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Der Hafenmeister

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Von Jürgen Niemeyer

Es war wieder einer der Termine, die zeitlich verdammt knapp lagen, aber er hatte ihn gerade noch pünktlich geschafft. Gut, der Kunde hatte nicht unterschrieben, noch nicht. Doch Jörn hatte überzeugende Argumente gehabt, denen sein Interessent sich nicht verschließen konnte. Es war nur eine Frage der Zeit. Jetzt musste Jörn noch mal ins Büro.

„Dann ist aber Feierabend“, dachte er. „Wie lange bin ich jetzt unterwegs? Oh, es ist spät, wieder mal so spät. Da steht mein Auto. Mensch, bin ich müde.“

Der Wagen kam ihm wunderbar bequem vor und er reckte sich auf dem Fahrersitz, so gut es ging. Es nieselte, die Dämmerung brach herein. Die Straßenlaternen spiegelten sich auf dem bläulich-grauen Kopfsteinpflaster. Der Widerschein ihres Lichtes machte das Fahren nicht einfach. Es strengte die Augen doch sehr an. Jörn erschrak, als ihm jemand direkt vor seinem Wagen die Vorfahrt nahm. Routiniert konnte er gerade noch abbremsen und den Zusammenprall verhindern. Was war das denn für ein Spinner, schoss es Jörn durch den Kopf. Hatte der Knaller denn keine Augen im Kopf? Jetzt gestikulierte der auch noch blöde in seinem Wagen rum. Und was sollte das denn? Zeigt ihm dieser Esel auch noch den Stinkefinger.

„Der tickt doch nicht ganz sauber! So ein Blödmann“, entfuhr es Jörn. Der andere fuhr eine Weile vor ihm her, um dann endlich abzubiegen. Noch knapp eine Stunde Fahrt. Jörn gähnte.

„Gleich auf der Autobahn wird es bestimmt besser“, tröstete er sich. “Ah, da kommt ja schon die Auffahrt. Noch ein bisschen mehr Gas geben, dann kann ich mich vor dem LKW noch einfädeln. Geschafft! So, nun kann ich ruhig meinen Stremel runterfahren.“

Jörn verspürte Vorfreude auf Daheim. Nur noch kurz ins Büro, dann würde er seine Frau in den Arm nehmen und einen leckeren Ostfriesentee mit ihr trinken. Ach, was würde das schön sein, nach dem langen Arbeitstag das gemütliche Zuhause zu genießen und sich ausgiebig zu entspannen.

„Ich brauche Ruhe, muss unbedingt neue Kraft für morgen sammeln“, dachte er und warf einen Blick in den Rückspiegel. Der Lastwagenfahrer hinter ihm schien ein Problem zu haben. Die Scheinwerfer des LKWs blinkten andauernd auf. Sie blendeten Jörn im Rückspiegel. Was saß da bloß für ein Schwachmat am Steuer? Der musste doch merken, dass er andere Verkehrsteilnehmer nervt.

Jörn vergrößerte den Abstand, seine Augen schmerzten schon von der Blendung. Aus dem Nieselregen wurde ein richtig kräftiger Regenschauer. Die Sicht verschlechterte sich zunehmend, und Jörn drosselte wieder die Geschwindigkeit. Die Gefahr, dass die Räder keinen Straßenkontakt mehr haben würden, stieg. Missmutig schnaubte Jörn durch die Nase. Jetzt würde die Fahrerei doch noch länger dauern. Wie gerne würde er die Beine hochlegen und für ein Moment die Augen schließen, dachte er, als ein weiteres Ereignis seine Aufmerksam auf sich zog. Der Fahrer vor ihm wurde immer langsamer. Okay, es regnete, aber deshalb mit ‘ner A-Klasse und Tempo 70 auf der Autobahn zu fahren, das musste doch nicht sein. Der Lkw-Fahrer rückte ihm auch schon wieder mit seiner dämlichen Lichtorgel auf die Pelle. Jörn hätte nichts dagegen gehabt, wenn der Fahrer vor ihm mal ein wenig mehr Gummi gegeben hätte. Doch der tat ihm diesen Gefallen nicht.

Jörn seufzte. Also, Blinker links setzen um diese Nuckelpinne zu überhohlen. Die Lichter des LKWs wanderten ebenfalls nach links, das Fahrzeug zog ebenfalls auf die Überholspur, folgte dem Überholvorgang jedoch nicht.

Nachdem Jörn an dem kleinen Mercedes vorbei war ordnete er sich wieder rechts ein und sah, wie der LKW sich hinter dem Mercedes ebenfalls wieder nach rechts bewegte. Im nächsten Moment schoss ein wütender Porschefahrer an dem kleinen Konvoi vorbei. Auf Jörns Höhe hupte er wie ein Verrückter. Jörn schaute auf den Tacho, um zu sehen, wie schnell er war, konnte es jedoch nicht erkennen.

„Verdammt! Ich fahre ohne Licht! Der Fahrer des Sattelzuges hat den Porsche ausgebremst, weil der mich auf der Überholspur bei Starkregen und ohne Beleuchtung ja nicht sehen konnte.“

Jörn überkam ein mulmiges Gefühl. Wie gerne hätte er sich bei dem Fahrer dafür bedankt, dass er sein Leben geschützt hatte. Aber eigentlich war er zu müde um etwas zu unternehmen. Immerhin musste er noch schnell ins Büro. Und der Typ in der Stadt, der ihm die Vorfahrt nahm, weil er Jörns Auto nicht wahrgenommen hatte …

„Verdammt! Das passiert mir immer öfter“, murmelte er. „Einfach zu oft in der letzten Zeit. Jörn, du musst besser aufpassen, dich ein bisschen mehr konzentrieren.”

Da war das Versicherungsgebäude. Jörn ging hinein. Schnell noch den nötigen Schreibkram erledigen, und dann Feierabend machen. Er ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen, als unvermittelt die Bürotür aufgerissen wurde.

„Haben sie die Statistik fertig? Ich muss sie sofort haben, auch wenn Ihnen die sowieso nicht mehr helfen wird. Die Zielzahlen schaffen Sie ja doch nicht mehr in diesem Jahr!“, dröhnte sein Chef lauter als nötig gewesen wäre. „Mann, warum vereinbarten sie dieses Ergebnis mit mir? Wollten sie besser dastehen als ihre Kollegen? Ich erwarte Sie in vierzehn Minuten in meinem Büro, und vergessen Sie die Statistik nicht!“

Hafenmeister zu sein ist ein Traum.

Und das in einem gemütlichen Nordseebadeort mit einem schönen, romantisch anmutenden Hafen. Hier ist alles Maritime vereint. Historische Schiffe, Krabbenkutter und sehr viele Freizeitboote. Die meisten Skipper haben Segeljachten, deren Alumasten unaufhörlich metallene Geräusche von sich geben, wenn im Wind die Leinen der Takelage gegen sie schlagen. Es hört sich an wie Glockengeläut. Wenn es ausnahmsweise einmal windstill ist, hört man nur noch die Möwen schreien. Die Motorboote sind zwar in der Minderheit, aber deren Skipper sind dem Hafenkapitän lieber. Sie sind, bis auf wenige Ausnahmen, sozialer eingestellt. Stress kommt nur selten auf.

Gut, in den Ferien ist etwas mehr los. Rangeleien um die Liegeplätze sorgen dann schon mal für Ärger, aber letztlich bestimmt der Hafenmeister wo die Boote festmachen dürfen. Die Segler bekommen ihre Plätze bei den Museumsschiffen, und die anderen “schart“ er um die Hafenkapitäns-Bude mit dem angrenzenden Kiosk. Hier wird alles verkauft, was die Skipper benötigen. Meistens aber Getränke aller Art und Eis für die Kids.

“Moin, Jörn!“, ruft Skipper Claus von der Plicht der DODI aus herüber. „Morgen bitte wie immer, fünfzehn krosse Brötchen.“

Auf einige Skipper freut sich der Hafenkapitän besonders. Die Mannschaft der DODI hat immer dazu gehört. Meistens haben sie noch ein bis zwei Boote im Schlepptau.

“Moin, Claus! Schön, dass ihr da seid. Fünfzehn Brötchen, geht klar! Und heute Abend einen Absacker bei mir.“

Der Meister über alle Liegeplätze hilft den Mannschaften gerne beim Festmachen ihrer Boote. Er liebt seinen Beruf über alles und freut sich schon auf den Abend. Dann wird er mit der DODI- Truppe noch ein gepflegtes Getränk nehmen. Wie so oft in der Vergangenheit wurden es dann meistens mehrere. Claus wird wieder einige seiner legendären Geschichten erzählen, von denen man nie weiß, ob es sich um Seemannsgarn oder Tatsachen handelt.

Was ein Hafenkapitän wirklich hasst, wird Jörn gerade im nächsten Moment zum Verhängnis. Unordnung im Hafengelände und vor allem auf den Stegen, geht gar nicht. Hier liegen schon mal Taue, Fender, Angelausrüstungen und manche wollten gar ihren Grill auf dem Holzsteg anzünden. Das sind die Fälle, in denen Jörn dann auch schon mal lauter wird.

Heute hat wieder mal ein Skipper ganz am Ende vom Steg 3 sein Tauwerk kreuz und quer hingeschmissen, auf dem Jörn beinahe zu Fall gekommen wäre. Grimmig zieht der Hafenkapitän seine Schirmmütze tiefer in die Stirn und geht zum Schiff. Der Eigner ist natürlich nicht an Bord. Aber das Seil muss weg, also mal wieder alles selber machen. Jörn stolpert über den darunterliegenden Enterhaken, seine Beine verheddern sich im Tau, und er stürzt über die Stegkante ins Hafenbecken.

Viele wunderschöne Farben tauchen auf. Aus der Ferne ertönt eine glockenklare Frauenstimme, die eine liebliche Melodie summt. Die Farben werden noch prächtiger und die schöne Stimme lauter. Sein Leben läuft wie im Zeitraffer rückwärts. Seine Familie, sein stressiger Chef, seine Lehrzeit, seine Jugendliebe, seine Kindheit. Alles läuft in diesen traumhaften Farben vor seinen Augen ab. Dann wird die Stimme leiser, die Farben verschwinden in einem gleißenden Licht.

Dann ist es ruhig.

Jörn hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als eine Frauenstimme sagte: “Bitte, Jörn! Mach die Augen auf!”

Hatte er sie denn geschlossen? Mühsam öffnete er die Lider. Irgendwie kam ihm die Stimme bekannt vor und er war gespannt, wem sie gehörte.

„Edelchen, du hier?“, murmelte er erstaunt. Seine Jugendfreundin saß auf der Bettkante und schaute ihn mit ihren großen blauen Augen an.

“Aber Jörn! Ich bin doch deine Ehefrau. Wo sollte ich sonst sein, wenn es dir schlecht geht?“

“Das ist ja toll!“, staunte Jörn und schaute sich um. „Wo bin ich denn?”

“Du bist im Krankenhaus, hattest einen heftigen Zusammenbruch im Büro erlitten und liegst schon drei Tage hier im Tiefschlaf“, erklärte sie ihm geduldig, wurde aber von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Jörns Chef trat in das Krankenzimmer.

”Na? Mensch, da haben sie sich aber wunderbar vor der Statistik und deren Auswirkung gedrückt”, begrüßte er seinen Angestellten.

“Bevor Sie weiterreden“; stoppte ihn Jörn, „ich kündige mit sofortiger Wirkung. Schönen Tag noch.”

Dann wandte er sich wieder seiner Frau zu, die ihm liebevoll über die Stirn strich.

„Aber Jörn! Wovon wollen wir denn leben?“, fragte Edelgard.

„Wir fangen nach diesem Burn-out ganz von vorne an. Warte, bis ich wieder auf den Beinen bin, dann geht es an die Nordsee. Ich werde Hafenmeister und du betreibst den kleinen Kiosk dazu. Und, Edelgard: Wenn irgendwo ein Seil herumliegt, liegen lassen!“

Dünen, Sand und Meer

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