Читать книгу Fabelhafte Welten - Clara Welten - Страница 9

Оглавление

Wirklich reich ist derjenige, der Zuwendung und Liebe erfahrt.

Indische Weisheit

Wahrer Reichtum2

Vor sehr langer Zeit gab es in einem indischen Dorf einen reichen und einen armen Mann. Beide hatten einen Sohn. Beide wohnten in einem Tal, das von einer hohen Gebirgskette umgeben war. Der reiche Mann hatte sein Haus auf der einen Seite des Hochgebirges, der arme Mann seine Hütte auf der anderen. Es war ein gutes sattes Land, in dem die Bäume und Sträucher Früchte trugen und die Wiesen voller bunter Blumen waren. (1)

Eines Morgens sagte der reiche Mann zu seinem Sohn: „Yaro, mein Sohn! Lass uns auf den Berg steigen, ich will dir etwas zeigen!“ Der Berg war hoch und sie mussten sich früh auf den Weg machen, um gegen Mittag auf der Spitze des Berges zu sein. Der reiche Mann ging eiligen Schrittes einher, kletterte und hangelte sich schnell von der einen zur anderen Baumwurzel, denn er dachte daran, dass er noch arbeiten musste und beizeiten wieder im Tal sein wollte. Schließlich verdiente er tagein, tagaus das Geld für die Familie und vergrößerte so die Summe seiner Goldtaler. (2) Yaro musste sich sputen, um seinem Vater folgen zu können, waren seine Beine doch kürzer und sein Schritt zaghafter. (3)

So kamen Vater und Sohn bald ins Schwitzen, hetzten den Berg hinauf und kamen gegen Mittag auf der Bergspitze an. Der Vater setzte sich auf den vom Tau noch feuchten Boden und Yaro tat es ihm gleich. Sie saßen keine fünf Minuten, da sprach der Vater: „Schau her, Yaro! Das alles ist mein Land!“ Seine Arme machten dabei eine große ausladende Bewegung, als umfassten sie mit den Händen das ganze Land unterhalb. Er sprach weiter: „Yaro, mein Sohn! Das alles wird eines Tages dir gehören! Es ist unser Besitz!“ Der Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören. Seine Augen leuchteten. (4) Da er jedoch nicht viel Zeit hatte, erwähnte er augenblicklich: „Lass uns wieder hinabsteigen! Ich muss noch arbeiten!“ Und sie hetzten den Berg ebenso hinab wie sie ihn bestiegen hatten. (5)

Eines Tages sprach der arme Mann zu seinem Sohn Navin: „Lieber Sohn! Magst du morgen mit mir auf den kleinen Berg im Osten steigen? Ich möchte dir etwas zeigen!“ Navin, der immer gerne mit seinem Vater zusammen war, stimmte sofort zu. „Aber wir müssen in der Früh' hinauf; du musst also beizeiten aufstehen!“ Auch das störte Navin nicht – liebte er doch das Abenteuer und liebte er es, mit seinem Vater zusammen zu sein! (6)

Am folgenden Morgen, noch vor dem Aufgang der Sonne, trafen sich Vater und Sohn vor ihrer kleinen, mit Stroh bedeckten Hütte, um auf den Berg zu steigen. Der Vater ging vor und Navin folgte ihm. (7) Sie nahmen sich alle Zeit der Welt, waren sie doch zeitig losgegangen. Beim Aufstieg schauten sie sich um, fühlten das Gras unter ihren nackten Füßen, naschten von den roten Beeren des Waldes und kamen einige Stunden später auf der Spitze des Berges an. (8) Müde, aber entspannt setzte sich Navin in den Schneidersitz und sein Vater tat es ihm gleich. (9)

Sie saßen noch keine fünf Minuten, da ging vor ihren Augen im Osten die Sonne auf. Ein roter Feuerball stieg am Horizont hinauf und tauchte den gesamten Himmel in orange-rötliches Licht. Auch die Landschaft erstrahlte in diesem hellen Schein. „Schau …“, sprach der Vater zu seinem Sohn, „schau, Navin! Das alles ist unser Land! Es ist das Land unserer Mutter Erde. Sie schenkt uns ihre Schönheit!“ (10) Dabei breitete er seine Arme aus, als umfasste er das gesamte Land.

Navin aber blickte hinaus in die Weite der Natur und staunte. Tief in seinem Inneren spürte er das Licht in all seinen Farben und die Kraft der Sonne. Noch lange saßen er und sein Vater beisammen und taten nichts anderes als schweigend zu schauen. (11)

2 Frei übersetzt aus: Les Philo-Fables, Michel Piquemal, Philippe Lagautrière, èdition Albain Michel Jeunesse, 2003, Paris

Fabelhafte Welten

Подняться наверх