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Prolog – Der Gaisberg-Aufstieg
ОглавлениеAufgeben ist das Letzte, was man sich erlauben darf.
Hannelore Kohl
Der Gaisberg. Mein Hausberg. Salzburgs Hausberg. Hier bist du nie allein. Wenn du auf der Suche nach einem Trainingspartner bist, zieh deine Sportsachen an und fahr zum Einstieg. Bergläufer, noch mehr Radfahrer und unzählige Wanderer zu jeder Tageszeit machen meinen Hausberg zum sportlichen Mittelpunkt unserer Stadt. Egal, ob ich Gesellschaft oder Mitstreiter für meine sportliche Besteigung des Berges suche, immer finde ich die passenden Menschen. Vom Gipfel aus hat man eine unfassbar erhabene Aussicht auf die Stadt. Ich erkenne jedes Mal wieder die einzigartige Perfektion, die unsere Stadt von oben betrachtet ausstrahlt. Im Norden glänzen die Seen des Alpenvorlandes, im Süden stauen sich die Gebirge der Nordalpen auf, die meist schneebedeckten Gipfel ruhen majestätisch vor den Toren unserer Stadt, die durch die drei Stadtberge geteilt und gleichzeitig vereint wirkt. Der Gipfel ist der Lohn für den meist mehr als einstündigen steilen Anstieg.
Der Gaisberg ist 1287 Meter hoch, liegt am nördlichen Stadtrand Salzburgs und ist mit dem Rad, zu Fuß, auf Skiern, mit dem Auto, Bus oder mit Rollerskates von allen Seiten zu besteigen. Es gibt unzählige Wege, Pfade, Straßen oder Routen. Um von der Stadt aus auf den Gipfel zu kommen, muss man 863 Höhenmeter überwinden. Ein Naherholungsort für viele Salzburger, für mich jedoch immer mein idealer Trainingsberg. Ich wandere an regnerischen Tagen mit meiner Frau zum Luftschnappen und Durchbewegen meiner Knochen über den Büffelpfad zum Gipfel, laufe häufig mit meinen Freunden und Sportlern aus Parsch kommend bis zur Zistelalm, die auf gut 1000 Metern liegt, oder fahre den Gaisberg mit dem Rennrad auf und ab, oft mehrmals hintereinander.
Für einen Rennradfahrer zeichnet sich der Gaisberg ab der Zistelalm durch seine finale Steilheit auf den beiden letzten Geraden aus, die rund 250 Höhenmeter bis zum Gipfel ausmachen. Diese beiden Geraden sind meist der Scharfrichter für alle ehrgeizigen Rennradfahrer. Tief über den Lenker gebeugt, schwer atmend, versuche ich immer, auf diesen beiden letzten Geraden den Anschluss an meinen Vordermann herzustellen. Den Blick starr auf sein Hinterrad gerichtet, nehme ich die Welt um mich nicht mehr wahr. Schweißtropfen laufen mir über die Stirn in die Augen, der Rücken schmerzt von der Steilheit des Anstiegs, meine Atemfrequenz ist so hoch, dass ich nicht einmal einen – dringend benötigten – Schluck aus meiner Wasserflasche trinken kann. Die einzige Rettung ist der Vordermann.
Nur nicht abreißen lassen!
Nur nicht zurückfallen!
Koste es, was es wolle!
Die beiden Geraden werden von einer Kehre unterbrochen, für 20 Meter flacht die Steigung hier ab, um sich einem anschließend nochmals für 100 Höhenmeter entgegenzustemmen. Genau in dieser Kehre, die alle zum kurzen Durchschnaufen nutzen, forciere ich meine Attacke. Dort, wo alle eine kurze Pause einlegen, langsamer werden, die Beine kurz durchschütteln, genau dort schalte ich zwei Gänge höher und beschleunige aus der Kehre hinaus in den letzten Anstieg. Das Laktat schmecke ich auf dem Gaumen, selbst meine Nasenhaare schmerzen durch die gierige Atmung, meine Füße folgen nur mehr dem Kommando meines Ziels, bloß nicht eingeholt zu werden. Meist halte ich meinen Vorsprung aus der Kehre hinauf bis zum Gipfel, selten breche ich ein, doch immer finde ich wieder Anschluss an einen Vordermann oder halte an schlechten Tagen Kontakt zum Hinterrad eines mich überholenden Kameraden.
Der Gaisberg stellt meinen Willen jedes Mal wieder auf die Probe.
Der Gaisberg ist meine Lebensschule: Er hat mich gelehrt, nie aufzugeben.
Nie!