Читать книгу Korridorium – der SciFi-Fraktor - Cory d'Or - Страница 9
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Ich betrete den Korridor, weil ich ein seltsames Geräusch gehört habe. Auf Kopfhöhe leuchtet an der Haustür ein blendendes Licht auf, zwei-, dreimal. Schweißt sie jemand von außen auf? Es leuchtet wieder gleißend auf, dreimal, wie ein Klopfen, doch völlig lautlos. Ohne lang nachzudenken reiße ich, obwohl ich nur im Pyjama dastehe, die Tür auf.
Im nächtlichen Treppenflur steht – etwas. Oder besser: es schwebt. Es wirkt wie ein dreidimensionales Kaleidoskop, dessen leuchtende Splitter ständig nach innen wandern, bis sie plötzlich die Richtung ändern und wie geschmolzenes Eisen vom Zentrum aus nach außen verlaufen.
Die Stimme ist sehr leise und sanft, und es kommt mir vor, als höre ich ein vertrautes, geliebtes Wiegenlied. Sie sagt: »Du hast einen Spiralarm der Galaxis verdampfen lassen.«
Ich starre die Erscheinung an. Mir fehlen die Worte. Ich will wegrennen, mich verstecken oder einfach nur ohnmächtig werden. Aber es ist, als würden meine Gedanken keinen Widerhall mehr in meinem Körper finden, keine Andockstelle, um eine tatsächliche Handlung auszulösen. Ich bleibe einfach stocksteif vor diesem Ding stehen.
»Du hast eine Maschine gebaut«, sagt die Stimme.
Eine Maschine? Ja, da war was. Aber das war nicht ich. Nur ein Traum. Seit Wochen wache ich immer um genau dieselbe Zeit mitten in der Nacht auf, um 2:22 Uhr, und erinnere mich jedes Mal an einen lebhaften Traum, in dem ich eine Art Ingenieur bin, der wie besessen an einer hochkomplexen Maschine baut – sie füllt fast die ganze von mir gemietete Lagerhalle aus und verwendet starke Hadronen-Laser und eine Art miniaturiserten Fusionsreaktor, um die Schwerkraft zu manipulieren und das Raumzeitkontinuum aufzusprengen. Traum für Traum vollendete ich mein Werk, obwohl ich insgeheim wusste, dass die Anlage unkontrollierbare Nebenwirkungen haben konnte. Bis ich schließlich letzte Nacht die fertige Maschine in Gang setzte. Was sie bewirkte, kann ich nicht sagen, denn in dem Moment, in dem sie hochlief und auf Touren kam, wachte ich auf. Das war gestern. Es war 2:22 Uhr.
Auch jetzt wieder, mitten in der Nacht, könnte es 2:22 Uhr sein. Aber dies ist kein Traum.
»Du hast eine Maschine gebaut«, wiederholt die Stimme, während ich wie hypnotisiert auf das zeitlupenhafte Fließen flüssigen Metalls starre und gleichzeitig ahne, dass mir das Wesen mit seinem sanften Singsang etwas Schreckliches mitteilen will.
»Deine Maschine hat die Dimensionen der Welt durchlöchert, deinen Planeten zertrümmert und dazu noch viele, viele Sterne und Planeten im Umkreis mit ins Verderben gerissen.«
»Aber das ist doch Unsinn! Die Erde ist nicht untergegangen, nur weil ich irgendwas geträumt habe!«
Das Kaleidoskopmuster verändert sich, ohne dass ich sagen kann, wie. Die Stimme erscheint mir jetzt strenger. Sie sagt: »Die Welt in deinem Traum war real. So real wie diese hier. Wir hatten gehofft, dass du dich im letzten Moment entscheiden würdest, die Maschine nicht in Gang zu setzen, sondern sie zu zerstören.«
»Ich hatte doch keine Ahnung, was sie bewirkt!« Wirklich nicht? Doch. Im Traum wusste ich sehr wohl, was für ein Risiko ich einging. Ich hatte es nur immer wieder verdrängt.
»Viele Zivilisationen mussten sterben«, sagt die Stimme.
Meinetwegen? Ich soll daran schuld sein? »Was ist mit dir?«, frage ich, »du lebst doch – nehme ich an.«
»Einige, wenige Wesen wurden wie ich durch die perforierten Dimensionen in parallele Welten geschleudert.«
Parallele Welten: Im Traum verdrängte ich immer wieder die Sorge, meine genial ausgetüftelte Maschine, mit der ich die Vakuumfluktuation anzapfen wollte, um unbegrenzt viel Freie Energie zu erzeugen, könnte das Gefüge von Zeit und Raum durcheinanderbringen. Und jetzt steht ein Wesen vor mir, das durch ein Dimensionsloch in meine Welt geschleudert wurde – vielleicht der letzte Überlebende einer ganzen planetaren Zivilisation, die ich auf dem Gewissen habe. Nur langsam kommt mir die ungeheure Bedeutung dessen, was mir das Wesen da gerade mitteilt, zu Bewusstsein.
»Wenn ihr davon wusstet: Warum habt ihr es nicht verhindert?«, frage ich mit belegter Stimme.
»Das musst du schon selbst tun«, antwortet das flüssige Kaleidoskop, das vor mir im Treppenflur schwebt.
»Wie?«, frage ich verdattert.
Das Wesen schwebt langsam aufwärts und verblasst. Es hat seine Botschaft überbracht und tritt nun den Rückweg an – wohin auch immer. »Wie soll ich das anstellen?«, rufe ich.
Das Wesen verschwindet. Ich höre keine Antwort mehr, aber in meinem Kopf bildet sich ein Gedanke, der sagt: »Erträume eine neue Welt.«
Eine heillose Verzweiflung ergreift mich. Das war nicht ich!, schreie ich innerlich. Es war dieser verblendete Ingenieur!
Doch das Wesen hat recht: Ich war der Mann in den Träumen, der entschieden hat, das Risiko in Kauf zu nehmen. Ich habe die Menschheit auf dem Gewissen, ich habe mit meiner Besessenheit und Gier nach Ruhm Milliarden von Menschen in den Tod gerissen, und ein ganzes Stück unserer Milchstraße gleich mit. Ich will es wegschieben, abstreiten, irgendjemand anderem die Schuld geben. Aber obwohl es nur Träume waren, weiß ich tief in meinem Inneren, dass mein Besucher recht hat mit seiner Schuldzuweisung. Ich war dieser besessene Ingenieur, der alle bösen Vorahnungen in den Wind geschrieben hat und die Maschine in Gang setzte.
Als ich die Haustür schließe, zittert meine Hand. Ich muss es verhindern!, denke ich, und gleichzeitig lache ich bitter: Wie soll ich etwas verhindern, das bereits geschehen ist?
Aber könnte nicht ein Raum-Zeit-Gefüge, in dem es Parallelwelten gibt, auch die Möglichkeit beinhalten, die Zeit zurückzudrehen? Hat das Kaleidoskop-Wesen vielleicht davon gesprochen, als es sagte »Das musst du schon selbst tun«?
Wenn es stimmt, beschließe ich, – wenn es wahr ist, das durch meine Schuld die Menschheit und noch eine Handvoll weiterer Zivilisationen zerstört wurden – dann werde ich diese furchtbare Tat um jeden Preis vereiteln! Zahlen, Gleichungen, Schaltungen gehen mir durch den Kopf. Die langen Nächte als Ingenieur haben sich ausgezahlt. Langsam verdichtet sich in meinem Geist das Bild von einer Apparatur, einer Zeit- und Weltmaschine, die nur einen einzigen Zweck hat und nur ein einziges Mal zum Einsatz kommen wird. Sie wird eine Art Arche sein. Doch ich werde sie nicht mit Tieren oder Menschen füllen: Sie wird mich an einen Ort und zu einem Zeitpunkt bringen, der es mir möglich macht, zu verhindern, dass ich Löcher in das Dimensionsgefüge des Kosmos stanze. Ich werde es ungeschehen machen, und zwar auf gründliche, physikalische Weise! Es muss möglich sein!
In dieser Nacht liege ich noch lange wach.