Читать книгу Lost & Dark Places Heidelberg und Mannheim - Cornelia Lohs - Страница 11
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DIE FREILICHTBÜHNE AUS DUNKLER ZEIT
Thingstätte Heidelberg
Mit dem Bau der monumentalen Freilichtbühne auf dem Heiligenberg hatten die Nationalsozialisten große Pläne, aber das kulturelle Großvorhaben ging schief. Das Wort »Thing« wurde schon wenige Monate nach der Eröffnung mit einem Tabu belegt und auch sonst verlor man bald das Interesse.
Thingstätte Ort 69121 Heidelberg GPS 49.4239412, 8.7041934 Anfahrt Auto: über die Handschuhsheimer Landstraße/B3, Mühltalstraße und Waldweg zum Wanderparkplatz Heiligenberg und dann zu Fuß weiter. Zu Fuß: über Schlangen- und Philosophenweg
Vor über 80 Jahren Schauplatz von Propagandaveranstaltungen
KULTURERBE MIT DUNKLER VERGANGENHEIT An düsteren Herbsttagen, wenn dunkle Wolken über den Himmel jagen oder Novembernebel den Heiligenberg einhüllt, wirkt die gigantische Anlage mitten im Wald fast gespenstisch. Als Reichspropagandaminister Joseph Goebbels sie am Abend des 22. Juni 1935 im Rahmen einer Sonnenwendfeier einweihte, sagte er: »In diesem monumentalen Bau haben wir unserem Stil und unserer Lebensauffassung einen lebendigen plastischen und monumentalen Ausdruck gegeben. (…) Diese Stätten sind in Wirklichkeit die Landtage unserer Zeit. (…) Es wird einmal der Tag kommen, wo das deutsche Volk zu diesen steinernen Stätten wandelt, um sich auf ihnen in kultischen Spielen zu seinem unvergänglichen neuen Leben zu bekennen.« Mehr als 20 000 Menschen waren zur Einweihungsfeier gekommen – die Thingstätte sollte danach nie wieder eine solche Menschenmasse an einem einzigen Tag erleben.
THINGBEWEGUNG Die Bewegung ging aus einer Laientheaterbewegung hervor, deren vier Hauptinitiatoren Wilhelm Karl Gerst, Architekt und Journalist, Hans Brandenburg, Schriftsteller, Hanns Niedecken-Gebhard, Regisseur und Carl Niessen, Theaterwissenschaftler, mit dem Nationalsozialismus ursprünglich nichts am Hut hatten. Ihr Ziel war es, das Freilichtspiel als Volkstheater wiederzubeleben. Niessen prägte den Begriff »Thingspiel« in Anlehnung an das Wort »Thing« – so nannten die Germanen ihre Volksversammlungen unter freiem Himmel. Gerst gründete Ende 1932 den »Reichsbund für deutsche Freilicht- und Volksschauspiele« und fand nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wenige Wochen später einflussreiche Förderer, allen voran Joseph Goebbels, der von der »Thing-Idee« so begeistert war, dass er reichsweit gleich 400 Thingstätten plante. Dabei dachte er weniger an Freilichtspiele als an gigantische Propagandaveranstaltungen. In Heidelberg, wo Goebbels 1922 zum Dr. phil. promoviert worden war, wählte man für den Bau am südlichen Hang des Heiligenbergs einen Platz, der als vermeintliche germanische Kultstätte galt. Einen Beweis dafür gab es nie. Tatsächlich soll sich dort einst eine keltische Großsiedlung befunden haben.
BAU DER STÄTTE Die Grundsteinlegung erfolgte am 30. Mai 1934. Die von Architekt Hermann Reinhard Alker in Form eines Amphitheaters gestaltete Anlage sollte in nur drei Monaten von 1200 Arbeitern des Reichsarbeiterdienstes aus dem Boden gestampft werden. Daraus wurde jedoch nichts. Zum einen kam es aufgrund des felsigen Untergrunds, der Sprengungen notwendig machte, zu Verzögerungen, zum anderen zum Streik der ebenfalls beim Bau beschäftigten Notstandsarbeiter, die sich weigerten, nachts ohne Mehrbezahlung zu arbeiten und 30 Prozent mehr Lohn forderten. Als die Anlage nach zwölfmonatiger Bauzeit stand, umfasste sie 56 schräg ansteigende Zuschauerreihen mit ca. 8000 Sitz- und 5000 Stehplätzen, breite Aufmarschrampen sowie zwei Flaggentürme für Beleuchtung und Ton. Seinerzeit galt die Ton- und Lichtanlage als technisches Wunderwerk und die Heidelberger Thingstätte als schönste und als Modell für weitere Anlagen im Reich. Der Propagandaminister nannte sie eine Stätte des »steingewordenen Nationalsozialismus«. Lange hielt seine Begeisterung allerdings nicht an.
Das verwitterte Gemäuer der Thingstätte
Eingangsbereich hinter der Bühne
Treppen flankieren die alte Bühne.
INSZENIERUNG DES FÜHRERKULTS Die Thingspiele, die aufgeführt wurden, dienten der Propaganda und hatten Titel wie »Das Oratorium der Arbeit« und »Der Weg ins Reich«. Es wurden »völkische Feierstunden« und Fahnenweihen der Hitlerjugend zelebriert, Sonnenwendfeste gefeiert, aber vor allem fanden Aufmärsche und Massenkundgebungen statt, die zur Umerziehung in einen »neuen deutschen Menschen« dienen sollten. Die Massen, die sich die Nationalsozialisten nach der monumentalen Eröffnungsfeier erhofft hatten, blieben aus. Einerseits konnten sich viele für die langatmigen und monotonen Thingspiele nicht begeistern, andererseits bot die Thingstätte keinen Schutz vor schlechtem Wetter und weit und breit gab es nichts, wohin man sich bei Regen, Donner und Blitz hätte flüchten können. Und dass der Weg hinauf ohne fahrbaren Untersatz mühsam war, mag auch eine Rolle gespielt haben. Im Oktober 1935 (in anderen Quellen 1936) belegte Goebbels den Begriff »Thing« in einem Geheimerlass mit einem Tabu und die Thingstätte wurde in »Feierstätte Heiligenberg« umbenannt. Die Thingbewegung fand ein jähes Ende – nach dem Warum traute sich keiner zu fragen und bis heute ist nicht klar, was zum Ende der Bewegung führte. Sonnenwendfeiern fanden bis Kriegsbeginn statt, 1941/42 wurde die Stätte als Flakstellung genutzt. Von den 400 geplanten Thingstätten sollen zwischen 60 und 70 gebaut worden sein, von denen heute nur noch wenige bestehen.
NACHKRIEGSZEIT Nach dem Krieg hatte die Stadt mit der Thingstätte nichts mehr am Hut, die in Heidelberg stationierten Amerikaner um so mehr. Sie veranstalteten auf der imposanten Anlage Jazzkonzerte, feierten Ostergottesdienste und Sonnenwendfeiern. Ab den 1970er-Jahren wurde die Thingstätte auch von den Heidelbergern wieder vermehrt für Konzerte und andere Veranstaltungen genutzt. So fand im August 1970 auf der Anlage ein Open-Air-Festival mit The Wedge und der Krautrockband Guru Guru statt, im Sommer 1987 erklang Beethovens Neunte und im Juni 1995 sang Montserrat Caballé Opernarien. Aufgrund der schwierigen Zufahrtswege und fehlenden sanitären Anlagen war den Konzerten jedoch keine Zukunft beschieden.
FATALE WALPURGISNACHT Seit den 1980er-Jahren zogen in der Walpurgisnacht zum 1. Mai jährlich bis zu 15 000 Menschen hinauf zur Thingstätte und feierten Feste, die von der Stadt zwar nicht genehmigt, aber auch nicht verboten waren. Als Beleuchtung dienten Holzfeuer, was letztendlich zum Verhängnis wurde. Während der Walpurgisfeier 2017 kam es zu einem Waldbrand, was einen Feuerwehreinsatz mit 12 Fahrzeugen und 50 Feuerwehrleuten notwendig machte. Zudem gab es einen Schwerverletzten – ein 25-Jähriger war auf dem Nachhauseweg am Bismarcksäulenweg einen Abhang hinuntergestürzt. Für die Rettungskräfte gestaltete sich die Bergung auf dem unbeleuchteten und unwegsamen Gelände schwierig. Die Stadt zog Konsequenzen, verbietet aufgrund unkalkulierbarer Risiken seitdem Walpurgisfeiern und zäunt die unter Denkmalschutz stehende Thingstätte zur Walpurgisnacht ein, Bewachung inklusive.
Das besondere Erlebnis
Einen Katzensprung von der Thingstätte entfernt liegen die Ruinen des Stephanklosters aus dem 11. Jahrhundert. Der Heiligenbergturm am Rande der Ruinen wurde 1895 aus den verbliebenen Steinen des Klosters gebaut. Von der Aussichtsplattform bietet sich ein herrlicher Blick auf das Schloss, den Königstuhl und ins Neckartal.
Das Eingangstor zu der monumentalen Freilichtbühne