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Kapitel Drei Die Trümmerküste

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Großmeister Raukhar kippte in den Sessel. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Alle ermordet … an unserem höchsten Festtag«, wisperte er und starrte in den Kamin. Es brannte kein Feuer darin.

Finn setzte sich ihm gegenüber. Nachdem er seine Brüder auf dem Berg bestattet und für sie gebetet hatte, war er nach Helinas zurückgekehrt. Die anderen mussten davon erfahren. Eine Kampftruppe musste aufgestellt und Rache genommen werden.

»Ich habe den Tempel besucht. Der Boden war aufgerissen, das Heilige Buch Renarian geraubt, die Statuen zerschlagen, der Altar mit Runen aus Blut geschändet, die Banner angesengt und der Wohntrakt verwüstet. Wir müssen zurückschlagen, wir sind Kampfpriester, das lassen wir uns nicht gefallen!«

Der Großmeister versank im Tausendmeilenblick, während seine Finger an seinem Amulett nestelten. Er ließ sich einen Moment Zeit, bevor er antwortete. »Wie haben die Bewohner der Bergsiedlung reagiert?«

»Was … die Bewohner … « Finn fühlte sich aus dem Tritt gebracht. »Sie haben nichts mitbekommen und ich bezweifle, dass sie je im Tempel waren, da sie sich nur für sich selbst interessieren. Ich habe unsere Brüder allein bestattet und den Tempel versiegelt. Außer Euch, habe ich es noch keinem erzählt und … «

»Gut«, unterbrach ihn Großmeister Raukhar. »Wir behalten diese Sache im Kreis Weniger. Ich werde morgen eine Handvoll Kampfpriester versammeln und zur Bergsiedlung aufbrechen. Wir müssen wissen, was da passiert ist. Habt Ihr Kultistenleichen gefunden?«

»Nein, … Wer sollte sonst in Frage kommen? Die Kultisten haben es auf uns abgesehen, weil wir das Attentat auf Exarch Gamrion vereitelt haben.«

»Wer sich mit dem Schwert zur Ruhe legt, könnte kopflos aufwachen. Wir werden Ruhe bewahren und die Sache prüfen.«

»Das könnt Ihr nicht von mir verlangen, Ihr müsst unsere Brüder in den Kampf schicken! Wir müssen Mutter Oberin von Burg Alvamund informieren, Großmeister Bahlinor in Wranis. Von vier Tempeln bleiben uns drei, die weit voneinander entfernt sind. Unsere Zahl schwindet. Wir müssen die Kultisten aufspüren und zuschlagen, bevor sie uns wieder angreifen. Wir dürfen nicht länger zögern!«

Der Großmeister erhob sich vom Sessel und durchdrang Finn mit dem Himmelblau seiner Augen. An ihren Rändern hatten sich Krähenfüße eingegraben und verliehen ihnen den Nimbus der Altersweisheit. Sein Wesen schien zu wachsen und den gesamten Raum einzunehmen. »Ihr seid ein Heißsporn und möchtet alle Hürden mit der Klinge nehmen. Euer Kampfes­mut ehrt Euch, doch bedenkt: Ein Kampfpriester versteht sich in der Kunst der Klinge und des Glaubens. Obgleich der Glaube eine Klinge sein kann, wenn man ihn zu gebrauchen versteht.«

Finn schrumpfte in sich zusammen. Sein Jähzorn schmolz und wich der Furcht. Was hatte ihn geritten, sich so gehen zu lassen? Raukhar etwas vorzuschreiben, war dumm von ihm. Schamesröte stieg ihm ins Gesicht. »Verzeiht, ich … habe mich gehen lassen.«

Großmeister Raukhar nahm Platz und wies Finn an, es ihm gleichzutun.

Finn setzte sich und der Druck im Raum ließ nach. Erst jetzt merkte er, dass er Gänsehaut im Nacken hatte. Dies war eine Kostprobe des Selbstbewusstseins und der magischen Aura eines Großmeisters gewesen. »Wie habt Ihr das gemacht?«, stotterte Finn.

»Nach dem Durchschreiten der Heiligen Flammen übt Ihr Euch ein Leben lang und vertieft Eure Kräfte. Wir sind keine Mörder, sondern Kämpfer des Glaubens und üben den Zorn der Gerechten. Als der heilige Durhelian vor langer Zeit die Menschen aus den dämonischen Kriegen herausgeführt hat, gab er uns neben dem Indigofeuer auch den Sinn für Gerechtigkeit.«

Finn senkte den Kopf. Es fiel ihm schwer, den Gleichmut Raukhars nachzuvollziehen. »Was können wir tun, Großmeister?«

»Übt Euch in Geduld und betet. Nehmt mein Amulett, überbringt es Schwester Meena, die an der Trümmerküste lebt.«

»Die Trümmerküste ist lang, wo soll ich ihren Tempel finden?«

»Tempel? Nein, Schwester Meena ist … eigen. Sie lebt nicht mehr in den Mauern der Schwesternschaft des heiligen Durhelian. Niemand weiß, wo sie sich aufhält, daher müsst Ihr sie suchen. Ich werde Exarch Gamrion eine Nachricht und die Ergebnisse meiner Untersuchung zukommen lassen. Er muss informiert werden.« Er nahm seine Halskette ab und legte sie Finn um.

Finn fühlte sich erneut zurückgewiesen. Botenjunge. Der Geschmack des Wortes floss zäh durch seinen Kopf.

Wie sollte die Arbeit eines Boten ihren Orden schützen? Während seiner Novizenschaft hatte er in den Kampfpriestern Krieger und Helden gesehen. Nicht abwartende Hinauszögerer. Dennoch besann er sich auf die Weisheit des Großmeisters. »Wie Ihr wünscht«, antwortete er, schloss die Finger um das Amulett mit dem flammenden Schwert und verließ das Ordinariat.

Als er die Tür hinter sich schloss, klaubte er die Kette unter seinen Plattenharnisch. Lahras, Rüstung, Umhang. Weiter hatte er es nicht gebracht. Anders ging es Bruder Eferus. Er hatte einen herausragenden Ruf und konnte sich alles herausnehmen, was immer er wollte und wem gegenüber er wollte. Er brachte es fertig, Menschen von sich zu begeistern. Exarch Gamrion persönlich hatte ihn angefordert, ihn nach Wranis zu begleiten. Bruder Eferus war der Mensch, der Finn sein wollte. Ein Meister in Wort und Klinge, der den Glauben zeitgemäß vertrat.

Auf der Treppe hinab zum Zeremoniensaal begegnete er Bruder Malesen, den Bestienmeister des Ordens. Er hatte es auch nicht weit gebracht.

»Bruder Malesen, verfügt Ihr noch über die Flugechsen, die uns der Schwesternorden vor einem Sommer zum Bergfest geschenkt hat?« Finn war klar, dass Großmeister Raukhar ihn auf eine Pilgerfahrt schickte, damit er sich besann und in innerer Betrachtung übte. Jedoch war über die Art und Weise seiner Reise kein einziges Wort gefallen, also galt es jetzt, die Reise schnell hinter sich zu bringen.

»Ja, die beiden stehen hinten im Hof. Wieso fragt Ihr?«

»Großmeister Raukhar schickt mich auf eine Reise.«

Der Bestienmeister legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen. Das lange, feuerrote Haar ruhte auf seinen Schultern. »Der Alte hat Euch zum Boten degradiert, was?«

Finn drückte sich ein paar Herzschläge um die Antwort. »Ja, das hat er. Also, kann ich eine Echse haben, oder nicht?!«

»Ist ja gut, ist ja gut«, sagt er und marschierte los. »Ich bin froh, wenn ich die Dinger loswerde. Sie fressen pro Woche drei Ziegen, wenn ich ihnen das Futter nicht einteile, verfallen sie in einen Fressrausch und sind dann tagelang träge. Was gäbe ich für Opalhengste, die besitzen Edelmut, ihre Intelligenz und Agilität sind der von Pegasi ebenbürtig.«

Bruder Malesen verließ den Zeremoniensaal über einen Seitenausgang und betrat den Innenhof. Finn blickte ringsherum in die Arkaden, in denen nicht einer der anderen Kampfpriester zu sehen war, da sie um diese Uhrzeit auf dem Markt unterwegs waren, ihren Segen verteilten und andere Aufgaben erledigten.

Bruder Malesen hob einen Kieselstein vom Boden und schnipste ihn der größeren von beiden Echsen in Gesicht. Das Tier öffnete ein Augenlid und entblößte einen schwarzen, senkrechten Schlitz auf goldgelbem Grund. Die Nickhaut flappte eine Sekunde später zur Seite.

»Sie schlafen gern, nachdem sie gefressen haben, besonders im Winter, da sie Kaltblüter sind. Haut dem Größeren aufs Maul.«

»Wie bitte?«

»Haut dem Größeren aufs Maul. Diese Viecher ordnen sich bloß dann unter, wenn Ihr ihnen Eure Dominanz beweist. Zielt auf die Größte, dann müsst Ihr nicht beide schlagen. Sie orientieren sich am Alpha. Ihr habt doch das neue Bestiarium gelesen, das ich verfasst habe? Dieses Mal habe ich sogar im Anhang ein Daemonicum eingefügt.«

»Ja, klar«, log Finn. Das Gekrakel von Bruder Malesen forderte dem Leser Wohlwollen ab, im Gegensatz zu seinen Zeichnungen. Krallen, Augen, Schuppen, Hufe und Hörner; der Mann ließ kein Detail aus. In Gedanken übertrug Finn die Zeichnung in seiner Erinnerung auf das Original. Die Flugechse hatte die ledrigen Flügel um den kieselgrauen Leib gelegt. Ihr schuppiger Körper wölbte sich unter ihren Atemzügen.

Als er sich ihr näherte, erhob sie sich. Finn holte aus und verpasste ihr einen rechten Schwinger aufs Maul. Sie schüttelte sich kurz, fixierte Finn mit ihren Schlangenaugen und schnüffelte an ihm. Dann senkte sie den Kopf und hauchte ihm ihren nach Aas stinkenden Atem entgegen.

»Ich denke, das war fest genug«, meinte Finn.

»Es geht um Dominanz und weniger um Kraft.« Bruder Malesen legte den Kopf schief. »Ihr gebt ein gutes Paar ab. Es ist eine Sie. Ich nenne sie Flöckchen. Wenn sie deinen Geruch aufgenommen hat, erkennt sie dich wieder. Obwohl diese Dinger stinken, haben sie eine Nase wie ein Bluthund, man kann sich ihnen nicht nähern, ohne dass sie einen bereits gerochen haben.«

»Flöckchen? Ist das Euer Ernst? Ihr verbringt zu viel Zeit mit den Biestern, Bruder Malesen.«

»Das nehme ich als Kompliment. Tiere sind besser als wir Menschen. Bei ihnen gibt es keine Heuchelei. Wenn sie Euch nicht frisst, seid Euch ihrer Loyalität sicher!«

»Die fressen Menschen?«

»Ja, wenn Ihr die Regeln nicht einhaltet. Kommt nicht dazwischen, wenn sie fressen. Lasst sie nie hungern und haltet Euch vom Maul fern, sie schnappen aus Reflex zu. Keine Sorge, es ist eine Art Zwicken. Sie lassen sich von ihrer Neugier leiten und tasten mit ihren Mäulern und Zungen.«

Finn betrachtete Bruder Malesen eingehend. »Ihr seid zufrieden mit Eurer Aufgabe hier, oder?«

»Wieso denn nicht? Keiner sagt mir, was ich zu tun habe. Keiner mischt sich ein. Auf dem Markt habe ich gute Kontakte zu anderen Bestien- und Stallmeistern und erfahre alle Neuigkeiten. Freie Hand und Unterhaltung, was will man mehr?« Bruder Malesen zog der Flugechse einen Sattel auf, spannte den Lederriemen unter dem Bauch und prüfte den Halt des Sattels. Danach befestigte er eine Eisenkette am Halsring. »Lederriemen beißen die Viecher durch. Eisen ist ein Muss. Der Sattel sitzt fest und ich sehe, dass Ihr mit Eurem Fellmantel die passende Bekleidung für die Kälte der Höhenwinde habt. Seid Ihr je auf einem Flugtier geritten?«

»Ja, auf einem Pegasus.«

»Gut. Im Gegensatz zu einem Pferd, das rechts, links, vorn, hinten kennt, gibt es bei Flugtieren zusätzlich oben und unten«, erklärte er und strich der Echsendame über die Schuppen. »Sie ist ein gutes Mädchen, kümmert Euch um sie.«

»Sucht Euch ein Hobby, Bruder Malesen«, feixte Finn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er musste hoch greifen, da der Bestienmeister der Größte im Orden war.

Finn wuchtete sich in den Sattel. Die Flugechse besaß die Körpergröße eines Pferdes, aber sie war schlanker und sehniger. Er setzte seine Fersen an ihren Bauch und drückte sie nach innen. Flöckchen ging in die Hocke und machte einen Satz in die Luft. Links und rechts spannten sich die imposanten Flügel und hoben sie beide in die Luft.

Nach wenigen Schlägen wurde Bruder Malesen kleiner und kleiner. Der Innenhof des quadratischen Tempels schrumpfte. Über dem Dach des Tempels verlagerte Finn sich nach vorn und ließ die Flugechse Fahrt aufnehmen. Sie schwebten über Helinas mit seinen engen Gassen und Dächern mit Schieferschindeln. Sie überflogen den Markt und gewannen weiter an Höhe, bis Finn die Zwillingsgipfel des Sigispass im Osten erspähen konnte. Die beiden Massive waren so riesig, dass sie Wildschweinhauern ähnelten, die den Himmel aufzureißen drohten.

Winde zerrten an seinem Umhang und zerzausten sein Haar. Seine erste Flugstunde lag drei Sommer zurück. Das Gefühl des Aufs und Abs hatte ihm damals Probleme bereitet, was sich mit weiteren Flugstunden gelegt hatte.

Finn schmiegte sich an die Halsschuppen von Flöckchen und betrachtete den Horizont. Er würde durch den Sigispass fliegen, dann geradeaus nach Rugand und von dort der Trümmerküste in den Norden folgen. Es versetzte ihm einen Stich, an Rugand zu denken. Alles an dieser Stadt erinnerte ihn an Schmerz, doch er schob die Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf seine Flugroute.


Die Monde Großlaib und Rotlaib standen am Firmament, Nordwind hingegen vertrieb die Wolken und legte die Sternendecke allmählich frei. Das fahle Mondlicht ruhte auf Hirand und strahlte auf den Fluss, der die Stadt in zwei Teile spaltete. Schräge Giebelspitzen, an denen Flaschenzüge hingen, ragten über das Gewässer und unterstrichen den Charakter der Speicherstadt.

Finn rieb sich die Kälte aus den Fingern, während er auf dem Rücken der Flugechse dem Klacken der Krallen auf dem Kopfsteinpflaster lauschte. Der Höhenwind hatte seine Kräfte ausgezehrt und er war froh, dass er den dicken Mantel trug.

Finn steuerte die größte Taverne im Ort an, dort erhoffte er sich Informationen und ein Abendmahl für seinen Bauch. Die Letter »Zur Speichermeisterei« prangten über einer Taverne an der Hauptstraße, ein zweistöckiges Fachwerkhaus, vor dem mehrere Pferde angebunden waren.

Er saß ab und machte Flöckchens Kette an einer Öse am Wassertrog fest. Sollte die Echse Lust auf Pferdefleisch verspüren, würde sie die Kette davon abhalten.

Die Pferde schnaubten unruhig und drängten sich auf die andere Seite des Balkens.

Finn durchschlug mit dem Knauf seiner Lahras die Eisschicht auf dem Wasser und ließ sein Reittier saufen.

Beim Eintritt in die Stube empfing ihn der Lärm von lautstarken Händlern, die sich mit Einheimischen in schiefergrauen Fellmänteln unterhielten. Sie feilschten um die Speicherpreise und vergruben ihre Finger in gebratenen Hähnchen.

Finn wühlte sich durch die Stehgäste und pflanzte sich an einen Zweiertisch. Noch bevor er saß, drängte sich die Wirtin durch die Menge und strahlte ihn an: »Was darfs sein, Fremder?« Ihr Dekolleté war so eng geschnürt, dass der obere Teil ihrer herausgepresst wurde.

»Ein halbes Hähnchen, bitte. Ähm, und ein Schwarzbier«, fügte er entschlossen hinzu. Vielleicht war es kein Fehler, ab und an dem Beispiel von Bruder Eferus zu folgen. Dennoch war es gut, dass man seinen Indigoumhang unter dem Mantel nicht sehen konnte.

Während er in seinem Beutel nach Geld kramte, kehrte die Wirtin zurück, deponierte einen Teller mit Hähnchen und Krustenbrot auf der ramponierten Tischplatte und stellte einen Krug Schwarzbier ab, von dessen Rand Schaum nach unten lief.

»Fünf Groschen für die Mahlzeit und eine Jorvenkrone für Eure Dienste«, sagte Finn und schmunzelte sie an.

Ihre Wangen röteten sich. »Meinem Mann würde das nicht gefallen«, sagte sie und drehte dabei eine blonde Locke mit dem Zeigefinger.

Finn genoss die kleine Eroberung. Bruder Eferus hatte in allem recht, man musste seinen Genuss planen. »Nein, meine Liebe, ich möchte nur Informationen, obwohl Ihr meinen kalten Tag verschönert. Kennt Ihr eine Ordensschwester mit Namen Meena?«

Sie spielte noch einen Moment mit ihren Locken. »Nein, die kenne ich nicht. Ich kann meinen Mann fragen, der kennt jeden Furz.« Sie wandte sich ab und tauchte im Gedränge unter.

Finn aß mit dem Hunger eines Bären, der aus dem Winterschlaf erwacht war. Fleischsaft tropfte durch seinen Dreitagebart und er vergaß alles um sich herum.

Erst als er die Reste von den Knochen nagte, nahm er die Lautstärke der anderen Gäste bewusst wahr. Mit einem Schluck Schwarzbier spülte er nach und ließ sich den Schaum schmecken. Der prickelte in seinem Hals und fühlte sich unendlich gut an.

»Ihr seid also Kampfpriester des heiligen Durhelian?«, wollte ein Mann mit brauner Bepastonfelljacke wissen, der sich ihm gegenübersetzte.

»Woher wisst Ihr das?«

»Euer indigofarbener Umhang verrät Euch, der Saum schaut unter Eurem Mantel heraus. Ich bin Ewan und züchte Zugpferde, die besten in Hirand. Und Ihr seid?«

»Ich bin Bruder Finn.« Er wusste, was jetzt kommen würde.

»Ich habe einen Stall in der Nähe. Meine Viecher finden seit zwei Nächten keine Ruhe. Könntet Ihr sie nicht segnen?«

Nein, keine Lust. Ich habe Besseres zu tun. Der Rotz in meiner Nase interessiert mich mehr. Langweilt mich nicht. Das waren die Antworten, die Finn spontan einfielen. »Ja natürlich, ich diene dem Heiligen und tue sein Werk.« Er leierte die Worte herunter, kein Mensch merkte den Unterschied. Finn kippte sein Schwarzbier herunter und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von der Oberlippe. »Geht voran, ich folge Euch.«

Der Viehzüchter eilte im rötlichen Schein des Doppelmondlichts über das Kopfsteinpflaster Hirands. Der kleinere Rotlaib stand bereits im Zentrum von Großlaib und verdeckte den Größeren, sodass nur noch ein Ring von ihm zu sehen war. Dadurch kam der rötliche Schein des Zwergs stärker zum Tragen.

Finn ließ sich mit Flöckchen im Schlepptau in einen Außenbezirk leiten, in dem mehrere Häuser und Stallungen nebeneinanderstanden. Es stank nach Pferdeäpfeln und Heu.

Finn machte seine Echse an einem Steintrog vor den Stallungen fest.

»Bruder Finn, bitte tretet ein.« Der Viehzüchter drehte am Rädchen einer Öllampe. Ihr Glas war gelb angelaufen, doch ihr Licht reichte, um den Stall mit Pferdeboxen auszuleuchten.

Die Tiere bliesen ihre Nüstern auf und wippten mit den Köpfen.

»Ich gehe zu meinem Weib. Sie hat heute frisches Brot gebacken, dazu kann ich Euch noch Räucherfleisch von der Hammelkeule aus dem Keller holen«, bot der Viehzüchter an und verschwand durch den Spalt in der Schiebetür.

Finn fand die Segnerei lästig, aber er hatte nichts gegen die Gaben der Bittsteller einzuwenden. Wegzehrung brauchte er somit nicht mehr zu kaufen und konnte Geld sparen.

Er leierte ein Segensgebet herunter: »Heiliger, schenk diesen Tieren Deinen Segen, gib ihnen Ruhe, schenke ihnen das Licht.«

Ein Knistern riss ihn aus seiner Litanei. Unwillkürlich riss er die Lahras aus der Scheide und ging in Kampfstellung.

Die Pferde prusteten und stapften, also spüren auch sie etwas.

Finn nahm eine Geruchsprobe: Kein Schwefel. Er ging eine Box nach der anderen ab und spähte jeweils vorsichtig hinein. Er atmete ein und aus und versuchte, seinen Herzschlag so zu kontrollieren, wie Waffenmeister Senash es ihn gelehrt hatte.

In der letzten Box stand das Pferd dicht ans Gitter gepresst, als würde es sich von etwas distanzieren, das hinter ihm in den Schatten lag. Es war nicht auszumachen, ob es nur ein Schatten, eine Pferdedecke oder Einbildung war.

»Gebt Euch zu erkennen!«, forderte Finn.

Ein paar Herzschläge vergingen ohne irgendeine Reaktion. Dann schälte sich unter einem beigefarbenen Wintermantel eine Frau hervor. Sie trug ihr weizenblondes Haar oben lang, an den Seiten hatte sie sich Zöpfe geflochten, die eng an der Kopfhaut anlagen. Sie kniff die Augen zusammen und schenkte ihm einen trotzigen Blick.

»Ich kenne dich«, sagte sie.

»Gut, dann seid Ihr im Vorteil. Darf ich Euren Namen erfahren?« Finn hielt die Lahras mit beiden Händen, bereit zum Kampf.

»Ich bin Khalea. Wir haben uns durch Jar Istram kennengelernt.«

Finn überlegte, ob es möglich war, dass unter dem Wischmob im Käfig des Jars diese hübsche Frau gesteckt hatte. Und tatsächlich, die Augen in der Farbe flüssigen Ockers hatte er schon einmal gesehen. Auch ihre Bekleidung kam ihm bekannt vor, der Sohn von Jar Istram hatte sie getragen. Ein beigefarbener Mantel mit Kapuze, darunter eine efeugrüne Leinenhose. »Hast du den Kleinen getötet, um seine Sachen zu klauen?«, wollte er wissen und steckte die Lahras weg.

»Wozu denn? Ich habe ihn seiner Klamotten beraubt und ihm den Hintern versohlt. Das ist die Mutter aller Demütigungen und meine kleine Rache an ihm.«

»Was machst du hier im Stall eines unbescholtenen Viehzüchters?«

»Es ist kalt und ich brauchte einen Unterschlupf.«

»Woher kommst du? Und wieso gehst du nicht dahin zurück?«

»Das ist kompliziert. Wirst du mich ausliefern?«

Finn überlegte einen Augenblick. »Kennst du eine Schwester Meena?«

»Schwester? Meinst du Wolfsblut Meena, die an der Trümmerküste lebt?«

»Hmmm, ich denke schon. Wir machen einen Handel. Du bringst mich zu dieser Meena, von welchem Blut sie auch sein mag, und ich werde dich nicht ausliefern.«

»Ich mache dir ein Gegenangebot. Du hilfst mir bei meiner Suche und ich dir bei deiner … und du lieferst mich nicht aus.« Sie reckte angriffslustig das Kinn nach vorn und stemmte die Hände in die Hüften.

»Zwei gegen eins, kein guter Handel für mich.« Er ließ sie schmoren und kaute auf der Innenseite seiner Wange. »Gut, die Sache steht.«

»Bruder Finn, ich habe Krustenbrot und Hammelfleisch, mit den besten Grüßen meiner Frau. Wenn Ihr noch kein Zimmer für die Nacht habt, dürft Ihr gern bei uns im Haus nächtigen.« Er schaute verdutzt Khalea an. »Wer ist die Dame?«

»Das ist meine Gehilfin«, log Finn. »Sie hat ein Händchen für Pferde. Eure Tiere haben den Segen des Heiligen empfangen. Sie dürften wieder zur Ruhe kommen.«

»Danke Bruder Finn, habt Dank für Eure Mühen!«

»Ich denke, wir sollten das Angebot annehmen. Die Kälte in Hirand kriecht mir ins Mark«, sagte Khalea.

»Übertreibe es nicht«, flüsterte Finn hinter vorgehaltener Hand. »Wir nehmen Euer Angebot an, Viehzüchter Ewan. Ich hoffe, wir fallen Euch nicht zur Last.«

»Nein, das tut ihr nicht! Kommt, kommt, ihr seid ein Segen für unser Haus«, erwiderte Ewan und führte die beiden aus dem Stall ins Haus nebenan.

Die Frau des Züchters, eine stämmige Dame mit Schürze und Haube, stand in der Stube neben dem Ofen, auf dem ein Teekessel dampfte. Aus dem verschlossenen Raum nebenan ertönte Hundegebell.

»Keine Sorge, Odo beißt nicht. Seit unsere Tochter nach der Heirat ausgezogen ist, hat er ihr Zimmer besetzt.« Die Frau des Züchters goss drei Tassen Farnkrauttee ein und legte einen Teller mit Kuchen und ein Messer auf den Tisch. »Bitte, bedient euch. Der Zimtkuchen ist von gestern.« Sie schnitt mehrere Stücke ab und schob den Teller zu Finn und Khalea. »Ich hoffe, es ist einem Priester erlaubt, mit einer Dame im gleichen Zimmer zu schlafen. Unser Haus ist klein und bescheiden.«

Finn blies den Dampf von der Tasse und nahm einen Schluck. Nach der Kälte im Stall tat ihm die Wärme gut. »Kampfpriester können allem trotzen, da sind Frauen keine Ausnahme«, antwortete er. Sein Blick streifte den Teller und dann den Tisch. Er stutzte. Wo war das Messer abgeblieben?

Die Gastgeberin nickte eifrig. »Das freut mich. Mein Mann und ich müssen morgens früh aufstehen, daher werden wir uns nun zurückziehen. Wärmt Euch in der Stube auf, wenn Ihr mögt, bedient Euch im Keller am Trockenfleisch. Unser Nachbar musste notschlachten, deswegen haben wir bis zum nächsten Winter Vorräte anlegen können.« Sie holte eine Schachtel Zunderholz aus der Tasche ihrer Schürze und entzündete eine Kerze, die sie dann mit ihrem eigenen Wachs auf einer Bronzeschale auf dem Tisch festklebte.

Ewan stand auf, verabschiedete sich und ging mit seiner Frau in das Zimmer, in dem wieder der Hund bellte.

Khalea nippte an ihrem Becher. »Frauen sind keine Ausnahme?«, zischte sie im Flüsterton. »Nur mit meiner Hilfe wirst du Wolfsblut Meena finden. Sei froh, dass ich mich dazu herablasse, dir zu helfen!«

»Herablassen? Du sprichst mit einem Kampfpriester. Ohne mich hätte dich Jar Istram mit seiner Liebeslanze aufgespießt!«

»Daraus habe ich mich selbst befreit. Ich komme nämlich sehr gut ohne Beschützer zurecht!«

»Ja, du klaust Kuchenmesser bei Leuten, die dir ihr Heim und ihre Speisekammer öffnen. Glaube nicht, dass ich nicht gesehen habe, wie du es eingesteckt hast!« Hatte er nicht. Dennoch sollte sie glauben, dass er sie im Blick hatte.

Sie schoss auf und setzte sich in die andere Ecke des Raums auf den Boden.

Finn schüttelte den Kopf, breitete seinen Mantel auf dem Boden aus und legte sich vor den Ofen. Sollte Khalea doch sehen, wo sie blieb. Sobald er hatte, was er brauchte, würden sie getrennte Wege gehen.

Er streckte sich durch und rollte sich zusammen. Der Tag war lang gewesen und der Flug auf Flöckchen hatte ihn ausgezehrt.


Der Wind schob Unwetterwolken mit dicken Bäuchen über den Vormittagshimmel und drückte Schiffswracks und Wellen an die schroffe Steilküste. Die Holzrümpfe kratzten über den felsigen Grund des Meeres, während zerfetzte Segel an gesplitterten Masten wehten. Fässer und Kisten schwammen im Wasser, schlugen Löcher in die Wandungen und wogten im Rhythmus der Wellen.

Finn stand an der Felskante und spürte das Knistern in der salzigen Luft, das den heraufziehenden Sturm ankündigte. »Nicht mehr lange, dann bricht hier die Hölle los«, murmelte Finn.

Flöckchen zog an der Kette und schnaubte nervös.

Finn wäre es lieber, überall anders zu sein, nur nicht hier, nur nicht jetzt. Er hatte schon zu viele Geschichten über diesen Ort gehört.

Khalea blickte hinunter und schwieg, wie sie es schon den ganzen Morgen getan hatte.

»Man sagt, dass es dort unten spukt«, rief Finn gegen den Wind an, »und Geister die Ahnungslosen in den Tod locken. Manche sprechen auch von Sirenen und anderen Unholden der Tiefsee. Bist du sicher, dass du da runter willst?« Nieselregen peitschte ihm ins Gesicht.

»Natürlich, was denn sonst? Wir müssen den schmalen Pass hinunter. Knapp oberhalb des Meeresspiegels gibt es eine Grotte, die man nur bei Ebbe betreten kann.«

Finn bezweifelte, dass Flöckchen mit ihren Krallen auf dem nackten Stein Halt finden würde, und zum Fliegen war es zu stürmisch, da es ihr die Flügel zerreißen würde. Er wickelte ihr die Kette an den Halsring und schickte sie mit einem Klaps auf den Schwanz zum Waldrand. Dann folgte er Khalea auf einem Pfad, an dem Wurzelsträucher und Nadelbeeren entlangwuchsen. Graublutdornen und Felsbruchkanten verfingen sich immer wieder in seinem Mantel und zwangen ihn, öfter anzuhalten und sich von dem widerspenstigen Gestrüpp zu befreien. Dennoch blieb er konzentriert und nutzte jede Kuhle und Nische im Boden, die Halt versprach. Das Nieseln war zu einem handfesten Regen übergegangen und wurde in Schüben gegen seine Seite gepeitscht. Je tiefer sie hinabstiegen, desto lauter drang das Dröhnen aneinanderschabender Wracks zu ihnen hoch.

»Da vorn ist es!«, rief Khalea und entrollte ein dünnes Seil. Sie band es um einen Felsen, warf den Rest über die Kante und schwang sich hinab.

Finn dachte erst, dass sie auf dem ramponierten Schiff aufsetzen würde, das mit dem Wellengang auf und ab wog. Doch stattdessen landete sie auf einem schmalen, natürlichen Steg. Finn überlegte noch einmal, ob er ihr tatsächlich folgen sollte, doch er hatte sein Wort gegeben, und das war ihm heilig.

Er umfasste das Seil und kletterte hinunter.

»Pass doch auf!«, beschwerte sich Khalea, nachdem Finn im Wasser gelandet und ihr dieses ins Gesicht gespritzt hatte.

Finn stand vor einer Nische, welche die Wellen dem Felsen abgerungen hatten. »Entspann dich, war keine Absicht. Und was soll hier sein?«

Khalea antwortete nicht. Sie beugte sich zu einem Steinhaufen am hinteren Ende der Nische und trug ihn ab. Der Saum ihres Kapuzenmantels schwappte im Wasser vor und zurück.

Nach einer Weile griff sie in das Loch und zog etwas heraus, das einem schwarzen Turmalinsplitter ähnelte und kaum die Größe ihrer Handfläche besaß.

»Das soll alles sein? Eine Muschel!«

»Der Mann, dem ich es abgenommen habe, war bereit, dafür zu töten. Also ja, das ist es.«

»Du hast hier deine Diebesbeute versteckt? Ist das der Grund, wegen dem du gefangengenommen wurdest? Weil du einem anderen Halunken ein Andenken an einen Tag am Strand abgenommen hast? Wenn wir weitersuchen, finden wir noch ein paar Muscheln und basteln eine Halskette!« Finn fand das Ganze lächerlich, aber er hatte sein Wort gehalten. Jetzt musste sie ihm bei der Suche nach Wolfsblut Meena helfen.

Ein Schatten wischte über sie hinweg.

Finn ließ sofort die Lahras auseinanderschnappen und wirbelte herum. Er glaubte, eine Bewegung auf dem Wrack vor ihnen ausgemacht zu haben.

»Was ist da?«, wollte Khalea wissen und zog das geklaute Kuchenmesser.

»Ein Schatten«, sagte Finn. Er wartete den Moment ab, in dem das Schiff wieder so weit oben war, dass er in ein Loch im Rumpf hineinspringen konnte.

Der Regen prasselte auf das Bootsdeck, rann durch Löcher und Risse, fand seinen Weg in den Bauch des Wracks und verwandelte den Laderaum in eine Tropfsteinhöhle aus Moosbewuchs und ramponierten Kisten.

Finn stakste breitbeinig auf die andere Seite des Lagerraums, setzte einen Fuß an die gesplitterte Außenwand und blickte hinaus durch den Regenschleier auf das nächste Schiff, das knapp vier Schritte weit entfernt war.

Khalea tauchte neben ihm auf. »Können wir nicht einfach wieder hochklettern?«

»Wenn ich recht behalte, dann werden wir da oben schon erwartet. Wir müssen einen anderen Weg finden.«

»Wieso schwimmen wir nicht rüber?« Sie schaute über die Bruchkante nach unten ins Wasser.

»Die Schiffe werden aneinandergedrückt und über den Boden der Bucht geschleift. Wir würden zu Fischmehl zermahlen werden, daher ist es besser, wenn wir uns von Rumpf zu Rumpf durcharbeiten.« Finn nahm eine lose Planke aus dem Laderaum und legte sie an die Lochkante zum Nachbarrumpf.

Er trat auf das Brett und balancierte über die mit Moos und Flechten bewucherte Oberfläche zur anderen Seite. Die Gischt einer Welle spritzte auf und trieb ihm Salzwasser in die Augen. Er blinzelte, hielt sich fest und drehte sich zu Khalea, die, ohne zu zögern, über das Verbindungsstück lief.

Finn war überrascht über die Zurschaustellung von Gleichgewicht, die schon fast akrobatische Züge aufwies. Er drehte sich um und schaute auf ein riesiges Loch, dort wo das Heck mit der Kapitänskajüte hätte sein sollen.

Ein Einmaster reihte sich an, schabte mit der Seite seines Bugs an der Bruchkante hoch und runter. Auf der Galionsfigur, die eine Meerjungfrau darstellte, wuchsen rubinrote Algen. Salzkrebse krabbelten über die Holzbrüste und bauten ihre Behausung im Halsstumpf. Als sich die Figur zusammen mit dem Bug neigte, gewährte sie einen Blick auf das Oberdeck des Einmasters. Auf der gesamten Fläche lag ein Segeltuch, unter dem sich Silhouetten von Kisten abzeichneten.

»Wir arbeiten uns unter dem Segel durch, das schützt uns vor neugierigen Blicken«, sagte Finn.

»Ist gut … « Der Wind stahl ihr die restlichen Worte, trug sie fort und heulte über den Schiffsfriedhof in der Trümmerküste.

Der Bug neigte sich erneut. Khalea sprang über die Splitterkante und kroch in den Kistenwald.

Finn sprang ihr nach.

»He, stehen bleiben!«, schrie ein Mann durch den Regen, der sich zu einem Sturm entwickelte.

Finn schlitzte das Segeltuch über ihm auf und kletterte auf eine Kiste. Beim Aufwärtsschwung des Bugs sprang er weiter auf das nächste Schiffsdeck, wirbelte mit der Lahras, drehte sich und entdeckte den Mann. Sein schwarzer Zopf peitschte zusammen mit dem kupferfarbenen Umhang im Wind. Er hob seine Axt und presste einen Rundschild dicht an sich. Seine Rüstungsteile passten weder in Farbe noch in Form zueinander: Wranischer Krummdolch am Gürtel, Rundschild der Nordländer, Brigadenreiterhelm mit Feldbusch aus Nauwold.

Ein Kopfgeldjäger vermutlich. Waffenmeister Senash hatte sich in einer Lehrstunde über sie beschwert, da sie sich weder an Duellregeln noch an ihr Wort hielten. Gegen Menschen mochte das Feuer des Heiligen nicht wie gegen Dämonen wirken, aber es konnte Fleisch versengen, Furcht säen und Rüstungen spalten.

»Dunkelheit naht, o Herr, verleihe mir das Feuer, um gegen sie zu bestehen«, betete Finn und spürte sogleich die Macht in seinen Händen, die Energie, die auch seine Waffe erfasste, und sie mit indigoblauen Flammen überzog.

Finn ging in den Angriff über.

Der Kopfgeldjäger parierte die Lahras mit seinem Schild und büßte das obere Drittel ein, als Finn ihn zerschnitt. Mit einem Satz nach hinten rettete sich der Unbekannte.

Finn wirbelte mit der Lahras herum, dabei sah er aus dem Augenwinkel, wie ihn ein weiterer Kopfgeldjäger aus der Flanke in die Zange nahm. Auch er trug einen Zopf, wenn auch blond, und besaß ähnliche Gesichtszüge. Vermutlich handelte es sich um Brüder, die ihre Erfolge zur Schau stellten, indem sie die Sachen ihrer Opfer am Leib trugen. Das taten alle Kopfgeldjäger, es fehlten nicht einmal die Ohren ihrer Opfer, die sie an einem Lederriemen als grausame Halskette trugen.

Die beiden warteten einen Moment und musterten Finns Haltung. Der seinerseits packte die Lahras am hinteren Ende, zwang seine Kontrahenten mit einem kreisenden Hieb auf eine größere Distanz und rannte los. Der Blonde warf sein Schild und sprang in Deckung. Die Lahras spaltete das Holz und grub sich in die Deckplanken. Finn ließ seine Waffe zum Kurzschwert einschnappen, um den Gegenangriff des Schwarzhaarigen abzuwehren. Funken sprühten beim Aufeinandertreffen der Klingen. Regen prasselte auf das Blatt der Axt. Beide hielten dagegen. Das Indigo der Flammen spiegelte sich in den Augen des Angreifers, an dessen Hals dicke Adern hervortraten.

Nach zwei Herzschlägen trat der Kopfgeldjäger zu. Und obwohl Finns Plattenharnisch den Tritt dämpfte, wurde er nach hinten gestoßen. Er machte einen Ausfallschritt und sah die nächste Gefahr auf sich zukommen. In letzter Sekunde lehnte er seinen Oberkörper nach hinten und entging einer geworfenen Axt, die ihm den Schädel gespalten hätte.

Donner zerriss den Himmel und ließ die Angreifer im Elmslicht des Blitzes aufleuchten, der in einem benachbarten Dreimaster einschlug und den Hauptmast in eine brennende Fackel verwandelte. Die Angriffe sind abgestimmt, dachte Finn gerade, als er einen Ruck unter seinen Füßen spürte. Mit langgezogenem Knirschen brach der Bug vom Rumpf ab, auf dem Finn seinen Stand behauptete.

Der Schwarzhaarige verlor kurz den Halt, fing sich wieder und sprang zum benachbarten Schiff. Er landete ungeschickt auf dem Deck, rollte über die rechte Schulter ab und richtete sich auf. Sein Bruder schwang sich an einem Tau zu einer Sklavengaleere mit aufgerissenen Ruderbänken rüber. Der Bug, auf dem er vorher gestanden hatte, sackte ab und wurde zwischen den Schiffen zermalmt.

Der Schwarzhaarige funkelte Finn mordlüstern an, bevor er von einem gebrochenen Seitenarm des Masts an der Schulter getroffen wurde und zu Boden ging.

Sein Bruder eilte ihm zur Hilfe. Wieder goss ein Blitz Elms­licht über die Szene, dann barst der Himmel in einem Lärm, als würde er zerrissen.

Da die Kopfgeldjäger mit sich selbst beschäftigt waren, wandte Finn sich nach hinten um und suchte nach Khalea. Zu seinem Schrecken erblickte er lange Tentakel, die nach dem Mastkorb griffen, auf den sie sich gerettet hatte. Khalea stach wild in die Luft, unfähig die Gliedmaßen des Meeresungeheuers zu treffen. Auch Finn hatte Mühe, seine Furcht zu unterdrücken, die an seinem Verstand nagte.

Es war ein Höllenschwamm, das wusste er, obwohl er den Kopf noch nicht sehen konnte. Es sah aus wie eine Zeichnung in Bruder Malesens Buch. Nur hätte Finn nicht für möglich gehalten, dass so ein Wesen wirklich existierte. Panik begann seine Glieder zu lähmen. »O Herr«, begann er sein Mutgebet, »lass uns im Angesicht des Todes nicht mutlos werden.« Sein Herz tat einen Schlag. Dann explodierte ein Feuer in seinem Herzen und verbannte die Schatten der Furcht, die an seinem Willen fraß. Stärke und Mut pumpten durch seine Adern und klärten seine Gedanken.

»Nicht bewegen!«, brüllte Finn. »Das Ding reagiert auf Bewegung!« Es war zwecklos. Er konnte sich selbst kaum hören. Durch den Regenschleier war Khalea kaum auszumachen.

Obwohl Finn die drei Grundgebete des Kampfes beherrschte, konnte nur eins von ihnen aktiv sein. Die Flamme seiner Lahras war erloschen, dafür brannte das Indigo in seinem Herzen. Finn rannte über die Deckplanken. Jeder Schritt war eine Gratwanderung zwischen Halt und Gleiten.

Höllenschwämme waren so intelligent, ihren Kopf unter Wasser zu halten, während ihre hochsensiblen Tentakel nach allem schnappten, was sich bewegte. Es gab Tiere. Es gab Menschen. Und es gab die Unsterblichen. Neben ihrer physischen Stärke bargen sie die Erfahrung der Jahrtausende in sich. Geisterspuk und Sirenen wären Finn lieber gewesen.

In perfekter Synchronizität zuckten Tentakel zu Finn rüber. Er glaubte zu spüren, wie sich ihm die Aufmerksamkeit eines Unsterblichen zuwandte. Trotz des Unwetters trug der Wind Fetzen hellen Geschnatters an seine Ohren, das nach hunderten von irren Seemöwen klang.

Noch bevor der erste violette Fangarm Finn erreichte, schlug er das Glied ab. Der Stumpf schnellte wie eine Bogensehne zurück. Finn stellte sich breitbeinig auf und schützte seinen Körper mit einem Wirbel der Lahras. Nachdem zwei weitere Tentakel der Klinge zum Opfer gefallen waren, hielten die anderen Arme kurz inne, brachen dann Latten, Balken sowie Masten aus den Verankerungen und warfen damit nach ihm.

»Bei den Verfluchten Sieben«, presste Finn zwischen den Zähnen hervor und warf sich auf den Bauch. Hinter ihm krachte ein Balken gegen das Führerhaus und ebnete es ein. Jetzt wurde ihm klar, weshalb Bruder Malesen ein Boot mit Ballisten und Harpunenwerfern neben den Höllenschwamm gezeichnet hatte. Sobald man sich in Reichweite der Fangarme begab, war man ihnen ausgeliefert.

Wieder ertönte das infernalische Schnattern, diesmal lauter. Es kam näher und war rauer, als würde es ein Schmählied singen.

Finn wälzte sich auf den Rücken und verharrte. Die Tentakel bogen und wanden sich durch die Luft. Jeder in eine andere Richtung. Finn wartete, bis sie weg waren und richtete sich wieder auf. Doch da drehten die Fangarme auch schon um und schossen auf ihn zu. Plötzlich schlang sich ein schleimiges Etwas von hinten um ihn. Ein Tentakel riss ihn von den Beinen, als würde er eine Distel an der Wurzel packen. Schiffe, Wasser und grauschwarzer Himmel verschwammen für einen Augenblick in einem Wirbel aus Bildern. Finns Finger krallten über das Deck, während sein Verstand versuchte, zu begreifen, was passiert war. Das Vieh hatte ihm eine Falle gestellt und nun bugsierte ihn der Fangarm am Fußgelenk über eine mit Wrackteilen übersäte Lücke zwischen zwei Handelsbarken. Ein schwammiger Kopf mit violetter Haut hob sich aus den Trümmern. Intelligenz leuchtete in den vielen obsidianschwarzen Augen, die sich auf Finn richteten.

»Eine interessante Eintagsfliege seid Ihr«, flüsterte der Höllenschwamm in Finns Gedanken. »Habt Ihr je über Eure Sterblichkeit nachgedacht?«

Finn schüttelte den Kopf, weil die Gedanken des Schwamms wie Maden durch seinen Schädel krochen. Noch ehe er sich davon erholen konnte, tat sich ein Riss auf dem Schwammkopf auf, Zähne richteten sich nach oben aus und bewegten sich wellenförmig.

Ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel und gewährte Finn einen Einblick in die Dämonenhölle. Überall im Wasser, an Decks, in Nischen und Ritzen lugten Tentakel hervor, als sei das Untier das Nervenzentrum des lebendig gewordenen Schiffsfriedhofs. Das Wesen musste eine ungeheure Größe haben.

Hitze schlug Finn von einem der Handelsschiffe entgegen. Der Blitz hatte Mast und Segel in Brand gesetzt.

Der Tentakel wirbelte Finn durch den Laderaum eines aufgeschlitzten Schiffsrumpfs. Kisten, Fässer und Flaschenzüge schlugen ihm entgegen. Finn schlug mit der Lahras wild um sich und versuchte, etwas Fleischiges zu erwischen. Durch einen Glückstreffer ließ der Zug schlagartig nach und er kam auf Bodendielen zum Liegen.

Er blickte an sich herunter und sah vor seinen Füßen ein zuckendes Tentakelstück liegen. Er rappelte sich hoch, aber nicht schnell genug, weitere Glieder krallten sich in den Laderaum und kippten das Schiff zum Maul hin. Das Wrack ächzte unter der Belastung, Nieten sprangen heraus und Bretter schnappten aus ihren Positionen.

Finn steckte die Lahras in die Scheide und warf mit allem, was er zu fassen bekam. Bretter, kleine Kisten, Flaschen, Vorratskrüge. Die Behältnisse zerbarsten am Ungeheuer, übergossen es mit Flüssigkeiten, Mehl und Rollen voller Tunepseide. Bevor es sich die Tücher von den Augen ziehen konnte, hechtete Finn über die Laderaumtreppe aufs Deck hinauf. Oben blendeten ihn die Flammen, die Mast, Reling und Takelage verzehrten. Finn kam zum Stehen und bedeckte seine Augen. Der kurze unachtsame Moment reichte dem Wesen, um ihn wieder an den Füßen zu packen und hart auf den Boden zu schleudern. Finn griff um sich, schnappte nach einer brennenden Latte und schlug damit nach dem Tentakel, den die Schläge nicht beeindruckten. Der Fangarm hob ihn vom Deck und ließ ihn erneut über dem Maul des Schwamms baumeln.

Die kleinen Obsidianaugen fixierten Finn, während auf der porigen Haut Mehl und Getreide in einer irisierenden Flüssigkeit herunterflossen, die Schlieren auf dem Wasser hinterließ. »Hast du dir je Gedanken um deine eigene Sterblichkeit gemacht?«, kreischte Finn durch den Wind und ließ die brennende Latte nach unten fallen. Als sie das Petroleum berührte, schwappte eine Feuerwelle über den empfindlichen Kopf des Höllenschwamms. Die Luft stank nach Fischinnereien und gebratenen Krebsen. Über allem lag das Geschnatter, das einer Wehklage gleich durch den Schiffsfriedhof dröhnte.

Finn meinte Augen platzen zu sehen, aus denen milchige Flüssigkeit spritzte.

In blinder Wut schlug das Monster um sich, wand sich und tauchte mit dem Kopf unter Wasser. Finn war der Willkür der Tentakel ausgeliefert, die ihn durch die Luft peitschten. Etwas drang mit einem Knirschen in seine Seite. Der Regen schlug wie Kiesel auf sein Gesicht, dann tauchte sein Bewusstsein ins Schwarze.


Dunkler Paladin

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