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Kapitel Zwei Gefangenschaft
ОглавлениеTalisa rieb sich den Schlaf aus den Augen, während Wurstfinger nach ihrer Brust grapschten und zu kneten begannen. Von hinten drängte ihr jemand sein Glied an den Hintern. Tageslicht waberte durch die Vorhänge der Fenster in den Raum, in dem es nach Schweiß und Lust muffelte. Sie setzte sich auf und schlug dem Mann neben ihr ins Gesicht, sodass er vor Schreck aus dem Bett kippte. Der Nackte rappelte sich auf und grinste sie an.
»Das Vorspiel haben wir doch schon hinter uns«, nuschelte er. Es war nicht zu überhören, dass er mit einem Zahn in seinem Mund jonglierte.
»Raus mit dir, sonst bring ich dich um!« Stahl lag in ihrer Stimme. Sie erinnerte sich vage, dass sie viel getrunken und mit ihm geschlafen hatte.
Als er sah, wie sie nach ihrem Bastardschwert auf dem Nachtisch griff, gefror sein Grinsen zur Maske. Er schlüpfte in ein Hosenbein und humpelte zur Tür hinaus, im Flur tat es noch einen Schlag, danach erklang das Knarzen von Treppenstufen.
»Wieso tue ich mir das immer wieder selbst an?«, murmelte Talisa, streckte sich durch und schälte sich aus dem Bett. Das schummrige Licht im Raum ging ihr auf den Geist. Wieso musste der Morgen danach immer so wehtun?
Noch während sie die Vorhänge aufriss, bereute sie es. Sonnenlicht stach ihr in die Augen und es dauerte einen Moment, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Obwohl ihr der Schädel dröhnte, musste sie sich ranhalten, sonst würde sie das Schiff verpassen. Sie zog sich an, prüfte den Sitz der Rüstung und des Waffengurts.
Sei immer vorbereitet. Die Worte von Hauptmann Kasturon, ihrem ehemaligen Waffenmeister, drangen immer wieder ungefragt in ihr Bewusstsein und begleiteten sie nun schon ein paar Jahre. Sie verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter in den Schankraum, wo bereits Unterführer Hammling am Tresen saß.
Er fuhr sich über die Glatze und schenkte ihr einen abgeklärten Blick.
»Sind die Männer bereit?«, keifte sie.
Hammling stand auf und nahm Haltung an. »Ja Hauptmann, sie stehen am Hafen von Rugand bereit, alle warten auf Euch.«
»Gut, dann los.« Talisa ließ den Wirt unbeachtet, der auf die Bezahlung der Rechnung hoffte. Niemand, der bei Verstand war, wagte es, Truppen in zinnoberroter Rüstung auf etwas Unangenehmes anzusprechen. Auch nicht, wenn sie Söldner waren.
Zur Sicherheit fuhr Talisa sich durch das lange schwarze Haar, wollte wissen, ob Stücke von Erbrochenem darin klebten, was schon einmal vorkam. Sie legte sich die Haare über die Schulter und war zufrieden. Außer einem Hauch vom Smaragd schimmerte nichts anderes darin.
Über dem Hafen flogen Seevögel, die auf der Suche nach Fischabfällen waren. Sie wurden jeden Tag vom Geruch angelockt, während die Seeleute den Fang des Morgens einfuhren. Beim Flug durch den Mastenwald am Anlegesteg prahlten die Vögel mit ihrer Luftakrobatik und ließen grauweiße Tupfer auf die Schiffsdecks fallen – sehr zum Unmut der Luftmatrosen, die keinen Morgen ohne Schrubben beginnen konnten.
Das Salz der Meeresluft brannte Talisa in der gebrochenen Nase, die schief zusammengewachsen war. Sie ließ sich ihren Kampf mit den Kopfschmerzen nicht anmerken, stattdessen lenkte sie ihr Pferd langsam in die Mitte ihrer Männer. Mit dem Glanz ihrer Rüstungen und dem ausgelassenen Ausdruck ihrer Gesichter vermittelten sie einen ausgeruhten Eindruck.
»Hauptmann Talisa!«, rief der Kapitän von Deck.
Sie wippte nach vorn und ließ ihr Ross über die Rampe an Deck gehen. Berittene an Bord waren wie Kopfbedeckungen in einem Tempel ein Akt der Respektlosigkeit, was Talisa durchaus bewusst war. Oben angekommen, warf sie einen Blick über die Matrosen, die Kisten verstauten und das Hauptsegel in Form brachten. Niemand wagte es, ihr in die Augen zu blicken. Man kannte sie.
Sie stieg ab und übergab die Zügel einem Bootsjungen.
»Euer Auftritt und Euer Hintern gefallen mir«, schleimte der Kapitän.
Dachte er wirklich daran, sie anzubaggern?
»Wenn Ihr ein paar Ziegen an Bord habt, füllt sie ab und macht sie Euch zu Willen. Solltet Ihr mich anfassen, schneid ich Euch das Gemächt ab und verfüttere den Winzling an die Schweine, verstanden?«
Lass sie Härte schmecken, gib ihnen keine Chance, sich überlegen zu fühlen.
Der Seebär schmunzelte und wandte sich dann wieder seinen Leuten zu. Er schien ein Mann zu sein, der ein Nein als Einladung zur Eroberung betrachtete.
»Macht Euch bereit zum Ablegen und bringt mir eine Ziege zum Rammeln!«, brüllte der Kapitän über Deck. Dann wandte er sich ihr erneut zu. »Hauptmann Talisa, Herrin der Bezwinger, Söldnerin im Dienste Tilayndors, hat man Euch denn nicht über die neuesten Entwicklungen informiert?«
Keiner sprach sie mit vollem Titel an und erzählte danach Gutes. »Spuckt aus, was Euch im Darm quer liegt«, forderte sie kalt.
»Die Krone benötigt Eure Dienste nicht mehr und hat Eure Beschäftigung aufgekündigt. Es wird gemunkelt, dass bei vielen Söldnertruppen Untersuchungen und Verhaftungen angeordnet wurden. Eure Aufgabe, den Schutz der Hafenanlage von Harweyl zu übernehmen, wird nun der dortigen Stadtgarde übertragen.«
Talisa klappte der Kiefer herunter. Sie stand seit einer halben Dekade im Dienste Tilayndors, dem Sitz der Krone, trug das Zinnoberrot, hatte für die Jorvenlande gelitten und geblutet und jetzt wurde sie einfach aussortiert. Sie fühlte Hitze in ihre Wangen steigen, wollte wüten und toben, dem Kapitän den Kopf abschlagen. Doch sie riss sich zusammen und besann sich darauf, das Schiff zu verlassen, bevor es hier Ärger gab.
Heute Nacht wollte Talisa an nichts denken müssen. Also küsste sie einen Mann, den sie erst seit einer halben Stunde kannte, und schmeckte das Schwarzbier, von dem er reichlich getrunken hatte. Ihre Hände lösten seinen Gürtel, danach fuhren sie unter sein Hemd und über die Brust. Sie fand den Moschusgeruch des Schmieds betörend, vermutlich würde sie ihn später verschonen. Schwielige Hände packten ihren Hintern, kneteten ihn und fuhren über ihren Rücken. Sein Bart kratzte ihr Gesicht so wie die Hornhaut seiner Hände ihre Brüste. Ein Schauer jagte ihr durch den Schoß, als er sie an sie presste. Ihre Finger glitten in seine Hose und fanden ein schlaffes Glied.
Sie drückte ihn von sich weg und sah ihm in die Augen, die sich in alle Richtungen drehten. Der Mann war kaum noch bei Bewusstsein.
»Verflucht! Ich habe gesagt, dass du nicht so viel saufen sollst.«
Der Mann grinste, »Dsss liegt aaan diiir, Schätzche«, lallte er.
Sie verpasste ihm eine Ohrfeige, die alle fünf Finger auf die Wange tätowierte. Der Mann kippte nach hinten aufs Bett. Es war weniger die Backpfeife und mehr der Alkohol, den er nicht so gut vertrug. Er wandte den Kopf ab und schnarchte.
»So ein Idiot.« Talisa wusste nicht, wohin mit ihrem Frust. Während sie dastand und den Schmied mit halb heruntergelassener Hose auf dem Bett liegen sah, wurde ihr Kopf schwer. Dabei dämmerte ihr, dass sie heute schon wieder über die Stränge geschlagen hatte. Sie taumelte zum Bett und kippte auf die Matratze. Das marode Gestell ächzte unter der Belastung. Ein Blick zur Decke gab ihr das Gefühl, dass sich der ganze Raum drehte. Sie setzte ihren Fuß an die Hüfte des Schmieds und trat ihn über die Kante.
Er polterte auf den Boden, grunzte und schnarchte weiter.
Sie breitete die Arme und Beine aus und versuchte das Bett festzuhalten, das sich ohne Unterlass drehte. »Diese Sesselfurzer in Tilayndor, alles Greise, die viel auf sich halten, aber keiner von denen hat je ein Schwert in den Händen gehalten. Gerede ohne Inhalt, zweifelhafte Erfolge, kein Ruhm, keine Ehre in der Schlacht. Sie lassen andere für sich kämpfen und bluten«, murmelte Talisa und überlegte, ob sie sich übergeben musste.
Zumindest war sie in Rugand gestrandet, wo man sich einen Mann anlachen konnte, ohne dem gleichen zweimal begegnen zu müssen. Liebe und Zuneigung hatte sie noch nie viel Wert beigemessen, da sie nicht für die Ewigkeit geschaffen waren. Stattdessen setzte sie auf Angst, Respekt und Gehorsam, Werte, auf deren Schultern man ein Imperium gründen konnte. Dennoch half das alles nicht, das Bett daran zu hindern, sich zu drehen. Sie schloss die Augen und hoffte, dass sie bald einschlafen würde.
Ein Geräusch riss Talisa aus dem Schlaf, ihr Mund fühlte sich schal an. Sie schluckte und richtete sich rücklings auf den Ellbogen auf. Neben dem Bett sägte ihre Bekanntschaft ganze Wälder ab.
Da war es wieder, ein Kratzen … Jemand war vor der Tür und fummelte am Schloss herum.
Sie wälzte sich aus dem Bett und taumelte in den Stand.
»Klare Gedanken. Klare Gedanken. Klare Gedanken«, hörte sie sich flüstern. Talisa legte sich den Waffengurt um und war froh, dass sie sich im Suff mitsamt der Rüstung ins Bett gelegt hatte. In der Hoffnung, keinen Laut zu verursachen, zog sie ihren Dolch aus dem Stiefelhalfter und schlich zur Tür. Wer immer da draußen auch stand und sich an ihrem Schloss zu schaffen machte, er würde morgen am Hafen bei den Fischen liegen.
In der Rechten hielt sie den Dolch, mit der Linken fasste sie den Türknauf und wartete. Es klickte.
Mit Schwung riss sie die Tür auf und stach den Dolch in die Brust des Mannes, der noch den Dietrich in der Hand hielt. Vor Schreck brachte er lediglich ein Gurgeln zustande, während sein Nebenmann ein Messer zückte. Talisa zog den Dolch wieder heraus und schlug die Tür in die Angel. Unter dem Schlag erbebte das Türblatt und brach die Nase des Mannes dahinter, was Talisa an dem Aufschrei des Kerls vermutete.
Sie wandte sich um und eilte zum Fenster, schob es auf und blicke hinunter. Es war nicht tief, zwei Stockwerke, wenn sie sich ein Stück heraushängen würde, könnte es klappen. Zwei Schatten stahlen sich auf der Straße durch die Dunkelheit, was ihr verriet, dass man sie dort bereits erwartete.
Wenn dir nichts mehr bleibt, dann sorge für Chaos.
Einer der Angreifer hämmerte gegen die Türe, Waffen klirrten, jemand blaffte Befehle.
Die Tür würde nicht lange halten. Talisa rang nach einem Plan.
Mach das Beste aus dem Wenigen, was du hast.
Sie nahm die Öllampe vom Nachttisch und warf sie auf das Bett. Petroleum verteilte sich in einem Flammenteppich über die Schlafstatt. Mit dem Dolch schnitt sie ein Stück Laken ab, holte den Porzellannachttopf unter dem Bett hervor und tunkte den Stoff in die Brühe. Sie wickelte sich den Stoff um Mund und Nase – keine Sekunde zu früh.
Die Türangeln barsten unter dem Gewicht der Männer, die von außen dagegen drückten. Der Brand beleuchtete mehrere Angreifer in erdbrauner Kapuzenrobe.
Es war lediglich ein Moment, in dem sie sich im Schein der Flammen maßen, dann warf Talisa ihnen den Topf entgegen. Brühe spritzte in alle Richtungen, als das Porzellan am Türrahmen zerschellte. Zeitgleich sprintete sie vor und rammte dem vordersten Mann den Dolch bis zum Anschlag in den Bauch, zog ihn heraus und trat seinen Körper gegen die anderen. Geschmiedet in der Hitze von Schlachten und Scharmützeln im Norden, machte sie einen Satz nach hinten, während ihr eine Speerspitze entgegenzuckte. Hitze erfasste ihren Rücken, Flammen fraßen sich an den Vorhängen nach oben zur Decke. Das Zimmer loderte im Inferno des Feuers.
Talisa nahm die brennende Decke an einem Zipfel und schleuderte sie den Männern entgegen, die sich mit einem Sprung zu retten versuchten. Einer schaffte es nicht. Die Flammen schlossen sich um ihn. Unfähig sein Martyrium zu beenden, kreischte er wie ein Chorknabe im Stimmbruch und stolperte hinaus in den Flur. Hinter ihm verwirbelte der Qualm, der von der Decke herunter waberte. Husten, Schreie, Befehle – alles im Trubel des Infernos. Talisa, eine Freundin von Blitzentscheidungen, sprang ins Fahrwasser der wandelnden Katastrophe. Sie rannte an bewaffneten Männern vorbei, die sich eilten, der Menschfackel aus dem Weg zu springen. Als dieser stolperte und sich auf dem Boden wälzte, sprang Talisa über ihn hinweg und polterte die Treppe in den Schankraum hinunter. Nach zehn Schritten erreichte sie den Ausgang. Den Schlag, der sie am Kopf traf und ihr Bewusstsein auslöschte, sah sie nicht kommen.
Das beständige Tropfen von Wasser in eine Pfütze untermalte das Gestöhne der Gefangenen. Sie saßen in Einzelzellen im Glutlicht einer Esse, die im Mittelpunkt einer Kreisfläche ruhte. Eine Handvoll Eisen lag bis zur Hälfte in der Glut. Der Gestank nach Angst und Schweiß beschmutzte die Luft.
Kopfschmerzen weckten Talisa. Sie schlug langsam die Augen auf, alles drehte sich.
Hörte das denn nie auf? Sie griff zur Seite, hatte den Drang ihren Bettgefährten zu schlagen, doch sie fühlte lediglich nackten Steinboden. Im Kampf gegen ihren Brummschädel richtete sie sich auf.
»Vater Klein hat schon lange keine Frau mehr gesehen«, stammelte ein Mann in Lumpenbekleidung, der sich an ihr Zellengitter drückte. Bart und Haare nahmen sich an Länge nichts, sie waren zu einem graubraunen Haarbündel verwachsen, in dem sich etwas bewegte.
»Behalte deine Finger bei dir, sonst beiße ich sie dir ab«, schnauzte Talisa, die es nicht schätzte, wenn man sie morgens ansprach.
War es morgens oder abends? Sie rieb sich die Stirn und zuckte zusammen, als sie die Beule darauf berührte.
Was war passiert? Ein Liebhaber, viel Alkohol und dann ein Angriff. Man hatte sie entführt. Welcher Narr vergriff sich an ihr?
»He du, Schmutzbart, wo sind wir hier?« Ihr Hals kratzte und ihre Lippen schmeckten salzig.
Schmutzbart machte einen Satz nach hinten und streckte die Arme aus. »Firuwahrs Kerker. Wir sind am längsten hier. Leute, die man vergessen hat und von denen man viel lernen kann. Stimmts, Vater Klein?« Er hielt etwas in seiner kruden Faust, das er mit seinem Daumen streichelte.
Talisa wurde alles klar. Ihr Zellennachbar hatte nach Jahren der Gefangenschaft und Folter seinen Verstand eingebüßt und schwatzte mit Nagern. Sie schätzte ihn auf fünfzig Sommer, etwa zwei Dekaden älter als sie selbst. Brandmale lugten durch Risse und Löcher seiner morastbraunen Bekleidung. Sie blickte an sich herab und stellte fest, dass auch sie Lumpen trug, die nach Schweiß rochen und vor Blutflecken steif waren. Einige gesprenkelt, andere langgezogen. Der Übelste befand sich am Ausschnitt. Einem Collier aus flüssigen Rubinen gleich zeichnete er sich bis zur Brust ab. Ihr Vorgänger hatte den Kopf verloren und ihr ein Sterbehemd vermacht.
»Wie läuft das hier?«, fragte sie. Was es auch sein mochte, sie wollte es kommen sehen.
»Was sagst du, Vater Klein? Sie hat keine Geduld? Ja, das denke ich auch.« Er führte seine Hand zum Bart und ließ den Nager hineinkrabbeln. »Einmal am Tag gibts Essen. Es schmeckt nicht, aber es macht satt. Und wenn es nicht krank macht, hilft es dir durchzuhalten. Die Neuen werden gefoltert, aber sterben tun alle. Manchmal vergessen sie einen, so wie mich. Ich weiß nicht, weshalb ich hier bin.«
»Ich habe Männer, sie werden bereits nach mir suchen. Ich lege diesen Laden in Schutt und Asche und blase es diesem Firuwahr in den Hintern!«
Schmutzbart lachte. »Große Töne und am Ende bleibt einzig Vater Klein.« Er lachte in seinen Bart hinein.
»Du mieses Stück Hammelköttel, ich schneid dir gleich die … «
Schlüssel klirrten an der Tür jenseits des Zellenkreises. Die Angeln quietschten in Schmutzbarts Gelächter hinein, das ein Zeugnis seines Irrsinns war.
Zwei bärbeißige Männer traten ein, beide mit einem Ölmantel bekleidet. Die Haare sprossen dicht auf ihren Armen und Schultern. Einer hielt einen Schlüsselbund in der Hand, sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Er hielt direkt auf Talisa zu und schloss ihre Zellentür auf.
Sie stellte sich mit den Schultern zur Rückwand und hoffte auf eine Möglichkeit zur Flucht. Als der zweite Mann durch die Tür treten wollte, rannte sie los und rammte dem ersten ihre Faust ins Gesicht. Doch da packte auch schon eine Hand nach ihrem Unterarm und wirbelte sie durch die Zelle gegen das Gitter. Der Aufprall war hart, doch Zeit zum Aufatmen gab es nicht, gleich darauf wurde sie wieder gepackt und kassierte einen Hieb in die Leber. Der Schlag fraß sich in ihre Eingeweide. Ihr Blick verschwamm und noch bevor er wieder aufklaren konnte, wurde sie getreten und geschlagen. Sie kauerte auf dem Boden und hielt die Hände vors Gesicht.
So plötzlich wie es begonnen hatte, ebbte es auch wieder ab. Die Tür schlug in die Angeln, Schlüssel klimperten aneinander und was blieb, war Stille.
In ihrem Körper herrschte Aufruhr, Schmerzen überzogen Beine, Bauch, Brust und Schädel. Ihre Lunge pfiff. Wenn sie zu tief einatmete, peinigten sie die malträtierten Stellen an den Rippen. Sie riss sich zusammen und taumelte wieder in den Stand.
»Mehr habt Ihr nicht drauf, Ihr Ziegenliebhaber?« Der Schrei verhallte antwortlos im Folterkerker. Einige der anderen Zellenbewohner hoben kurz die Köpfe, sahen sich um und gaben sich wieder der Resignation hin.
Talisas Atem rasselte, sie setzte sich trotzdem auf den Boden und versuchte zu erfassen, wie es um ihre Verletzungen stand. Alles tat ihr weh. Ihre Finger tasteten jedes Glied ab, Blutergüsse und Schürfwunden, nichts Bedenkliches. Exzellente Arbeit, das musste sie den Folterknechten lassen. Schmerzen ohne Schaden, verteilt über die Zeit der Gefangenschaft. Ihre Folter hatte also begonnen. Sie zog einen Klumpen Rotz aus den Tiefen ihrer Kehle und spie ihn auf den schwarzen Steinboden. Er barg mehr Rot als Grün.
Um den Geruch von Hannok zu beschreiben, gab es in ganz Halodins Rund keine Worte, die es auch nur annähernd trafen. Dicke Stücke thronten auf einer Masse, in der sich alle Nuancen von Grau vermählten.
Talisa schob die Schüssel mit der Ferse von sich weg und zog die Beine an den Bauch. Ihr Hintern schmerzte vom Steinboden.
»Du musst essen, sagt Vater Klein, sonst wirst du nicht lange durchhalten.« Schmutzbart löffelte sein Hannok gierig auf. Es schien ihm zu schmecken.
Talisa überlegte, ob der Wahnsinn des Mannes ihm ermöglichte, sich das Essen schmackhaft zu denken. Wenn es so war, dann war dies ein Vorteil, um die Gefangenschaft durchzustehen. Und auch sonst hob Schmutzbart sich von seinen Mitgefangenen ab. Er hatte ein breites Kreuz, das seine Lumpen zu den Seiten hin spannte, außerdem besaß er sehnige Muskeln an Armen und Beinen. Er hatte sich die Ärmel und Hosenbeine abgerissen und damit eine Schlafstatt auf dem Boden hergerichtet, in der sich etwas bewegte. Sie schätzte, dass der Mann in der Vergangenheit ein Krieger oder ein Gardist gewesen sein musste. War es möglich, dass er ein Deserteur war? Seine Haltung und sein Körperbau strahlten Kraft und Größe aus, und obwohl er diese mit der gebückten Haltung verbergen mochte, würde er über zwei Schritte messen, wenn er sich aufrichtete.
»Hast du in einer Schlacht gekämpft?«, fragte sie ihn, um sich abzulenken.
»In vielen, Vater Klein hat viele Menschen getötet.« Er steckte seine Finger in die Schüssel, wischte sie aus und saugte an ihnen. Ohne sie abzuwischen, fuhr er sich durch den Bart und stellte die Schüssel, in der noch zwei Krümel am Boden klebten, neben die Schlafstatt seines Nagers. Eine Spitzmaus lugte heraus, schnupperte und machte sich dann über die Schüssel her.
»Gibt es eine Fluchtmöglichkeit?«
»Vater Klein sagt, dass selbst er nicht rauskommt. Man kann sich bloß heraus kämpfen, aber dazu braucht man ein Schwert und eine Menge Wahnwitz. Bevor du umfällst, solltest du essen, denn ohne Kraft stirbst du hier drin.«
Talisa beäugte ihren Hannok. Sie wusste, dass er Recht hatte, deshalb zog sie die Schüssel wieder zu sich heran. Ihre Finger gruben sich in den Eintopf, der unten noch einen Hauch von Restwärme barg. Die Kostprobe erforderte Überwindung – und welch Überraschung, es schmeckte nach Büttenpapier. Sie bezwang ihren Würgereiz und ihren Stolz, kaute Brocken um Brocken und schmiedete Pläne.
Eine Stunde nach dem Essen, während Talisas Magen überlegte, ob er den Brei behalten wollte oder nicht, klapperten wieder Schlüssel an der Tür. Ein einzelner Mann trat ein, im rostbraunen Gewand eines Reiters, mit Stiefeln und einem gestutzten Spitzbart. Er richtete sich den dunkelroten Umhang und musterte Talisa mit dem linken Auge. Das rechte war milchig, eine Narbe verlief von der Stirn bis hinunter zum Jochbein. Er trug sie offen zur Schau und verdeckte sie nicht unter seinen Haaren, stattdessen hatte er sie hinten zum Pferdeschwanz zusammengebunden.
Talisa blickte neidisch auf das Rapier an seinem Gürtel, das einen ziselierten Griffkorb besaß, als sei es nur zur Zierde gedacht. Doch noch mehr zog seine Linke ihre Aufmerksamkeit auf sich. Denn da trug er ein Bastardschwert. Es war ihr eigenes. Sie erinnerte sich an die Geschichten jeder Kerbe in der ausbalancierten Klinge des Waffenschmiedemeisters Erensen.
»Ah, mein Täubchen ist wach. Möchte es zwitschern?« Die joviale Sprache weckte andere Gefangene, die jedoch schnell den Blick wieder abwandten.
»Lasst mich raten, Ihr seid der Narr, dem ich all das zu verdanken habe«, grunzte Talisa. Ihr Rücken schmerzte.
»Ihr beschämt mich als Gastgeber. Ich gewähre Euch Obdach, eine warme Mahlzeit, und das ist der Dank? Was man auch tut, es wird verkannt.«
»Ihr wisst, wer ich bin und was ich mit Euch anstellen werde?«
»Ihr seid Talisa, Hauptmann der Bezwinger, Heldin der Schlacht bei der Lardischen Enge vor vier Sommern. Ohne Euren Mut hätten uns die Barbaren aus dem Reich der Zwölf Stämme überrannt. Das beeindruckt mich, ehrlich. Ich hingegen bin lediglich der Meister der Diebesgilde, gebeugt von Demut und Bescheidenheit. Firuwahr, zu Euren Diensten, Verehrteste«, bagatellisierte er sich selbst und machte eine Verbeugung, die dem Hof von Tilayndors gerecht wurde. »Entschuldigt die Unannehmlichkeiten, aber Ihr habt etwas, das mir gehört.« Er stand vor der Zelle, vollführte ein paar Schwünge mit dem Bastardschwert und untersuchte dann die Klinge.
»Wenn Ihr nach Euren Eiern sucht, die habe ich nicht. Möglich, dass sie in einem Säckchen stecken. Tragen Eunuchen das nicht immer bei sich? Ihr könntet mir mein Schwert geben, dann werd ich Euch das Säckchen aufschlitzen helfen. Oder reden wir von einem anderen Gegenstand?«
»Gut ausbalanciert, das Gewicht stimmt. Ich wette, es liegt gut in der Hand, wenn man über das Schlachtfeld pflügt.« Er ging nicht auf ihre Provokation ein. »Ich suche eine Frau, sie heißt Khalea. Laut meinen Spähern habt Ihr mit ihrem Führer geschlafen, Jar Istram von Echterdingen. Wer schläft mit solch einer Ruine von Mann, wenn es nicht um den eigenen Vorteil geht?«
Talisa hätte laut aufgelacht, wenn sie der Druck in der Lunge nicht gehindert hätte. Woher sollte sie wissen, wann sie mit wem geschlafen hatte? Ebenso gut hätte er nach der Farbe von Unrat fragen können, wenn man Hühnchen gegessen hatte. Diese Khalea konnte ihr egal sein und sie würde sich nicht der Folter dieses Schweins ergeben … Ließ sich der Spieß vielleicht umdrehen?
»Ich kenne sie«, warf sie flapsig ein.
»Schön, schön. Nun müsst Ihr mir bloß noch sagen, wo sie ist, dann können wir über Eure Haftbedingungen sprechen.« Er schnalzte vor Verzückung mit der Zunge.
»Sie hat Euch ja ganz schön was hinterlassen. Die Schlampe ist gerissen, was?« Es war lediglich ein Stich ins Blaue, doch der Fisch biss an.
»Hinterlassen ist gut, sie hat mich bestohlen und sollte an Eurer statt hier oben sitzen. Wie sagt man so schön: Traue nie einem Alkoholiker. Jar Istram war eine schlechte Wahl.«
Das klappte gut. Zwei Dinge konnte sie seinen Worten entnehmen: Khalea besaß etwas, dass er brauchte. Außerdem saß der Folterkerker in einem Turm oder etwas Ähnlichem mit kreisrunder Basis. Nicht ausgeschlossen, dass sie sich noch in Rugand befand.
»Ich kann Euch zu ihr führen.«
Firuwahr lächelte, dann funkelte er sie mit seinem gesunden Auge an. »Was Ihr auch immer von mir halten mögt, haltet mich nicht für einen Narren. Ich werde Euch so lange hier gefangen halten, bis Ihr mich anfleht, mir die Füße lecken zu dürfen. Ihr werdet mir die Information geben.« Er wandte sich ab, hielt inne und drehte sich herum, um wieder eine Verbeugung zu vollführen.
Das Quietschen der Zellentür holte sie aus einem Traum mit Tavernen voll Schwarzbier und knusprigen Hähnchen. Bevor sie sich orientieren konnte, begannen wieder die Schläge und Tritte. Im Gemenge traf sie eine Faust direkt auf die linke Niere, die vor Schmerz explodierte. Sie schmeckte Blut aus ihrer geplatzten Lippe und schluckte es mit ihrem Stolz hinunter.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ließen die beiden Folterknechte von ihr ab und sperrten die Tür hinter sich zu. Sie gingen zu einer weiteren Zelle und schleiften einen Mann unter Schreien heraus. Auf seiner Brust prangten Brandmale der vorangegangenen Foltersitzung. Er schrie und bettelte, doch das beeindruckte seinen Peiniger nicht, der ihm die Arme nach hinten bog und ihn festhielt.
»Nein bitte, lasst mich. Ich weiß doch nichts, ich kenne keine Khalea. Ich schwöre es, bitte!«
Talisa kauerte auf dem Steinboden ihrer Zelle. Blut lief ihr aus der Braue ins Auge. Ihr Mitgefangener wurde härter befragt, viel Zeit würde ihr demnach nicht bleiben, bis es ihr auch so erging. Auch er war wegen Khalea hier.
»Au!« Das Kreischen des Folteropfers steigerte sich, während die Spitze eines glühenden Eisens seinen rechten Augapfel zum Platzen brachte. Er zappelte vor Qual und trat gegen die Feuerschale. Mehrere Eisen klirrten zu Boden, Funken stoben auf, aber sein Folterknecht fixierte ihn erneut und schnitt ihm die linke Brustwarze ab. Die Hitze versengte das Fleisch und schwängerte die Luft mit einem Duft nach Speck – eine Mahlzeit, die Talisa geflissentlich aus ihrem Speiseplan strich.
Als der Mann das Bewusstsein verlor, hörten die beiden auf. Sie warfen ihn wieder in seine Zelle und verließen die Folterkammer. Während sie gingen, fiel Talisa ein Eisen am Boden auf. Sie blieb noch eine Weile auf der Seite liegen, bis die Schritte im Gang verklungen waren, und rappelte sich dann unter Schmerzen hoch. Mit den Schrammen und Striemen fühlte sich ihr Leib nach einem Acker an. Sie hielt sich die Seite, biss die Zähne zusammen, richtete sich auf und riss sich beide Ärmel ab.
»Ja, das ist gut, am besten auch die Brüste. Vater Klein hat lange keine Brüste mehr gesehen«, feixte Schmutzbart, der sich mit großen Augen an die Gitterstäbe klammerte.
»Was bei den Verfluchten Sieben stimmt mit dir nicht? Halt den Mund oder ich bastle mir einen Winterschal aus deinen Gedärmen!«, zischte sie.
Ihren Fingern fehlte das Gefühl, sie wollten nicht gehorchen. Es brauchte Zeit, doch Talisa schöpfte Kraft aus der Hoffnung. Knoten um Knoten knüpfte sie sich ein Seil, brach die Holzschale mit den Hannokresten entzwei und band sie daran fest.
»Jetzt oder nie«, flüsterte sie und schlich sich an die Zellentür. Jeder einzelne Knochen schmerzte. Das Eisen hatte nicht wie die anderen geglüht, daher war es den Folterknechten im Dämmerlicht wohl nicht aufgefallen.
Zum Glück.
Sie steckte die Arme durchs Gitter, bis ihre Brust am Metall anschlug und warf das Schüsselstück.
Es schepperte. Zu laut für ihren Geschmack. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, doch außer dem Stöhnen des Gefolterten, der zu sich kam, war sonst kein Geräusch zu hören.
Mit dem Seil zog sie das Schüsselstück zu sich heran und warf es erneut. Zwar traf sie das Eisen, doch es blieb erneut nicht hängen.
Ein anderer Gefangener wuchtete sich am Zellengitter hoch und beobachtete das Spektakel. Seine Nase war platt und das fettige schwarze Haar ergoss sich auf seine Schultern.
Es erklangen Schritte, ein Schlüsselbund klapperte. Talisa wusste, dass dies ihre letzte Chance sein würde. Sie griff mit schwitzigen Fingern nach der Schale, peilte einen Punkt knapp über dem Eisen an und warf.
Treffer.
Schweißtropfen ätzten ihren Rücken hinunter, während sie mit dem Feingefühl eines Kalligraphen das Eisen zu sich heranzog. Erst im letzten Moment fummelte sie das Metall durch die Gitterstäbe und verbarg es unter ihrem Hemd.
Ein Junge mit einem Eimer in der Hand betrat den Zellentrakt. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und inspizierte misstrauisch den Raum.
Der Gefangene mit dem Fetthaar reagierte und klapperte mit seiner Holzschüssel gegen die Gitterstäbe. »Hunger, Hunger!«, schrie er.
»Ist ja gut«, murmelte der Junge, rührte kurz den Eimer mit Hannok um und beförderte dann jeweils einen Klecks davon in Holzschüsseln, die er mit einem Tritt an die Gitterstäbe beförderte.
Talisa beäugte sein Vorgehen. Der Kleine war kein Idiot, das musste man ihm lassen. Er trat nicht zu nah an die Zellen heran. Zum Glück, denn ihre Bekleidung wölbte sich an der Stelle mit dem Eisen.
Nachdem er fertig war, las er eine Rattenleiche vom Boden auf, beäugte sie mit der Neugierde eines Kindes und warf sie in den Eimer. »Fleischbeilage«, murmelte er.
Die Tür knallte hinter ihm zu.
Talisa warf einen Blick zu Fetthaar, der ihr verschwörerisch zunickte. Sie war froh, dass hier noch jemand bei Verstand war. Langsam, mit der Hand an der Seite, robbte sie zurück an die Wand und versuchte sich vorzustellen, wie sie wieder und wieder mit dem Eisen auf Firuwahrs Narbengesicht einstach. Dieser Dilettant, Gildenmeister aller Vollidioten, sollten ihn doch die Verfluchten Sieben holen. Schmerz und Wut pochten in ihrem Körper und ihrer Seele, aber sie hatte keine Kraft, dagegen anzukämpfen und dämmerte weg.
Etwas zupfte an ihrem Gesicht. Als sie die Augen aufschlug, erkannte sie die Spitzmaus von Schmutzbart. Sie wischte den Nager weg und blieb noch eine Weile liegen. Talisa wollte nicht mit einer hastigen Bewegung riskieren, von einer Schmerzwelle getroffen zu werden.
»Lasst mich raus. Ihr müsst mich rauslassen! Ich habe etwas für Euch, das Ihr hören wollt. Ich schwöre es bei allen Göttern, Ihr wollt es hören!«, schrie Fetthaar.
»Hä?«, grunzte der Folterknecht, während sein Kollege die Glut mit einem Blasebalg anfachte.
»Sie hat eine Waffe! Die Schlampe dort, sie hat eine Waffe! So, ich habs Euch gesagt, jetzt lasst Ihr mich raus, oder?«
»Dieser hinterfotzige Drecksack«, dachte sich Talisa und richtete sich auf und mahlte mit den Kiefern.
Beide Folterknechte wandten sich ihr zu und begegneten ihrem Blick. Das Blitzen der Erkenntnis leuchtete in den Gesichtern der Männer auf. Blut perlte von ihren Ölschürzen herunter, das sie nach einer weiteren Torturrunde aus dem geblendeten Mann heraus geprügelt hatten. Sie holten sich jeweils einen Knüppel von den Haken neben dem Eingang und schlossen Talisas Zelle auf.
Fetthaar klapperte mit seiner Schale am Gitter, tobte und sprang, als habe ihn der Wahnsinn gepackt. »Es geht los, es geht los, die Schlampe wird jetzt platt gemacht!«
Talisa setzte alles auf eine Karte, da ihr keine andere Wahl mehr blieb. Gegen die Knüppel hatte sie mit ihrem Eisen schlechte Chancen und die langen Arme der großen Folterknechte machten es nicht leichter. Dabei hatte sie noch nicht die Verletzungen mit einberechnet, die sie bereits erlitten hatte.
Kämpf um jeden Preis, beiß zu, wenn nötig.
Sie bleckte die Zähne und spuckte Blut vor die Klumpfüße der Männer. Einer holte aus und hieb nach ihr. Sie duckte sich und stach zu. Leder und Haut teilten sich, Blut sickerte aus einer kleinen Bauchwunde. Der Mann grunzte, schwang erneut die Keule und warf sich auf Talisa. Sie wollte ausweichen und verlagerte das Gewicht, aber der Schmerz in ihrer Seite verlangsamte sie. Der Folterknecht presste sie gegen die Wand und drückte mit der Unerbittlichkeit eines Schraubstocks ihre Waffenhand ans Mauerwerk. Sein Kollege positionierte sich, holte mit der Keule aus und grinste vor Schadenfreude. Talisa ahnte, dass er ihre Hand zerschmettern würde, doch sie weigerte sich, das Eisen loszulassen.
Kämpfe bis zum Ende, wenn nötig.
Und sie tat gut daran.
Lange, schmutzige Arme legten sich um den Hals des Keulenschwingers und zerrten ihn gegen die Gitterstäbe. Schmutzbart stemmte sich mit seinen Knien zwischen den Gitterstäben gegen seinen Rücken und zog mit aller Kraft den Schwitzkasten zu. Äderchen platzten in den Augen des Folterknechts, der seine Waffe fallen ließ und verzweifelt versuchte, sich zu befreien.
Talisa nutzte ihre Chance. Sie verlagerte ihren Stand, zwang den zweiten Folterknecht in einen Ausfallschritt und rammte ihm mit aller Macht die Stirn gegen die Nase.
Knorpel knirschten und der Griff um seinen Knüppel lockerte sich. Das musste reichen. Talisa bugsierte ihren Arm aus seinem Griff und rammte ihm das Eisen durch den Hals. Der Fleischberg taumelte nach hinten und sackte an der Zellentür zu Boden. Aus der Wunde am Hals floss Blut, das an seiner Ölschürze herunter perlte. Sein Kollege war bereits blau angelaufen und zuckte, während ihm der Inhalt seiner Blase am Bein herunterlief.
Talisa machte einen Schritt auf ihn zu, sah ihm in die Augen und trieb ihm das Eisen in den Wanst. Sein Widerstand erschlaffte. Sie riss ihm den Schlüsselbund vom Gürtel und stapfte aus der Zelle. Ihr Gesicht war eine Maske der Grausamkeit, in der lindgrüne Augen im Rachefieber glänzten.
»Nein, bitte!«, schrie Fetthaar. »Ich d-d-d…« Er zitterte.
Sie schloss die Zelle auf, packte den fettigen Haarschopf und schleifte ihn daran nach draußen. Ein Stich ins Herz beendete sein Leben.
»Mieser Verräter!« Talisa nahm sich ein zweites Eisen und maß das Gewicht ab. Es waren keine Kurzschwerter. Zur Hölle mit Wunschträumen. Sie machte ein paar Schritte auf die Tür zu und wandte sich noch einmal zu Schmutzbart um, der die Arme durch seine Zellentüre baumeln ließ. Gelassenheit lag in seinen tief liegenden Augen, als würde er ein Gemälde betrachten.
Mit einem kurzen Schwung warf sie ihm den Schlüsselbund zu. Er sperrte die Zelle auf, griff in die Schlafstatt von Vater Klein und eilte ihr hinterher. Seine Finger schlossen sich um den Griff einer Keule, die er vom Boden auflas. Eisendornen schmückten ihren Kopf. Er nickte seiner Befreierin düster zu.
Talisa bebte vor Wut, was ihr die Kraft gab, weiterzulaufen. Durch die Tür gelangte sie in ein gewundenes Treppenhaus. Tageslicht brannte in ihren Augen und es dauerte drei Herzschläge, bis es nicht mehr wehtat.
Sie blickte durch eine Schießscharte nach draußen. Scharlachrote Schindeln erstreckten sich über die Dächerwelt. Wie vermutet, befand sie sich in einem der Türme Rugands.
Von unten drangen Geräusche an ihr Ohr.
Hatte man ihr Treiben gehört? Sie eilte die Windungen der Treppe hinunter, jeder Schritt eines Assassinen würdig. Die letzten Stufen mündeten in einen Aufenthaltsraum.
Mit Kapuzenroben bekleidet, saßen ein Mann und zwei Frauen an einem Tisch und hielten Brotzeit. Es störte Talisa nicht, dass die Diebe zu ihren Brotmessern griffen.
Aus Talisas Antlitz sprach nicht allein das Versprechen von Tod, sondern auch die unendliche Verdammung danach.
»Firuwahr«, krächzte sie brüsk, »Wo finde ich diesen Milchschnüffler?«
Der Mann preschte vor.
Talisa warf ihm das Eisen in die Brust, das sich mit einem Flapp in seinen Leib bohrte. Sie wollte sich eine weitere Angreiferin vorknöpfen, als Schmutzbart durch den Raum wischte und den Kopf der Frau zu Brei hieb. Blut und Hirnmasse spritzten auf die hintere Wand.
Die letzte Frau erstarrte, den Blick voller Entsetzen auf den Hirnschmodder gerichtet. Ihre rechte Hand öffnete sich und das Brotmesser fiel zu Boden.
Talisa machte zwei Schritte auf sie zu. »Firuwahr, wo?«, fragte sie einsilbig.
»Bitte, nicht. Er ist in Wranis, der Stadt der Dattelpalme, ich schwöre, dass ich Euch die Wahrheit sage!«, stammelte die Frau mit Tränen in den Augen.
»Zieh dich aus!«
»Herrin bitte, ich weiß doch nicht … «
»Ausziehen, alles!«, zerriss Talisa das Gestammel.
Unter Wimmern gehorchte die Frau, legte die Robe beiseite und zog sich die Unterwäsche aus, danach legte sie die Hand auf ihre Scham und den Unterarm über ihre Brüste.
Sie hatte pralle Brüste und eine schlanke Taille.
Talisa zog sich ebenfalls aus, es ging schnell. Mehr als die fadenscheinigen Lumpen eines Toten trug sie nicht. Sie selbst empfand keine Scham; die Zeiten waren vorbei. Was ihren Stolz ankratzte, waren die blauen Flecken, Schrammen und Platzwunden, die sich über ihren ganzen Körper zogen.
Lieber war ihr der Tod als die Schande.
»Vater Klein gefällt, was er da sieht.«
»Klappe halten, Schmutzbart, oder ich schlitz dir den Wanst auf!«, keifte sie ihn an. Talisa wusste, dass sie einen Körper besaß, den Männer und Frauen begehrten. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie diesen Umstand verflucht.
Sie hob die frischen Kleidungstücke auf und zog sich an. Die beigefarbene Hose und das grüne Hemd waren nicht nach ihrem Geschmack. Sie mochte es eher dunkel. Doch die Kapuzenrobe machte es wieder wett, da sie alles überdeckte.
»Schmutzbart, zieh dir auch was Frisches an, so kannst du draußen nicht herumlaufen.«
Der Hüne annektierte die Robe des einzigen Mannes in der Runde. Seine breiten Schultern spannten den Stoff. Einen Augenblick lang warf er der nackten Diebin noch einen frivolen Blick zu, unter dem sie sich wand. Doch außer Schniefen und Schluchzen brachte sie nichts heraus.
Er leckte sich die Lippen. »Wohin gehen wir jetzt?«, fragte er, ohne seine Augen von ihren Brüsten abzuwenden.
»Auf die Jagd«, antwortete Talisa, leerte den Becher Würzwein und warf ihn quer durch den Raum.