Читать книгу Mia und die Schattenwölfe - Corina Sawatzky - Страница 7

Оглавление

Markttag

Der Markt wurde bereits früh am Tag eröffnet. Weil Tante Anna pünktlich dort sein wollte und der Weg recht weit war, mussten die Mädchen sehr zeitig am Morgen aufstehen. Tante Anna riss die beiden mitten aus ihren Träumen, als sie in das Zimmer der Kinder kam, um diese zu wecken.

Schlaftrunken wankten sie ins Badezimmer, um sich fertig zu machen. Die Toilette war im Gegensatz zu Mia und Sophie hoch erfreut, an diesem Morgen nicht lange auf ihr Frühstück warten zu müssen.

Tante Anna hatte bereits am Vorabend Brötchen für die Fahrt vorbereitet, um am Morgen Zeit zu sparen. Aber als die drei die Kutsche bestiegen hatten und diese sich durch Windipuss’ kräftiges Pusten in Bewegung setzte, war den Mädchen noch nicht nach Essen zumute. Stattdessen lehnten sie ihre Köpfe aneinander, um ein wenig zu dösen.

Erst als die Sonne sie an der Nasenspitze kitzelte, öffnete Mia ihre Augen wieder. Noch etwas verschlafen betrachtete sie die Landschaft, die an ihr vorüberzog. Die Kutsche fuhr immer noch durch dichten Wald. Ab und zu grüßte ein Baum am Wegesrand und Mia, die sich mittlerweile an sprechende Bäume mit Gesicht gewöhnt hatte, grüßte dann freundlich zurück.

„Können eigentlich alle Bäume hier im Magischen Wald sprechen?“, fragte sie ihre Tante.

„Nein, nur ein paar von ihnen. Die meisten sind ganz gewöhnliche Bäume, so wie du sie aus deiner Heimat kennst“, antwortete die Hexe.

„Schau, wir sind nun auch schon gleich an unserem Ziel“, fügte sie kurz darauf hinzu. Und wirklich sah man mittlerweile immer mehr Leute, die zu Fuß und schwer bepackt in die gleiche Richtung unterwegs waren wie Mia, Sophie und Tante Anna. Andere ritten auf Eseln oder Ponys. Wieder andere reisten mit Kutschen, so wie sie selbst.

Kurze Zeit später wurde der Abstand zwischen den Bäumen immer größer. Der Waldweg wurde zu einer schmalen gepflasterten Straße, an deren Seiten kleine, steinerne Häuser standen.

„Das ist Tobelbo, das Dorf, in dem der monatliche Markt stattfindet“, erklärte Tante Anna.

Das Dorf sah sehr urig aus und gefiel Mia auf Anhieb.

Nachdem sie um zwei Kurven gefahren waren, erstreckte sich plötzlich ein weitläufiger Platz vor ihnen – der Marktplatz. Hier brachte Windipuss die Kutsche zum Stehen.

Mia und Sophie halfen Tante Anna, einen kleinen Stand aufzubauen und die Umhänge darauf auszubreiten.

„Die Arbeit eines ganzen Jahres!“, stellte Tante Anna stolz fest.

Dann gab sie den beiden Mädchen zehn Silbertrubbel mit den Worten: „Ihr dürft euch einen schönen Tag machen. Das Geld sollte reichen, dass ihr euch etwas zum Mittagessen und außerdem die eine oder andere Kleinigkeit kaufen könnt. Seht bitte zu, dass ihr pünktlich zum Marktende wieder hier seid!“

Das ließen Mia und Sophie sich nicht zweimal sagen. Sie sausten davon und einigten sich darauf, am unteren Marktende zu starten. Von dort aus wollten sie sich langsam zur anderen Seite hinarbeiten, um keinen einzigen Stand zu verpassen.

Während die Kinder so durch die Reihen schlenderten, wurden Mias Augen immer größer. Dieser Markt war nicht zu vergleichen mit den Märkten, die sie von zu Hause kannte. Hier gab es nicht hauptsächlich Obst und Gemüse, sondern viel interessantere Sachen.

Gerade gingen die Mädchen an einem Stand vorbei, hinter dem eine dicke Frau Haushaltshelfer verkaufte.

„Leute! Macht euch nicht mehr Arbeit als unbedingt nötig!“, rief sie laut in die Menschenmenge. „Diese kleinen Helfer hier machen euch das Leben leichter!“

Sie breitete einen Teppich aus, um einen Staubsauger vorzuführen. Kaum hatte sie einmal in die Hände geklatscht, als das Gerät auch schon begann, den Teppich selbstständig und sorgfältig abzusaugen. Mia staunte. Das würde ihrer Mutter mit Sicherheit auch gefallen!

Aber der Staubsauger war bei Weitem noch nicht alles! Die Frau verkaufte außerdem Kochlöffel, die sich ununterbrochen im Topf bewegten und dessen Inhalt verrührten, Besen, die wie von Geisterhand kehrten, und Gießkannen, die die Pflanzen selbstständig mit Wasser versorgten.

Eine Weile blieben Mia und ihre Cousine stehen und verfolgten die Vorführung der Frau. Dann gingen sie weiter.

Die nächsten Stände waren nicht weniger spektakulär. Elfen verkauften selbst gemachte Köstlichkeiten wie Löwenmäulchensaft, Veilchenhonig und Efeusirup, die in gläsernen Gefäßen mit ihren außergewöhnlichen Farben und einem unwiderstehlichen Duft die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zogen. Leckereien wie Lavendelkekse, Mooskuchen und Buschrosenbrötchen ließen Mia das Wasser im Munde zusammenlaufen.

Trotzdem beschlossen die Mädchen, ihr Geld zunächst noch nicht auszugeben, und setzten ihren Weg fort.

Als Nächstes kamen sie an eine Auslage, auf der ein Kobold Scherzartikel ausgebreitet hatte. Auch er pries seine Ware lautstark an.

„Meine Furzbonbons bringen jeden, den ihr nicht leiden könnt, in eine äußerst peinliche Situation!“, rief er und hielt Bonbons, die eigentlich ganz harmlos aussahen, in die Höhe. „Erschreckt jemanden mit einem ordentlichen Schockknaller oder gebt euren Nachbarn Pickelkekse! Kommt schon, Leute! Seid keine Langweiler und erlaubt euch mal einen kleinen Scherz!“, spornte er die Umstehenden zum Kaufen an. Aber Mia und Sophie fanden die Scherzartikel des Kobolds deutlich zu derb. Daher gingen sie weiter, ohne etwas davon zu kaufen.

Die nächste Verkaufsfläche dagegen reizte sie sehr. Hier bot eine Elfe handgefertigten Schmuck an. Alles war aus Produkten des Waldes hergestellt und sah wunderschön aus. Es gab Armreife aus kleinen Erlzäpfchen, Haarbänder aus bunten Vogelfedern, Broschen aus bemalten Steinen und vieles mehr. Besonders beeindruckt waren Mia und Sophie von Halsketten aus schillernden Eidechsenschuppen, die kunstvoll auf einen dünnen Silberfaden gereiht waren. Die Cousinen beschlossen, sich jeweils eine Kette zu kaufen, und erstanden beide zusammen für nur zwei Silbertrubbel. Sofort zogen sie sich die Schmuckstücke gegenseitig an und bewunderten sie in einem Spiegel, den die Elfe ihnen hinhielt. Die Ketten schmiegten sich herrlich an den Hals und schimmerten bei jeder Bewegung.

Froh über ihren Kauf, setzten die Mädchen ihren Weg fort.

Unweit von ihnen hatte sich ein Menschenauflauf gebildet. Mia und Sophie wollten wissen, was es dort zu sehen gäbe, und schlängelten sich an den größeren Leuten vorbei, bis sie in der ersten Reihe direkt vor einem Podest standen.

Darauf befand sich ein älterer Mann mit langem, weißen Bart und einem spitzen Hut auf dem Kopf. Vor ihm saß eine Frau mittleren Alters auf einem Stuhl. Sie wirkte angespannt und presste ihre Lippen fest aufeinander.

„Gute Frau, wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie den Mund schon aufmachen!“, sagte der Mann gerade.

„Was geht hier vor?“, fragte Sophie eine Elfe, die neben ihr stand. Diese antwortete, ohne den Blick von dem Podest zu wenden: „Der Magier dort heilt Leute, die einem Fluch zum Opfer gefallen sind. Dieser Frau zum Beispiel wurden schiefe Zähne gehext.“

Mia und Sophie starrten gebannt auf das Podest und warteten, was nun passieren würde. Endlich öffnete die Frau beschämt den Mund und gab den Blick auf eine Reihe gelber, langer und sehr schief stehender Zähne frei. Es war ihr sichtlich peinlich.

Der Magier betrachtete sie genau und kratzte sich dabei nachdenklich den langen Bart. Dann kramte er in einer Truhe, die neben ihm stand, und zog ein langes Holzstück daraus hervor. Er reichte es der Frau und sagte: „Beißen Sie so lange fest darauf, bis ich Ihnen sage, dass Sie loslassen sollen!“

Die Frau befolgte seine Anweisungen und steckte sich das Holzstück in den Mund. Daraufhin hob der Magier die Arme und rief: „Dentes korrekto!“

Ein widerliches Knirschen war zu hören und das Holzstück im Mund der Frau vollführte ruckartige Bewegungen.

Als es wieder zur Ruhe gekommen war, gestattete der Magier der inzwischen bleich gewordenen Frau, den Mund wieder zu öffnen. Sie befühlte sofort ihre Zähne, und auch wenn sie noch ziemlich angeschlagen wirkte, hellte sich ihre Miene umgehend auf. Die Zähne waren auf ihre normale Größe geschrumpft und standen wieder gerade im Mund. Die Frau konnte es zwar nicht sehen, aber auch die gelbe Verfärbung war gänzlich verschwunden.

Mit zitternden Beinen stand sie auf, bezahlte den Magier und wankte von dem Podest.

Sofort stieg der Nächste, der sich hier Hilfe erhoffte, zu dem Heiler hinauf. Es war ein Kobold, der sich lautstark darüber beschwerte, von seinem Nachbarn einen Schwanz angehext bekommen zu haben. Und wirklich befand sich an seinem Gesäß ein gewaltiger Auswuchs. Er war so groß, dass der Kobold ihn nicht in seiner Hose verstecken konnte. Daher hatte der Unglückliche ein Loch in das Kleidungsstück geschnitten, durch welches der Schwanz nun auf den Boden baumelte.

Ein Lachen ging durch die Menschenmenge. Erstens sah das Bild, welches sich hier bot, einfach zu komisch aus und zweitens war sich jeder Anwesende sicher, dass der Fluch den Kobold nicht unverschuldet getroffen hatte. Kobolde erlaubten sich selbst fast ständig derbe Späße und mussten sich daher nicht wundern, wenn es ihnen einmal heimgezahlt wurde.

Der Magier dagegen verzog keine Miene, als der Kobold ihn um Hilfe bat. Stattdessen griff er erneut in seine Truhe und zog ein Säckchen hervor. Darin befand sich ein grünes Pulver, welches knisterte und kleine Funken sprühte.

Der Heiler nahm eine Prise davon zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. Langsam und gleichmäßig streute er nun das Pulver auf den Schwanz des Kobolds.

„Zähne zusammenbeißen!“, sagte er knapp zu seinem Patienten. Im selben Moment ging der Schwanz in grünen Flammen auf und verpuffte kurze Zeit später mit einem leisen Knall. Gleichzeitig war ein Aufschrei aus dem Mund des Koboldes zu vernehmen.

Grüne Rauchschwaden waberten noch einen Augenblick lang über den Boden. Als sie sich verzogen hatten, konnte man sehen, dass der unerwünschte Schwanz verschwunden war. Doch anstatt dankbar zu sein, schlug der Kobold beide Hände auf sein Hinterteil und fluchte lautstark: „Aua! Verdammt noch mal!“

Die Menschenmenge lachte erneut. Ärgerlich funkelte der Kobold in die Runde. „Schadenfrohes Pack!“, fauchte er die umstehenden Leute an. Dann bezahlte auch er den Heiler und verschwand von der Bühne. Dabei bedeckte er mit einer Hand das Loch in seiner Hose, aus dem noch bis vor Kurzem der lange Schwanz geragt hatte.

Als Nächstes war ein junger Mann an der Reihe, dem unglaublich buschige schwarze Haare aus beiden Ohren wuchsen.

Der Magier wies ihn nach kurzem Überlegen an, einen Handstand zu machen. Zwei kräftige Burschen aus der Zuschauermenge eilten herbei, um ihn dabei zu stützen. Während der junge Mann nun im Handstand ausharrte, ließ der Heiler sich auf die Knie nieder und bewegte sein Gesicht zu dem rechten Ohr des Patienten. Er machte einen Spitzmund und saugte hörbar die Luft ein. Die buschigen Haare wurden durch den Sog zwischen seine Lippen gezogen, lösten sich aus den Ohren und verschwanden schließlich ganz im Mund des Magiers. Dieser stand auf und spuckte auf den Boden. Zwei blaue, schleimige Klumpen platschen heraus und ein widerwärtiger Gestank nach fauligen Eiern breitete sich aus.

Mia und Sophie hielten sich angeekelt die Nasen zu. Doch sie blieben an Ort und Stelle stehen, um sich das Schauspiel nicht entgehen zu lassen, als der Heiler die Prozedur mit dem linken Ohr des jungen Mannes wiederholte.

Nachdem er die Ohrhaare seines Kunden auf beiden Seiten entfernt und die Bezahlung eingestrichen hatte, verkündete der Magier, dass er nun eine Mittagspause machen würde.

„In einer Stunde behandle ich den Rest von euch, der von einem Fluch geplagt wird“, versprach er.

Die Menschenansammlung zerstreute sich langsam, und auch Mia und Sophie verließen den Platz, um etwas essen zu gehen. Da beiden die Beine vom vielen Gehen und Stehen ein bisschen wehtaten, beschlossen sie, sich in eine Gaststätte zu setzen. Hiervon gab es rings um den Marktplatz einige zur Auswahl.

Eine stach den Kindern besonders in die Augen. Sie hieß Der Hexenkessel und hatte schöne runde Tische, an denen man im Freien sitzen konnte. Mia und Sophie ließen sich seufzend an einem dieser Tische nieder.

An jedem Platz lag eine Speisekarte bereit. Auf der Vorderseite von Mias Karte war ein loderndes Feuer abgebildet, über dem ein Kessel hing. Aus dem Kessel stieg roter Rauch auf.

Mia schlug die Speisekarte neugierig auf. In verschlungener Schrift waren verschiedene Speisen und Getränke aufgeführt, die man hier zu sich nehmen konnte.

Je weiter Mia in der Liste nach unten kam, umso mehr verzog sie das Gesicht. Sie hatte gehofft, ein leckeres Toastbrot, eine Suppe oder eventuell eine Pizza essen zu können. Stattdessen gab es ekelhaft klingende Gerichte wie Feuerquallensandwiches, Froscheieromelettes oder Algeneintopf. Mia schüttelte es bei dem Gedanken, etwas davon zu probieren.

Sie schaute Sophie an. Diese blickte ebenfalls skeptisch drein.

„Hier wird wohl eher traditionelle Küche angeboten“, sagte sie entschuldigend. „Aber ich habe etwas Harmloses gefunden: Hüpfpastetchen! Die kenne ich von meiner Mutter. Sie schmecken lecker und es macht richtig Spaß, sie zu essen.“

Also bestellten beide Kinder die Pastetchen, auch wenn Mia nach wie vor sehr skeptisch war.

Wenigstens die Getränke hörten sich gut an. Zwar gab es auch hier Dinge, die Mia nicht einmal kosten würde, wenn man ihr dafür Geld geben würde, zum Beispiel Krötenbier, Fledermauswein oder Fliegenpilzschorle. Einige andere dagegen klangen sehr lecker. So wie der Holunderblütensprudler, den sie sich bestellte. Sophie entschied sich für eine Walderdbeerenmilch.

Nachdem die beiden Mädchen eine Weile die Sonne genossen und geplaudert hatten, kamen ihre bestellten Speisen.

Mia atmete erleichtert auf, als sie ihren Teller sah. Die Pastetchen, die darauf lagen, sahen recht unverdächtig aus. Ein krosser Teigmantel umhüllte eine Gemüsefüllung, die köstlich duftete. Mias Magen knurrte laut und sie wollte zu ihrem Besteck greifen, um mit dem Essen anzufangen. Dann aber musste sie feststellen, dass die Bedienung wohl vergessen haben musste, welches mitzubringen. Stattdessen lag ein metallenes Stäbchen neben dem Teller.

Mia wollte aufstehen, um nach Besteck für sich und ihre Cousine zu fragen, aber Sophie hielt sie auf.

„Das ist ja gerade das Tolle an Hüpfpastetchen“, erklärte sie. „Du brauchst kein Besteck, um sie zu essen. Sieh her!“

Mit diesen Worten nahm sie das Metallstäbchen und tippte damit den Tellerrand an. Augenblicklich hüpfte eine der kleinen Pasteten vom Teller in Sophies weit geöffneten Mund. Mia beobachtete das Geschehen verblüfft und ihre Cousine lachte ausgelassen.

„Du guckst wie ein Auto! Komm, probier es mal!“

Mia tat es Sophie nun gleich, griff nach dem Stäbchen und tippte damit ihren Tellerrand an. Da diese Essenstechnik so ungewohnt für sie war, vergaß sie einfach, ihren Mund rechtzeitig zu öffnen. Das Häppchen prallte gegen ihre geschlossenen Lippen und verlor beim Aufprall seine Form. Ein Teil der Pastete blieb rund um Mias Mund herum kleben, der Rest platschte zu Boden.

Jetzt konnte Sophie sich kaum mehr vor Lachen halten.

„Das sah zu komisch aus!“, prustete sie vergnügt.

Ihr Lachen war so ansteckend, dass auch Mia kichern musste.

Nachdem die Mädchen sich beruhigt hatten, wischte Mia sich das Gesicht ab und versuchte es erneut. Dieses Mal öffnete sie ihren Mund, bevor sie das Stäbchen benutzte, und siehe da – das Pastetchen landete tatsächlich zielgenau auf ihrer Zunge. Es war sehr lecker und Mia kaute genüsslich.

Als sie den Dreh erst mal raushatte, machte es ihr einen Heidenspaß, die kleinen Köstlichkeiten in ihren Mund hüpfen zu lassen und dann zu essen.

Erst als ihr Teller vollständig leer war, legte sie das Stäbchen beiseite.

„Puh! Jetzt bin ich pappsatt!“, teilte sie ihrer Cousine mit.

„Mir geht es genauso“, antwortete diese. „Ich hätte gerne noch einen Nachtisch gegessen – das Knuspereis soll sehr lecker sein – aber ich kriege beim besten Willen nichts mehr runter. Wir können uns ja auf dem Markt noch etwas Süßes kaufen und es später essen. Was meinst du?“

Mia fand den Vorschlag gut.

Nachdem sie bezahlt hatten, standen sie auf und überlegten, was sie mit ihrer restlichen Zeit anfangen sollten. Sie hatten zwar große Lust, dem Heiler noch weiter zuzuschauen, wie er all diese kuriosen Flüche behandelte, aber sie wollten auch den übrigen Markt noch sehen, um nichts zu verpassen. Letztendlich beschlossen die beiden Mädchen, sich die restlichen Stände anzuschauen.

Zuerst steuerten sie auf eine kugelrunde, freundlich aussehende Frau zu, die eine große Auswahl an Süßigkeiten anbot. Die beiden Mädchen konnten sich zwischen den vielen Leckereien überhaupt nicht entscheiden. Alles hörte sich unerhört verführerisch an. Da gab es zum Beispiel Knisterkaramellbonbons, Sahneschaumküsse, saure Himbeerstangen und Schmelzkekse. Letztendlich entschieden Mia und Sophie sich für ein Tütchen Schokodreher.

Nachdem sie die Marktreihen fast alle abgelaufen hatten und die ausgefallenen Waren und die nicht weniger ausgefallenen Verkäufer bestaunt hatten, merkten sie plötzlich, dass Aufbruchsstimmung aufkam. Der Markt würde bald schließen.

Mia und Sophie wollten gerade kehrtmachen und zu Tante Anna zurückgehen, da hörten sie die Stimme eines Mannes, der seine Ware zu Schnäppchenpreisen anbot. Er teilte den Passanten mit, er habe das Haus seines alten Onkels geerbt und entrümpelt. Alles, was er dort ausgeräumt habe, wolle er nun loswerden und nicht mehr mit nach Hause nehmen müssen. Daher koste jeder Artikel, den man in seinen Kisten fände, jetzt nur noch je einen Silbertrubbel.

Direkt auf der Auslage stand ein Gegenstand, der Sophies Interesse erregte. Er hatte die Form eines großen Vogelhäuschens. Mehr konnte man allerdings nicht erkennen, da ein Tuch darübergedeckt war.

„Was ist das?“, wandte Sophie sich an den Mann.

Dieser antwortete: „Eine Musikwichtelbox. Deck sie ruhig mal auf!“

Sophie kam dieser Aufforderung nur zu gerne nach. Sie zog das Tuch beiseite, und gemeinsam mit Mia betrachtete sie gespannt, was darunter zum Vorschein kam. Eine kleine Gruppe Wichtel saß in einem bunt bemalten Häuschen, welches oben kein Dach hatte. Auf diese Weise konnte man ohne Probleme ins Innere schauen. Eben noch hatten die kleinen Wichtel die Augen zu gehabt und sich nicht gerührt. Doch kaum drang Tageslicht in ihre Wohnstatt, kam Leben in die kleinen Kerlchen. Jeder von ihnen griff zu einem Musikinstrument. Einer der Wichtel gab ein Zeichen, woraufhin alle gleichzeitig begannen, eine flotte Melodie zu spielen. Nur einer von ihnen spielte kein Instrument, sondern sang stattdessen aus voller Kehle. Er hatte eine erstaunlich laute Stimme für ein so kleines Kerlchen!

Mia und Sophie waren entzückt. Die Wichtel waren nicht nur unheimlich niedlich, sondern die Musik, die sie machten, klang auch richtig gut!

„Macht es ihnen denn nichts aus, immer nur in diesem Häuschen zu sitzen?“, wollte Mia besorgt von dem Mann wissen. Dieser winkte beruhigend ab. „Ganz und gar nicht! Wichtel leben nicht gerne in freier Wildbahn und haben meinen Onkel damals sogar gebeten, ihn aufzunehmen. Für sie ist ihr Häuschen ein sicherer Hafen in einer äußersten stürmischen See. Damit meine ich die Welt um uns herum“, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.

Nun war Mia beschwichtigt. Zumal die Wichtel in der Tat einen zufriedenen Eindruck machten.

„Wow!“, sagte Sophie schließlich. „Das nehmen wir meiner Mutter mit! Sie wird bestimmt begeistert sein!“

Sie deckte das Tuch wieder über das Häuschen und augenblicklich herrschte Ruhe darunter. Nur, um sich zu vergewissern, zog sie es noch einmal weg. Wieder begannen die Wichtel sofort zu musizieren. Es war einfach genial! Tante Anna würde sich riesig freuen!

Die Cousinen konnten nun der Versuchung, in den geheimnisvoll aussehenden Truhen des Verkäufers zu stöbern, erst recht nicht widerstehen. Vielleicht gab es darin ja noch mehr solcher wundersamen Dinge!

Die Mädchen förderten viel für sie unbrauchbares Zeug zutage: alte Hüte, Geschirr, Bücher, die uninteressant klangen, und sogar gebrauchte Socken. Die Kinder wollten sich schon enttäuscht abwenden, als Sophie plötzlich einen golden glitzernden Stift hervorzog.

„Ich frage mich, ob es das ist, wonach es aussieht!“, sagte sie zu Mia. „Selbst schreibende Stifte haben meistens den gleichen goldenen Überzug.“

Sie kramte in ihrer Hosentasche und zog schließlich ein Stückchen Papier hervor. Dieses legte sie vor sich auf den Boden. Dann schraubte sie die Kappe von dem Stift ab und legte diesen auf das Papier. Mit deutlicher Stimme sagte sie nun: „Test, Test, Test.“

Und tatsächlich – der Stift richtete sich auf und begann, die drei Wörter in gut lesbarer Schönschrift auf das Papier zu schreiben.

Entzückt schraubte Sophie die Kappe wieder auf den Stift und hielt ihn fest.

„Den nehmen wir auf jeden Fall! Selbst schreibende Stifte sind normalerweise extrem teuer“, sagte sie.

Angespornt von diesem Fund, kramten die Mädchen nun doch noch tiefer in den Truhen.

Mia fiel kurz darauf ein kleiner Tiegel in die Hände. Er war aus schimmerndem Metall gefertigt und mit wunderschönen Schnörkeln verziert. Schon allein wegen seines schönen Aussehens hätte sie ihn gerne gekauft.

Da das Döschen aber recht schwer war, schraubte sie es auf, um sich seinen Inhalt anzusehen. Der Tiegel war bis oben hin mit einer unspektakulär aussehenden Substanz gefüllt. Sie war größtenteils durchsichtig und hatte die Konsistenz einer fettigen Creme.

Mia schnupperte daran, konnte aber keinen Geruch feststellen. Wozu sollte die Creme gut sein? Vielleicht war sie als Körperlotion bestimmt? Mia tauchte einen Finger in die Substanz und holte ein wenig davon heraus. Dann verteilte sie die Creme auf ihrem Handrücken, um festzustellen, ob sie sich gut anfühlte. Erschrocken riss sie die Augen auf: Die Stelle ihrer Hand, die sie eben eingecremt hatte, war verschwunden! Mia frage sich besorgt, was wohl damit passiert sei. Spürte sie nur vor lauter Schreck keinen Schmerz, obwohl sie eine schwerwiegende Verletzung hatte? Sie hatte gehört, so etwas sollte vorkommen. Vorsichtig tastete sie mit der zweiten Hand die betroffene Stelle ab. Zu ihrer unendlichen Erleichterung fühlte sich alles ganz normal an! Da war kein Loch oder dergleichen zu fühlen. Der Handrücken schien zum Glück vollständig und intakt zu sein.

Beruhigt, aber auch sehr verwirrt, tippte Mia Sophie auf die Schulter und zeigte ihr ihre Entdeckung.

Sophies Wangen röteten sich vor Aufregung. „Das hört sich ja so an, als hättest du unsichtbar machende Salbe gefunden!“, wisperte sie. „Lass mal sehen!“

Sie begutachtete mit leuchtenden Augen sowohl Mias Hand als auch den Tiegel.

„Wahnsinn!“, stieß sie dann hervor. „Das ist ein wahrer Schatz! Gib das Gefäß bloß nicht mehr aus den Händen!“

Mia hielt den Tiegel mit einer Hand fest umschlossen. Mit der anderen half sie ihrer Cousine, die letzte Kiste zu durchsuchen. Darin gab es nichts mehr, was die Mädchen kaufen wollten. Aber die drei Sachen, die sie bereits gefunden hatten, waren weit mehr, als sie zu träumen gewagt hätten.

Sie hielten die Gegenstände hoch und fragten den Verkäufer: „Sind Sie sich sicher, dass Sie nur drei Silbertrubbel dafür haben wollen?“

„Ja – jeweils einen, so wie ich es sagte. Ich bin froh, wenn ich den Ramsch los bin!“, antwortete dieser.

Sophie zog mit vor Aufregung leicht zitternden Fingern drei der silbernen Münzen hervor und reichte sie dem Verkäufer. Die beiden Mädchen konnten ihr Glück kaum fassen!

Beschwingt liefen sie mit ihren Errungenschaften zurück zu der Stelle, an der Tante Anna ihren Stand aufgebaut hatte.

Unterwegs einigten sie sich darauf, vorerst niemandem von der Salbe zu erzählen. Man konnte schließlich nie wissen, wozu so ein kleines Geheimnis noch gut sein würde!

In Hochstimmung erreichten sie Tante Annas Stand. Diese war schon damit beschäftigt, die Holzbretter wieder auf die Kutsche zu laden. Mia und Sophie eilten ihr sofort zu Hilfe. Dabei achtete Mia sorgfältig darauf, die unsichtbare Stelle an ihrer Hand stets gut verborgen zu halten.

„Na ihr beiden Hübschen, wie war euer Tag?“, wollte die Hexe wissen. Sie selbst war bester Laune, weil sie sämtliche ihrer Umhänge zu dem gewünschten Preis verkauft hatte.

Die Mädchen strahlten über das ganze Gesicht und versprachen, alles zu erzählen, sobald sie gemütlich in der Kutsche säßen.

Bei dem Wort alles zwinkerten sie sich allerdings verschwörerisch zu.

Die Bretter waren schnell eingeladen. Tante Anna weckte Windipuss, der die ganze Zeit zusammengerollt auf dem Kutschbock geschlafen hatte. Als alle auf ihren Plätzen saßen, fing der sonderliche Wicht zu pusten an und schon rollte die Kutsche heimwärts.

Mia und Sophie berichteten Tante Anna während der Fahrt, was sie den ganzen Tag über gemacht hatten. Auch die Hexe musste schmunzeln, als sie hörte, wie die Hüpfpastete gegen Mias Mund geplatscht war und welch seltsame Flüche der alte Magier hatte heilen müssen.

Sie bewunderte die Halsketten der Mädchen und war ganz aus dem Häuschen, als diese ihr die Musikwichtelbox zeigten, die sie für sie erstanden hatten.

„Das ist ja wunderbar!“, rief sie und klatschte dabei in die Hände. Sofort zog sie das Tuch von dem Häuschen und ließ die Wichtel musizieren.

Während die drei der Musik lauschten, genossen sie die Schokodreher, die Mia und Sophie gekauft hatten. Wie sie schon vermutet hatten, waren die kleinen Kugeln keine normalen Süßigkeiten. Nahm man sie in den Mund, begannen sie sich augenblicklich im Kreis zu drehen und spritzten dabei flüssige Schokolade um sich, bis der ganze Mund voll davon war. Anschließend verpufften sie mit einem schmatzenden Geräusch und gaben dabei einen köstlichen Sahneklecks frei.

Sogar Tante Anna konnte kaum genug davon bekommen!

Die Zeit verflog nur so und als die Kutsche vor dem kleinen Holzhaus hielt, waren alle überrascht.

Tante Anna bot an, noch etwas zum Abendessen zu machen, aber niemand hatte Hunger. Die Schokodreher hatten ihre Bäuche bis zum Rand gefüllt.

Stattdessen konnten die Mädchen es kaum erwarten, hoch in ihr Zimmer zu gehen und die unsichtbar machende Salbe auszuprobieren.

Kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, zog Mia den metallenen Tiegel aus ihrer Tasche. Fast ehrfürchtig betrachteten sie und Sophie das Gefäß. Dann entschlossen sie sich, auszuprobieren, wie lange die Salbe wirkte.

Mias Handrücken war inzwischen wieder vollständig sichtbar geworden, doch keine der beiden hatte während der Kutschfahrt darauf geachtet, wann die Veränderung eingetreten war.

Dabei war es wichtig zu wissen, wie lange die Wirkung der Salbe anhielt. Denn wer konnte schon ahnen, welchen Zweck sie einmal erfüllen sollte?

Also nahm jedes der Mädchen eine Fingerspitze voll Creme aus dem Tiegel. Mia bestrich ihre linke kleine Fußzehe damit, Sophie ein Stückchen von ihrem Bauch.

Beide lachten, als sie sich so anschauten und einfach ein Teil von ihnen zu fehlen schien.

Nachdem Mias Zehe und Sophies Fleck am Bauch unsichtbar geworden waren, schauten die Kinder auf die Uhr.

Eigentlich waren die beiden Cousinen müde, aber jetzt durften sie auf keinen Fall einschlafen. Ansonsten würden sie wieder nicht wissen, wie lange die Salbe wirkte!

Also kuschelten sie sich zwar nebeneinander ins Bett, hielten sich aber gegenseitig wach, indem sie sich abwechselnd selbst ausgedachte Geschichten erzählten.

Zwischendurch überprüften sie immer wieder, ob ihre Körperteile noch unsichtbar waren.

Als Mia nach zwei Stunden ganz herzzerreißend gähnte und auch Sophie ihre Augen kaum mehr offenhalten konnte, ließ die Wirkung der Salbe nach. Es geschah nicht abrupt, sondern fing gerade in dem Moment an, in dem die Mädchen mit halb geschlossenen Augen ihre eingeschmierte Zehe, beziehungsweise ihren Bauch, kontrollierten.

Die betroffenen Körperstellen begannen zunächst leicht zu flimmern. Dann wurde das Flimmern rasch stärker, bis schließlich alles wieder wie gewohnt zu sehen war.

Nun wussten Mia und Sophie, dass die Salbe ungefähr zwei Stunden lang wirkte, und konnten endlich in den lang ersehnten Schlaf sinken.

Mia und die Schattenwölfe

Подняться наверх