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Die Flucht
ОглавлениеHalb unten bemerkte er, daß etwas nicht stimmte.
Er fühlte die Anwesenheit von etwas Unbekanntem. Etwas, das auf ihn wartete. Er fühlte die Bedrohung, die über die Stufen vor ihm gekrochen kam, versteckt von einer gewundenen Säule. Er blieb stehen und lauschte. In der Tasche fühlte er den Kristall gegen seinen Schenkel.
Dann kam es nach oben, ihm entgegen, eine dunkle Gestalt mit einem blanken, glänzenden Schwert in der Hand.
Angicore drückte sich in eine Nische und versuchte seine eigene Waffe zu ziehen. Es hatte ihn gesehen, seine Augen brannten ihm mit gedämpfter Wildheit entgegen.
Es sprach mit kalter, tonloser Stimme zu ihm.
"Hier begegnen wir uns also, Milord."
Angicore zog sein Schwert gerade, als die Klinge des Fremden durch die Luft gesaust kam. Er war ein guter Fechter, ein hervorragender Fechter, trainiert und geschult von Duncan Yol. Aber er war nicht Duncan Yol...
Es drängte ihn zurück, die Treppe hinauf, die kalte Stimme und die zischende Klinge gleichzeitig. Schließlich fiel er und lag auf den Stufen. Der Kristall fiel aus seiner Tasche und rollte die Stufen hinunter, knallte von der Treppe gegen die Wände, und...
Die schwarze Gestalt beugte sich nieder, sammelte ihn auf und betrachtete ihn.
Dann lachte sie krächzend, höher und höher, bis das Lachen zu einem schrillen Schrei wurde, der über die Wendeltreppe dröhnte, zunahm und über die Dächer hallte.
Ein Schatten flimmerte über die fackelerleuchtete Biegung.
Ein Schatten in Bewegung, ein gleitender, kontrollierter Strom aus Tat und Kraft.
Das Wesen drehte sich hastig um und vergaß Angicore, der ihm gegenüber auf den Stufen lag. Dann stieß es ein Brüllen aus und im nächsten Augenblick brauste der Kampf vor und zurück, ohne Stimmengeräusche aber mit einer tierischen Wildheit.
Der Säbel heulte im Halbdunkel auf, das Schwert polterte in der Dunkelheit hinunter und das Wesen stürzte vornüber, ohne einen Laut, und verschwand.
"Von jetzt an verlaß ich nie mehr ihre Seite, Milord!"
Duncan Yol sah ihn untersuchend an, fürchtete, es sei ihm etwas zugestoßen, und daß er zu spät gekommen wäre. Aber Angicore erhob sich, murmelte schockiert ein kaum hörbares `Danke` und suchte mit den Fingern die Stufen ab, bis er den Kristall fand. Dann steckte er ihn in die Tasche und eilte die Treppe hinunter.
Duncan Yol folgte ihm auf dem Absatz. Wo er stand und ging, war Duncan Yol sein Schatten.
Im Hof des Palastes warteten die Maruder mit den Pferden. Sie standen an den Seiten der Pferde, steif wie Säulen und sahen Angicore und Duncan Yol, die ihnen entgegengelaufen kamen, mit ausdruckslosen Blicken an.
Ohne ein Wort saßen sie auf und folgten ihnen durch das Tor, auf die gepflasterten Straßen, fort durch die Stadt, die die Festung des Kaisers in Dynadan war.
Als die Tore zum kaiserlichen Palast sich öffneten, wälzten sich hunderte, erschreckter Menschen an den Wachen vorbei, um Schutz zu suchen. Sie sahen Angicore, im Schutz der Maruderfechter, und sie riefen ihn an, streckten ihm die Hände entgegen, flehten ihn an zu bleiben und zu sein, was sie immer geglaubt hatten, der einzig wahre Herrscher und Beschützer des Volkes von Dynadan.
Die Maruder zogen die Säbel und schwangen sie durch die Luft, um die Menge auseinander zu treiben. Angicore schloß die Augen und ließ sich von dem Pferd forttragen, durch die Volksmassen zwischen den Häusern. Sein Magen war ein harter, von Reue erfüllter Knoten und die Übelkeit brachte ihn zum Schwitzen.
Die Hufe klapperten auf den vom Regen feuchten Pflastersteinen, das Geräusch schallte in den Himmel und verhallte, wie die Pracht und Ehre und die Sicherheit unter den beschützenden Flügeln des Kaisers und Zarafirs verhallt war.
Draußen vor der Stadt, wo die Wälder begannen und die Berge sich wie grauschimmernde Raubtierzähne gegen das schwarze Nichts erhoben, blieb Angicore stehen und drehte sich um. Er warf einen letzten Blick zurück über die Dächer zum Turm, der in den Himmel ragte wie ein weißer Pfeil.
Er sah das bleiche Licht durch die Fenster dringen, sah die Schatten, die mit ihren breiten, schwarzen Flügeln den Turm umkreisten. Dann war eine heulende Stimme über der Stadt zu hören, wie ein Flackern eines letzten Restes einer mächtigen Flamme, die gelöscht worden war.
Angicore fühlte nach, der Kristall wartete immer noch in seiner Tasche.
Er wußte, Zarafir war tot, und daß er nun der einzig Übrige war.
Ein paar der Schatten um den Turm drangen durch die Fenster und verschwanden. Die anderen schwebten über die Dächer hinunter, nach ihm suchend.
Draußen vor dem Hafen dröhnte das Krachen der Rammböcke über das Wasser, dies - und die Schreie und der Lärm des Kampfes von den sinkenden Schiffen.
"Wir müssen weiter, Milord." Das war Duncan Yols Stimme aus der Dunkelheit.
Angicore antwortete nicht. Tränen und Wut saßen ihm im Hals, wie ein entzündeter Kloß, der ihm Schmerzen bereitete, jedes Mal, wenn er atmete.
Dann ritten sie weiter, über die einsamen Wiesen und verschwanden im Wald.
Schatten folgten ihren Spuren, geduldig und sicher.
Sie sprengten auf vergessenen Pfaden davon. An manchen Stellen lagen Baumstämme über dem Weg und versperrten ihn.
Aber sie hielten nicht, wurden nicht einmal langsamer. Sie sprangen über sie hinweg und ritten zwischen den Stämmen weiter, versteckt von den großen Baumkronen.
Irgendwann kamen sie an eine Kreuzung des Weges.
Duncan Yol sprang vom Pferd und untersuchte die Erde nach Spuren. Dann richtete er sich auf, zeigte auf zwei der Maruder und gab ihnen den Befehl, zurückzubleiben.
Sie nickten stumm, saßen von ihren Pferden ab und zogen sie zwischen die Bäume. Ein paar der anderen gingen ins Gebüsch, schnitten ein paar große Zweige ab und schleppten sie zu den Pferden. Darauf machten sie sie an ihren Sätteln fest und gaben Zeichen, daß sie bereit zum weiterreiten waren.
Yol wandte sich zu Angicore, der immer noch auf dem Pferd saß. Er streckte den Rücken, stieß die Hacken zusammen und sagte:
"Wir nehmen diesen Weg, Milord. Der Klee wächst auf diesem Pfad, ins Ungewisse..."
Er zeigte in die Dunkelheit und den Regen, in die Ungewißheit...
Als sie weiterritten schliffen die Zweige über die Erde und verwischten ihre Spur. Es machte keine Geräusche, denn die Erde war zu feucht.
Angicore sah sich um.
Die Zwei, die sie zurückgelassen hatten, versperrten einen der anderen Pfade. Sie standen mit gezogenen Säbeln, breitbeinig und einem drohenden Zug um den Mund da. Aber sie standen nicht an dem Weg, auf dem sie nun flüchteten. Sie standen an dem Weg, der in die entgegengesetzte Richtung führte.
"Kommen sie später nach?" Angicore mußte rufen, um den Wind zu übertönen.
"Nein!" antwortete Duncan Yol. Auch er rief. "Sie tun, was sie tun müssen, sie sterben für ihren Kaiser, sie sterben ehrenvoll!"
Angicore sah ihre Gestalten vor sich und war verblüfft über die Ruhe, mit der sie dem Tod ins Auge sahen.
Später näherten sie sich einem Dorf.
Ein paar Stunden waren sie jetzt durch die tiefe Stille des Waldes geritten. Sie hatten den Duft von Blumen und Blättern eingeatmet, hatten den schläfrigen Stimmen der Bäume gelauscht, die so alt waren wie die Welt selbst. Nun drängten sich andere Düfte in ihr Bewußtsein, die Düfte von Menschen, Ziegen, gespaltenem Holz und dem künstlichen Geruch von geräuchertem Fleisch.
Duncan Yol ritt voraus.
Er galoppierte zwischen die Häuser, vor sich hatte er drohend den Säbel aufgerichtet. Aber es gab niemanden, der ihnen etwas Böses wollte, es gab nichts Bedrohliches in diesem Dorf auf einer Lichtung des Waldes.
Er winkte ihnen zu, daß sie kommen könnten. Das Dorf erwachte. Licht wurde hinter den Fensterscheiben angezündet, eines nach dem anderen.
Dann öffneten sich die Türen, vorsichtig, und Männer kamen heraus.
Die zwanzig Reiter warteten schweigend ab.
Schließlich kam ihnen ein alter Mann entgegen, der in die Dunkelheit blinzelte.
"Edle Herren..." begann er. "Wir haben nichts, was Euer Interesse wecken könnte. Wir bitten nur um die Erlaubnis, in Frieden zu leben und tun niemandem etwas Unrechtes." Seine Augen waren auf die Säbel in den sehnigen Händen gerichtet.
Dann blickte er in den Himmel hinauf. Nach einer kleinen Pause redete er weiter: "Aber was ist mit der Welt geschehen?
Warum ist die Dunkelheit so durchdringend, daß die Sterne so matt und nicht mehr klar sind?"
Duncan Yol machte eine Bewegung mit der Hand zu Angicore. "Dies ist der Kaiser von Dynadan, der Jaranakaiser -der einzig wahre Herrscher. Beuge dich vor ihm in den Staub, alter Mann!"
Der Alte sah zu dem jungen Mann auf dem Pferd auf. Erst da bemerkte er die Spange am Gürtel des Reiters, die faustgroße Kleeblüte aus massivem Gold über der hellen, blauen Jacke.
Er kniete nieder und verbeugte den Kopf, und überall im Dorf taten die Leute es ihm nach. Es senkte sich eine tiefe Stille über den Wald und die Häuser, und die, die dort lebten.
"Ich brauche einen Platz zum Schlafen," sagte Angicore. "Einen Ort der Zuflucht, denn das Böse hat vor einer Weile die Macht über Dynadan gewonnen."
Er sprach in der alten Sprache zu ihnen, um ihnen zu zeigen, wer er war.
Der Alte sah ihn mit Ehrfurcht im Blick an.
"Wir werden Euch mit Freude den Schutz unserer Häuser gewähren, Euer Gnaden. Wir werden Euch mit Freude dienen, auf welche Weise es Euch beliebt..."
Angicore nickte und erwiderte die Gastfreundschaft des Dorfältesten mit einem sanften Lächeln.
"Ich nehme mit Dank euer freundliches Angebot an. Wo kann ich schlafen?"
"Wo auch immer," stammelte der Alte. "Wo auch immer..." "Wenn ich vorschlagen dürfte..." mischte Duncan Yol sich ein. "Das Haus dort, drüben neben dem Stall, wäre das geeignetste." Er wies durch den Nieselregen, der wie ein dünner, lautloser Flor zu fallen begonnen hatte.
Angicore drückte den Wunsch aus, eben dieses Haus leihen zu wollen, und wurde danach in des Alten Haus gewiesen, während das andere geräumt und instand gesetzt wurde.
Er kniete nieder und ließ die Hand sanft über die Erde streichen. Er bemerkte Kleeblüten zwischen seinen Fingern und seufzte erleichtert.