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Kapitel Sechs Flucht

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Vom Wind verwirbelte Schneeflocken fielen zwischen den Brücken der Oberstadt, deren Türme und Balustraden spinnennetzartig miteinander verbunden waren, und legten sich auf den gefrorenen Boden der Unterstadt. Kaum, dass sie ihn berührt hatten, wurden sie von hunderten Menschen in dicken Schals, Fellen und Wollmützen zu Matsch getreten.

Talisa hauchte eine warme Dampfwolke in ihre Handkuhlen und bewegte ihre Finger durch, während sie das Desinteresse der Menschen um sie herum genoss. Dies war typisch für die Bewohner des Nordens. Sie hatten durch das Leben in der Kälte keine Wärme zu verschenken, ob am Herdfeuer oder in ihren Herzen.

Talisa zog sich den haselnussbraunen Bepastonpelzmantel enger um den Körper. Weniger, weil sie fror, sondern weil sie sichergehen wollte, dass niemand ihre Bezwingerrüstung sah. Zu ihrem Glück hatte sie ihre Rüstung in Firuwahrs Keller wiedergefunden, als sie den ausgebrannten Landeturm durchsucht hatte. Möglich, dass der Dieb ihr Zeug an Hehler verkaufen wollte, aber die Rüstung eines Bezwingers ließ sich nicht ohne Aufsehen verscherbeln. Zudem konnte sie im Beutekeller ein Vermögen an Perlen, Ohrringen, Rubinen und Prunkringen mitgehen lassen.

Es war, als wäre sie vorher nackt gewesen. Die Platten knirschten aufeinander. Ein Geräusch, das sie in all seinen Tonlagen so gut kannte, dass sie allein am Klang des Metalls Schadstellen und Beulen heraushören konnte. Das Bastardschwert an ihrer Seite klapperte mit der Beständigkeit eines Herzschlags gegen die Beinschiene. Tip-Tap, Tip-Tap. Sie wusste Schmutzbart hinter sich, der wahrscheinlich damit beschäftigt war, seinem Nager die Stadt zu zeigen. Obwohl sein Verstand nicht mehr zu gebrauchen war, besaß er eine Loyalität, die unzerstörbar war. Doch er allein würde nicht reichen, um Firuwahr ihre Rache in den Hintern zu schieben. Gestern Nacht hatte sie von einem Matrosen in Erfahrung gebracht, dass die Bezwinger allesamt im Haftturm saßen. Behandelte man so neuerdings die Leute, die sich aufgrund ihrer Leistungen für die Jorvenlande zu Legenden aufgeschwungen hatten?

Aus Erfahrung wusste sie, dass es keinen Sinn machte, auf die Gerichtsverhandlung zu warten. Es war kein Geheimnis, dass König Egon der Dritte Gefangene oft ihrem eigenen Elend überließ. Seit die Nomadenstämme südlich von Wranis in einen Friedensvertrag eingewilligt hatten, schenkte er seine Aufmerksamkeit den Konflikten an der Nordgrenze zum Reich der Zwölf Stämme. Der Einfall der Barbaren vor zwanzig Jahren hatte deutlich gemacht, dass Tilayndor die Tundra des Nordens ernst nehmen musste. Wen kümmerten da schon ein paar inhaftierte Bezwinger? Wenn sie Glück hatte, fanden sich Wärter, die sich mit einem Extragroschen Bettgespielinnen oder andere Lustbarkeiten gönnen wollten. Sie sollte verdammt sein, wenn sie nicht diejenigen retten konnte, die Seite an Seite mit ihr gekämpft und geblutet hatten.

Sie vermied es, die aschgrauen Stadtgardisten anzuschauen, die in Trupps aus jeweils sechs Mann über die Straßen patrouillierten. Es kam ihr recht, dass sie nach dem Beispiel der Einheimischen das Gesicht hinter dem Mantelkragen vergraben konnte. Besser, man sah ihre gebrochene Nase nicht, die so etwas wie ihr Markenzeichen war.

Der Schneefall gewann an Dichte und dämpfte die Geräusche der Handwerker, die im Schmiedeviertel Hufeisen für Pferde, Töpfe und Pfannen, Kessel und andere Haushaltsgegenstände herstellten. Talisa spielte einen Augenblick mit dem Gedanken, ihre Rüstung an der Rückenplatte ausbessern zu lassen, allerdings verwarf sie ihn wieder, da sie vorrangig einen Handwerker suchte, der Waffen herstellen konnte.

Vor einer Schmiede sortierte ein Lehrling Schwerter, Morgensterne und Äxte nach Größe und Form auf einem Gestell. Ihre Schneiden waren noch jungfräulich.

»Meine Dame, willkommen in Darheisens Waffenkammer. Ihr habt den Blick einer Kennerin, darf ich Euch zu einem wranischen Florett raten?«, fragte der rotznasige Bengel. Er passte kaum in den Pelzmantel, den er vielleicht von seinem älteren Bruder geerbt hatte, dennoch konnte er schon schleimen wie ein Großer. Er schenkte ihr ein Schmunzeln, das ihm im Gesicht gefror, als Schmutzbart sich von hinten an ihre Seite stellte.

Talisa sah das Sortiment durch. »Verhökere deinen Schrott an Einfältige, mein Junge, mich kannst du nicht hinters Licht führen. Ich will das gute Zeug, verstanden?« Sie zog den Kragen hinunter und entblößte ihre gebrochene Nase.

Er schluckte. »Ja, natürlich, kommt rein in die Schmiede. Ich denke, Ihr fragt besser gleich den Meister.« Er zeigte auf einen vierschrötigen Mann.

Schweiß glänzte auf Darheisens Muskeln, während er mit der Regelmäßigkeit eines Blasebalgs ein Stück Metall auf dem Amboss bearbeitete. Seine Schmiedeschürze glänzte im Schein orangefarbener Flammen. Das alles weckte Erinnerungen an Folter und Gefangenschaft in Talisa.

Darheisen hob das glühende Metall, begutachtete es und warf es in eine Kiste mit Hufeisen und Pfannen. »Nicht alles, was als Erz bezeichnet wird, taugt auch was!«, schimpfte er und warf Talisa und Schmutzbart einen Blick zu.

»Mein Freund hier braucht eine neue Waffe, etwas aus der Sammlung von Erensen wäre gut«, meinte Talisa.

»Wenn ich etwas vom Meisterschmied Erensen besäße, dann würde ich nicht mehr arbeiten müssen. Was Ihr hier seht, ist die Arbeit meiner eigenen Hände, also echte Darheisen, wenn Ihr so wollt. Die Keule eures Freundes sieht nicht nach Schmiedekunst aus.« Er deutete auf das untere Stück der Keule, das unter dem Mantel von Schmutzbart herauslugte.

»Vater Klein hält es für passend, grob und groß, so wie er selbst«, grollte Schmutzbart. Er überragte den Schmied um eine Kopflänge.

Talisa inspizierte die Schmiede und deutete auf ein flammengeschwärztes Fass voller Waffen.

Gute Krieger haben gute Ausrüstung.

»Das da!«

Darheisen zog einen Kriegshammer heraus und wog das Gewicht in seinen Schmiedepranken. »Sicher?«

Schmutzbart nahm den Hammer am Holzgriff entgegen, machte ein paar Probeschwünge und ließ seine Fingerknöchel um den Schaft knacken. Es war nicht zu übersehen, dass er Zweihandwaffen gewohnt war. Dann betrachtete er den schweren Metallkopf, dessen linke Seite mit einer stacheligen Platte versehen war. Die andere lief in einen spitzen Dorn aus. »Wie gemacht um Rüstungen zu knacken und Knochen zu Mehl zu mahlen«, raunte Schmutzbart.

»Ich habe bisher lediglich angonische Sklaven gesehen, die damit umgehen konnten. Und von denen gibt es nicht viele. Ich hoffe, Ihr wisst, dass die Anfertigung solcher Einzelstücke sehr aufwendig ist«, bemerkte Darheisen und spuckte auf den mit Sand bestreuten Boden der Schmiede.

Talisa griff in die Tiefen ihres Pelzmantels und förderte ein goldenes Collier in den Feuerschein der Schmiede. Sie warf das Geschmeide auf den Amboss und sah den Schmied kalt an. Der begaffte mit gierigen Augen die Goldkette. »Für solch gute Kunden lege ich noch einen drauf. Hiron, bring mir den Drachenarm!«, schrie er nach draußen.

Etwas später stolperte der Junge mit einem großen Gegenstand in die Schmiede.

Darheisen nahm das Teil entgegen und klopfte mit seinen Bärenpranken gegen die silbrig glänzenden Schuppen. »Die neueste Mode bei Nordmännern. Schuppen statt Ketten. Beweglich und dennoch dicht genug, um Hieben und Stichen zu trotzen. Ich habe die Technik mit dem Drachenarm kombiniert, der üblicherweise aus Schienen mit Verbundgelenken besteht.« Er fuhr stolz über die Schuppen, die sich wie Dachschindeln überlappten. »Probiert es an.«

Er hielt Schmutzbart den Armpanzer hin und rümpfte die Nase.

Schmutzbart ließ seinen Pelzmantel fallen und entblößte mehrere Schichten fadenscheiniger Hosen und Hemden, die er übereinander trug. Die obersten Löcher wurden von unteren Schichten abgedeckt, untere Löcher und Risse von oberen intakten Schichten. In einem Kopf, dem kein Verstand innewohnte, machten die Dinge ihren eigenen Sinn. Er hätte wie ein Bettler ausgesehen, wenn nicht diese Riesenkeule gewesen wäre, die er an der Seite trug. Er nahm den Drachenarm entgegen, zog ihn über die Hand hoch zur Schulter und ließ sich von Darheisen die Bänder an der Unterseite des Oberarms und an der Schulter festschnüren.

»Na also, langsam machen wir aus Schmutzbart einen Krieger, was?«, murmelte Talisa.


»Vater Klein fragt sich, warum wir keine Pferde genommen haben?« Schmutzbart legte sich den Hammer lässig über die Schulter.

»Vater Klein sollte lieber darauf achten, dass er sich nicht seine Murmeln in der Scheißkälte abfriert! Nahende Reiter rufen immer Wachen auf den Plan und wir wollen keine Aufmerksamkeit erregen. Wenn wir zu Fuß den Haftturm betreten, werden uns höchstens zwei Stadtwachen inspizieren. Ich will sehen, in welchem Zustand meine Männer sind, danach werde ich versuchen, sie freizukaufen, was nur funktioniert, wenn wir hier keinen Aufstand machen.«

Aus dem Schneegestöber entwand sich der graue Haftturm. Es war eine Stein gewordene Hässlichkeit, eine Beleidigung fürs Auge. Zwei Stadtgardisten vergruben ihre Münder hinter ihren Stehkragen und beäugten ihr Kommen.

Talisa schritt erst an das Tor zum Innenhof heran, bevor sie ihr Gesicht entblößte. Kaum, dass sie es getan hatte, öffnete man ihr das Tor.

»Hauptmann Talisa«, sprach sie ein Wachoffizier an, »wir dachten, Ihr wäret … «

»Tot? Nein, selbst die Pest vergeht schneller als ich. Sagt, wo sind die Bezwinger untergebracht?« Sie blickte nach, wo sich die beiden Flügel des Hoftors schlossen, weil die Gardisten das Gegengewicht am Seil über einen Flaschenzug herunterließen. Der Sack plumpste neben einem aufgeschichteten Haufen aus gefrorenen Pferdeäpfeln in den Schnee.

Ein Stallbursche, etwa zehn Sommer alt, hinterließ Trittspuren im unschuldigen Weiß, während er die Äpfel auflas und in einen Eimer legte, den er bei sich trug. Als er Talisa sah, eilte er wieder zurück zu den Ställen auf der linken Seite.

Der Wachoffizier fuhr über sein schütteres Haar. In seinen Augen blühte Furcht. »Ich habe lediglich Befehle ausgeführt, Hauptmann Talisa, ehrlich.« Er nestelte an seinen olivgrünen Handschuhen.

»Ist schon gut, Ihr tut Eure Pflicht. Wer hat ihre Inhaftierung angeordnet?«

»Der Berater des Königs. Ihr wisst, ich musste das tun, Loyalität ist … «

»Loyalität?!«, unterbrach sie ihn barsch. Sie zwang sich zur Mäßigung. Obwohl die Liste ihrer Feinde eine weitere Zeile gewonnen hatte, mussten die Dinge in einer strengen Reihenfolge bleiben. Sie besann sich zurück zur Ruhe und schluckte ihren Zorn runter. Vorerst. »Führt mich zu ihnen«, befahl sie. »Und für jeden Mann der fehlt, werde ich Euch ein Körperteil abhacken, verstanden?«

Sie folgten dem Wachoffizier über die Außentreppe in den Haftturm. Ein paar Gardisten polierten in aller Ruhe ihre Schwerter und wickelten die Speerschäfte ab, um sie mit neuem Leder zu versehen. Sobald sie Talisa erblickten, schossen sie in die Höhe. Als Söldnerin hatte sie nicht über ihnen gestanden, doch man kannte sie und ihren Ruf. In der folgenden Stille hörte sie das Brutzeln von Hammelkeulen über dem Kaminfeuer, das die Kälte aus dem Gemäuer nicht zu vertreiben vermochte, da es aus allen Rissen und Löchern – den Hauptbestandteilen des Bauwerks – zog. Es grenzte an ein Wunder, dass das Ding überhaupt noch stand. Man konnte nicht leugnen, dass hier der Abschaum der Stadtgarde die Verdammten einkerkerte, derer sich niemand scherte. Es roch nach Kohle, Waffenfett, geschwängert vom Hauch nach Unrat und Urin. Fackeln beleuchteten die Stufen, die mehr Trittkuhlen als Treppenstufen waren.

»Hier sind Eure Bezwinger, Hauptmann, alle wohlauf.« Am Flüstern des Wachoffiziers wurde offensichtlich, dass er sich selbst und Talisa belog.

Von der Decke hingen Ölschalen herab, die Dämmerlicht in die Gemeinschaftszelle warfen. Einige Männer lagen auf Pritschen und schliefen, andere lungerten auf dem Boden herum und unterhielten sich. Sie sahen abgehärmt aus, ungewaschen, unrasiert und demoralisiert.

»Heute kommt die Palastwache. Eure Männer sollen verlegt werden. Wenn Ihr mit ihnen redetet … «, begann der Wachmann.

»Aufschließen, sofort!«, unterbrach ihn Talisa, die Schwierigkeiten hatte, ihre Mordlust im Griff zu behalten.

Der Gardist stutzte. »Herrin, der Berater des Königs hat keinen Befehl dazu gegeben.«

Talisa blickte auf das Elend in der Zelle. Eine der Gestalten richtete sich auf und trat auf die Gitter zu. Er hielt sich daran fest und blickte ihr in die Augen.

»Hauptmann«, hauchte er, »Ihr seid es!« Blessuren überzogen seinen Kahlkopf, sein Gesicht wirkte eingesunken. Es war ihr Unterführer Hammling.

»Hauptmann Talisa«, raunte ein anderer. Die Kunde ihrer Gegenwart sickerte in die Herzen der Verzweifelten und Vergessenen und sorgte für aufkeimende Hoffnung in ihren müden Augen.

»Ausrüstung?«, fragte Talisa gefühllos.

»Im ersten Stock. Bei allen Heiligen, es fehlt nichts! Bitte Hauptmann, der Berater … «, stammelte der Wachoffizier.

Lebe deine Wut.

Talisa packte den Gardisten am Hinterkopf und rammte sein Gesicht zwischen die Gitter.

Er fiepte vor Schmerz, als sein Jochbein brach.

»Krieger sollten in der Schlacht sterben und nicht in feuchten Kellern verrotten. Wenn der König seinen Helden, die für ihn geblutet haben, das antut, dann möchte ich nicht länger in seiner Gunst stehen!« Stahl lag in ihrer Stimme.

Die Blicke der Bezwinger bohrten sich in die Augen des Gardisten, die sich vor Furcht weiteten. Hände griffen nach ihm, kramten einen Schlüsselbund aus seiner Tasche. Andere zogen ihn an die Gitter heran, wühlten in seinen Taschen, rammten ihm das eigene Messer immer und immer wieder in den Wanst. Er kreischte vor Schmerz.

»Was ist da unten los?«, schrie eine Stimme aus dem Erdgeschoss. Kurz darauf schossen zwei Männer mit Schwertern und Schilden nach unten.

Schmutzbart schlug den Schnabel seines Kriegshammers auf den Kopf eines der Männer, während sein Kollege von den Bezwingern überrascht wurde, die aus der Zelle herausstürmten und ihn überwältigten. Sie hielten ihn fest, zerkratzten sein Gesicht, hieben ihm auf Brust und Bauch, bissen und traten ihn. Es brauchte nicht lange, bis sein Körper erschlaffte. Danach stürmten die Bezwinger nach oben. Schreie ertönten, dann war es still.

»Hauptmann, Ihr seid es. Ich habe nicht einen Moment daran gezweifelt!«, begann Hammling mit leuchtenden Augen. »Eure Befehle?« Trotz der Strapazen seiner Gefangenschaft drückte er den Rücken durch und nahm Haltung an.

»Haben wir volle Kampfstärke?«

»Ja Hauptmann, neunzehn Mann, mit mir zwanzig.«

»Gut. Die Männer sollen sich versorgen, nehmt Proviant mit, alles, was Ihr in diesem verfluchten Turm finden könnt. Ich will keinen in diesen ekelhaften Lumpen sehen, die Ihr hier tragt. Nehmt Euch die Ausrüstung aus dem ersten Stock. Es müsste noch alles da sein.« Sie warf einen Blick auf Schmutzbart. »Vielleicht reichte es auch noch, um Schmutzbart einzukleiden. Unter dem Pelz sieht er aus wie ein Haufen Schweinegedärm.«

»Vater Klein sagt, es geht um innere Werte«, protestierte der Hüne, der den blutigen Hammer auf dem Boden abstellte und ein Stück Hirn mit dem Fuß von diesem herunter trat.

»Innere Werte wollen auch nicht, dass man eine Klinge in sie hineinstößt, also wirst du eine Rüstung tragen. Hammling, nehmt ihn mit nach oben. Ich gehe davon aus, dass uns nicht viel Zeit bleibt, bis die Palastwache eintrifft. Ich will die Truppe in zehn Minuten einsatzbereit haben.«

»Zu Befehl, Hauptmann«, erwiderte Hammling und ging hoch zu den anderen.

Talisa war sich ihres eigenen Todesurteils bewusst. Sie half Gefangenen beim Ausbruch und desertierte, wenn man das bei einer Söldnerin ohne Dienstherren so bezeichnen konnte. Beides wurde mit Auspeitschen und anschließendem Hängen bestraft, sofern man es überlebte, dass sich einem die Hautstreifen vom Rücken schälten.

Im Erdgeschoss herrschte Aufbruchsstimmung. Männer saßen auf Bänken und dem Boden, streiften sich Unterröcke, Socken, Bein und Armschienen über. Andere befestigten die Rückenschnallen der Brustpanzer ihrer Kameraden und schwatzten durcheinander. Das Elend aus dem Kerker war dem Schlachtenfieber gewichen, das die Herzen aller Krieger zum Schlagen brachte. Wer schon fertig eingekleidet und mit dem Bastardschwert der Bezwinger bewaffnet war, schob sich Hammelkeule und Brot in den Mund.

Jeder, an dem Talisa vorbeischritt, himmelte sie mit Stolz und Bewunderung in den Augen an, was ihr befremdlich vorkam. Sie wusste mit Respekt umzugehen, aber das hier machte sie unsicher. Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, und führte die Truppeninspektion fort. Eine Routine, die ihr stets Ruhe vermittelt hatte.

»Wer soll denn da hineinpassen, da ist nicht mal Platz für Vater Klein. Die Schienen sind kein Vergleich zum Drachenarm, wieso kann ich den nicht behalten?«, meckerte Schmutzbart.

»Du blökst wie eine Ziege beim Kötteln«, kommentierte Talisa sein Gejammer. Sie löste die Spange – immer noch die, die sie sich von der Diebin geborgt hatte – bändigte ihre schwarze Haarmähne und fixierte sie hinten zum Zopf.

»Dann behalte eben deinen dämlichen Drachenarm! Gebt ihm Brustpanzer und Mantel. Und bei den Verfluchten Sieben, verpasst ihm neue Unterbekleidung!«

»Hauptmann, sie kommen«, rief einer der Männer. Schneeflocken schmolzen auf seinem dunklen Lockenkopf.

»Fertig machen, aufsatteln! Ich will ein richtiges Kavallerieregiment sehen! Schmutzbart, kannst du reiten?«

»Wie ein wranischer Wüstenteufel, sagt Vater Klein.« Ein Grinsen, das gelbe Zähne entblößte, stahl sich in sein Wildwuchsgesicht.

Als Talisa und ihre Leute den Innenhof betraten, ließ ein Dienstmädchen ihren Wasserkrug in den Schnee fallen und rannte mit wirbelndem Rock vom Innenhof. Auch die verbliebenen Gardisten, die auf dem Wehrgang über dem Tor standen, erfasste die Lage und sie sprangen ohne Rücksicht auf die Höhe von der Mauer.

Talisa und die anderen schnappten sich Pferde aus dem Stall und saßen auf. Sie presste die Zügel so fest zusammen, dass das Leder unter ihren Fingern knirschte. Neben ihr saß Schmutzbart im Sattel und hatte sich den Kriegshammer über die rechte Schulter gelegt.

»Herrin, Palastwachen, dreißig Mann!«, schrie der lockenköpfige Bezwinger, der auf den Wehrgang geklettert war.

Talisa knirschte mit den Zähnen. Zähe Bastarde. Gut gerüstet, gut trainiert, gut im Töten. Sie beäugte ihre Bezwinger. Die Pferde unter ihren Hintern standen besser im Futter als die Reiter.

Hammling schob sich zu ihr durch. Sein Atem bildete Wolken in der kalten Luft. »Sie sind zu nah dran, wir können ihnen nicht davonreiten «, bemerkte er knapp.

»Wer sagt denn, dass wir entkommen wollen? Wir nehmen sie in der Front, brechen durch und teilen sie auf. Im Ansturm sind wir ihnen überlegen.« Sie gab dem Mann am Tor ein Handzeichen.

Er schnitt das Gegengewicht los. Das Seil schnappte über den Flaschenzug hoch, während die beiden Hoftorflügel gegen die Innenwände schlugen.

Talisa, mit Schmutzbart zur Rechten und Hammling zur Linken, trabte hinaus, das Bastardschwert baumelte am Sattel. Die restlichen Bezwinger folgten ihr. Sie beschleunigten ihr Tempo und richteten ihre Speere nach vorn. Der Boden erbebte unter den Hufen der gepanzerten Einheit, die Schnee und Erdklumpen in die Luft sprengte.

Die Palastwachen, auch im Zinnoberrot aller Eliteeinheiten der Krone, richteten ihre Kavallerieformation neu aus im Versuch, sich auf das Unerwartete einzustellen. Sie schnallten ihre Schilde von den Sätteln ab und kombinierten sie mit Speeren. Ihre Helmbüsche wippten bei dem Manöver, das zu langsam ausgeführt wurde. Ein tödlicher Fehler.

»Sterbt gut!«, brüllte Talisa in dem Wissen, dass der Tod auf dem Feld eine Ehre für jeden Krieger war. Kurz darauf brachen die Bezwinger mit Gewalt in die Reihen der Palastwache. Die ersten Feinde fielen mit Speeren in den Bäuchen, dann schmetterte der Rest der Angreifer in sie hinein. Talisa stieß ihr Schwert in die Brust einer jungen Palastwache. Blut schäumte dem Mann aus dem Mund, während sie ihre Klinge herauszog, den Griff beidhändig umfasste und nach einem Pferdehals schlug. Das Tier brach unter dem Genickschlag zusammen. Talisa achtete darauf, ihren Schwung nicht zu verlieren und die Wucht des Angriffs weiterzutragen, sonst konnten sie nicht durchbrechen.

Das Gerangel verdichtete sich. Das Geschiebe und Gedränge begann; das Leid einer jeden Schlacht.

Schmutzbart schlug einer Palastwache so hart vor die Brust, dass sie aus dem Sattel gehoben und auf ihren Hintermann geschleudert wurde. Der Hüne hob seine Waffe und hämmerte einem Pferd den Dorn seiner Waffe in die Hinterbacke. Es bäumte sich auf und warf den Reiter vom Sattel, bevor es zur Seite wegbrach. Metall schrammte über die Schuppen seines Drachenarms, doch das hielt ihn nicht auf. Er holte aus und zertrümmerte dem Angreifer die rechte Schulter samt Rüstung. Mit einem Mpfff sackte der Angreifer zur Seite. Jemand fasste Schmutzbart am Arm und wollte ihn herunterziehen. Ein Rückhandschlag seiner Linken zerschmetterte das dreckige Gesicht zu Brei. Er lachte, während sein Hammer wie ein Kolben im Butterfass auf und ab fuhr.

Talisa wandte den Blick von Schmutzbart ab und verteilte wilde Hiebe nach links und rechts. Ihrem Gaul gab sie mit dem Druck ihrer Schenkel zu verstehen, dass er immer weiter nach vorn zu schreiten hatte. »Weiter!«, brüllte Talisa über den Kampfeslärm. »Wir sind gleich durch, weiter!« Mit einem Stich nach vorn riss sie eine weitere Palastwache vom Sattel. Sie machte sich nicht die Mühe, ihn zu töten. Wer im Getümmel fiel, kam unter den Füßen und Hufen nie wieder hoch.

Mit blutverschmiertem Gesicht schnappte sie nach Luft, ihr Körper brannte vor Hitze. Um sie herum war Platz – der Durchbruch war gelungen. Als sie sich umdrehte, beobachtete sie, wie die beiden Flanken kollabierten. Einzelne Reiter lösten sich und galoppierten vor den Bezwingern davon.

»Haltet ein!« Talisa wollte verhindern, dass ihre Leute den Rest der Wachen niedermachten. Aufreiben genügte und würde ihnen Zeit verschaffen, die Flucht anzutreten. Trotz des Siegs war eine Flucht nichts, was sie so leicht mit sich selbst vereinbaren konnte.

Sammle dich, um dann härter zuzuschlagen.

Talisa atmete durch. Vier ihrer Leute lagen am Boden, mindestens achtzehn von der Palastwache. Schmutzbart war abgestiegen und rammte einem Verletzten, der auf dem Bauch lag und jammerte, den Hammer ins Rückgrat. Er drehte sich um, hielt den Hammer in der Rechten und funkelte Talisa aus tiefliegenden Augen an. So sah es also aus, wenn der Dämon des Mordens höchstpersönlich aus den Höllen der Verfluchten Sieben emporstieg und sich am Leid der Sterblichen ergötzte.

»Nehmt Proviant. Keine Beute, keine Trophäen oder Ballast«, befahl Talisa. Sie wollte den Schneefall nutzen, damit dieser ihre Spuren überdeckte. Zum Glück war die Befreiungsaktion von Erfolg gekrönt, im Gegensatz zu der Jagd auf Firuwahr. Doch das Glück war eine Dirne an einem religiösen Feiertag, die von Schoß zu Schoß wanderte.


Dunkler Paladin

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