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KONZENTRATIONSLAGER KAUNEN

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In der Nacht müssen die Menschen in Reihen zu dritt und im Laufschritt marschieren, um die etwa 1.000 Meter zu den Baracken zurückzulegen. Wenn einer nicht im Gleichschritt läuft oder den Kopf wendet, bekommt er einen Schlag mit dem Gewehrkolben oder einen Fußtritt. Gleich bei der Ankunft in der Baracke werden Tätowierungen auf dem linken Unterarm angebracht, aber nicht mit Tinte, sondern den Menschen werden Ziffern mit einem glühenden Eisen eingebrannt. Komischerweise sieht Franz sogar Babys und überlebende Kinder, die tätowiert werden.

In der Desinfektion werden alle Körperteile, Ohren, Gesäß etc. untersucht, ob auch nichts versteckt ist. Beine auseinander, bücken, Finger in den Anus, wenn da, Vorhaut zurück, Finger in die Vagina, alles ohne sich die Hände zu waschen, in Gegenwart der SS-Männer und ihrer Hunde, die auf die nackten Gefangenen springen, wenn sie sich zu nähern wagen. Nun beginnt ein vollständiges Rasieren aller Haare mit elektrischen Rasierapparaten oder der Schermaschine. Kein behaarter Teil des Körpers entgeht dem Rasiermesser. Franz nimmt wahr, dass nicht allen Frauen die Haare geschnitten werden.

Eine dralle, kurzbeinige Oberaufseherin mit ekelhafter, heller, schneidender Stimme. „Immer mit der Ruhe! Nun beruhigt Euch schon. Tierische Webstoffe sind wärmer als pflanzliche. Also beruhigt Euch, nichts geht verloren! Die deutsche Industrie verwertet alles. Mit euren Haaren werden wir Decken, Kleidungsstücke usw. machen. Die, die nichts anzuziehen haben, bekommen gleich ein paar SS-Decken. Wie sie auch unsere Hunde tragen. Diese sind aus euren Haaren gemacht.

Nicht drängeln, Ruhe und Ordnung!“

Franz‘ ungläubiger Blick fällt auf ein paar Schäferhunde, die tatsächlich Decken mit der Aufschrift „SS“ tragen.

Im zweiten Zimmer ist die Desinfektion untergebracht. Die Desinfektion sieht bei den Gefangenen ein Absprühen mit einer ekelerregenden Kotzhusten verursachenden weißen Melange vor, welche die Aufseher allerdings nur mit einem Atemgerät vornehmen.

Drittes Zimmer: Bekleidungszimmer. In der sogenannten Bekleidungskammer werden den Gefangenen Lumpen ausgehändigt von Toten oder Ermordeten mit Flecken, Blut, Fäkalresten und Löchern übersät. Nur Hose, Jacke und Hemd sind erlaubt. Pullover und Mäntel sind verboten. Holzsandalen, die nur aus einer Sohle aus Buchenholz bestehen, mit einem einfachen Band über dem Fußspann.

Wohnbaracke: Durch die Kälte wie gelähmt und selbstverständlich ohne Essen und Trinken müssen die Neuankömmlinge im Laufschritt in ihre Wohnbaracken eilen. Fünfzig Holzbaracken und zwanzig Zementbaracken für 16.000 Menschen eingerichtet, bilden das eigentliche Konzentrationslager. Franz kommt mit seinem Trupp in die Baracke. Der Stubendienstälteste, ein Berufsverbrecher, teilt die Ankömmlinge in die Schlafräume. Franz wird mit elf anderen in ein Gefach von 4 m Breite, 1,85 m Länge und 1,60 m Höhe eingepfercht. Etwa 900 Häftlinge liegen so. Das heißt, sie haben nicht genug Platz, um auf dem Rücken zu schlafen, der Kopf jedes Häftlings ruht auf den Füßen seines Vordermannes. Wenn sie sich umdrehen wollen, müssen sich ihre Nachbarn ebenfalls umdrehen. Nach einer Weile gibt Franz es auf, Schlaf zu suchen, er inspiziert lieber seine Decke. Es wimmelt nur so von Ungeziefer.

Er will raus zum Abort. Frauen schlafen in den Aborten und sogar im Freien. Franz verrichtet sein Geschäft. Beim Herausgehen sieht er auf einem Thermometer: - 32 °C. Er schließt die Tür hinter sich.

Wecken um halb vier morgens mit infernalisch lautem Trillerpfeifenlärm. Wer nicht schnell genug aus dem Bett kommt, wird mit kaltem Wasser begossen. Franz wird schlaftrunken in der Masse der Gefangenen mitgezogen und reiht sich ein. Kapos, Blockführer und der Lagerälteste lassen antreten und durchzählen. Als die Gefangenen fertig sind, müssen sie auf ein Zeichen des Lagerältesten beim letzten Mann wieder anfangen, und die Zählung geht von hinten wieder aufs Neue los. Es ist kalt an diesem tristen Morgen. So geht das weiter bis halb sechs. 16.000 Menschen in Reih und Glied unbeweglich und zu Eis erstarrt. Viele Kameraden fallen beim Morgenappell um. Niemand darf sie aufheben, das ist verboten. Dann kommen allmählich die ersten SS-Männer. Natürlich schwankenden Schrittes. Teilweise mit Hunden an der Kette.

Einer fragt den Blockältesten: „Wie viel Abfall?“

Blockältester: „Zehn Mann.“

„So wenig? Durchzählen!“

Blockältester: „Haben wir schon gemacht.“

SS-Mann: „Durchzählen, Mann. Bist du taub?“

Blockältester: „Jawohl, Untersturmführer. Durchzählen!“

Alle, die bewusstlos umgefallen sind und nicht antworten beim Appell, werden von den Kapos auf die Totenliste gesetzt und mit Stockschlägen umgebracht. Unterdes geht das Zählen weiter.

Plötzlich geht ein Raunen durch die Reihen.

SS-Mann-Unterscharführer: „Schnauze! Ihr Dreck!“

Über die lange, schnurgerade Chaussee vom SS-Block her kommen der Lagerführer, der SS-Chefarzt und der Lagerkommandant.

Einer tuschelt zu Franz: „Ich warn‘ dich, der ist verrückt. Vor dem musst du dich in Acht nehmen.“

Hinter dem Chef, dem Kommandanten, dessen ausgesucht gepflegte Erscheinung in seiner hochdekorierten SS-Uniform an die Unwirklichkeit eines Operetten-Offiziers inmitten des Schmutzes und des Drecks erinnert, gehen zwei SS-Männer mit Wolfshunden, deren Augen durch zu viel Fleischfütterung blutunterlaufen sind. Theatralisch hält er vor einem kleinen Podest, Fackelträger entzünden links und rechts von ihm bengalische Feuer. Er steigt auf das Podest. Auf ein Zeichen von ihm beginnt eine KZ-Trio-Besetzung Beethoven zu spielen und er redet ins Mikrofon:

„Sie haben das Recht auf Leben verwirkt. Aufgrund von Rasse, Nationalität, Religion oder Politik. Wir schulen Sie hier in unserer Gemeinschaft, ein besserer Mensch zu sein. Um einen deutschen Ausdruck zu gebrauchen, wir organisieren Euch neu. Die linke und die rechte Hand des Führers, die des Künstlers und die des Baumeisters, werden in uns ihre Werkzeuge finden. Ich gebe den Gefangenen bekannt: Eine Lagerordnung ist nirgendwo angeschlagen oder wird den Gefangenen auf andere Art und Weise bekannt gegeben, denn eine Lagerordnung existiert nicht. Nichts wird verboten, weil alles verboten ist. Etwas, das an einem Tag erlaubt ist, ist am nächsten Tag verboten und bedeutet Korrektur durch Ordnungskräfte der SS. Unsere Karteikarten geben nicht ihre Namen an, sondern nur die Zahl der Gefangenen. Wenn zum Beispiel der Lagerführer irrtümlich einen Todesfall vermerkt, was in Folge der außerordentlich hohen Todesraten häufig vorkommt (süffisantes Lachen), wird der Fehler einfach durch die Auslöschung des Trägers der betreffenden Nummer korrigiert und somit gutgemacht. Jeder Häftling trägt seine Nummer auf der linken Seite des Innenarms und auf dem rechten Schenkel. Auf der Jacke befindet sich die identische Nummer, direkt darunter ein Dreieck aus farbigem Stoff. Auf dem Dreieck die Nationalität des Häftlings, also F für Franzose, P für Polen, R für Russen usw. Arische Häftlinge tragen keinerlei Angaben der Nationalität. Die farbigen Dreiecke bedeuten rot – politische Gefangene, grün – kriminelle, schwarz – asoziale, rosa – meine ganz besonderen Freunde, (zum Arzt gewandt, der ihm mokant und hündisch zulächelt), violett – Bibelforscher, rot mit gelben Zacken – Juden, mit ihrem schmucken Davidstern besonders gut zu erkennen. N.N. – Nacht und Nebel, zum Tode Verurteilte.“

Auf sein Zeichen erstirbt die Musik.

„Jetzt wissen Sie, woran Sie sind, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Kaunas. Suum cuique. Für die, die nicht Latein können: Jedem das Seine. Heil Hitler!“

Aus 16.000 Kehlen hallt ihm ein „Heil Hitler“ entgegen.

SS-Kommandant zu Lagerführer: „Hat mich etwas ermüdet, muss mich erst einmal ausruhen, ein wenig. Gibt es neue Judenweiber?“

Lagerarzt wühlt aus der Masse einige der schönsten und gesündesten nackten Mädchen aus und die SS-Leute bedeuten ihnen mitzugehen. Nun kommen SS-Unteroffiziere vor die Reihen der Blöcke von etwa 90 Mann und schreien ihre Befehle. Wie ein unendlicher Kanon setzt sich die Schreiorgie im Hall des Echos bis zum letzten Mann fort.

SS-Männer: „Frühstück fassen! In einer Reihe aufstellen zum Frühsport.“

Gruppenweise richten sich die Gefangenen eines Blocks in einer Reihe aus.

SS-Männer: „Auf alle viere!“

Die Gruppen gehorchen ächzend und stöhnend.

SS-Männer: „Zur Kaffeeverteilungsstelle auf allen vieren! Marsch!“

Und die Karawane der Unglücklichen kriecht die 150 m zur Verteilungsstelle. Dort angekommen befehlen die SS-Männer: „Auf! Auf! Auf! Und zurück im Laufschritt! Marsch! Marsch!“ Und die Unglücklichen müssen im Zuckeltrab an ihren Ausgangspunkt zurück. Dort angekommen befehlen SS-Männer: „Und nun hüpfen wir alle zur Kaffeeverteilstelle. Abmarsch! Los!“

Alle Kommandos sind selbstverständlich geschrien und von Schlägen begleitet. Als die Gefangenen endlich an der Verteilstelle angelangt sind, sieht Franz, was es als „Frühstück“ gibt: Schwarzes Wasser, das mit geschmolzenem Schnee gemacht wird, Brennnesselblätter, Runkelrüben, Suppe mit Kohlstrünken und Gemüseabfällen. Die Suppe ist schon so lange draußen, dass sie zu einem Eisblock gefroren ist. Sie wird mit Hackmessern portionsweise verteilt.

Franz zu einem Mithäftling: „Wie soll ich die denn essen?“

Kamerad: „Es ist verboten, ein Messer zu haben oder einen Löffel. Du musst sie halt so essen.“

Er bricht mit den Händen eine Portion ab: „Und sie im Mund auftauen lassen. Siehst du?“

Und er stopft sich den Brocken in den Mund.

Franz tut es ihm nach, schaut sich um, versucht auf den Latrinensitzen zu essen. Von den Häftlingen haben einige einen Teller, die anderen einen abgeschnittenen Gasmaskenfilter oder wieder andere ganz verrostete Konservendosenbüchsen. Alle essen aus unvorstellbaren Gefäßen in unvorstellbarer Geschwindigkeit. Franz wird gleich sehen warum. Plötzlich bricht in diese scheinbar harmonische Situation eine dumpfe Sirene, die asthmatisch atmet. Die Gefangenen erheben sich und werden in Gruppen zum Abort geprügelt. Die Latrinen bestehen aus zwölf am Eingang der jeweiligen Baracken aufgestellten Holzkisten, deren Fassungsvermögen für die Bedürfnisse von 900 Menschen absolut unzureichend ist. Der herausrinnende und überlaufende Inhalt dieser improvisierten Aborte läuft den Flur entlang bis zu den Brettern, auf denen die Gefangenen schlafen. Trotzdem wird jeder, der sich vor den überlaufenden Latrinen ekelt, in die Gegend urinieren will, mit Knüppelschlägen bestraft. Franz sieht unglaubliche Dinge: Frauen, die mit Fehlgeburten niederkommen, wickeln die Neugeborenen in alte Zeitungsreste und werfen sie neben den ihr Geschäft Verrichtenden in den Graben unter dem Abort. Man muss immer nacheinander in den Abort gehen. Ein Aufseher, ein Kapo, steht vor der Tür und beginnt, sobald ein Gefangener die Tür hinter sich geschlossen hat, zu zählen. Er zählt bis zehn, dann reißt er die Tür auf. Und wer nicht fertig ist, kriegt mit dem Knüppel eins auf den Kopf. Manch einer fällt erschlagen in die Grube, anstatt den Abort zu verlassen. Das Hinausgehen wird von einem Kapo, also einem mit grünem Winkel kenntlich gemachten Berufsverbrecher, beschleunigt, der auf einem Fass steht und mit einem langen Knüppel auf die Hinausgehenden einschlägt. Genauso plötzlich, wie sie begonnen hat, erlischt die Sirene. Der Abort ist sofort zu verlassen.

SS-Männer schreien und blasen auf Trillerpfeifen: „Abmarsch! Waschstunde!“

900 Menschen werden mit Franz‘ Gruppe durch einen Raum geschleust, der Platz für höchstens 60 Menschen bietet. Das Waschen muss in dem gesamten KZ in höchstens einer Stunde vorüber sein. Wehe dem, wer nicht sofort nackt vor dem Wasserhahn steht. Ein Aufseher an der Tür treibt die Leute mit dem Gummiknüppel an. Das Wasser ist schmutzig und stinkt. Im Übrigen gibt es nur einen Wasserhahn, die meisten Häftlinge waschen sich daher nicht. Nach einer Weile pfeifen die SS-Männer wieder auf ihren Trillerpfeifen, und das Wasser versiegt augenblicklich.

SS-Männer: „Abmarsch zur Sonntagshygiene. Tag zur freien Verfügung!“

Franz soll noch sehen, was mit dieser lustigen Bemerkung bei vollständigem Mangel an Hygiene gemeint ist. Die Gefangenen treten in ihre Schlafbaracke. Da die Gefangenen zu viert oder zu fünft auf einem Strohsack eines Bettes liegen müssen, sind sie leichte Beute für typhusverbreitendes Ungeziefer aller Art. Also töten die Menschen am Sonntag Läuse. Aber nicht vereinzelt herumspringende, sondern 100 bis 200 Läuse pro Körper werden zerquetscht. Manche haben offene Füße, manche kratzen sich unaufhörlich. Die Flüssigkeit beim Läusetöten verteilt sich auf der Häftlingswäsche und gibt ihr alle Farben zwischen rot, braun und schwarz.

Die Viecher sind so zahlreich, dass man sie nicht mehr loswerden kann. Körper und Köpfe sind zerbissen von Flöhen und Wanzen.

Wenn ein Gefangener es fertigbringt, sich von Läusen frei zu machen, so bekommt er sie zwangsläufig immer wieder zu Hunderten durch die Decken zurück, also müssen sich Franz und die anderen trotz der Kälte und Feuchtigkeit vollständig entkleiden, um sich sorgfältig zu entlausen. Manche, die nicht mehr die Kraft oder den Willen dazu haben und sich seit Monaten nicht mehr ausgezogen haben, sind mit eitrigen Wunden, Ausschlägen und schwarzen Blattern bedeckt.

Franz lässt sich auf die Lagerstatt fallen und beobachtet die Flöhe, die auf ihm herumspringen. Er schläft ein.

Das ohrenbetäubende Schrillen der Trillerpfeifen drängt an sein Ohr, das ausgemergelte Gesicht einen älteren Mitgefangenen dicht über ihm. Er hält ihm ein Brot hin:

„Hier Bub! Iss und versteck es in deiner Hose. Du bist noch jung, du musst noch wachsen.“

Schwupp greift Franz das halbe Brot. Schwupp hat er es in seiner Hose verstaut. Beim Rausstolpern aus der Baracke duckt er sich vor den Schlägen der Kapos und rempelt mit einem kräftigen Burschen, auch mit Davidstern ungefähr in seinem Alter, zusammen. Ihre Augen treffen sich erst feindselig, dann aber nickt der Größere ihm zu. Sie kommen beim Morgenappell nebeneinander zu stehen.

Franz flüstert ihm zu: „Ich habe ein halbes Brot!“

Mikesch: „Brot? Zeig her!“

„Hier, in meiner Hose.“ Nestelt und bricht Mikesch etwa die Hälfte davon ab.

Ein SS-Offizier mit Megafon stellt sich auf ein Fass: „Heute Nacht ist einem der Aufseher ein Laib Bauernbrot gestohlen worden. Dieses Verhalten ist eines Insassen eines deutschen Ordnungslagers unwürdig und schädlich für das Großreich. Dieses Bauernbrot ist unverzüglich zurückzugeben. Wenn nicht, wird unbarmherzig durchgegriffen, um Anstand und Sitte aufrecht zu erhalten. Wer von Euch das Brot hat, trete hervor. Wer nicht, sagt laut und deutlich: Nein, Sturmführer!“ Und nun beginnen die Nazis ihr Spiel: 900 Menschen müssen der Reihe nach vortreten und erklären, dass sie nicht im Besitz von Brot sind. Die Reihe ist drohend nah an Mikesch und Franz. Mikesch ist zuerst dran:

„Selbstverständlich nein, Herr Sturmführer!“

Er geht zurück in die Reihe, fast militärisch korrekt. Franz tut es ihm gleich, so gut es geht bei seiner Wackeligkeit: „Selbstverständlich nein, Herr Sturmführer!“

Sturmführer unterbricht den Franz am nächsten Stehenden, der beflissen antworten will.

SS-Offizier: „Schnauze!“ Und zu einem Kapo gewandt: „Die beiden Jungs da, raus!“

Zwei Kapos eilen diensteifrig zu den Jungs, um sie mit Prügeln zum SS-Offizier zu bringen.

SS-Offizier: „Schluss! Aus! Was ist das denn? Keiner hat was von Schlägen gesagt!“

Kapos unisono: „Jawoll, Sturmführer!

SS-Offizier bedeutet den beiden Buben: „Hierher und mucksmäuschenstill. Alle anderen: Ausziehen! Aber dalli!“

Es ist etwa eine Temperatur von minus 10 °C, niemand widersetzt sich, da jeder weiß, dass es Selbstmord wäre. Mikesch wendet Franz eine hochgezogene Augenbraue zu. Und so kann man etwa 900 Menschen ganz nackt bis auf unsere beiden die wirren Ereignisse abwarten sehen.

SS-Offizier: „An eurer jetzigen Lage sind nur die Juden schuld. Diebe am Volksbesitz werden von uns nicht geschützt. Die Juden haben bereits so viel Schlechtes getan, dass man sie alle ohne Weiteres hängen sollte. Jedes Stück Brot, das ihr fresst, ist zu viel. Es ist ein Diebstahl am deutschen Volk. Und jetzt meine Antwort: Ihr werdet jetzt alle den Abort mit einem Löffel leeren. Schubkarren werden bereitgestellt. Frohes Schaffen. Arbeit macht frei!“

SS-Schergen und Kapos zwingen die Gefangenen, ihre Arbeit auszuführen. Bei der geringsten Missbilligung schießen sie augenblicklich auf die Hilflosen.

Franz und Mikesch atmen tief durch, halten aber beide dicht. SS-Offizier: „Mitkommen!“

Sie stolpern beide hinter dem Sturmführer Richtung SS-Baracken hinterher.

SS-Offizier: „Ihr gefallt mir. Ich glaube, aus euch kann ich was machen. Seid ihr musikalisch? Könnt ihr ein Instrument spielen?“

Franz erinnert sich an seine gute Schulbildung und antwortet: „Ja, Herr Sturmführer, ich kann Klarinette spielen.“

SS-Offizier: „Ohne Herr. Sturmführer heißt das. Und du?“

„Ich kann Ziehharmonika spielen.“

Der SS-Offizier nickt. Als sie bei der SS-Kaserne angekommen sind, öffnet er die Tür und sagt: „Warten! Still gestanden!“

Sofort geben sich Mikesch und Franz eine militärische Haltung, und der Offizier verschwindet in der Baracke. Ihr Blick gleitet zurück zu den Kameraden, die mit Löffeln den Abort säubern müssen. Nach einer Weile kommt ein anderer niederer SS-Mann heraus: „Mitkommen! Schuhe abtreten! Türe schließen!“

Brav folgen die Buben und kommen in die Spezialbaracke der SS. Ein großer, turnhallenähnlicher Festsaal mit Musikinstrumenten auf einer improvisierten Bühne. Dahinter Porträts von Führer und Reichsführer SS. Auf der anderen Seite und in den Ecken Sitzgelegenheiten und eine lange Theke. Neben SS-Leuten hält sich im Kasino-Raum auch eine schöne Frau mit Kopftuch über ihrem rasierten Schädel auf, um sie ein wenig ansehnlicher für die SS zu machen.

SS-Mann: „So! Geht da rein. Wascht euch und kommt wieder raus.“

Franz und Mikesch trotten in den Waschraum, wo sie sich völlig allein und unbeobachtet waschen.

Franz: „Was läuft hier?“

Mikesch: „Wir werden es schon erfahren.“

Als sie fertig sind, ihre Brotreste verdrückt haben und ihre Häftlingskleider so gut es geht in Ordnung gebracht haben, kommen sie zurück in den Kasinoraum.

Auf der Bühne steht schon die schöne Frau mit Kopftuch.

SS-Mann: „So, geht auf die Bühne und nehmt Instrumente.“

Die Frau nickt ihnen aufmunternd zu. Sie kommen zu den Instrumenten, Franz nimmt eine Klarinette an die Lippen, Mikesch eine Ziehharmonika in die Höhe und die Frau eine Geige.

Junge Frau, leise: „Auf! Spielen wir ‚Im alten Städl‘! Das können wir doch alle. Und die kennen das nicht. Ein, zwei, drei!“

Und sie beginnt ein ihnen allen bekanntes Stück in Moll zu streichen. Die beiden Buben fallen ein und einigermaßen melodisch spielen sie in einer etwas besseren Katzenmusik-version auf. Eine gespenstische Theaterszene auf dem Gelände mit rauchenden Kaminschloten und das Lager umgebenden dunkelgrünen Wipfeln der Bäume, der Wälder im Nebel.

Groß fällt unser Blick auf eine Mettwurst, die ein Messer durchteilt.

Franz, Mikesch und die Frau an einem mit einem blau-weiß karierten Tischtuch gedeckten Tisch.

SS-Mann: „Hier! Esst, so viel ihr wollt. Ihr dürft nur nichts mitnehmen. In einer Viertelstunde ist Abmarsch.“

Er geht ab und durch eine Schwingtür in den Nebenraum.

Franz tippt Mikesch an, er zuckt nur die Schultern und schnappt sich eine dicke Scheibe mit Wurst und Käse und beißt herzhaft hinein. Franz tut es ihm gleich. Nur die Frau trinkt Kaffee. Nach einer kurzen Weile kommt der SS-Mann wieder herein, packt die Frau am Kragen und sagt: „Komm! Die Arbeit ruft.“

Die Buben erheben sich kauend.

SS-Mann: „Ihr nicht“ und nimmt die Frau mit sich fort. Plötzlich geht die Haupttür der Kaserne auf und eine Gruppe von 10 bis 15 hübschen Frauen und Mädchen, allesamt nackt, wird von bewaffneten SS-Leuten durchs Zimmer geführt, hinter die Schwingtür, wo schon der SS-Mann mit dem Mädchen verschwunden ist. Schweigend mampfen Franz und Mikesch noch eine Schnitte und trinken echten Bohnenkaffee mit guter Milch, als die Drehtür schon wieder aufgeht und der SS-Mann erscheint.

SS-Mann: „Abmarsch! Im Laufschritt. Eins und eins und eins.“ Franz und Mikesch traben noch kauend vor die Kaserne. Dort auf dem Appell-Hofplatz traben, jetzt wieder angezogen, ihre Blockhäftlinge bereits auf der Stelle. Die Erde vibriert und dröhnt unter dem rhythmischen Trampeln von 900 Mann.

Ein anderer SS-Mann ruft bellend: „Arbeitsdienst, Abmarsch.“ Und die Kolonne setzt sich im Zuckeltrab in Bewegung.

Der andere SS-Mann befiehlt Franz und Mikesch: „Einreihen! Marsch, marsch.“

Und unter teuflischem Lachen schlagen die den Zug begleitenden Kapos jeden Vorbeikommenden, den sie treffen können.

NAKAM ODER DER 91. TAG

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