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Vorwort

Naranjos Werk über Gestalt zu lesen ist Bildung, Inspiration, Erfüllung, vor allem aber auch – ein Vergnügen. Welch eine Genugtuung, die Worte verwenden zu können, die Buchrezensenten so oft für Prosawerke benutzen: „äußerst lesenswert“. Und es liest sich in der Tat hervorragend; das ist keine geringe Leistung für ein ernsthaftes Werk über Theorie und Techniken einer der bedeutendsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Psychotherapie – Gestalt.

Daß sein Buch ein Vergnügen und eine spannende Lektüre ist, ist integraler Bestandteil des Geistes und Geschmacks seines ambitionierten Unternehmens.

Vor allem anderen ist der Verfasser mit einer Klarheit des Stils gesegnet, die anscheinend das Ergebnis seines engagierten Bemühens um Verstehen und seiner Leidenschaft für das Lehren ist. Ohne Gefahr kann ich sagen, daß Claudio unfähig ist, einen unverständlichen Satz zu schreiben. Wie ist eine so glückliche Lage zu erklären? Ich glaube, sie stammt aus einem kräftigen intellektuellen Verdauungssystem und einem instinktiven Talent zum Klären, Umbilden und Assimilieren.

Fritz Perls betonte immer wieder die Parallelen zwischen gutem Essen und den Erfordernissen für emotionales Wachstum und das Lösen von Konflikten. Emotionale Erfahrungen sollten – wie Essen – sorgfältig geschmeckt, gekaut, verflüssigt, geschluckt, verdaut und assimiliert werden. Dann werden sie wirklich integriert und nicht zu einem Knäuel unverdaulichen Zeugs im Bauch, das Verstopfung und Schlaflosigkeit bereitet.

Es gibt Anzeichen dafür, daß Claudio Naranjo einen empfindsamen intellektuellen Magen hat, der leicht von Essen vordorben wird, das nicht sehr „bekömmlich“ ist. So arbeitet er und kaut daran (nicht, daß dieser Aspekt seiner Vorbereitung auch nur im mindesten sichtbar wäre) und wenn er soweit ist, etwas mitzuteilen, ist es schmackhaft, sättigend, nahrhaft.

Nehmen wir beispielsweise einen so relativ esoterischen Ausdruck wie Gurdjieffs „bewußtes Leiden“. Naranjo bezieht es treffsicher auf das in der Gestaltarbeit wichtige „Nichtvermeiden von Schmerzen“. Was in Gurdjieffs undurchsichtigem Stil ziemlich rätselhaft klang, wird nun schlicht als die Vorstellung der Konfrontation mit Schmerz und Frustration anstatt ihrer Vermeidung gesehen. Diese meisterhaften Hinweise auf Parallelen und Überschneidungen aus ganz unterschiedlichen Gebieten sind überall im Buch reich gesät.

Beachtliche Sorgfalt wurde offenbar auf die Titelwahl verwendet. Die meisten Bücher hätten Standardtitel wie „Theorie und Praxis der …“ bekommen. Naranjo macht klar, daß die Entscheidung für die „innere Haltung“ anstelle von „Theorie“ für seine Thematik ganz wesentlich ist. Das erinnert mich an zwei persönliche Vorfälle zwischen mir und Fritz. Früh in meiner Ausbildung bei ihm war ich ihm ständig mit Fragen über „Technik“ auf den Fersen. Schließlich konnte er nicht länger an sich halten. „Abe, du machst mich wahnsinnig mit all diesen Fragen nach Technik. Auf Technik kommt es nicht an, worauf es ankommt, ist Perspektive.“ Das saß, obwohl ich noch Jahre brauchte, es wirklich zu assimilieren. Bei anderer Gelegenheit sprachen wir über seine erstaunliche therapeutische Begabung. Er sagte: „Ich bin gut darin, weil ich Augen und Ohren habe und nicht ängstlich bin.“

So haben wir hier einen erfreulichen Kommentar über die Frage der Praxis. Naranjo weist darauf hin, daß Gestalt als System einzigartig ist, weil es nicht auf Theorie, sondern auf intuitivem Verstehen aufbaut. In all den verschiedenen Kapiteln über Ausdruck, Integration, Interpretation von Träumen etc. enthält das Buch eine Fülle von Anschauungsmaterial, wie diese Intuition bei einer Vielzahl von Patienten ins Spiel gebracht wird.

Kapitel zwei über die Zentrierung im Jetzt ist eines der Juwelen in diesem Buch. Es ist ein Kapitel, das ursprünglich in Fagans und Shepherds frühem Kompendium Gestalt Therapy Now erschien. Hier wird uns mit den Zitaten aus der britischen und lateinischen Dichtung, die die zu verdeutlichenden Punkte anmutig untermalen, ein üppiger kultureller Festschmaus geboten. Ich finde es höchst befriedigend, zu sehen, wie ein lebhafter, gutgerüsteter Geist arbeitet, der die Dinge auf natürliche Weise in großen Zusammenhängen und breiter Perspektive sieht. Die Ergebnisse sind alles andere als „Intellektualisierungen“, sie sind vielmehr einnehmend intelligent und führen den Leser auf eine Reise, auf der jedes beobachtete Fleckchen zu einer interessanten Erfahrung wird, sowohl für sich genommen als auch an seinem Platz in der größeren Ordnung – wie angemessen für einen Autoren, der über Gestalt schreibt.

Noch eine Bemerkung zur Wahl des Titels: erinnern wir uns an den Untertitel von Perls Hauptwerk Gestalt Therapy. Seltsamerweise ist dieser Untertitel nirgends erwähnt und ich wage zu vermuten, daß wenige Gestalttherapeuten sich an ihn erinnern. Der Untertitel lautet: „Erregung und Wachstum in der menschlichen Persönlichkeit.“

Das vorliegende Buch enthält viel Erregendes; Erregung einer handfesten Art, die entsteht, wenn Licht und Verstehen auf so viele Ecken und Winkel des Lebens geworfen wird.

Auf Seite 64 lesen wir: „Wir können in unserer Sklaverei unsere Freiheit entdecken und unter dem Mantel des Zwanges unsere tiefste Freude.“ Auf Seite 73 begegnet uns der Gedanke: „Sobald wir uns auf das Nichts einlassen, wird uns alles weitere gegeben.“ Eine bessere Auslegung der nicht so leicht verstandenen Vorstellung von der fruchtbaren Leere ließe sich schwerlich finden.

Claudio hatte reichlich Gelegenheit zu engem Kontakt mit Fritz Perls und entwickelte eine tiefe Wertschätzung für seine einzigartigen Talente und seine kreative Begabung. Wie tief Claudios Wertschätzung ging, läßt sich an seiner Aussage nachempfinden: „… besonders gilt das in der Gestaltarbeit, wo der Therapeut mehr als anderswo aufgefordert ist, nackter Mensch und Künstler zugleich zu sein.“ Anerkennung braucht keine größeren Höhen, als in einer solchen Aussage zum Ausdruck kommt.

Zur gleichen Zeit macht diese Wertschätzung der Leistungen Perls Naranjo keineswegs blind für die Begrenzungen, die in Fritzens Person und in einigen Gestaltaspekten als Weg zu innerem Wachstum liegen. Unter Verwendung Fritzens eigener Idee der „Löcher“, also blinder Flecken oder unentwickelter Bereiche in einem Individuum, identifiziert Naranjo richtig einige wichtige „Löcher“ in der Gestalttherapie selber. Die Verachtung für das Interpretative, die überstrenge Vermeidung jeden intellektuellen Verstehens, der Hang zu einer „strengen“ Haltung gegenüber Patienten statt einer helfenden, sanften oder freundlichen – das alles sind echte Beschränkungen des Gestaltansatzes. Kein Schaden kann dem Geist der Gestalt in ihrer Essenz entstehen, wenn diese Beschränkungen korrigiert werden. Ein großer Verrat an der Gestalt-Arbeit hingegen wäre es, wenn wir unser Interesse an ihrer Vertiefung und Erweiterung und unserer Möglichkeiten zum Handeln nicht ständig wachhielten.

Abschließend ein letztes Wort der Wertschätzung. Es gibt viele vernünftige, fundierte, kompetente Werke auf unserem Gebiet der Psychotherapie. Aber nicht so viele zum Schwelgen. Und dieses Werk, mit seinem Strom an Beobachtungen, Analysen, Integrationen ist wahrlich ein Festmahl. Ich glaube, das Buch kann – dem Neuling ebenso wie dem erfahrenen Therapeuten – einen fundierten Überblick über einige der Probleme der Psychotherapie geben und ihr Verhältnis zu der explosionsartigen Interessezunahme an transpersonalen und spirituellen Wegen. Man spürt, in seinem Schreiben, in seiner Art zu Denken, nichts geringeres als die ehrfürchtige Faszination am immerwährend menschlichen Bemühen und Streben nach Selbsterkenntnis, Selbsttranszendenz und Selbsterschaffung.

Es ist allzu offenkundig, wie hocherfreut ich über die Gelegenheit zu diesem Vorwort bin. Es ist mir eine große Freude, Claudio Naranjos Beitrag zur Vertiefung unseres Verständnisses zu feiern und unsere geschätzte Freundschaft zu bekunden.

ABRAHAM LEVITSKY

Berkeley, Kalifornien

April 1991

Gestalt - Präsenz - Gewahrsein- Verantwortung:

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