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Das Ebenholz-Kristall

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Es war ein großer, dunkler Raum.

Die Spitzbogenfenster standen offen, und der Donner grollte ihnen vom Meer her entgegen. Die Blitze ließen sie wie in weißglänzenden, erstarrten Bildern festfrieren, um sie dann geblendet und frierend dort zurückzulassen.

Die dicken Steinmauern sprachen Angicore einen Augenblick Trost zu, aber er wußte, das es nicht wahr war, denn er hatte die Bedrohung sich in alles drängen sehen, was er sein ganzes Leben mit Sicherheit und Frieden verbunden hatte.

Zarafir lag auf dem Bett. Seine Augen waren halb geschlossen und er stöhnte heiser und beschwerlich nach den siebenhundert Stufen den Turm hinauf.

Angicore starrte aus dem Fenster über das Meer auf die Dunkelheit, die sich über Dynadan schloß. Wenn ein Blitz über den Himmel fuhr, schloß er die Augen. In dem scharfen, weißen Licht glänzten die Tränen in seinen Augenwinkeln.

Er wandte den Blick zu Zarafir, der auf dem Bett lag. Er betrachtete ihn mit einer Mischung aus innerlicher Zuwendung und keimender Sprachlosigkeit darüber, entdeckt zu haben, daß auch er, der mächtige Zauberer von Dynadan, verwundbar war und so zerbrechlich, wie die Welt selbst.

"Komm hier her!" Zarafir winkte ihm mit einer blassen Hand. Angicore ging zu ihm und setzte sich aufs Bett. Das Schwert scharrte auf dem Boden, dann war es still.

"Ich werde bald sterben," stöhnte Zarafir. "Ich habe meine eigenen Kräfte verbraucht. Ich bin gezwungen zu sterben, verstehst du das?"

Angicore schüttelte den Kopf. Er verstand es nicht.

"Ich könnte eine fürchterliche Waffe unter der Kontrolle der falschen Gesinnungen werden." Er flüsterte die Worte, und Angicore mußte sich über ihn lehnen, um ihn durch das Geheul des Sturmes zu hören.

"Aber es gibt einen anderen," sprach Zarafir weiter. "Du mußt ihn finden und um Hilfe bitten. Er ist wie ich, aber vielleicht verständiger. Er lebt draußen in der Einöde, in den Sümpfen von Ergol. Er änderte seinen Namen, um wie ein gewöhnlicher Mensch zu leben. Sein Name ist Skillion."

"Skillion?"

"Ja, mein Junge. Oder sollte ich Milord sagen?"

Angicore antwortete nicht, aber schüttelte langsam den Kopf. "Duncan Yol wird bei dir bleiben. Er wird deinem Befehl bis in den Tod gehorchen. Verlaß dich auf ihn, aber fasse deine eigenen Entschlüße. Er ist ein Diener, und kein Herrscher. Er wird dich nie im Stich lassen."

Angicore nickte.

"Und ich werde dir die Wahl lassen..." stöhnte Zarafir. "Habe ich irgendeine Wahl?" fragte Angicore müde.

"Ich werde dir eine Waffe geben, eine Waffe so stark, daß die Welt beben wird, wenn es frei wird. Aber ich möchte, daß du weißt, daß egal, was du wählst, es seinen Preis hat. Ich werde dir das Mittel geben, es zu befreien - ich werde dir die Macht über Djin geben!"

"Djin?"

Zarafir sah ihn an. Die Augenlider waren halb geschlossen, und der Schweiß lief ihm in großen, klaren Tropfen über die Stirn.

"Die Wahl muß deine sein, du bist der Kaiser - und unabhängig davon, wozu du dich entschließt, hat es Einfluß auf das Schicksal."

Plötzlich fühlte er seine kaiserliche Pracht wie eine felsenschwere Bürde auf seinen Schultern. Er saß mit den Händen im Schoß gefaltet da, hatte die Augen geschlossen und schüttelte mit dem Kopf. Tief in seinem Innern rief eine Stimme, daß er sich zusammennehmen müße, sich in den Griff bekommen, denn viel war von ihm abhängig, viel mehr, als er fähig war, auch nur zu ahnen.

"Die Welt ist im Großen und Ganzen einen Art Gleichgewicht - eine Balance..." sagte Zarafir.

Gerade darum übe ich nur Magie aus, echte Magie, nicht bloß Illusionen, wenn es wirklich notwendig ist. Denn jedes Mal, wenn ich zu diesen Mitteln greife, verschiebe ich das Gleichgewicht dieser Welt und bringe die Dinge aus der Balance. Aber dieses - dieses Monster, dessen Schatten du heute gesehen hast, weicht vor nichts zurück und hat keinen Respekt vor der Balance in der Welt."

Er starrte regungslos an die Decke und räusperte sich. "Ich hätte daran denken müßen..."

"Aber das tätest du nicht!" sagte Angicore hart. Im nächsten Moment bedauerte er es, aber sagte nichts mehr. Seine Gedanken kreisten um die Waffe, die ihm versprochen worden war. "Was ist Djin?"

"Djin ist ein Mentar, geschaffen von einem mächtigen Zauberer, vor vielen Jahren. Dieser Zauberer war einer der wirklichen, den wenigen, einer der Schöpfer..." Er zog die Decke mit zitternden Händen um sich herum. "Verglichen mit seiner Kraft ist meine wie ein glühendes Holzstück in einem großen Feuer. Er sah das Böse der Welt, und stellte uns vor die Wahl. Djin zu benutzen, oder es zu lassen. Nun gebe ich die Wahl weiter an dich."

Zarafir versuchte, sich aufzusetzen, Angicore erhob sich und stützte ihm den Rücken, bis er auf den Ellbogen lag und vor sich hin starrte.

"Aber hüte dich vor Djin, denn während er dir dient, braucht er dich, um selbst zu leben. Er gleicht einem Menschen, aber er ist kein Mensch. Er denkt und spricht, aber er hat nur einen Gedanken. Und wenn du dich entschließt, ihn zu gebrauchen, dann beschütze ihn - denn am Anfang ist er schwach wie der schwächste Säugling. Wenn er aus den Felsen geboren wird, ist er ein Nichts, später wird er zu einer mächtigen, verwüstenden Kraft, vor der du dich selbst zu schützen wissen mußt."

"Du sprichst in Rätseln," flüsterte Angicore.

Zarafir öffnete die Hand. In ihr lag ein glattes, schwarzes Kristall von der Größe eines Hühnereies. Angicore nahm es vorsichtig und unterzog es ein forschender Blick.

"Was soll ich damit?"

"Wählst du, Djin freizulassen, mußt du ihn an dem Felsen zerbrechen, in dem er sich befindet. Dann wird er herausbrechen und das Böse in der Welt bekämpfen. Aber Vergiß nicht, er beinhaltet selbst das Böse, was darin liegt, die Welt nicht mit Umsicht zu betreten!"

Angicore sah den Kristall ein letztes Mal an, dann steckte er ihn in die Tasche.

"Ich werde dich zu den Felsen führen und dich nach Ergol leiten, dorthin, wo du Skillion finden wirst. Ich werde dir mit Kleeblüten den Weg weisen. Dort, wo sie stehen, sollst du deinen Fuß hinsetzen. Und wenn du sie betreten hast, werden sie verwelken und vergehen. So werde ich sichergehen, daß diejenigen, die dich verfolgen, es schwer haben werden, deine Wege zu erkennen."

Zarafir lehnte sich zurück gegen das Kissen und horchte.

Angicore erhob sich halb vom Bett und sah hinaus über das Meer. Er sah die schwarzen Masten, sah die schwarzen Galeeren, die sich schnell und lautlos Dynadans Küsten näherten, vom Sturm verhüllt. Und während er so dasaß, begannen die Turmglocken zu läuten, eine nach der anderen, und dröhnten die Warnung über Krilanta hinaus, daß der Feind draußen vor den weißen Toren stand. Und in den Straßen hallte es wieder von dem Gleichschritt der Soldaten, dem Klirren der Waffen und den Kommandorufen, kurz, präzise und hart...

"Du mußt hier weg, mein Junge. Du mußt leben, um die Hoffnung am Leben zu erhalten. Beeil dich, die Zeit ist gekommen."

Sie schritten zur Tat. Im Hafen wurde fieberhaft daran gearbeitet, die Schiffe bereit zum Kampf zu machen. Aber als sie hinaussteuerten, war es für alle deutlich, daß jeder Gedanke an einen gut organisierten Widerstand ausgeschlossen war.

Denn Dynadans stolze Flotte war nicht bereit, und die Schiffe steuerten hinaus, mit den Soldaten an Bord, die rechtzeitig gekommen waren. Und an Bord waren die Waffen unter Verschluß, und die Unterwasserrammböcke lagen am Kaj, weil sie es nicht geschafft hatten, sie noch zu montieren.

Die fremden Schiffe kreuzten durch die Wellen und steuerten diesem sporadischen Versuch der Verteidigung direkt entgegen.

Sie hatten den kaiserlichen Löwen bezwungen, und das wußten sie. Noch bevor jemand richtig wußte, was geschah, bohrte der erste Rammbock sich mit einem hohlen Dröhnen durch die Seite eines der kaiserlichen Schiffe von Jarana, das weit herum gehört wurde.

Angicore erhob sich. "Sehen wir uns wieder?" fragte er.

"Nein!" stöhnte Zarafir. "Wir sehen uns nicht wieder, mein Junge."

Angicore begab sich langsam rückwärts zur Tür. Von den Fenstern und dem schwarzen Himmel dahinter drangen Geräusche zu ihm.

Sie kämpften im Park. Aber hier hatten sie keinen Erfolg, denn hier kämpften die Maruderfechter. Hier zeigte sich die erste schwache Hoffnung, für die, die wußten; denn hier wurde der Feind zurückgedrängt und das vergoldete Tor verschlossen. Schlagende Flügel und gedämpfte, rauhe Stimmen. Sie flüsterten, grollten im Sturm, draußen vor den dicken Mauern...

Zarafir sah ihm nach. Angicore sah den Tod in seinem Blick, dann stürzte er zurück und warf sich in seine Arme.

"Oh, Zarafir..."

"Lebe, mein Junge, und tu, was du tun mußt. Niemand wird dir etwas vorwerfen, egal was du auch tust, solange du dein Bestes tust. Keiner kann mehr verlangen, als das."

Angicore ließ ihn los, erhob sich und ging mit schnellen Schritten auf die Tür zu.

In der Türöffnung drehte er sich um. "Ich werde mein Bestes tun. Ich werde die Wurzel des Bösen finden und sie bekämpfen."

Zarafir sah die geballten Hände an seinen Seiten.

Dann ging er zur Tür hinaus, schloß sie hinter sich und verschwand im Laufschritt die endlose Treppe hinunter.

Djin

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