Читать книгу Faywood Manor - Corinne Lehfeldt - Страница 7
Kapitel 4
ОглавлениеAm Nachmittag stand Niklas wartend auf dem Bahnsteig. Er war früh dran. Edward war noch nicht da. Niklas versuchte, die Wartezeit zu nutzen, um zu ergründen, was ihn geritten hatte. Was hatte diese Albtraumnacht bloß an sich gehabt, dass sie seinen Entschluss vom Vorabend zersetzt hatte.
Er versuchte sich zu sagen, dass er hier aus reiner Vernunft handelte. Was sollte er denn sonst machen?! Die Ausstellung war ja nun eine zerplatzte Seifenblase, und er sah sich nicht in der Verfassung, sofort einen weiteren Versuch zu unternehmen. Es war so frustrierend, dass er für einen so unglaublichen Misserfolg nicht einmal eine eigene Ausstellung nötig gehabt hatte.
Natürlich hatte er Ben nicht wissen lassen, wohin er wollte und was er vorhatte. Er hatte ihn nur gebeten, die Bilder heimlich in der Versenkung verschwinden zu lassen. So weit, so gut.
Die Fälschung konnte ironischerweise sein erstes und einziges Bild werden, das sich zumindest finanziell auszahlen würde.
Die Fälschung! Er konnte nicht fassen, dass er dieses Wort benutzte, auch wenn es nur in einem stummen Selbstgespräch passierte. Das war so irreal! Fälschungen existierten in einer Welt, die er nie betreten hatte. Gleichzeitig war ihm klar, dass er nicht imstande sein würde, einfach kehrt zu machen und alles wieder zu vergessen. Dazu war er nicht stark genug, nicht genug Künstler.
In Ermangelung besserer Alternativen versuchte er sich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren. Wenn er dies hinter sich gebracht hätte, könnte er sich eine Weile absetzen. Ein Tapetenwechsel erschien ihm jetzt nicht mehr bloß als wünschenswert, sondern als eine Notwendigkeit. Ein WG-Zimmer in einer wenig gefragten Gegend war in einer anderen Stadt sicher auch zu finden. Er würde eine Weile nur malen und hoffen. Wenn nicht, konnte er anschließend immer noch wieder auf die widerwillige, vernünftige Suche nach einem neuen Job wie dem im Café Dingenskirchens gehen. Er war sich nicht einmal sicher, ob er zum nächsten Semester an die Akademie zurückgehen würde. Wozu denn noch?
Er redete sich ein, dass er nur so handelte, weil es vernünftig war, und auch, dass es nichts mit Caroline zu tun hatte. Diese andere, bis jetzt noch unbekannte Stadt, in die er gehen würde, würde natürlich nicht dieselbe Stadt sein, in der Caroline jetzt lebte. Er sagte sich das und wusste, dass er sich selbst belog.
Als er Edward angerufen hatte, war ihm nicht klar gewesen, dass er ihn nach Faywood Manor begleiten sollte, dem besagten Familiensitz, auf der der Norland sich jetzt nicht mehr befand. Edward schien geglaubt zu haben, es läge auf der Hand, und Niklas fiel kein Grund ein, deswegen einen Rückzieher zu machen. Was verpasste er hier schon? Wer würde merken, dass er weg war? So stand er nun mit einer Reisetasche auf dem Bahnsteig, die ihm jetzt unzureichend vorkam. Woher wusste man, wieviel Zeug man als Fälscher auf Geschäftsreise mitnahm?
Fälscher!
Er vergaß immer wieder, was das Wort für ihn in Zukunft bedeuten würde. Selbst wenn alles gut ging, wenn alles so verlief, wie Edward es sich vorstellte, würde Niklas von diesem Moment an ein Fälscher sein, und das würde er für den Rest seines Lebens bleiben. Die Geschichte über Edwards gebrechliches Tantchen, das angesichts des Verkaufs des Norlands wohl einen Herzinfarkt erleiden würde, hatte Niklas sehr dabei geholfen, diesen Aspekt in den Hintergrund zu drängen. Es war dadurch kein Betrug in dem Sinne, wie Niklas das Wort verstand. Es war von Natur aus harmlos, jedenfalls wenn man davon ausging, dass die Geschichte wahr war. Genau daran waren Niklas allerdings Zweifel gekommen. Wer war Edward denn schon, dass er einem Fremden einfach so einen Groschenroman auftischte und dann erwartete, dass man ihm blindlings vertraute. Gut möglich, dass Edward die Fälschung als Original verkaufen würde – das hieß, wenn sie dafür gut genug sein sollte. Und wenn sie das nicht wäre, dann wäre die Lage noch heikler. Was immer er auf die Leinwand bringen würde, es wäre sicher gerade gut genug, um eine kurzsichtige alte Schachtel hinters Licht zu führen, aber niemals würde jemand mit Fachverstand darauf reinfallen. Der Betrug würde ans Licht kommen, aber das konnte Edward ja egal sein. In der Rolle des von Haus aus Unbekümmerten, die er so gekonnt beherrschte, würde er wohl allen vorgaukeln, er habe das Bild für das Original gehalten, und Niklas sei der kriminelle Kopf hinter dem ganzen Kunst-Zirkus.
Das Klügste wäre es, sich jetzt noch schnell aus dem Staub zu machen, bevor Edward auf der Bildfläche erschien. Jetzt war gerade noch genug Zeit, um auf dem Absatz kehrtzumachen, sich durch das Gewusel zu wühlen, am Postkartenstand scharf rechts abzubiegen und dann in der Menge unterzutauchen. Möglicherweise schaffte er es dann sogar noch pünktlich zur Abendschicht ins Café, für die er eingeteilt war, und die er in einer eher untypischen Mischung aus Abenteuerlust und Bockigkeit nicht einmal abgesagt hatte.
In Gedanken war er schon auf und davon, aber in der Realität stand er einfach nur wie angewurzelt da, wie unter einem magischen Bann. Und schließlich war es dann wirklich zu spät. Zielsicher hatte Edward ihn in der Menge ausgemacht und kam mit einem herzerfrischenden Lächeln auf ihn zu.
Sie fuhren zuerst mit dem Schnellzug und stiegen schließlich in einen kleinen Regionalzug um. Während der Fahrt sprach Edward viel über Faywood Manor und schilderte es in glühenden Farben. Es kam Niklas überhaupt nicht so vor, als würde Edward ihn nur mit Informationen versorgen, die er brauchen würde, um vor Tante Rose seine Tarnung aufrecht zu erhalten. Was genau seine Tarnung war, darüber hatte Edward noch kein einziges Wort verloren. Es war, als fühlte er sich in seine Kindheit zurückversetzt, und würde einen Freund, der über die Sommerferien mit nach Faywood Manor kam, darauf vorbereiten, welch magischen Ort er betreten würde, sobald der Zug sein Ziel erreichte. Es würde sein, wie in einer anderen Welt, daran ließ Edward keinen Zweifel. Ganz offen gesagt sei er in den letzten Tagen wirklich in Sorge gewesen. Dass er Niklas gefunden habe, war mehr Glück als Verstand, wie er sagte. Jede Anspannung sei in dem Moment von ihm abgefallen, als er Niklas auf dem Bahnsteig hatte stehen sehen. Jetzt würde alles gut werden.
Niklas war geradezu neidisch auf so viel Zuversicht. Seit er im Zug saß, konnte er das Gefühl nicht mehr ausblenden, den Fehler seines Lebens gemacht zu haben. Edwards Unbekümmertheit ließ noch das letzte Bisschen Vertrauen schwinden, das er zwischendurch noch hatte entwickeln können. Edward war sympathisch, das ließ sich nicht leugnen. Man wollte ihm nur zu gern in seine Welt folgen. Allerdings hieß das noch lange nicht, dass man ihm trauen konnte. Er erschien Niklas eigentlich nicht unehrlich, eher verantwortungslos – so wie jemand, den die Natur mit einer angeborenen Blindheit für Risiko und Konsequenzen jeder Art gesegnet hatte. Dass er Hals über Kopf den Norland verkauft hatte und deswegen nun zu einem solchen Plan am Rande des Wahnsinns greifen musste, war der beste Beweis dafür.
Als sie sich im Abteil gegenübersaßen, stellte Niklas fest, was ihm an Edwards Gesicht so ungewöhnlich vorgekommen war. Es waren seine Augen. Sie hatten unterschiedliche Farben. Das linke war grün, das rechte blau. Niklas konnte sich nicht erinnern, dieses Phänomen schon einmal gesehen zu haben.
Als Edward kurz aufstand und das Abteil verließ, richtete Niklas den Blick auf die am Fenster vorbeifegende Landschaft. Er überlegte ernsthaft, ob es zu spät war, um am nächstbesten Bahnhof auszusteigen. Wieder verwarf er den Gedanken, und wieder sagte er sich, dass er es nur aus praktischen Gründen tat. Mit Sicherheit würde es Stunden dauern, von einem dieser entrückten, vergessenen Landbahnhöfe aus zurück in die Stadt zu kommen. Die Abendschicht wäre dann gelaufen, abgehakt und unter den hochgestellten Stühlen zusammengefegt. Viel schlimmer wäre allerdings, dass er sich dann wieder an dem Punkt wiederfinden würde, an dem er vor vierundzwanzig Stunden gestanden hatte, ohne einen Kompass, der ihm auch nur irgend eine Himmelsrichtung weisen konnte.
Es folgte ein weiterer Bahnhof.
Niklas versuchte, sich daran zu erinnern, was er über James Norland wusste. Tatsächlich hatte er sich mit seinen Werken beschäftigt, ein Umstand, den er nur mit wenigen Menschen teilte, den Norland war verhältnismäßig unbekannt. Nach einer kurzen Phase des Ruhms hatte er schon in jungen Jahren aufgehört zu malen und war dann ganz aus der Öffentlichkeit verschwunden. Sein Problem war immer die Gegenständlichkeit gewesen. Es existierten Tagebuchaufzeichnungen, in denen Norland die Unabbildbarkeit der Visionen in seinem Kopf beklagte. In seiner Vorstellung war alles diffus, unbestimmt und absolut perfekt in seiner Unnahbarkeit, wie ein Traum oder eine Erinnerung, die man nicht festhalten konnte. Sobald er zu malen begann, wurde alles klar und dadurch reizlos. Niklas kam diese Haltung auf eine seltsame Art vertraut vor. Es war nicht überliefert, ob Norland jemals mit einem seiner wenigen Bilder zufrieden gewesen war, und auch deswegen konnte Niklas sich mit ihm identifizieren. Er fragte sich, ob das die Gründe waren, warum Norland das Malen so früh aufgegeben hatte. Während er noch darüber nachdachte, verschwammen die Farben der Landschaft vor seinen Augen.