Читать книгу Mia und die Schattenwölfe - Corina Sawatzky - Страница 8

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Ein Tag am Nymphsee

Es versprach ein fantastischer Tag zu werden. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel herab und schon am frühen Morgen war die Temperatur angenehm warm.

Sophie öffnete das Fenster weit und rief: „Mia, heute müssen wir unbedingt baden gehen!“

Mia hatte überhaupt nichts dagegen. Sie liebte Wasser, und was gab es Herrlicheres, als sich an einem heißen Sommertag in die kühlenden Fluten zu stürzen?

Mia überlegte sich, ob es hier im Magischen Wald wohl ein Schwimmbad gäbe, und fragte Sophie danach.

Ihre Cousine antwortete: „Nein, ein Schwimmbad gibt es hier nicht. Viel besser – wir haben einen wunderbaren See, der nur ungefähr eine halbe Stunde von hier entfernt ist! Er wird dir mit Sicherheit gefallen!“

Die Mädchen zogen sich schnell an und gingen ins Badezimmer.

Mia grüßte das Klo mit einem schüchternen Nicken. Mittlerweile kam es ihr schon fast normal vor, dass Toiletten sprechen konnten.

Durch Mias Freundlichkeit war das Klo milde gestimmt und wesentlich höflicher als bei ihrer ersten Begegnung. Es bedankte sich sogar, nachdem Mia und Sophie seinen Durst gelöscht hatten!

Als die Cousinen in die Küche kamen, war Tante Anna wie üblich schon dort am Werkeln.

Sophie gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange.

„Guten Morgen, Mama. Mia und ich möchten heute gerne baden gehen. Du hast doch bestimmt nichts dagegen, oder?“

Tante Anna seufzte: „Ich hatte schon etwas in der Art befürchtet. Kein Wunder, dass ihr das tolle Wetter ausnutzen wollt. Aber heute Nacht ist Vollmond und am liebsten würde ich euch den ganzen Tag zu Hause behalten, um sicherzugehen, dass ihr bei Einbruch der Dunkelheit ganz sicher hier seid.“

Sophie holte tief Luft, um empört und lautstark zu demonstrieren, doch ihre Mutter hob beschwichtigend die Hand und sagte: „Ich weiß doch, dass ich das nicht machen kann. Und ich weiß auch, dass ich mich darauf verlassen kann, dass ihr pünktlich zu Hause seid. Aber ich mache mir eben einfach schreckliche Sorgen!“

Mia und Sophie guckten Tante Anna verständnislos an. Das sah ihr doch gar nicht ähnlich – warum wollte sie die Mädchen plötzlich nicht durch den Wald ziehen lassen?“

Die Hexe seufzte erneut und sah dabei wirklich sehr ernst aus. „Ihr fragt euch, was auf einmal in mich gefahren ist, nicht wahr? Ich beunruhige euch nur ungern, aber nun komme ich nicht länger darum herum, es euch zu erzählen. Sophie, lass mich Mia kurz etwas erklären, damit sie alles Weitere auch versteht.“

Besorgt lauschten die Mädchen Tante Anna, als diese, an Mia gewandt, fortfuhr: „Unter dem Magischen Wald existiert noch ein anderes Land – das Reich der Unterirdischen. Es gibt ein Tor zwischen den beiden Ebenen, welches normalerweise gut verschlossen ist, sodass die Unterirdischen nicht zu uns gelangen können. Das ist auch gut so, denn die Kreaturen, die dort leben, sind abgrundtief böse. Der Herrscher dieses Reiches heißt Taragonn und seine Untertanen sind die Schattenwölfe.“

Nun richtete sie ihre Worte wieder an beide Mädchen: „In letzter Zeit hat das Tor zwischen den beiden Ebenen eine Schwachstelle bekommen, die es den Schattenwölfen erlaubt, den Magischen Wald in Vollmondnächten zu betreten. Schon zweimal konnten diese üblen Kreaturen inzwischen hierherkommen. Sie schnappten sich alle Waldbewohner, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten, und nahmen sie als Sklaven mit ins Reich der Unterirdischen. Das ist ein schreckliches Schicksal!“

Mia fuhr es eiskalt durch die Glieder. Wie furchterregend sich das alles anhörte! Wenn sie nur daran dachte, als Sklavin in ein unterirdisches Reich verschleppt zu werden, stocke ihr vor Angst schier der Atem. Allein der Name „Schattenwolf“ ließ Mia schaudern. Er klang ungemein bedrohlich.

Auch Sophie war bei den Ausführungen ihrer Mutter bleich geworden. Nun fragte sie mit zitternder Stimme: „Und was meinst du mit ‚in Sicherheit bringen‘? Wohin gehen wir in der Nacht?“

Tante Anna legte den beiden Kindern beruhigend jeweils eine Hand auf die Schulter und antwortete: „Wir bleiben hier im Haus und ich werde Schutzzauber rundherum errichten. Diese werden die Schattenwölfe fernhalten. Ihr braucht keine Angst zu haben – wir sind hier in Sicherheit. Es ist nur sehr, sehr wichtig, dass ihr rechtzeitig zu Hause seid. Das Tor zum Reich der Unterirdischen beginnt sich bei Anbruch der Dämmerung zu öffnen. Wenn ihr am frühen Abend zurückkommt, haben wir noch ausreichend Zeit, die nötigen Vorbereitungen zu treffen, und ich werde beruhigt sein.“

Zuerst überlegten Mia und Sophie, ob sie nicht tatsächlich den ganzen Tag lang zu Hause bleiben sollten. Aber dann kamen sie zu dem Entschluss, dass niemandem geholfen wäre, wenn sie hier herumsitzen und bang auf den Abend warten würden. Da war es doch definitiv besser, den Tag zu nutzen und ein bisschen Spaß zu haben!

Also verdrängten sie die Gedanken an die kommende Nacht und packten ihre Badesachen. Tante Anna bereitete ihnen einen großen Picknickkorb zum Mitnehmen vor. Er war voll beladen mit leckeren Sachen und demnach recht schwer. Daher wechselten die beiden Mädchen sich mit dem Tragen ab.

Lindaras Baumhaus lag auf dem Weg zum See, was äußerst praktisch war. Mia und Sophie wollten die Elfe nämlich ohnehin fragen, ob sie nicht ebenfalls Lust zum Baden habe.

Als sie in Richtung Lindara aufbrachen, war ihnen zunächst nicht zum Reden zumute. Jedes der Mädchen grübelte für sich über die kommende Nacht nach.

Doch das Vogelgezwitscher und der helle Sonnenschein vertrieben nach und nach alle trüben Gedanken, sodass Mia und Sophie schon wieder fröhlich plauderten, als sie an dem Haus der Elfe ankamen.

Sie zogen an der Schnur neben der Tür im Baumstamm und wieder erklang das feine Glöckchenläuten. Kurze Zeit später beugte Lindara sich über die Brüstung der Laube und rief erfreut hinunter: „Oh! Ihr seid es! Ich hatte gehofft, dass ihr heute vorbeischauen würdet!“

Sophie rief zurück: „Wir hatten es doch schließlich versprochen! Hast du Lust, mit zum See zu kommen? Es wird heute sehr heiß! Und wir haben einen großen Picknickkorb dabei, von dem wir locker zu dritt satt werden!“

Die Elfe strahlte sie vom Baum herab an. „Das ist eine hervorragende Idee! Wartet, ich packe schnell meine Sachen und komme zu euch hinunter!“

Die Mädchen mussten nicht lange warten. Innerhalb kürzester Zeit war Lindara fertig und öffnete die Tür des Baumes.

„Ich habe uns zwei Flaschen Rosenlimonade eingepackt“, verkündete sie fröhlich.

Und schon machten die drei Freundinnen sich auf den Weg zum See.

Von dem Haus der Elfe aus schlugen sie einen kleinen verschlungenen Pfad ein, der richtig verwunschen aussah. Mia fühlte sich wie in dem Märchen von Dornröschen. Fast erwartete sie, hinter der nächsten Biegung ein rosenumranktes Schloss zu sehen.


Stattdessen entdeckte Mia kurze Zeit später am Wegesrand einen riesigen Pilz, in dessen Stamm sich eine Tür und mehrere Fenster befanden. Der Hut des Pilzes bildete das Dach des ungewöhnlichen Hauses.

„Hier wohnt der Zwerg Gurzel“, informierte Lindara Mia.

Vor dem niedlichen Pilzhäuschen stand eine Bank und auf dieser wiederum saß ein kleiner Mann. Er hatte einen langen grauen, verzottelten Bart und ebenfalls langes graues Haupthaar, welches ihm lose über den Rücken fiel. Zwar war der Zwerg keinesfalls größer als einen halben Meter, aber dafür war er sehr kräftig gebaut. Richtig stämmig sah er aus! In seinem Mundwinkel steckte eine Pfeife, aus der sich Rauch emporschlängelte. Gerade zog der Zwerg genüsslich daran. Dann bemerkte er die Mädchen und die Elfe und ein Lächeln stahl sich auf sein faltiges Gesicht.

„Welch hübscher Anblick für meine altersschwachen Augen!“, rief er jovial. „Kommt doch ein Stückchen näher heran, damit ich nicht so schreien muss!“

Mia, Sophie und Lindara traten näher und grüßten den alten Zwerg.

„Seid ihr unterwegs zum Nymphsee?“, erkundigte er sich nun.

Sophie nickte.

„Dann seht aber zu, dass ihr vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause seid, hört ihr? Es wird eine gefährliche Nacht!“

Augenblicklich wurde die Stimmung düsterer.

„Ach herrje! Ich wollte euch hübschen Täubchen die Laune nicht verderben!“, rief Gurzel aus. „Kann ich euch vielleicht mit einem Becher Tannenbier wieder aufmuntern?“

Die Mädchen und die Elfe lehnten dankend ab. Tante Anna würde es bestimmt nicht gerne sehen, wenn ihre Tochter und Nichte Bier tränken, dachte Mia. Außerdem hatten sie es eilig, zum See zu kommen und den Tag dort zu genießen, ohne ständig an die kommende Nacht erinnert zu werden.

Also verabschiedeten sie sich höflich von dem Zwerg und zogen dann weiter.

Nun war es nicht mehr weit. Nach drei weiteren Wegbiegungen sah Mia ein verheißungsvolles Glitzern zwischen den Bäumen.

Die drei Freundinnen traten auf eine große Lichtung. In ihrer Mitte erstreckte sich ein herrlich klarer, blauer See, der zum Teil umsäumt war von einer saftig grünen Wiese. An den übrigen Stellen türmten sich an seinem Rand große Steinblöcke auf. An der rechten Seite ging es eine steile Felswand hinauf und genau von dieser ergoss sich ein kleiner Wasserfall in den See. Es war wunderschön – viel besser als jedes Freibad, das Mia kannte!

Sie folgte Sophie und Lindara, die bereits dabei waren, auf der saftigen Wiese ihre Handtücher auszubreiten.

Alle drei ließen sich darauf nieder, um sich erst einmal von dem Marsch zu erholen. Lindara holte die Rosenlimonade aus ihrer Tasche hervor und bot den Mädchen davon an.

Mia nahm einen tiefen Schluck und schloss genießerisch die Augen. Das Getränk schmeckte erfrischend und ungemein lecker. Es prickelte angenehm auf der Zunge und löschte ihren Durst innerhalb kürzester Zeit.

Erfrischt ließ Mia die hier herrschende Atmosphäre auf sich wirken.

Die Vögel zwitscherten und trillerten rings um den See, der Wasserfall rauschte monoton vor sich hin, und ab und zu hörte man einen Kuckuck rufen. Die Stimmung war so friedlich und beruhigend, dass Mia, Sophie und Lindara rasch wieder guter Laune waren.

Sie erzählten sich gegenseitig, was sie am gestrigen Tag erlebt hatten, tranken Rosenlimonade und räkelten sich währenddessen wohlig in der Sonne.

Bald war ihnen so heiß geworden, dass sie beschlossen, sich im See abzukühlen. Sie zogen ihre Badeanzüge an und machten einen Wettlauf ins Wasser.

Dann planschten sie ausgelassen und ließen sich vom Wasserfall den Rücken massieren.

Lindara hatte als Erste genug von dem festen Wasserstrahl und rief den Mädchen fröhlich zu: „Wer zuerst auf der anderen Seite ist!“

Mia und Sophie ließen sich nicht zweimal bitten und nahmen das Wettschwimmen an. Doch natürlich erreichte die Elfe, die einen beachtlichen Vorsprung hatte, als Erste die große Felsformation an der gegenüberliegenden Seeseite. Das konnten die beiden Mädchen natürlich nicht auf sich sitzen lassen! Und so folgten dem ersten noch etliche weitere Wettschwimmen, bis die drei vollkommen außer Puste waren. Vergnügt, aber zugleich völlig erschöpft, verließen sie das Wasser und streckten sich auf ihren Handtüchern aus. Während sie sich von den warmen Sonnenstrahlen trocknen ließen, aßen sie belegte Brote aus Tante Annas Picknickkorb.

Der volle Bauch und die Hitze machten Mia sehr schläfrig. Sie linste zu den anderen hinüber und stellte fest, dass auch deren Augen geschlossen waren und sie sich kaum mehr rührten. Beruhigt, nichts zu verpassen, machte Mia ebenfalls die Augen zu und war kurz darauf eingedöst.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie plötzlich jäh aus den Träumen gerissen wurde. Irgendetwas oder irgendjemand riss heftig und schmerzhaft an ihren Haaren.

„Aua!“, rief Mia und fuhr in die Höhe.

Aus den Augenwinkeln sah sie, dass auch Sophie und Lindara aufgesprungen waren und sich an die Köpfe fassten.

Rings um die drei Freundinnen herum hatten sich seltsame Wesen aufgebaut. Sie reichten Mia nur etwa bis zur Mitte ihrer Oberschenkel, hatten aber einen unheimlich breiten und massigen Körperbau. Graues, recht zotteliges Fell bedeckte sie fast vollständig und sie bewegten sich auf zwei Beinen vorwärts. Ihre Gesichter hatten menschenähnliche Züge, wenngleich ihnen etwas äußerst Animalisches anhaftete.

In ihren klauenartigen Händen hielten die Wesen lange, spitze Gegenstände, die wie eine Mischung aus Messer und Schere aussahen. An einem dieser Gegenstände entdeckte Mia eine lange Strähne von Lindaras gelocktem Haar. War es das, worauf die furchteinflößenden Kreaturen aus waren? Haare?

Entsetzt fasste Mia sich an den Kopf. Zum Glück spürte sie ihren scheinbar noch vollständigen Zopf zwischen den Fingern. Wahrscheinlich hatten diese Biester erst einzelne Strähnen erwischt.

Trotzdem hielt sich Mias Erleichterung in Grenzen, denn die Fellwesen rückten bedrohlich grummelnd immer näher an die Mädchen und die Elfe heran. Dabei funkelten ihre gelben Augen gierig.

„Bleibt dicht beieinander! Das sind Fellgnome, die es auf unsere Haare abgesehen haben!“, rief Lindara.

Die drei Freundinnen stellten sich Rücken an Rücken auf und beobachteten ängstlich die Gnome, die immer näher kamen. Sie klapperten drohend mit ihren Messern oder Scheren, oder was auch immer sie da in den Klauen hielten, und schielten nach den Köpfen der drei Gefährtinnen.

Verzweifelt blickte Mia sich um. Gab es denn nichts, womit sie sich gegen diese fiesen Geschöpfe wehren konnten?

Sie hörte, dass auch der Atem der beiden anderen schneller ging, und verlor den Mut. Wenn schon sie, die hier in dem Wald heimisch waren, nicht wussten, wie man sich die Gnome vom Leib halten konnte, dann gab es wohl kein wirkungsvolles Mittel gegen die Biester. Mia war kurz davor zu verzweifeln. Doch da hörte sie auf einmal ein wildes Gebrüll, welches sich rasch näherte.

Ein Junge, etwa in ihrem Alter, rannte auf die Gruppe aus Gnomen, Menschen und der Elfe zu. Dabei schwang er etwas, das an eine biegsame Holzpeitsche erinnerte, und brüllte aus voller Kehle.

„Tristan!“, schrie Sophie hoffnungsvoll.

Die Fellgnome quiekten erschrocken auf und stoben in alle Richtungen davon. Einer von ihnen war allerdings nicht schnell genug und wurde von der Holzpeitsche des Jungen getroffen. Er warf sich auf den Boden und wälzte sich unter noch lauterem Quieken hin und her.

„Schert euch davon, ihr widerwärtigen Biester!“, rief der Junge und verfolgte die fliehenden Gnome ein paar Schritte weit.

Als sich auch der, der von der Peitsche getroffen worden war, aufgerappelt hatte und davongelaufen war, gab der Junge die Verfolgung auf und kam zu Mia, Sophie und Lindara herüber.

„Puh – da habt ihr aber Glück gehabt, dass ich in der Nähe war! Das war ganz schön knapp!“, sagte er, noch etwas außer Atem.

„Tristan!“, seufzte Sophie erleichtert. Ihre Stimme war zittrig und sie hatte feuchte Augen. Der Schreck saß ihr, genau wie Mia und Lindara, tief in den Gliedern.

„Es waren einfach viel zu viele! Wir sind wohl eingedöst und als wir aufwachten, waren wir schon von ihnen umzingelt. Es war schrecklich! Danke, dass du uns gerettet hast!“

Der Junge, der offensichtlich Tristan hieß, grinste schelmisch. Er machte eine übertrieben tiefe Verbeugung vor den Mädchen und der Elfe und sagte mit näselnder Stimme: „Stets zu Diensten, die Damen.“

Mia musste schmunzeln. Langsam hatte sie sich von ihrem Schrecken erholt und betrachtete den Jungen genauer. Er war etwa einen halben Kopf größer als sie, schlank gebaut, hatte braunes Haar und ebenfalls braune Augen. Um seine Nase herum waren ein paar kleine Sommersprossen zu sehen, welche ihm ein kesses Aussehen verliehen.

Er schien nicht so hochnäsig oder albern zu sein wie viele Jungs aus Mias Klasse, sondern redete mit ihnen, als sei es gar nichts Peinliches, mit Mädchen zu sprechen. Das machte ihn Mia auf Anhieb sympathisch.

„Hi, ich bin Tristan“, sagte er nun zu Mia.

Sophie ergänzte: „Wir haben dir schon von ihm erzählt. Er ist der Sohn des Erfinders, der letztens das Gartenhaus in die Luft gesprengt hat.“

Tristan nickte halb belustigt und halb ernst. „Ja, das war eine aufregende Geschichte“, sagte er. „Und wenn mich nicht alles täuscht, bist du Sophies Cousine. Sophie hat schon viel von dir erzählt. Du heißt Mia, oder?“

Mia nickte bestätigend.

„Findet ihr nicht auch, wir hätten uns nach dem ganzen Schrecken einen Imbiss verdient?“, klinkte Lindara sich in das Gespräch ein.

Jetzt merkten auch die Mädchen, dass sie einen Bärenhunger hatten, und Tristan schien einem leckeren Happen ebenfalls nicht abgeneigt zu sein.

Die Kinder und die Elfe ließen sich auf ihren Handtüchern nieder und packten die Reste aus dem Picknickkorb aus. Hungrig machten sie sich über die noch übrigen Brote her. Danach aßen sie den kleinen Schokoladenkuchen, den Tante Anna ihnen ebenfalls mitgegeben hatte.

Währenddessen erzählte Tristan, warum er in der Nähe gewesen war: „Mein Vater hatte mich gebeten, nach einem bestimmten Pilz zu suchen, den er für eines seiner Experimente braucht. Also bin ich durch den Wald gestreift und war gerade hier in der Nähe, als ich einen Schrei gehört habe. Ich bin schnell in die Richtung gelaufen, aus der er kam, und habe gesehen, wie die Fellgnome euch umzingelt haben. Zum Glück ist mir eingefallen, dass Gnome riesige Angst vor Birkenzweigen haben. Wenn sie damit in Berührung kommen, brennt es auf ihrer Haut wie Brennnesseln bei uns – nur noch hundertmal schlimmer. Ich habe mir also schnell eine Birke gesucht, habe einen langen Ast von ihr abgebrochen und bin zu euch gerannt. Den Rest kennt ihr ja selbst.“

Tristan erzählte seine Geschichte mit einer Bescheidenheit, die Mia imponierte. Jeder andere Junge, den sie kannte, hätte sich unglaublich aufgespielt und sich als Superhelden dargestellt. Tristan dagegen machte gar keine große Sache aus seiner Rettungsaktion. Er wurde Mia immer sympathischer.

„Aber was wollten diese Gnome eigentlich mit unseren Haaren?“, fragte sie in die Runde.

Lindara antwortete ihr: „Der Häuptling der Fellgnome hasst seine eigenen grauen Haare. Deshalb hat er seine Untertanen damit beauftragt, ihm Perücken und Umhänge aus Menschen- und Elfenhaar anzufertigen. Am liebsten würde er jede Woche neue tragen. Mal aus blondem, mal aus rotem, mal aus braunem oder schwarzem Haar. Daher wollten die Biester auf uns losgehen – sie wollten uns die Haare abschneiden. Fellgnome sind abscheuliche, feige Wesen – alleine würden sie sich niemals an eine von uns heranwagen. Aber wenn sie sich zusammengerottet haben und ihre Opfer für wehrlos halten, können sie zu einer echten Bedrohung werden. Beim nächsten Mal passen wir einfach etwas besser auf. Schließlich können wir nicht darauf vertrauen, dass uns jedes Mal ein Retter zu Hilfe eilt!“

Beim letzten Satz zwinkerte sie Tristan lächelnd zu.

Da fiel Mia etwas ein und sie fragte den Jungen: „Hast du eigentlich diesen Pilz, den du für deinen Vater besorgen solltest, schon gefunden?“

Tristan schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde wohl gleich noch mal auf die Suche gehen müssen.“

„Dann lass uns dir doch helfen!“, schlug Mia vor. Sie fand, ein kleines Dankeschön wäre angebracht.

Sophie und die Elfe stimmten sofort zu. Auch sie wollten sich für Tristans Hilfe erkenntlich zeigen.

Sophie schlug vor, jeder der vier solle in eine andere Richtung gehen und nach dem Pilz suchen. Mia war das zunächst gar nicht recht, weil sie Angst hatte, die Fellgnome könnten erneut über sie herfallen.

Aber Sophie beruhigte sie: „Du brauchst keine Angst zu haben – es sind wirklich feige Wesen. Und solange du nicht schlafend auf dem Boden liegst oder etwas in der Art, werden sie sich nicht noch einmal an dich herantrauen. Aber wenn du dich besser fühlst, kannst du einfach den Birkenzweig mitnehmen.“

Das war ein guter Vorschlag, fand Mia. Mit dem Zweig in der Hand fühlte sie sich einfach sicherer.

Nun blieb nur noch zu klären, wonach sie überhaupt suchen mussten.

Tristan beschrieb ihnen den Pilz: „Es muss ein etwa handgroßes, rosafarbenes Gewächs mit lila Punkten darauf sein.“

„Ah! Du meinst den Schwibbelpilz!“, sagte Lindara. „Den kenne ich! Er wächst bevorzugt unter Tannenbäumen. Schaut also vor allem dort nach! Wer als Erster einen findet, kehrt zum See zurück und ruft die anderen.“

Die drei Kinder und die Elfe gingen nun in unterschiedliche Richtungen davon.

Mia war anfangs etwas mulmig zumute und ängstlich hielt sie eher nach Fellgnomen als nach Pilzen Ausschau. Mit der Zeit aber entspannte sie sich und wurde offener für ihre Umgebung. Der Wald war einfach wunderschön. Es gab so viele für Mia unbekannte Blumen und andere Gewächse zu bestaunen, und sie genoss die geheimnisvolle Atmosphäre um sich herum in vollen Zügen. Trotzdem achtete sie darauf, sich nicht allzu weit von dem See zu entfernen, um sich nicht zu verirren.

Es dauerte gar nicht lange, da hörte Mia einen Ruf. Er schien der Stimme nach von Lindara und aus der Richtung zu kommen, in der der See lag. Mia nahm an, die Elfe habe einen Schwibbelpilz gefunden, und machte sich auf den Rückweg.

Als sie am Nymphsee ankam, winkte Lindara ihr zu. Sie hielt nicht nur einen, sondern gleich vier Exemplare des Gewächses in der Hand.

Mia wunderte es nicht, dass Lindara diejenige gewesen war, die die Pilze gefunden hatte. Schließlich schien sie sich im Wald auszukennen wie in ihrer eigenen Westentasche.

Kurz nach Mia kehrten auch zuerst Sophie und dann Tristan zu ihrem Treffpunkt zurück. Der Junge freute sich sehr über Lindaras Fund.

„Da wird mein Vater aber begeistert sein!“, sagte er.

Die Elfe überreichte ihm die Gewächse lächelnd, schaute dann zum Himmel und sagte: „Ich denke, es wird langsam Zeit, dass wir alle nach Hause zurückkehren. Bis zur Dämmerung dauert es zwar noch etwas, aber sicher ist sicher. Außerdem werde ich die Nacht bei meinen Verwandten verbringen. Und bis dorthin ist es ist ein gutes Stück weiter als zu meinem eigenen Haus.“

Die Kinder stimmten ihr zu. Niemand wollte riskieren, nicht rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit in Sicherheit zu sein.

Da zunächst alle in die gleiche Richtung gehen mussten, machten sie sich gemeinsam auf den Weg.

Während sie den verschlungenen Pfad entlangliefen, stellten die vier fest, dass der Wald ungewohnt still geworden war.

Lindara kommentierte diesen Umstand mit den Worten: „Die meisten Waldgeschöpfe suchen heute Nacht, genau wie ich, Sicherheit bei Verwandten oder Freunden, die Schutzzauber wirken können. Ich denke, dass viele von ihnen sich schon auf den Weg gemacht haben.“

Mia überkam plötzlich ein Frösteln. Den ganzen Tag lang war es fast unerträglich heiß gewesen, aber nun meinte sie, einen kalten Windhauch zu spüren. Zuerst dachte Mia, sie bilde sich das nur ein, aber dann entdeckte sie auch bei den anderen eine Gänsehaut. Es wurde wirklich höchste Zeit, nach Hause zu kommen!

Die vier beschleunigten ihre Schritte. Jeder von ihnen spürte, dass Unheil in der Luft lag, und wollte nun nicht länger trödeln.

Tristan verabschiedete sich als Erster von der Gruppe.

„Komm gut nach Hause!“, rief Sophie ihm hinterher.

Nach ein paar Minuten trennte sich auch die Elfe von den Mädchen. Lindara musste den Pfad nach links einschlagen, Sophie und Mias Heimweg dagegen führte weiter geradeaus.

Eiligen Schrittes legten die Cousinen den restlichen Weg nach Hause zurück. Als sie vor der Tür standen, schnüffelte diese erst in ihre Richtung und sprach dann: „Fräulein Sophie und Fräulein Mia! Die Hausherrin wird froh sein, dass ihr zurück seid! Tretet ein!“

Das ließen die beiden sich nicht zweimal sagen, denn das gemütliche Holzhäuschen versprach eine sichere Zuflucht vor der unheimlichen Atmosphäre des Waldes zu sein.

Mia und die Schattenwölfe

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