Читать книгу Korridorium – letzte Erkenntnisse - Cory d'Or - Страница 22
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Ich betrete den Korridor nach einem viel zu kurzem Schlaf. Aber so ist das hier im Schlaflabor: Die Arbeit fällt hauptsächlich nachts an – die Probanden schlafen, die Forscher wachen und sammeln Daten. Diesmal versuche ich mit einer Probandin zu kommunizieren, die das Klarträumen beherrscht. Ich trete in unseren Kontrollraum, von dem aus wir nach drei Seiten durch halbverspiegelte Scheiben in enge Schlafzimmer sehen. Nur ein Bett ist belegt.
Als mir der Enzephalograph anzeigt, dass die Studentin träumt, lasse ich drei helle rote Blitze ihr kleines Zimmer erhellen – als vorher abgesprochene Hilfe für sie, innerhalb des Traumes zur Luzidität zu erwachen, und eine Art Anklopfen bei ihr, dass wir sie kontaktieren möchten. Sie ist eine unserer erfahrensten Klarträumerinnen.
Die Bewegungen ihrer Augäpfel lassen, zeigt mir der entsprechende Monitor, jetzt ein Muster erkennen. Erst achtmal ein Ruck nach links, dann einmal, dann zwölfmal und noch einmal zwölfmal, dann fünfzehnmal. Ein simpler Code: Sie hat mir gerade »Hallo« gesagt.
Über Lautsprecher frage ich, ob sie mich hören kann. Der Enzephalograph zeigt, dass sie schläft und träumt. Trotzdem signalisiert sie mir mit ihren Augen: »Ja«. – »Dann los!«, sage ich. Sie kennt ihre Aufgabe. Sie soll – im Traum und ohne aufzuwachen – ihren Körper hochschweben lassen bis über den Schrank in ihrem Raum und uns durchgeben, was für eine Zeichnung sie sieht. Die haben wir – ohne sie selbst zu kennen, denn sie wird per Zufall ausgewählt – dort oben für sie platziert.
Kurze Zeit später signalisiert sie mir mit unserem etwas umständlichen, dafür aber simplen Code: »toter Vogel«. Gespannt eile ich zum Schrank.
Es ist kein toter Vogel, sondern die Buchstaben-Zahlen-Kombination F-B3T-42. Ich bin ein wenig enttäuscht, aber als Wissenschaftler darf man sich nicht von Erwartungen leiten lassen, sondern muss sich allein an den Fakten orientieren. Und diese legen nahe, dass sie zwar geträumt hat, die gestellte Aufgabe zu erfüllen, dies aber nur in ihrer Vorstellung tat und nicht etwa bei so etwas wie einer außerkörperlichen Erfahrung. Unsere Probandin gibt später zu Protokoll, sie habe einen toten Eichelhäher gesehen, doch das Wort schien ihr zu lang, um es per Augenbewegung an uns durchzugeben.
Anderthalb Wochen nach diesem Versuch beobachte ich zufällig im Hof vor dem Flachbau, der unsere Labore beherbergt, unseren Hausmeister mit einem toten Eichelhäher in der Hand. Ich frage ihn danach, und er erklärt, seit unsere zwei Schornsteine mit chromglänzenden Metall verkleidet wurden, brechen sich auf dem Dach hin und wieder Vögel, die die Spiegelung für den Himmel halten, das Genick. Ich lasse mir von ihm auf dem Grundriss des Gebäudes die Fundstelle zeigen. Tatsächlich: Der tote Vogel lag genau über dem Schrank, auf dem wir unsere zufälligen Zeichnungen platziert hatten. Nur eben ein paar Meter höher auf dem Dach.
Der Hausmeister, ein Mensch, der von uns Forschern allerhand Unsinn gewohnt ist, sah sich den Eichelhäher auf meine Frage hin genauer an, bohrte prüfend seinen Finger unter die Federn und meinte: »Klar kann der schon anderthalb Wochen da oben gelegen haben. Aber was macht das schon fürn Unterschied?« Ich bleibe ihm die Erklärung schuldig.
Die Versuchsreihe hatten wir bereits abgebrochen, weil wir keine signifikanten und wiederholbaren Ergebnisse erzielen konnten. Zu vorschnell? Den Kollegen erzähle ich nichts von dem toten Vogel. Mit so einer Anekdote würden wir uns in Wissenschaftlerkreisen nur lächerlich machen.