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Sonja Borgfeld öffnet die Tür des backsteinernen Reihenhauses in Burgdorf.

»Du?«

Überrascht mustert sie Felix. Die beiden sehen sich sonst nur selten. In der Pausenhalle des Gymnasiums, im Politikkurs oder bei den Treffen im Dorfkrug. Dort sitzt er stets in der letzten Reihe und sagt nichts. Trotzdem ist er mit seinen dunklen Locken nicht zu übersehen.

|26|»Die haben schon ihre Fahne gehisst«, sagt Felix, außer Atem vom Sprint auf dem Fahrrad.

»Woher weißt du das?«

»Ich war draußen.« Felix lächelt Sonja stolz an. Mein Name ist Bond, Felix Bond. Er hatte getan, was getan werden musste. Seine Angst ist längst vergessen.

»Komm ins Haus«, murmelt Sonja. Ich habe gerade einen Tee gekocht.

Zufrieden hält Felix wenig später eine heiße Tasse Tee in der Hand, obwohl er lieber eine kalte Cola getrunken hätte. Immerhin steht er neben Sonja in der Küche, kann sie ansehen, mit ihr reden.

»Mit wem warst du da?« Sonja trinkt den grünen Tee in kleinen Schlucken

»Mit keinem.«

»Du warst da allein?« Beunruhigt flattern Sonjas Augen hin und her. »Wir haben gestern gesagt, dass niemand alleine zu denen gehen soll.«

Felix sieht sie überrascht an. »Wir haben aber auch gesagt, dass wir irgendwas unternehmen müssen, dass man nicht immer nur reden und lamentieren kann. Du vorneweg.«

Stimmt. Sie ist es gewesen, die alle angestachelt hat, endlich etwas zu tun. Seit zwei Monaten gibt es jeden Freitag im Nebenzimmer des Dorfkruges diese Treffen: Einziges Thema ist das ehemalige Landschulheim hinter dem Segelflughafen, das in ein Schulungszentrum für die Partei der »Aufrechten Deutschen« umgewandelt werden soll. Sonja selbst geht die Idee mit den Mahnwachen nicht weit genug, aber immerhin soll der Protestauflauf schon Sonntag losgehen.

»Hier.« Felix schaltet seine Digitalkamera an und hält sie |27|Sonja hin. »Überspiel das auf deinen Rechner, vielleicht können wir damit etwas anfangen.«

»Komm mit in mein Zimmer.«

Bücher stapeln sich in der einen Ecke von Sonjas Zimmer, getragene Anziehsachen in der anderen. An den Wänden hängen Fotomontagen mit Bildern ihrer Freundinnen, Werbezettel und alte Eintrittskarten. Das Bett ist nicht gemacht, der Papierkorb quillt über. Auf dem verstaubten Schreibtisch stapeln sich Hefte, CDs und DVDs. Sonjas Zimmer besticht wie immer durch Chaos. Alle Versuche ihrer Mutter, eine Ordnung herzustellen, sind in den letzten Jahren gescheitert. »Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen.« Mit solchen Antworten treibt Sonja ihre Mutter an den Rand des Wahnsinns. »Manches wächst sich von alleine aus«, ist deshalb seit Monaten die stumme Durchhalteparole von Maria Borgfeld.

Sonja drückt auf den Startknopf ihres Rechners und schiebt einen zweiten Stuhl vor den Schreibtisch.

»Das dauert noch einen Moment, der Computer braucht immer ewig.«

»Ich hab Zeit.« Felix sieht Sonja direkt in die Augen. »Sind ja Ferien.«

Sonja senkt verlegen den Blick und sucht in der Schreibtischschublade nach dem Überspielkabel, von dem sie genau weiß, dass es hinter dem Stapel alter Zeitungen liegt. Als die Röte in ihrem Gesicht verflogen ist, zieht sie es dort hervor.

»Da ist es.«

Sie hält das Kabel mit einer triumphierenden Geste hoch.

»Dann leg mal los.« Ihre Stimme strahlt wieder ihre gewohnte Selbstsicherheit aus.

Auf dem Monitor erscheint kurz darauf das erste Bild. Vor |28|dem Flachdachgebäude flattern zwei Reichskriegsfahnen mit schwarzem Kreuz, in der Mitte ein Kreis mit Reichsadler, in der linken oberen Ecke das Eiserne Kreuz auf schwarz-weißrotem Hintergrund. Das nächste Bild zeigt den Blonden mit der 18 auf dem Rücken. Er spritzt mit einem Hochdruckreiniger die offene Ladefläche eines dunkelgrünen Autos ab. Ein Klick und der Blonde steht mit einem anderen rauchend vor der Tür.

»Die haben die ganze Zeit miteinander geredet. Sah fast aus wie ein Streit.«

»Konntest du was verstehen?«

»Nein, so dicht habe ich mich nicht herangetraut.«

Nicht herangetraut. Schon als Felix die ersten Worte sagt, würde er sich am liebsten ohrfeigen.

»So gegen halb zehn kam dieser Wörstein heraus und sagte etwas zu denen. Sah aus wie ein Befehl. Plötzlich hatten sie es ganz eilig. Die beiden sprangen in den Wagen und fuhren davon.«

»Schade, dass du nicht mehr verstanden hast.« Ihr Mundwinkel zuckt enttäuscht. »Vielleicht wüssten wir dann, was die vorhaben.«

Felix zoomt den Jungen heran, der das Auto gewaschen hat. Die Ärmel seines Sweatshirts sind hochgeschoben, auf dem Unterarm kann man eine Tätowierung erkennen. Ein roter gerader Strich von ungefähr zehn Zentimetern Länge mit jeweils einem Haken oben und unten.

»Sieht aus wie ein Angelhaken«, murmelt Felix und betrachtet das Foto genauer. »Siehst du das?«

Sein Zeigefinger deutet auf das Gesicht des einen Jungen.

Sonja kommt dichter an den Monitor heran und ihre |29|Köpfe berühren sich fast. Beide sehen auf die breite Nase des etwa Gleichaltrigen, die von kräftigen Augenbrauen eingerahmt wird.

»Hier.« Sonjas Finger schnellt hervor und streift Felix’ Arm. »Bei dem einen Schneidezahn fehlt die Ecke.«

Felix zuckt bei der Berührung zusammen. »An irgendwen erinnert der mich.« Er starrt auf den Monitor. »Wenn ich nur wüsste an wen.«

»Mir sagt das Gesicht nichts. Aber vielleicht wissen die anderen ja mehr. Wir bringen die Fotos mit den Fahnen ins Netz, dann werden wir ja sehen.« Sonja gießt Felix Tee nach. »Außerdem mobilisieren wir damit garantiert noch mehr.«

»Und wie stellst du dir das vor?«

»Was ist mit facebook

»Glaubst du ernsthaft, dass einer von denen zur Mahnwache kommt? Die hocken doch nur vorm Computer und chatten rum.«

»Täusch dich da nicht, Felix. Ali hat eine große Anhängerschar. Bei farmville ist er auf level 32. Er ist der erfolgreichste farmer unserer Schule.« Sonja geht auf den Flur und ruft: »Ali, komm mal. Wir brauchen dich.«

Nichts rührt sich.

»Ali«, schreit Sonja aus Leibeskräften.

Endlich öffnet sich in der oberen Etage eine Tür. Alexander Borgfeld, genannt Ali, steckt den Kopf heraus.

»Was ist? Will Papa was von mir oder ist Mama schon zurück?«

»Papa hat Dienst und ist früh aus dem Haus – und Mama sitzt bis heute Nachmittag bei Edeka an der Kasse.«

Die Tür fällt schon vor dem Ende des Satzes krachend ins |30|Schloss. Wie der Blitz schießt Sonja die Treppe zum Zimmer ihres Bruders hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Mit einem Ruck reißt sie die Tür auf.

»Du musst uns mit dem Internet helfen. Wir haben da so eine Idee für facebook

»Sag das doch gleich.«

Tödliche Offenbarung

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