Читать книгу Mia und die Schattenwölfe - Corina Sawatzky - Страница 10

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Eine geheimnisvolle Stimme

Mia und Sophie nahmen den üblichen Weg zum Haus ihrer Freundin. Alles um sie herum schien wieder ganz normal zu sein – die Vögel sangen, ab und zu grüßte ein Baum am Wegesrand, und im Unterholz hörte man so manches Tier rascheln. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel herab und verbreitete eine angenehme Wärme. Absolut nichts deutete auf die Schrecken der vergangenen Nacht hin.

Doch als die Mädchen an Lindaras Baumhaus geklingelt hatten und die Elfe ihnen öffnete, bemerkten sie, dass ihre Freundin nicht so fröhlich wie sonst wirkte. Ihr normalerweise so heiteres Gesicht hatte heute einen unübersehbar sorgenvollen Ausdruck. Als Lindara die beiden Kinder hereinbat, wirkte sie ungewohnt ernst und in sich gekehrt.

Mia und Sophie ließen sich von ihrer Freundin in die Laube führen und nahmen am Holztischchen Platz. Die Elfe holte drei Gläser und eine Karaffe, in der sich Quellwasser befand.

„Ich bin heute nicht in der Stimmung, mich an Köstlichkeiten zu laben“, erklärte sie den Kindern das schlichte Getränk.

Mia und Sophie warfen sich gegenseitig verwunderte Blicke zu. Die schreckliche Nacht war doch endlich vorüber! War das nicht eigentlich Anlass zur Freude?

Lindara, die den fragenden Ausdruck in den Gesichtern der Kinder bemerkte, vergrub ihr Gesicht in den zarten Händen und stöhnte: „Die Nacht war grauenvoll! Zwar haben die meisten von uns sie unbeschadet überstanden, aber leider nicht alle. Die Schattenwölfe waren machtvoller als in den vergangenen Nächten und nicht jeder Waldbewohner konnte seinen Schutzzauber aufrechterhalten. Ich weiß von einer Gruppe Zwerge und einer kompletten Feenfamilie, die von den schrecklichen Kreaturen verschleppt wurden. Und das sind bestimmt noch nicht alle.“

Bei den letzten Sätzen traten der Elfe Tränen in die Augen. „Feen sind doch so hilflose, liebreizende Geschöpfe, die niemandem jemals etwas zuleide tun würden! Und nun sind sie Sklaven im Reich der Unterirdischen! Mir krampft sich das Herz zusammen, wenn ich nur daran denke!“

Mia und Sophie schauten Lindara bestürzt an. Das hatten sie nicht gewusst! Auch sie fühlten sich augenblicklich, als hätte ihnen jemand die Kehle zugeschnürt. Der Gedanke daran, dass die Schattenwölfe Zwerge, Feen und wer weiß wen sonst noch verschleppt hatten, war einfach zu furchtbar.

Schweigend saßen die drei Freundinnen am Tisch. Keine von ihnen hatte Lust zum Reden, da jede ihren eigenen trüben Gedanken nachhing.

Nach einer ganzen Weile, als die Traurigkeit fast nicht mehr auszuhalten war, klingelten plötzlich die Glöckchen an Lindaras Haustür. Das fröhliche Geräusch riss die drei aus ihrem Trübsinn.

„Wer könnte das wohl sein?“, fragte die Elfe stirnrunzelnd und trat an das Geländer der Laube. Sie spähte hinunter und rief: „Wer ist da?“

Auch Mia und Sophie waren aufgestanden und hatten neben Lindara Stellung bezogen.

Ein brauner Haarschopf wurde sichtbar und ein Jungengesicht guckte nach oben. Es war Tristan, wie Mia erfreut erkannte. Er rief zu ihnen hoch: „Guten Morgen! Dachte ich’s mir doch, dass ihr alle hier seid! Habt ihr Lust, mit mir zu kommen? Ihr seht aus, als könntet ihr ein wenig Ablenkung vertragen!“

Die Elfe rief zurück: „Wir fühlen uns nicht danach, durch den Wald zu streifen. Die Nacht war einfach zu schrecklich! Und wohin willst du überhaupt gehen?“

Tristan antwortete: „Die Nacht war wirklich schlimm. Aber es ist doch niemandem geholfen, wenn ihr hier herumsitzt und gemeinsam Trübsal blast, oder? In der Nähe des Sukalberges wurde ein Einhorn gesehen. Ich werde auf jeden Fall hinlaufen und schauen, ob ich es finden kann. Kommt doch mit, damit ihr endlich auf andere Gedanken kommt!“

Die Freundinnen guckten sich gegenseitig an. Eigentlich hatte Tristan recht: Mit Trübsalblaserei konnten sie die Nacht auch nicht ungeschehen machen. Es würde ihnen guttun, ein wenig abgelenkt zu werden. Außerdem waren Einhörner sehr seltene Geschöpfe, die man nur mit äußerst viel Glück zu Gesicht bekam, wie Sophie Mia rasch erklärte. Daher entschieden die Mädchen und die Elfe, sich dem Jungen tatsächlich anzuschließen.

Hurtig liefen sie die schmale Wendeltreppe nach unten und öffneten die Tür.

„Na also!“, sagte Tristan lächelnd. „Kommt, wir müssen uns beeilen, sonst ist das Einhorn längst über alle Berge, bis wir angekommen sind!“

Er drehte sich um und ging schnellen Schrittes einen der schmalen Pfade entlang, die von Lindaras Haus abgingen. Die drei Freundinnen folgten ihm aufgeregt.

In Windeseile legten die vier eine weite Strecke zurück. Es ging mal über breitere, mal über sehr schmale Waldwege. Manche von ihnen wurden sehr selten benutzt und waren daher extrem verwildert. Die kleine Gruppe musste nicht selten über umgestürzte Bäume steigen und durch dichte Hecken kriechen.

Während des beschwerlichen Weges dachte Mia darüber nach, dass also auch Einhörner wirklich existierten. Woher die Autoren von den Geschichten, in denen Zwerge, Feen, Einhörner und dergleichen vorkamen, wohl gewusst hatten, wie diese Wesen aussahen? Ob sie den Magischen Wald auch einmal besucht hatten?

Jäh wurde Mia aus ihren Gedanken gerissen, als Tristan plötzlich seine Schritte verlangsamte. Sie waren an einer großen Lichtung angekommen, in deren Hintergrund ein felsiger Berg in die Luft ragte.

„Der Sukalberg!“, sagte Tristan. „Hier irgendwo in der Nähe ist das Einhorn gesichtet worden! Lasst uns über die Lichtung gehen und am Berg danach Ausschau halten!“

Gesagt, getan. Während ihres Marsches über die Wiese stöberte die Gruppe allerlei Tiere wie Rehe, Füchse, Hasen und sogar Wildschweine auf. Ein Einhorn war aber nicht darunter.

Allerdings hatten die Kinder und die Elfe sich auch wenig Hoffnung gemacht, das seltene Wesen mitten auf einer Lichtung zu sehen. Sie vermuteten es eher im Schutz der Bäume oder Büsche am Fuß des Berges.

Hinter der großen Wiese gelangte die kleine Gruppe in eine schmale Schlucht. Rechts und links ragten hohe Felsen empor. Diese waren von unzähligen Kletterpflanzen überwuchert. Vielleicht würden sie das Einhorn hier entdecken?

So lautlos wie möglich schlichen sie die Schlucht entlang. Bevor sie abbogen, spähten sie zuvor jedes Mal vorsichtig um die Ecken. Außerdem unterhielten sie sich höchstens leise flüsternd.

Doch es verstrich eine längere Zeit, ohne dass auch nur die geringste Spur eines Einhorns zu sehen war.

„Sollen wir weitersuchen oder aufgeben?“, fragte Sophie schließlich, nachdem sie erfolglos fast den ganzen Berg umrundet hatten.

„Psst!“, machte Mia. Gerade hatte sie eine fremde Stimme vernommen. Sie war tief und klang gutmütig, aber auch wie aus weiter Ferne. Mia meinte die Worte „Kommt! Kommt her zu mir!“, verstanden zu haben.

Sie fragte die anderen: „Wer war das?“

Sophie, Lindara und Tristan schauten sie verständnislos an.

„Was meinst du?“, fragte die Elfe.

Verwirrt antwortete Mia: „Na, die Stimme, die nach uns ruft! Sie war recht leise, vielleicht konntet ihr sie deshalb nicht hören!“

Kaum hatte sie den Satz beendet, vernahm sie den Ruf erneut. „Kommt! Kommt her zu mir!“

Sie schaute ihre Freunde an, sah aber an deren Gesichtern, dass sie immer noch nichts bemerkt hatten.

Mia war zwar verwundert darüber, die Einzige zu sein, die die Stimme hörte, konnte aber nicht anders, als ihr zu gehorchen. Ihre Füße liefen fast ohne ihr Zutun in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war.

Tristan versuchte, sie am Arm festzuhalten. „Bleib besser hier!“, sagte er. „Wer weiß, wen oder was du da gehört hast!“

Auch Sophie und Lindara schauten beunruhigt drein.

Aber Mia war sich in ihrem Inneren sicher, dass von dem Besitzer dieser Stimme keine Gefahr ausging. Und genau das teilte sie auch ihren Freunden mit.

Diese waren zwar nicht wirklich überzeugt, aber weil Mia sich nicht davon abbringen ließ, dem Ruf zu folgen, sahen sie sich trotzdem gezwungen mitzukommen. Schließlich konnten sie Mia nicht alleine gehen lassen!

Mia lief am Fuß des Sukalberges entlang, bis ein kleiner, unscheinbarer Pfad nach links abzweigte. Die Stimme, die immer eindringlicher und lauter wurde, schien vom Ende dieses kleinen Weges zu kommen.

Die Kinder und die Elfe folgten dem Pfad, bis sie auf eine hohe Felswand stießen. Hier ging es nicht mehr weiter.

Mia dachte schon, sie sei an der falschen Stelle abgebogen, und wollte bereits umkehren, als sie plötzlich sah, wie sich aus der Felswand auf wundersame Weise ein riesiges Gesicht zu formen begann. In diesem Moment war sie sich sicher, den Besitzer der geheimnisvollen Stimme gefunden zu haben.

Mia und die Schattenwölfe

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