Читать книгу Leana - Conny Lüscher - Страница 9

Krank

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„Milar mein Engel“, sagte der Greis, „du bist da, wie schön!“

Der junge Mann, der wie aus dem Nichts in seinem Zimmer aufgetaucht war, lächelte ihn an.

Agor lag in einem Krankenhausbett und seine fahle, vertrocknete Haut hob sich kaum vom Weiß des Bettbezuges ab. Er war sehr groß und mager. Ungepflegte graugelbe Haarsträhnen hingen in sein knochiges Gesicht mit der markanten Hakennase. Er packte den Haltegriff über seinem Kopf und zog sich daran hoch. Als er Milars Begleiterin sah, funkelten seine trüben Augen spöttisch.

„Ah, Cybill meine geliebte Tochter!“

Die junge Frau kam hinter Milars breitem Rücken hervor und niemand bemerkte mehr den angewiderten Gesichtsausdruck, mit dem sie das Krankenzimmer betreten hatte.

„Guten Abend Vater“, sagte sie und ihr Gesicht strahlte, als sie sich zu ihm herunterbeugte.

Der alte Mann packte mit seinen langen, dünnen Fingern eine Strähne ihrer blonden Haare.

„Ich lebe noch, weißt du“, sagte er und betrachtete sinnend die glänzende Pracht.

„Und darüber sind wir über alles glücklich, Agor, mein Herr, mein Vater!“, rief Milar.

Respektvoll verneigte er sich. Er war groß und kräftig und trug einen dunklen Anzug, der irgendwie nicht zu ihm passte. Als hätte man einen Puma verkleidet. Die Nerven in seinem markanten Gesicht zuckten und es war klar, dass er Angst hatte.

Der Alte starrte ihn lauernd an.

„Was ist passiert! Hast du sie entwischen lassen?“

Milar senkte den Kopf und knetete nervös seine großen Hände.

„Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte“, stammelte er. „Vater vergib mir!“

Agors Gesicht verzog sich zu einer Fratze. Seine Augen funkelten vor Wut und Enttäuschung. Cybill trat angewidert einen Schritt zur Seite. Sie hielt es schon normalerweise kaum in seiner Nähe aus, aber wenn der Zorn über ihn kam, war es, als ob ein übler Geruch aus seinen Poren strömte, der ihr den Atem nahm.

„Milar! Verflucht! Du weißt doch, ich brauche sie, und zwar jetzt!“, brüllte er. „Ich bin schon so schwach, dass ich hier, HIER in einem Krankenhaus liege! Die Gemeinschaft ist allein und wartet, dass ihr Vater stark und gesund zurückkehrt! Ich habe keine Zeit mehr!“

Cybill überwand ihren Widerwillen und legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm.

„Beruhige dich“, sagte sie sanft, „denk an deine Gesundheit.“

Agor schüttelte ihre Hand hab. Sein wütendes Gesicht nahm eine unnatürlich rote Farbe an, seine Augen begannen zu glühen.

„Was ist passiert?“ Es war ein drohendes Knurren.

Milar fuhr sich mit seinen großen Händen durch sein schwarzes Haar. Er stammelte und schwitzte. Zitternd fasste er an seinen Hals. Das Band, das er trug und das unter seinem Hemdkragen hervorblitzte, hatte sich schwarz verfärbt. Es zog sich zusammen. Milar schluckte schwer.

„Herr“, sagte er mühsam atmend, „ich bin ihr von der Praxis aus gefolgt. In sicherem Abstand. Ich wusste ja, dass sie nach Hause wollte und dass ich sie vor ihrer Haustüre abfangen und mitnehmen konnte. Aber als ich um die Ecke der Kreuzung vor ihrem Haus bog, gab es einen Unfall!“

Das Band schnürte sich noch mehr zu. Er griff mit beiden Händen danach und die weiteren Worte waren ein kaum verständliches Würgen.

„Der Bus! Der Bus hat sie überfahren, aber es gab keine Leiche! Sie war WEG! Ich schwöre, sie ist einfach verschwunden!“

Mit einem listigen Grinsen ließ sich Agor in sein Kissen sinken und im selben Moment lockerte sich Milars Band. Er konnte wieder atmen. Nervös blinzelnd hielt er es immer noch mit beiden Händen fest.

„Sie ist gesprungen! Sie ist tatsächlich GESPRUNGEN!“

Der alte Mann lachte gackernd und Cybill schüttelte sich innerlich.

„Wie ist das möglich“, flüsterte Milar mit rauer Stimme. „Sie ist doch kein Läufer? Wie kann das sein? Nur Läufer können springen!“

Agor schüttelte amüsiert den Kopf. „Sie ist meine Tochter! Natürlich kann sie springen du Idiot!“

Milar schwieg und ließ die Hände sinken. Das Band lag silbergrau schillernd um seinen Hals.

„Das tut mir leid“, flüsterte Cybill und diesmal war ihre Heuchelei offensichtlich. „Ich hätte zu gerne meine Halbschwester kennengelernt. Noch im Vollbesitz all ihrer Kräfte meine ich natürlich.“

Agor ignorierte sie. „Was war das eigentlich für ein Unfall?“

Cybill zuckte zusammen. Sie drehte sich gegen die Fensterscheibe und blickte hinaus in die Nacht.

Unter sich sah sie die erleuchteten Fenster der Bewohner dieser Stadt, die nicht die geringste Ahnung davon hatten, wer hier in ihrem Krankenhaus lag und welche Bestimmung ihnen zugedacht war. Sie verschwendete keinen einzigen Gedanken an diese Menschen. Sie hatte entsetzliche Angst davor, was Milar als Nächstes erzählen würde. Sie musste alle ihre Kräfte aufbieten, um ruhig zu bleiben und ihre Gedanken vor Agor abzuschirmen. Was hatte Milar gesehen? War er schon um die Ecke gebogen und hatte sie durch die nasse Frontscheibe des Busses erkannt, als sie in wildem Triumph das Steuer in den Händen hielt? Hatte er gesehen, wie sie gelacht hatte, als Leanas Gesicht im Regenschleier immer näher kam? Als der fassungslose, ungläubige Ausdruck in ihren Augen zur Gewissheit wurde, dass sie nun sterben würde?

Cybills Hand wanderte vorsichtig an ihren Hals. Sie würde hier und jetzt ihren letzten Atemzug tun, wenn Agor erfahren würde, was sie getan hatte.

„Herr ich weiß es nicht“, sagte Milar, „als ich um die Ecke bog war es schon passiert. Ich habe natürlich sofort alles abgesucht, aber sie war wirklich weg. Ich habe sie nicht mehr gespürt.“

Cybill atmete tief aus und ließ ihre Hand sinken. Im Spiegelbild der dunklen Fensterscheibe sah sie, wie ihr Vater Milars Arm ergriff und ihn näher zu sich zog.

„Hör zu mein starker, schwarzer Engel“, sagte er. „Es ist völlig klar, Leana ist gesprungen. Und jetzt wird es noch einfacher für uns. Sie ist in unserer Welt und du gehst jetzt zurück und wirst alle meine Kinder dazu aufrufen, sie zu finden! Sag ihnen, dass der Vater sie braucht, sag ihnen, dass unser aller Überleben davon abhängt, sie zu finden! Und sag ihnen auch, dass ich sie lebend brauche und jeder BRENNEN wird, der mir nicht gehorcht!“

„Ja mein Herr, mein Vater!“, rief Milar und richtete sich auf. Er hatte zu seiner alten Größe und Stärke zurückgefunden. Er war wieder der Mensch, den es nach Agor am meisten zu fürchten galt. Er würde kein zweites Mal versagen.

Cybill musterte ihn aus den Augenwinkeln. Solange ihr Vater hier in diesem Bett lag, war Milar es also, der ihren Plänen im Weg stand. Und wenn schon, sie konnte ihn besiegen und der Tag würde kommen, da er IHR bedingungslos sein Leben und seine Kraft schenken würde.

Mit einer Handbewegung schickte Agor ihn fort. Cybill wollte ihm folgen.

„Bleib!“, herrschte ihr Vater sie an.

Cybill erstarrte. Dann drehte sie sich um und blickte ihn an. Wie sie diesen Mann hasste! Und fürchtete. Obwohl seine Kraft in letzter Zeit rasend schnell geschwunden war und er nun tatsächlich in dieser Welt in einem Krankenhaus lag, wusste sie, dass er sie alle mit einem einzigen Gedanken zermalmen konnte. Der Blick seiner gelben Augen bohrte sich in ihren Kopf. Cybill versuchte die Mauer aufrechtzuerhalten.

„Nun meine Tochter“, säuselte er, „hast du mir etwas zu sagen?“

Cybill spürte, wie lange, dünne Finger in ihrem Gehirn schabten und eine trübe Benommenheit von ihr Besitz ergriff. Sie fühlte sich schwach. Ihr Band begann zu pulsieren. Mit aller Kraft gab sie sich einen Ruck und richtete ihre strahlenden, hellen Augen auf Agor.

„Was meinst du denn Vater?“

„Nun“, erwiderte er und das Band schnitt in ihre Haut, „vielleicht möchtest du nicht, dass Leana und ich uns wiederfinden. Dass wir alle wieder in Liebe vereint sind. Vielleicht fürchtest du um dein Erbe? Vielleicht willst du MEINEN PLATZ EINNEHMEN?!“

Er brüllte jetzt und das Zimmer begann sich zu verdunkeln. Obwohl Cybill kaum noch Luft bekam, griff sie nach Agors Hand. Sie fühlte sich kalt und schleimig an. Ekel stieg in ihr auf.

„Du weißt genau, dass ich deine Dienerin bin und alles für dich tue! Wäre ich sonst zu dir zurückgekommen?“

Er lächelte sie listig an. Aber er gab sie frei, es wurde heller und sie konnte wieder atmen.

„Wir werden sehen, wir werden sehen“, sagte er fast fröhlich. „Nun geh. Du weißt ja, was du zu tun hast. Und außerdem kommt jetzt noch der Professor zur Visite. Weißt du, er interessiert sich AUSSERORDENTLICH für mich!“ Er lachte schallend und Cybill floh aus dem Zimmer.

Leana

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