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Einleitung

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Cornelia Dörries

Es ist gut möglich, dass das Corona-Jahr 2020 als eine Zeit in die Geschichte eingehen wird, in der die Menschen auf der ganzen Welt so viel Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht haben wie nie zuvor. Denn mit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie verlagerten sich alle Selbstverständlichkeiten des modernen Alltags – von der Erwerbsarbeit über Schule und Freizeit bis hin zum Einkaufen – unvermittelt in die Räume, die sonst einer Tätigkeit zugeschrieben werden, mit der sich kein zielgerichtetes Tun verbinden lässt: dem Wohnen.

Doch was genau machen Menschen, wenn sie wohnen? Eine Definition findet sich nirgends. Während der Duden es bei dem Vermerk „schwaches Verb“ belässt, unterteilt die Baupraxis Wohnen mit dem nüchternen Pragmatismus eines Grundrisses: Essen, Schlafen, Küche, Bad.

Wohnen ist freilich mehr als die Organisation von Funktionsbereichen. In seiner Wohnung ist der Mensch bei sich. Und an der Qualität der Wohnräume, sowohl innen als auch außen, bemessen sich mithin die Möglichkeiten ihrer Nutzer, sich einzurichten – mit ihren Habseligkeiten, ihren Lebensgewohnheiten, der Familie, den Nachbarn und allem, was eine Person braucht, um sich in der Welt behaust zu fühlen. Nicht zuletzt der epidemiologisch bedingte Rückzug einer ganzen Gesellschaft in das eigene Zuhause hat in diesem Jahr gezeigt, was den Wert – und nicht den Preis – einer guten Wohnung ausmacht.

Wohnen ist mehr als die Organisation von Funktionsbereichen. An der Qualität der Wohnräume bemessen sich die Möglichkeiten ihrer Nutzer, sich in der Welt einzurichten.

Dieser Perspektive kann sich auch der Award Deutscher Wohnungsbau 2020 nicht entziehen. So sind die 35 Projekte, die das vorliegende Buch versammelt, zwar schon eine geraume Zeit vor Ausbruch der Pandemie geplant und errichtet worden, doch sie mussten in diesem Jahr einem durch die aktuelle Krise geschärften Blick standhalten, der nicht nur guter Architektur und intelligenten Wohnungsgrundrissen galt, sondern auch dem Wechselverhältnis zwischen (halb-)öffentlichem Draußen und privatem Drinnen, dem physisch verknüpften Zusammenhang von Rückzugsräumen und gemeinschaftlichen Bereichen.

Wie sich selbst unter Bedingungen eines heiß laufenden städtischen Immobilienmarkts Wohnhäuser realisieren lassen, die diese strukturellen, gestalterischen und sozialen Anforderungen auf beispielhaft gelungene Weise erfüllen, beweist das Metropolenhaus Am Jüdischen Museum in Berlin (Bauherrschaft: Metropolenhaus Am Jüdischen Museum GmbH & Ko. KG, Architekturbüro: bfstudio-architekten). Die fast tollkühne Idee, die Käufer hochwertiger Eigentumswohnungen zur Finanzierung nicht kommerzieller Projekträume im Erdgeschoss zu verpflichten, die sich mit ihrem Programm an die umliegende Nachbarschaft richten, verdient in ihrer städtebaulich und architektonisch überzeugenden Umsetzung zu Recht den 1. Preis.

Auch unter Bedingungen eines heiß laufenden städtischen Immobilienmarkts lassen sich Wohnhäuser mit gestalterischem Anspruch und sozialem Mehrwert realisieren.

Doch auch im Windschatten des dynamischen Großstadtgeschehens entstehen bemerkenswerte Projekte, die innovative strukturelle Konzepte in eine Architektur übersetzen, die gewachsene Traditionen mit zeitgenössischer Handschrift fortschreibt und zugleich etwas wirklich Neues schafft. Dafür steht das Quartier „Garmisch neu gelebt“ (Bauherrschaft: VEHBL Baugemeinschaft/Quartiersentwicklungsgesellschaft Konstanz, Architekturbüro: Beer Bembé Dellinger Architekten und Stadtplaner), das mit einer Sonderauszeichnung geehrt wurde.

Die Einreichungen für den Wettbewerb belegen auf eindrückliche Weise, dass der Mehrgeschosswohnungsbau auch als städtebauliche Aufgabe verstanden wird, nicht nur, wenn es darum geht, bestehende Wohnlagen mit Neubauten zu ergänzen, sondern auch bei der Planung und Errichtung ganzer Quartiere, die vorrangig auf ehemaligen Kasernenanlagen oder ausgemusterten Bahn-, Industrie- und Hafenarealen entstehen und rein quantitativ das Baugeschehen vor allem in den großen Städten prägen. Diese Bedeutung spiegelt sich auch im aktuellen Jahrgang des Awards wider: Die Kategorie Quartiersentwicklung ist gleich mit neun Projekten vertreten. Doch auch die öffentliche Hand als Bauherr spielt eine zunehmend größere und bemerkenswerte Rolle. Kommunen und gemeinnützige Akteure zeigen anhand von sieben ganz unterschiedlichen Projekten, dass sich gute Architektur und sozialer Wohnungsbau nicht ausschließen.

Und der Award Deutscher Wohnungsbau 2020 belegt auch, dass Wohnungsbauvorhaben, zumal die großen Quartiersentwicklungen, längst keine sortenreinen Projekte mehr sind, die ausschließlich zu Wohnzwecken entstehen. Sie öffnen sich mit anderen Nutzungen – Büros, Handel, Gastronomie, Kindergärten, Freizeit oder Räumen für die Gemeinschaft – einer größeren Öffentlichkeit und verbinden so das Wohnen mit dem, was Wohnende zu Mitgliedern einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft werden lässt.


Ausgezeichneter Wohnungsbau 2020

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