Читать книгу Leana - Conny Lüscher - Страница 7
Nacht
Оглавление„Ich glaub’s nicht! Ich fass es nicht, was ist das hier für ein SCHEISSTRIP!!?“ Die schreiende Stimme wühlte sich durch Leanas Bewusstsein. Sie war völlig orientierungslos und so, wie sich ihr Körper anfühlte, wollte sie nur wieder sofort in diesem wohltuenden schwarzen Nichts versinken.
„Verdammt, was ist los? Seid ihr etwa TOT!!??“ Die Stimme hatte sich nun in ein hysterisches Kreischen verwandelt. Leana holte tief Luft und versuchte die Augen zu öffnen. Sie spürte, dass ihr Körper auf etwas Weichem lag, das einen scheußlichen, modernden Geruch verströmte. Ihre Haut und ihre Haare waren nass und jeder Muskel schmerzte. Sie blinzelte mehrmals, doch es wurde einfach nicht heller. Sie konnte schemenhafte Umrisse sehen. Etwas wie Bäume um sie herum und die Silhouette einer Frau, die wie ein verrückter kleiner Teufel auf und ab hüpfte. Plötzlich leuchtete das Display eines Handys vor ihr auf.
„Scheiße, Scheiße, es funktioniert nicht! Ich krieg keine Verbindung!!“, schrie die Stimme voller Verzweiflung.
Leana konnte nun sehen, dass sie einer jungen Frau gehörte. Sie war etwa achtzehn oder neunzehn Jahre alt. Ihre fransig geschnittenen schwarzen Haare waren durchzogen von bunten Strähnen, die wild in alle Richtungen von ihrem Kopf abstanden. Sie war stark geschminkt, aber das schmälerte in keiner Weise die Schönheit ihrer feinen Gesichtszüge.
Leana richtete sich stöhnend auf.
„Oh wow, du lebst! Scheiße bin ich froh!“, sagte die junge Frau.
„D d d d duuh ssssollst a a abber nicht fluchen!“
Leana und die junge Frau drehten sich beide gleichermaßen verblüfft um. Neben ihnen saß an einen der moosbewachsenen Baumstämme gelehnt ein Junge. Leana schätzte ihn auf etwa zehn Jahre. Er trug verwaschene Jeans, ein blauweiß gestreiftes Shirt und darüber eine orangefarbene Regenjacke. Sein kleines Gesicht war fast rund und seine großen, wasserblauen Augen starrten sie vorwurfsvoll an.
„N n n n iiicht fluchen!“, wiederholte er nachdrücklich, während er sich an etwas klammerte, das eigentlich nur ein Schulranzen sein konnte.
„Hah!“, rief die junge Frau an Leanas Seite. „Auch das noch! Ein Blödi!!“
Die Unterlippe des Jungen begann zu zittern und seine Augen füllten sich einen Moment lang mit Tränen. Doch dann sprang er wütend auf die Füße und schrie seine Schultasche fest umklammernd:
„Iii ii iich bin k k k keiiin Blöödi, i i ich b b bin Felix!“
„Na gut zu wissen“, kicherte die junge Frau und hob beschwichtigend ihre Hände.
Der Lichtstrahl ihres Telefons leuchtete wie ein kleiner Scheinwerfer über den Waldboden.
„Und damit IHR zwei es wisst, ich bin auch nicht blöd, ich bin Nina und möchte jetzt zum Teufel noch mal endlich wissen, wo ich hier bin und wie verflucht noch mal ich eigentlich hergekommen bin!!“
Leana musste lächeln. Dieses Mädchen war einfach unglaublich.
„Hallo ihr zwei, ich bin Leana“, sie strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht, „und ich weiß genauso viel wie ihr.“ Sie schlang ihre Arme um ihre schmerzenden Knie und blickte nach oben. Sie waren in einem Wald, so viel war klar, aber wie waren sie bloß hierhergekommen? Sie versuchte sich zu erinnern, aber das Einzige, was ihr einfiel, war ein roter Schirm.
Nina fuchtelte noch immer aufgeregt mit ihrem Handy herum und tippte immer wieder wütend auf die Tasten. „MIST!“, schrie sie.
Felix ließ sich mit einem kleinen Schnauben neben Leana ins Moos plumpsen. Er runzelte missbilligend die Stirn und Leana schloss ihn augenblicklich in ihr Herz. Sie legte einen Arm um seine schmalen, knochigen Schultern.
„Sie meint es nicht so, sie ist nur völlig durcheinander, genau wie ich. Was ist mir dir? Weißt du, wo wir hier sind und wie wir hergekommen sind?“
„Bus“, sagte Felix, ohne zu stottern, und nickte mit ernsthaftem Gesicht.
Die Erinnerung kam wie ein Schlag und Leana schloss entsetzt die Augen. Ganz deutlich hörte sie den Bus auf sich zurasen, sah wieder die Fahrgäste und den Fahrer, die sie wie leblose Puppen anstarrten.
Und das Gesicht der jungen Frau, die über den Fahrer gebeugt das Lenkrad mit beiden Händen umklammerte und es noch weiter nach rechts drehte, um ihr Ziel nicht zu verfehlen. Sie wollte Leana überfahren! Diese schöne Frau mit den eisblauen Augen wollte sie wirklich töten.
„L l leana?“ Die ängstliche Stimme von Felix riss sie zurück. Sie öffnete die Augen und sah, dass Nina dicht vor ihnen kniete, das Gesicht geisterhaft beleuchtet vom Display ihres Handys. Leana erinnerte sich plötzlich daran, dass neben ihr am Bordstein zwei Menschen kurz vor dem Aufprall laut aufgeschrien hatten. Nina und Felix.
In Ninas verwirrtem Blick erkannte sie, dass auch sie sich wieder erinnerte.
„Sind wir etwa tot?“, flüsterte Nina und ließ das nutzlose Telefon aus ihrer Hand gleiten.
„I i ich b b bin nicht tot! I i iiich bin hiiieer! D d d uuu b b bist duuuumm!“, schrie Felix schluchzend und schlug mit beiden Fäusten nach Nina.
Leana warf sich dazwischen und packte seine Hände. „Ruhig Felix, beruhige dich, es wird alles gut.“ Sie wollte gern selbst glauben, was sie da sagte, aber Felix schien überzeugt. Sein Körper entspannte sich und sie ließ ihn los. Er griff in seine Jackentasche, zog ein hellblaues Taschentuch hervor und prustete laut hinein.
Nina runzelte die Stirn und starrte sie beide an. „Na schön“, sagte sie, „lassen wir das mit dem Totsein. Lasst uns erst mal in Ruhe nachdenken. Und fang bitte nicht gleich wieder an zu schreien, du kleine Rotznase.“
Felix blickte sie zutiefst beleidigt an, aber er schwieg.
„Ich erinnere mich, dass wir alle drei von einer weißhaarigen Verrückten mit einem Bus überfahren worden sind. Das heißt …“ Nina zögerte. „… ich denke, dass mich der Bus erwischt hat. Ich erinnere mich an etwas wie einen Blitzschlag, der durch meinen Körper gefahren ist. Dann war es dunkel und das Nächste, was ich sah, war euch zwei hier neben mir auf dem Boden liegen.“ Sie sah sich um. „In diesem komischen Wald“, fügte sie hinzu.
„Sch sch schtimmt“, bestätigte Felix zufrieden, „niiicht tot!“
„Also schön, einigen wir uns auf niiiiiicht tot“, erwiderte sie spöttisch, „aber wie zum Teufel sind wir hierhergekommen und vor allem WO sind wir?“
Leana seufzte, ihre Gedanken rasten, aber wie sie es auch drehte und wendete, sie fand einfach keine Erklärung. „Vielleicht ist das alles nur ein Traum“, sagte sie zweifelnd, „und ihr zwei seid auch nur ein Traum.“
„B b biin k kein Traum“, sagte Felix. Nina lachte.
„Jaja wir wissen es schon, du bist Felix.“
Felix nickte ernst, was ihn für Leana noch liebenswerter machte. Sie strich ihm über die Haare und sagte:
„Ich bin sterbensmüde, entschuldige dieses Wort Felix, aber ich kann nicht mehr klar denken. Wollen wir nicht versuchen etwas zu schlafen? Es hat keinen Sinn, hier in der Dunkelheit herumzurennen. Sobald es hell wird, laufen wir los und finden dann sicher eine Erklärung für alles. Was meint ihr?“
„Oookeee“, sagte Felix.
Nina blickte sich misstrauisch um und klopfte auf den muffigen Moosboden. Aber schließlich zuckte sie mit den Schultern. Eine tiefe Erschöpfung hatte sich wie ein Mantel aus Blei um sie gelegt und sie gab auf. Eng aneinandergedrückt, lehnten sie sich an einen dicken Baumstamm.
„Hoffentlich gibt es hier keine Insekten“, schimpfte Nina, „ich hasse diese Krabbelviecher!“
„O o o ooder M mmooonster!“, sagte Felix.
„Licht aus“, sagte Leana und das Display erlosch.
Sie starrten mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit. Es war vollkommen still, außer ihren eigenen Atemzügen war nichts zu hören. Um sie herum schien alles tot zu sein. Angst kroch mit der Kälte aus dem Boden unter ihnen. Sie durften hier nicht schlafen, verwirrt und schutzlos! Aber noch während sie das dachten und sich dagegen wehrten, fielen ihnen die Augen zu.