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IV.

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Was half es Rieke Längnick, daß sich ihr ganzes Innere gegen das fremde Mädchen sträubte?! Sie hatte die Sache mit der Millionenwitwe so schön eingefädelt gehabt. Auf ihr Geheiß war der Sohn nach Britz gefahren, zwei Stunden und länger hatte er dort gesessen. Die Mutter wußte es wohl, er konnte immer den „Dreh“ nicht finden, aber die Marianne mußte doch auch sehr nett zu ihm gewesen sein.

Wenn die Längnick gewußt hätte, daß ihr Paul stockstumm dagesessen hatte! Seine Gedanken waren weit abgeirrt, vergebens hatte Marianne Badekow versucht, nachdem die üblichen Redensarten gewechselt worden waren, ein Gespräch anzufangen. Er sagte nur „Ja“ oder „o ja“ und „nein“. Marianne war eine muntere Frau, trotz allem, was schon hinter ihr lag; die Grübchen in ihren runden Wangen vertieften sich immer mehr. Zuletzt ging sie in die Küche, sie konnte das Lachen nicht mehr verhalten und ließ ihn allein drinnen sitzen. Das war ihm auch das liebste gewesen. Auf die begierige Frage der Mutter: „Na, wie war se denn?“ antwortete er ehrlich und mit Nachdruck: „Sehr nett!“ Und aus diesem aussichtsreichen Plan sollte nun nichts werden.

Es war am Abend des Tages, an dem Paul mit Mister Brown im Kruge gesessen hatte. Er hatte den Fremden noch ein Stück auf dem Heimweg begleitet; Mister Brown hatte lebhaft geredet und zuletzt seinen Arm in den des jungen Mannes gelegt. Langsam war Paul dann zurückgeschlendert, die Hände in den Hosentaschen; er pfiff sich leise eine Melodie. Das dämmerige Feld, das sich einsam dehnte in verwaister Endlosigkeit, diese graue Weite, in der herbstliche Nebel wie Gespenster spazieren gingen, hatte für den Tempelhofer nichts Trauriges und Erschreckendes. Ein glückliches Lachen, das sein alltägliches Gesicht veredelte, lag in Pauls Mienen. Wie erwachendes Selbstbewußtsein, das den Knaben zum Manne macht, kam’s über ihn. War es möglich, die schöne Ethel hatte ihn gern?! Mister Brown hatte es ihm eben gesagt, wieviel seine Tochter von ihm hielt.

„Ethel!“ Ganz hingenommen vor Seligkeit warf der junge Mensch beide Arme in die Luft, und dann trat er rascher zu: nun war es Zeit, daß er es der Mutter sagte!

Der Mond schien unsicher, als Paul zu seiner Mutter in den Flur trat. Die Längnick hatte noch keine Lampe angesteckt; in so etwas sparte sie. Sie schälte ja auch nur die Kartoffeln für den morgenden Tag, und die konnte sie fühlen. Einen großen Eimer mit Wasser hatte sie vor sich stehen, rasch fiel eine Kartoffel nach der anderen hinein.

„Mutter“, sagte Paul ganz atemlos, „morgen kommt Mister Brown zu uns; schon zu Mittag. Koch was Feines, Mutter, bitte!“

„Wat? Essen will er bei uns?“

Der Sohn nickte glücklich. „Ja! ‚Er käme bei guter Zeit, daß Ethel auch alles noch ordentlich sehen könnte.‘ Da sagte ich: Kommen Sie doch zu Tisch. Was haste zu essen, Mutter? Die sind fein gewöhnt!“

„Eetel – seit wann sagste denn Eetel zu det englische Mächen?“ Rieke Längnick richtete ihre Augen auf den Sohn; sie sah scharf trotz des unsicheren Mondlichtes. Und sie sah alles. „Wat jeht dich det fremde Mächen an?“

„Mutter!“ Er schnappte nach Luft. Aber dann sagte er rasch, sich selber gar keine Zeit lassend: „Ich habe sie so lieb, Mutter!“

„Na“ – sie lachte kurz auf –, „det wird sich ja finden. Vorerst wollen wir mal mit ’m Ollen sehen. Du warst ja heute so lange mit dem zusammen – na?“ Ungeduldig warf sie eine Kartoffel in den Eimer, daß das Wasser hochspritzte. „Nu? Jib doch Antwort, Döskopp!“

Hundert Mal hatte sie den Sohn „Döskopp“ genannt, er hatte es sich immer gefallen lassen; heute nich. „Was geht es mich an, was du spekulierst! Laß den Engländer kaufen oder nich kaufen, mir is ’s Wurst. Ich bin kein Döskopp!“

„En Schlummerkopp biste!“ Sie schrie ihn gehörig an., „Mir is et nich Wurscht, verstehste? Land muß er mir abkaufen. Da rennste immer mit ’m rum, kannste nich sagen: ‚Hören Se, Herr Mister Braun, hier hat meine Mutter ’n paar schöne Äcker, prachtvolle Äcker, aber se will se an Ihnen verkoofen, weil se so dicht bei Ihrem Besitz liegen – un aus Freundschaft. Sonst verkaufte sie se nich.‘ Na?!“ Sie sah ihn aufmunternd an.

Er schüttelte den Kopf: „Das kann ich nich sagen!“

„Kotzdonner, warum denn nich?“

„Weil ich nich will!“ Er sagte es eigensinnig.

„Ich will nich, ich will nich!“ Sie höhnte ihn aus. „Det ich dir nich die Hosen stramm ziehe! Wenn ick will, haste zu wollen!“

„Ich will aber nich!“ Er ward plötzlich wütend, alles Blut schoß ihm zu Kopf; er stieß mit dem Absatz gegen den Eimer, schleuderte ihn mit dem Fuß so heftig, daß das Wasser in vollem Schutt auf den Ziegelflur schoß und die Kartoffeln in alle Ecken tanzten. Er trampelte den Boden, und dann ballte er die Fäuste und schwang sie gegen die Mutter: „Du sollst mich nich mehr behandeln wie ’nen dummen Jungen! Ich laß es mir nich mehr gefallen!“

Sie wollte erst lachen, ein höhnendes Lachen, aber dann verstummte sie. Der Schaum war ihm vor den Mund getreten. Nun durfte sie ihn nicht mehr reizen, wenn seine Augen so rollten. „Aber, Paule“, sagte sie einlenkend, „wie kannste nu gleich so wütend sein. Ich sage ja jar nischt!“ Er sah sie von unten herauf mit den rollenden Augen an wie ein Stier, der losstoßen will.

„Mein Paule!“ Sie haschte nach seinen drohend emporgehobenen Fäusten und drückte sie ihm herunter. „Du wirst doch nich jejen deine Mutter anjehn, Paule?“

Er sah sie starr an. Der Atem ging ihm keuchend, in heftigen Stößen arbeitete seine Brust. Jetzt kam ein Zwinkern in seinen starren Blick, er hielt sich die Hände vor die Augen, als wolle er nichts mehr sehen, und flüsterte heiser: „Ich kann es mir nich mehr gefallen lassen. Ich weiß ganz genau, was ich will. Ich bin alt genug. Ich will die Ethel Brown heiraten. Du mußt das nich sagen, du mußt das nich sagen!“

„Wat soll ick denn nich mehr sagen? Ick sage ja jar nischt, mein Paule!

„Ich weiß nich“, murmelte er. Und dann seufzte er auf: „Ich kann es nun mal nich vertragen. Mir is es ganz schlecht.“

„Denn jeh doch zu Bett. Leg dir hin, mein Sohn! Wieviel haste denn heut jetrunken? Jeh, jeh! Ick komme noch zu dir. Ick setze mir ’n bißken bei dir hin!“

Sie bückte sich und fing an, die Kartoffeln aufzulesen; er bückte sich auch ganz mechanisch und half ihr dabei. Und dann ging er aus dem Zimmer, aber sein Gang war wie der eines Betrunkenen, er schwankte.

Sie sah ihm kopfschüttelnd nach; ein Ausdruck von Besorgnis erweichte ihr Gesicht: was war das mit dem Paul? Als Kind war er oftmals blau geworden vor Wut, und wenn er nicht haben sollte, was er haben wollte, hatte er dagelegen, starr wie im Krampf. Aber nun war das doch lange nicht mehr vorgekommen.

Mit Händen, die nicht so ruhig waren wie sonst, zündete die Längnick das Lämpchen an, und dann rutschte sie auf allen Vieren herum im nur notdürftig erhellten Flur und las die Kartoffeln aus allen Winkeln. Lange hockte sie so in kauernder Stellung auf den feuchtkalten Ziegeln, eine Kartoffel noch in der Hand, sich ganz vergessend in ihren Gedanken. Wenn man ihm den Willen tun müßte?! Es schmeckte ihr bitter auf der Zunge. Dann war’s nichts mit der Millionenwitwe!

Die Lampe schwalchte, sie merkte es nicht. Die Luft wurde dampfig im niedrigen Flur, die Lampe schwalchte und schwalchte, der rötliche Rauch stieg zum Zylinder heraus; es roch förmlich nach Brand.

Da stand Rieke Längnick auf, ihr Gesicht war ganz fahl: ja, sie mußte zu ihm ans Bette gehen, mußte ihm gut zureden. Und wer weiß – na, wenn der Engländer erst angebissen hatte, na, dann würde man ja sehen, wie es mit der Tochter wurde!

Sie hatten gut zu Mittag gespeist. Die Längnick hatte etwas springen lassen; es war wie ein Brautessen. Was sie in der Eile nicht selber mehr hatte herrichten können, das hatte sie von einem reitenden Boten holen lassen aus dem ersten Delikateß-geschäft Berlins. Die Austern fehlten nicht, und auch nicht eine Flasche Champagner. Sie lachte breit: so aß man in Tempelhof!

Paul war erst ganz verdutzt darüber, dann aber freute er sich. Seine Augen bekamen einen tieferen Glanz, und wenn er das Mädchen, das ihm gegenüber am runden Tisch der guten Stube saß, über seinen gehäuften Teller weg ansah, strahlten sie förmlich.

Man konnte der Längnick nicht anmerken, daß sie dieses Strahlen mit Schmerzen sah – ach, wenn da die Marianne gesessen hätte, die komplette Frau, die Frau mit den Millionen, anstatt dieses schmächtigen, spillrigen Dinges! Sie begriff nicht, wie Paul dieses Mädchen schön finden konnte. Ein Gesicht, so schmal, mit der Hand zuzudecken, eine Figur wie die eines halbwüchsigen Kindes! Nur die Augen fand selbst Rieke Längnick hübsch; die waren groß und sanft, von Farbe veilchenblau, und dunkle Wimpern hingen lang darüber.

Himmel, war der Junge verschossen! Er wußte ja gar nicht, was er aß und trank, er schlang nur alles in sich hinein und sah dabei immer das englische Mädchen an. Es wollte in Rieke aufkochen, aber sie bezwang sich: Ruhe, Geduld! Arm waren ja die Fremden auch gerade nicht, die Kleine hatte viel Schmuck an sich hängen, sie trug Brillantknöpfe in den Ohren!

Aber ganz traute die Längnick doch nicht, mochte der Engländer noch so viel reden von seinen Unternehmungen, von seinen Reisen – überall war er gewesen – und von seinen Pferden. Er hatte jetzt seinen Rennstall aufgegeben, weil er nicht selber mehr danach sehen konnte. Ob er nicht aufschnitt? Aber als er auf seine Tempelhofer Pläne kam, wurde der Bäuerin scharfsichtiger Blick kurzsichtig. Sie sah nicht weiter als bis zu ihrem Acker.

Es ließ ihr länger keine Ruhe mehr; da er nicht anfing, mußte sie davon anfangen. Sie hob ihr Glas gegen ihn: „Herr Mister Braun, det et Ihnen wohl bei uns jefallen möchte un“ – sie warf einen freundlich sein sollenden Blick nach dem stillen Mädchen – „un Ihrer Tochter ooch!“ Die Gläser stießen aneinander, es gab keinen rechten Klang; es war ja auch nicht Kristall, man hatte nur einfaches Glas im Hause. Aber es schien Mister Brown auch so zu schmecken.

Und die Längnick fuhr fort, ganz mit demselben schmeichelnden Ton, der ihrer trockenen Stimme merkwürdig anstand: „Na, wie is et denn mit unserm Jeschäft?“ Sie wartete gar keine Antwort ab. „Ick denke, Sie werden mir doch ooch wat abkoofen?“ Sie lauerte.

Er stocherte sich in den Zähnen. „Hm“, sagte er dann und wiegte den Kopf.

Nun wußte sie nicht: wollte er kaufen, oder war’s nichts damit. Die Ungeduld stieß sie. Sollte denn alles umsonst sein, das noble Essen, der teure Champagner?! „Hören Se, Sie ziehen mir an der Nase rum“, platzte sie heraus. Die Leidenschaft der Gier überstieg ihre Schlauheit, mit lodernden Blicken sah sie ihn an: „Alles kucken Se sich an, stecken die Nase überall rin, Paule muß Ihnen überall rumführen, un denn koofen Se doch nich. Wollen Se nu noch mehr Land koofen oder nich?“ Es sollte fragend klingen, aber es klang drohend.

„Warum nicht“, sagte er gelassen.

„So – na, denn kommen Se nach ’m Essen mal mit raus, ick wer Ihnen nochmal hinführen. Ick selber. Und denn sollen Se mir sagen, ob Se wo noch jelegenere Parzellen finden in Tempelhof. Dicht ans Terrain von’s Ritterjut, wat Ihnen ja schon jehört, un dicht an die Chaussee, die von Mariendorf in jerader Linie dran vorbei bis nach Berlin führt. Ick lasse et Ihnen billig – weil Sie et sind“, schloß sie bittersüß, die Stimme sinken lassend, und dann mit seiner Tochter anstoßend: „Prost, Fräuleinchen!“

Er tat sehr interessiert: was, diese Äcker wollte sie wirklich verkaufen? Das hatte er gar nicht für Ernst gehalten. Nun freilich, sie lagen jetzt stark separiert; wenn erst gebaut wurde von der Gesellschaft, direkt eingeklemmt zwischen Fabriken und Chaussee. Sie waren nicht mehr viel wert.

„Wat, nich mehr ville wert?!“ Rieke fuhr auf. Sie wollte wütend werden – dieser schlaue Halunke! – aber sie biß sich auf die Lippen. Ihre Finger umschlossen das Glas fest und stießen es dann derb auf den Tisch nieder. „Mir liegt im Jrunde nischt dran, ob Sie se koofen oder ’n anderer. Ick dachte mir bloß, et bleibt dann in der Fami–“ Sie sprach nicht aus, aber sie blinzelte nach dem Pärchen hin, das jetzt vom Tische aufgestanden war.

Die junge Engländerin war ans niedrige Fenster getreten, mit dem Rücken stand sie nach der Stube und schien angelegentlich hinaus auf die stille Dorfstraße zu sehen. Ihr zierlicher Kopf mit der Fülle braungoldenen Haares hob sich licht ab von der in der Stube herrschenden Dämmerung. Paul stand dicht hinter ihr, er war ganz versunken in das Weiß ihres Halses. Sein Kopf schien noch dicker, heiß und rot standen die Ohren ihm ab.

Noch pfiffiger blinzelte Rieke; sie sah das alles wohl. Auch Mister Brown sah es, und auch er lächelte pfiffig. Seine nervige Hand offen vor sich auf den Tisch legend, raunte er lächelnd: „All right, Mistreß Längnick. Ich sehe, wir werden einig!“

„So dicht an die jroße Straße, in bester Lage, et kann en Millionenjewinn for Ihnen werden“, versicherte sie eifrig.

„Und für Sie“, sagte er mit einem Zublinzeln.

Sie gab ihm einen Rippenstoß: „Seien Se man nich so niederträchtig! Na, umsonst kann man so wat doch ooch nich wegjeben. Na, jehn wir nu?!“

Das junge Paar blieb allein in der alten Stube zurück, in der es nach modriger Feuchte roch. Draußen fielen die Blätter der Linden. Ein plötzliches Winden fegte sie gelb und schrumplig in eiligem Wirbel am Fenster vorüber; und wo sie noch an den Bäumen hängen blieben, hatten sie ein schweres, giftiges Grün, das ganz anders war als das heitere Grün des Sommers.

„Es wird bald Winter sein“, sagte Ethel Brown und lehnte die Stirn an die blasige Scheibe. Sie seufzte auf: „Wo werden wir dann sein?!“

Es durchrieselte ihn in freudigem Schreck: wie sie seufzte! Ach ja, ihr Vater hatte es auch gesagt: sie war gern hier! „Sie dürfen nich fortgehen“, flüsterte er hastig. „Nee, Sie dürfen nie hier fortgehen. Ich hielte es nicht aus, wenn Sie fortgingen.“

Sie lächelte; ein bißchen schwermütig war ihr Lächeln. „Es ist gut von Ihnen, das zu sagen. Ich fühle dankbar, aber“ – sie seufzte wieder auf – „ich muß doch gehen. Wenn man keine Mutter mehr hat, muß man gehen, wo der Vater will!“ Ihre Brauen zogen sich schmerzhaft zusammen, sie hob die Hand, als zeigte sie dahin und dorthin. Die Lider senkten sich über die schönen Augen, sie sagte mit der rührenden Stimme eines Kindes: „Ich fühle traurig, weil ich keine Heimat habe!“

So hatte sie noch nie zu ihm gesprochen. Der junge Mann bekam eine plötzliche Herzbeklemmung. Sie waren aber auch noch nie ganz allein gewesen, immer war ihr Vater als Dritter dabei, und dann war sie immer sehr still.

Das Dahinwirbeln der gejagten Blätter hatte sie wohl traurig gemacht?! Er sah sie zärtlich an. Und was er sich sonst nie getraut hätte, solange sie nur das feine Mädchen war, die Dame, die ihm imponierte, jetzt wagte er es: er faßte ihre Hand, die sie auf das Fensterbrett stützte, und sagte mit all der Herzlichkeit, die seine Liebe ihm eingab: „Sie sollen bei mir bleiben, Fräulein! Es wird Winter, aber das tut doch nichts. Sie werden ’ne Heimat haben – hier! Bei mir!“ Er sagte es heiß.

Einen großen, ängstlichen Blick ließ sie durch die dunkle, niedrige Stube gleiten und dann hinaus auf die vom Herbstwind gefegten Blätter. Die Baumkronen schüttelten sich, der Himmel war schwer, nun schlugen harte Tropfen an die Scheiben. Da schauderte sie zusammen und neigte die Stirn gegen seine Brust: „Ich fühle dankbar!“

Er riß sie an sich, wild wie ein unbändiger Knabe, er küßte sie, küßte sich satt.

Das war einmal ein Glück, ein riesenhaftes Glück! Nun war das feine, das liebe, das schöne englische Mädchen seine Braut! O, die Mutter durfte nichts dagegen haben! Kein Wort durfte sie sagen, sonst – ! Es funkelte unruhig auf in seinen Augen, nervös zuckte sein Gesicht. Er preßte Ethel in seine Arme, daß ihre zarte Gestalt ganz darin verschwand: die gab er nicht mehr her, nie mehr wieder her! – – –

Als die Längnick und Mister Brown nach einer halben Stunde, durchnäßt und zerzaust, von ihrem Gange zurückkehrten, fanden sie alles fix und fertig, wie Mister Brown scherzhaft sagte. Er war sehr erfreut, er schloß seinen lieben Mister Längnick sogleich kräftig in die Arme und nannte ihn „du“ als seinen lieben Schwiegersohn. Er redete so viel, daß Rieke gar nicht zum Wort kommen konnte. „Sagen Se man –“ hatte sie zwar so und so oft angesetzt, er aber hatte jedes Mal noch etwas Eiligeres zu sagen.

Die Hochzeit mußte bald sein, natürlich, in vier Wochen! Warum sollten die Kinder auf ihr Glück noch lange warten? Und überdies mußte er in vier Wochen nach London zurück. Die Gesellschaft kam zusammen, eine Sitzung war anberaumt, er durfte unmöglich fehlen, und er konnte dort so bald nicht wieder abkommen. Die Hochzeit seiner einzigen Tochter wollte er aber doch mitmachen! Er umarmte Ethel.

Rieke machte ein langes Gesicht: was, schon so bald? Das war nicht Sitte in Tempelhof – nur wenn’s aus gewissen Gründen pressierte. Und überhaupt, nein, sie war gar nicht dafür, sie wollte erst sehen!

Aber Paul faßte sie um und küßte sie so heftig, daß ihr der Atem ausging. Böse stieß sie ihn von sich: er war wohl verrückt? Aber auch sie selber kam sich wie verrückt vor: sie konnte gar nicht mehr so scharf denken wie sonst: war sie nun gewiß, daß der Engländer ihre Äcker an der Chaussee ankaufte oder war sie es nicht?

Selbstverständlich würde er sie der Gesellschaft in Vorschlag bringen, ganz selbstverständlich. Den Ankauf dringend befürworten. Die neunzigtausend Taler, die sie verlangte, mußte sie selbstverständlich bekommen! Mister Brown versicherte, daß er es wohl einsähe, daß sie so teuer sein müßte. Und er schüttelte ihr die Hand.

Erst als die Browns aufgebrochen waren, als Paul auch mit fort war, um seine Braut in der alten Längnickschen Kalesche, die selten genug gebraucht wurde, nach Berlin zu fahren, kam Rieke wieder zu sich. Ein Gefühl der Bangigkeit, des Argwohns und der Beschämung kroch sie an: hatte sie sich auch nicht über den Löffel barbieren lassen? Wäre es nicht besser gewesen, die Sache mit der Millionenwitwe weiter zu betreiben, als für ein noch immer nicht fest abgeschlossenes Geschäft den Sohn an das spillrige Mädchen wegzugeben?!

Draußen heulte der Wind, schüttete der Regen. Sie stand im dunklen Flur, wie vernichtet lehnte sie gegen die Wand. Wie dumm war sie gewesen! Aber dann fuhr sie auf; hochgereckt stand sie, das graue Haar, in das sie sich zweifelnd gegriffen hatte, hing ihr strähnig ins knochige Gesicht. Sie riß die Tür auf, daß der Wind hereinschnob, ballte, auf ihrer Schwelle stehend, die Faust und schüttelte sie drohend in der Richtung, in der die Browns verschwunden waren. Wenn der Mister die Äcker nicht kaufte! Dann sollte es das spillrige Ding nicht zum besten kriegen!

Krachend schlug Rieke Längnick die Tür ihres Hauses zu und verriegelte und verrammelte sie.

Die vor den Toren

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