchte die Nachricht heraus. Dann gingen sie alle drei zum Fahrstuhl und fuhren in den dritten Stock. Als die Fahrstuhltür sich öffnete, sah Paola am Ende des Gangs ihre Kollegin stehen, die mit einem Arzt redete. Sie beschloss kurzerhand, die Eltern des Opfers in einer kleinen Nische Platz nehmen zu lassen. Dort standen ein paar Stühle. Sie deutete mit dem Finger auf ihre Kollegin und sagte zu Signora und Signor Angelo:

»Warten Sie bitte einen Moment hier. Ich spreche nur kurz mit meiner Kollegin und hole Sie gleich ab.«

Mario Angelo nickte, er umfasste die Hand seiner Frau und zog sie an den Stuhl heran. So saßen die beiden und schauten Paola hinterher.

»Ciao, Maria! Buonasera, Pierluigi! Come stai? Bist du der behandelnde Arzt von Clarissa Angelo? Ihre Eltern sind da!«

Paola drehte sich in die Richtung der wartenden Eltern um.

»Ciao, Paola, das ist schön dich zu sehen, wenn auch der Umstand schrecklich ist!«

Er drückte ihre Hand und gab ihr erst einen Kuss auf die linke und dann auf die rechte Wange.

Dottore Pierluigi Manzoni war ein Kollege von Francesco, ihrem Mann, und ebenfalls Chirurg.

»Können die Eltern zu ihrer Tochter?«

Pierluigi drehte seinen Kopf, kniff die Lippen zusammen.

»Aber nur kurz. Es geht ihr sehr schlecht. Wir wissen noch nicht, ob sie es schaffen wird.«

Paola schaute besorgt.

»So schlimm?«

Pierluigi machte durch seinen Blick keinen Hehl daraus und sagte nur:

»Schlimmer!«

»Können wir gleich reden? Ich will die Eltern nicht länger warten lassen. Die beiden gehen gerade durch die Hölle.«

Paola sah ihn flehentlich an.

»Ich komme mit und bereite die Eltern auf den Anblick vor.«

»Madonna!«, entwich es Paola.

Dottore Manzoni schritt voran und stellte sich dem Ehepaar Angelo als behandelnder Arzt vor. Er erzählte kurz und knapp, dass ihre Tochter notoperiert wurde, sehr viel Blut verloren hatte und eventuell noch weitere Operationen anstehen könnten, doch jetzt müsse man erst einmal die Nacht abwarten. Sie sei sehr schwach. Die genauen Umstände wollte der Arzt ihnen später in einem Gespräch mitteilen.

Signora Angelo hielt sich die Hand vor den Mund und probierte ihre Tränen herunterzuschlucken. Ihr Mann versuchte gefasst zu bleiben, aber man sah ihm an, wie er mit seinen Emotionen kämpfte. Die Eltern machten sich auf den Weg zum Krankenzimmer, ihr Gang war verhalten. Beide mussten einen Kittel, Überschuhe und einen Mundschutz anziehen, erst dann öffnete Dottore Manzoni leise die Tür und ließ sie hinein.

Dottore Manzoni kam heraus und drehte sich zu Paola und Maria um.

»Paola versprich mir, dass du den Kerl schnappst und hinter Schloss und Riegel bringst. Das arme Mädchen! Sie hat durch die beiden Stichverletzungen im Bauchraum, so viel Blut verloren und sowohl die Milz als auch der Darm wurden verletzt. Sie muss sich stark gewehrt haben, dass sieht man an den Abwehrverletzungen bei ihr und an der erheblichen Kopfverletzung, die sie sich zugezogen hat. Ich sag es jetzt mal nicht im Fachchinesisch. Ihre Milz ist gerissen. Ein Stück des Darms war verletzt. Wir haben sie notoperiert, mussten ihr mehrere Blutkonserven verabreichen. Durch die starke Kopfverletzung hat sich ein Aneurysma entwickelt. Wir haben sie jetzt erst einmal ins künstliche Koma gelegt, damit sich die Ausdehnung im Gehirn, hoffentlich zurückbilden kann. Wenn das Mädchen diese Nacht übersteht, dann hat sie eine Chance. Wir wissen aber noch nicht, inwieweit die Kopfverletzung bleibende Schäden verursacht haben könnte. Als wir den Bauchraum geöffnet haben, hatten wir sie kurzfristig schon verloren, aber wir haben alles unternommen, um sie zurückzuholen. Sie hat so viel Blut verloren, wer auch immer sie gefunden hat, ein paar Minuten später und sie wäre bei euch in der Gerichtsmedizin gelandet.«

Paola wurde schlecht, das lag nicht nur an ihrem leeren Magen, sie stellte sich vor, wie furchtbar dieses Erlebnis für Clarissa gewesen sein mochte und welche Schmerzen sie davongetragen haben musste.

Pierluigi sah sofort ihre Gedankengänge.

»Paola, wir passen auf sie auf! Sie bekommt Schmerzmittel und wir haben sie engmaschig in der Beobachtung!«

Paola schaute ihn nachdenklich an.

Zu Maria gewandt sagte sie: »Sorge dafür, dass ein Beamter vor dem Zimmer bleibt und sie bewacht. Leider wissen wir nicht, ob der Täter es dabei belässt. Uns fehlen noch wichtige Anhaltspunkte.«

Ispettore Nero sah ebenfalls stark ergriffen aus und hatte bereits alles veranlasst. Der erste Beamte holte sich gerade einen caffè und müsste in ein paar Minuten wieder vor dem Zimmer patrouillieren.

»Gut, Maria! Der nächste Dienst ist auch schon eingeteilt?«

»Ja, wir haben alles organisiert. Sie wird rund um die Uhr bewacht.«

»Sehr gut!«, sagte Paola.

Dottore Manzoni sah Paola an.

»Ich schreibe meinen Bericht zu Ende, ich war gerade dabei, als dein Ispettore zu mir kam. Wenn du noch einen Moment warten kannst, gebe ich dir eine Kopie mit.«

»Das wäre toll! Wir warten!«

Paola ließ den Dottore gehen und drehte sich zu Maria.

»Lass uns dort auf einen Stuhl setzen. Wir warten auf den Beamten und holen uns dann einen caffè, bestimmt ist Pierluigi dann auch mit seinem Bericht fertig.«

Bevor sie gehen konnten, öffnete sich die Tür des Krankenzimmers und die Eltern traten heraus. Sichtlich mitgenommen von den Eindrücken, die sie in den letzten Minuten im Krankenzimmer ihrer Tochter, erlebt hatten.

Paola richtete das Wort an sie: »Soll meine Kollegin Sie nach Hause begleiten?«

Signor Angelo schüttelte den Kopf.

»Nein, wir wollen noch etwas bleiben. Wissen Sie, wo der Dottore ist?«

»Er schreibt den Bericht, ich warte auf eine Kopie. Wollen wir uns alle zusammen dort in den Wartebereich setzen?«, fragte Paola die Eltern.

»!«, sagte der Vater aufgewühlt.

Sie setzten sich auf die Stühle und sprachen kein Wort. Die Mutter griff nach der Hand ihres Mannes und drückte sie ganz fest.

Nach einigen Minuten kam ein Beamter den Flur entlang. Paola stand auf und sprach mit ihm. Er nahm danach einen Stuhl und ging schnurstracks zum Krankenzimmer, dort setzte er den Stuhl leise ab und setzte sich darauf. Paola verwarf den Gedanken an einen caffè und wartete mit ihrer Kollegin und den Eltern, bis nach etwa zwanzig Minuten Pierluigi aus seinem Büro rauskam.

Paola stand auf und lief ihm entgegen, nahm die Akte, sprach noch ein paar Worte mit ihm und bat, dass er noch einmal mit den Eltern des Opfers sprechen möge.

»Ich mache das, keine Sorge Paola. Ich werde sie bitten nach Hause zu fahren. Sie können jetzt nichts tun. Ich kümmere mich. Grüß Francesco! Buona notte Paola, komm gut heim!«

Paola drückte ihn und wünschte ihm ebenfalls eine gute Nacht, danach lief sie noch einmal zu dem Beamten, und machte sich dann auf den Weg zu den Eltern, die ganz aufgeregt mit Dottore Manzoni sprachen. Als Paola an der Sitzgruppe ankam, schauten die Eltern sie erwartungsvoll an.

»Ich gebe Ihnen meine Karte. Können wir uns morgen treffen? Ich möchte doch noch ein paar Fragen stellen. Können Sie mich anrufen, dann machen wir eine Zeit aus? Voraussichtlich bin ich gegen 10 Uhr in der Questura.«

Die Eltern von Clarissa nickten ihr zu. Paola schüttelte beiden die Hände und wünschte ihnen eine gute Nacht. Ispettore Nero tat es ihr gleich und danach gingen sie gemeinsam zum Fahrstuhl. Als die Fahrstuhltür sich schloss, atmeten beide erst einmal tief ein – und wieder aus.

»Was für ein Tag, Maria!«

»Ja, was für ein Tag! Paola!«

»Ich möchte jetzt nur noch nach Hause und erst einmal schlafen und du Paola?«

Paola gähnte und schüttelte sich, sie schaute auf ihre Uhr. Kurz vor Mitternacht!

»Kein Wunder, dass ich so müde bin, kurz vor Mitternacht! Ich fahre jetzt auch heim, das war ein langer und anstrengender Tag.«

Sie stiegen beide aus dem Fahrstuhl aus. Verabschiedeten sich vor dem Krankenhaus und gingen dann zu ihren Autos. Paola war heilfroh, als sie nach einer guten halben Stunde, das Ortsschild von Desenzano del Garda sah. Ein paar Minuten später stand sie vor ihrem Haus.

Commissario Paola Rossi

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