Читать книгу Sailing for Future - Corentin de Chatelperron - Страница 4
EINLEITUNG
ОглавлениеAuf welchem Weg auch immer dieses Buch in Ihre Hände gelangt ist, die Gefahr, dass Sie sich am Ende seiner Lektüre eine Art Virus eingefangen haben werden, ist groß. Es beginnt mit einer leichten Sehstörung, die »veränderter Blickwinkel« genannt wird. Die Folgen dieses ersten Symptoms sind zahlreich und noch nicht ausreichend erforscht. Ändert die Versuchsperson den Blickwinkel, ändert sie auch ihre alltäglichen Handlungen, und schließlich gibt es kein Halten mehr, und sie will womöglich die ganze Welt verändern.
Niemand weiß genau, wann und wie Corentin sich diesen Virus eingefangen hat – vermutlich als er noch sehr jung war – und sein späterer Aufenthalt in Bangladesch war der »Genesung« sicher nicht zuträglich. Glasfaser im Bootsbau durch Jutefasern zu ersetzen – was für eine Idee … Und eine Reihe junger Ingenieure, deren Karrieren schon abgesteckt waren, ins Abenteuer zu stürzen, war das nicht die eigentliche Quelle der Epidemie? Es war nur ein Anfang …
Die Stiftung Explore war zu dieser Zeit noch eine ganz junge Brutstätte des »Virus mit positivem Effekt«. Sie war im Hinblick auf die Einzelfälle gegründet worden, die zwar nicht gleichgeschaltet denken, die aber alle eine Vision, eine unbezwingbare Lust einigt, Grenzen zu verschieben; ein Bezugspunkt für Macher, nicht für Leute, die ihren Reden keine Taten folgen ließen. Es ist daher nur natürlich, dass die Expedition NOMADE DES MERS in unserer Basis in Concarneau vorbereitet wurde. Dieser Hochseekatamaran, der vor dem Hintergrund der benachbarten High-Tech-Rennyachten aus der Reihe tanzte, verwandelte sich durch die Wahnsinnsenergie aller Infizierten außerdem noch in ein Labor, das genauso genial wie unmöglich schien.
Corentin ist ein Visionär – freigebig und pragmatisch. Festzustellen, dass es der Welt nicht gut geht, ist keine große Kunst. Aber die Hypothese zu verfolgen, dass die Spitzentechnologie nur Lösungen für die »Happy Few« unter uns Erdbewohnern hervorbringt, dazu braucht es größeres Engagement. Seine Ärmel hochzukrempeln und auf Weltreise zu gehen, um die simplen Lösungen aufzuspüren, die jeweils als Folge eines lokalen Problems entstanden sind, ihre Erfinder vorzustellen und mit ihnen an der Verbesserung des Alltags teilzuhaben, schien wie ein sehr sinnvolles Abenteuer, aber auch wie eine Heldensage ohne großen Pomp. Dieser junge Mann hat uns auf seine weite Reise mitgenommen, die Technik und Poesie vereint.
Schließlich kam der Tag im Februar: Die NOMADE DES MERS stach in See und nahm Kurs auf Low-Tech. Ich hatte das Glück, beim Start der Reise dabei zu sein, und bewunderte die Eleganz der Hühner und ihr Gleichgewicht im Seegang der Biskaya, den Seelenfrieden der Mehlwürmer in der Kabine und die wohlriechenden Rauchzeichen, die sich aus dem Holzsparkocher im Cockpit erhoben. Dies beseitigte letzte Zweifel: Auch ich war ein Opfer des Virus geworden.
Seither breitet die Pandemie sich aus. Im Kielwasser der NOMADE DES MERS ist das Low-tech Lab entstanden. Seine fabelhafte Besatzung ist mit Machern auf der ganzen Welt verbunden, mit all diesen Erfindern und Tüftlern, die Dingen ein zweites Leben schenken. Das Low-tech Lab macht Sie über dieses Buch hinaus im Internet mit ihren faszinierenden Erfindungen vertraut. Durch praktiziertes Open Sourcing entsteht eine wichtige Kette intelligenter und segensreicher Zusammenarbeit von Menschen.
Durch unsere klassische Brille betrachtet, fällt das Urteil oft schnell: nicht rentabel, kein Geschäftsmodell … eine sympathische Utopie … vielleicht … vielleicht auch nicht. Denn wie soll man erklären, dass der Bienenkorb Explore immer mehr überbordende Tatkraft hervorbringt – Macher, die bestens ausgebildet sind oder überhaupt nicht und aus den verschiedensten Lebenswelten kommen? Sie alle sind zum selben Schluss gekommen, und zwar einem sehr einfachen: Wir werden immer mehr Menschen auf einem Planeten, dessen Ressourcen immer weniger werden – ein Problem, aber 1.000 mögliche Lösungen: lokal und mit anderen geteilt, reproduzierbar, durch kollektive Intelligenz verbessert und unter Berücksichtigung jedes Einzelnen.
Ändern wir unseren Blickwinkel, ändern wir unser Handeln vom Belanglosen zum Bedeutungsvollen. Corentin, selbst ein Meeresnomade, hilft uns, unseren Blickwinkel zu ändern, und schenkt uns so eine neue Perspektive. Sein »Virus« verbreitet sich, aber nicht im Sinne einer Epidemie, sondern mit der Wirkung eines Stärkungsmittels: gegen das Verdrängen und gegen die Angst vor Unbekanntem. Die einzige Gefahr, die uns droht, ist die, dass alles besser wird.
Roland Jourdain,
Seefahrer und Gründer der Stiftung Explore