Читать книгу Wilderwald (1). Die Rückkehr der dunklen Magie - Cressida Cowell - Страница 11

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2. EINE KRIEGERIN NAMENS WILLA

Ungefähr zur selben Zeit brachen zwei junge Krieger heimlich vom Eisernen Fort der Krieger auf. Sie ritten auf einem kräftigen, aber ziemlich verängstigten Kriegerpony.

Den Kriegern war es normalerweise nicht gestattet, das Eiserne Fort nach Einbruch der Dunkelheit zu verlassen, denn die Krieger hatten gewaltige Angst vor der Magie, die draußen im Wald lauerte.

Das Eiserne Fort war die größte Hügelfestung, die du dir vorstellen kannst. Über der gewaltigen, ringförmigen Festungsmauer ragten dreizehn Wachtürme in den Himmel; vor der Mauer zogen sich sieben breite Gräben um den gesamten Hügel. Wie groß musste die Furcht der Krieger vor allem sein, das mit Magie zu tun hatte, um so ein gewaltiges Fort zu bauen, mit Mauern so weiß wie Knochen und kleinen schlitzförmigen Fenstern, die wie eine bösartig blinzelnde Katze auf den Wald hinausstarrten?

Trotzdem war es den beiden Kriegern auf ihrem Kriegerpony gelungen, sich heimlich aus dem Fort zu stehlen, ohne von den nervösen und äußerst aufmerksamen Wärtern bemerkt zu werden, die auf den Zinnen patrouillierten und unablässig mit aufmerksamen Blicken den Wald zu durchdringen suchten. Und vielleicht gab es sogar einen guten Grund, warum sie so angestrengt auf die endlose grüne Wildnis hinausstarrten, die das Fort nicht nur umgab, sondern es zu überwuchern und zu verschlingen drohte.

Denn etwas BÖSES lauerte hoch oben in den Baumwipfeln und beobachtete das Pony.

Allerdings hätte zu diesem Zeitpunkt noch niemand sagen können, wer oder was dieses Etwas war.

Im Grimmwald lebten viele böse Wesen. Das Etwas hätte also durchaus ein Katzenmonster sein können. Oder ein Werwolf. Oder sogar ein Roger. (Ein Roger ist so etwas wie ein Oger, nur viel, viel grausamer.)

Bestimmt werden wir später erfahren, was für ein Wesen dieses Etwas war.

Dass das Pony die Aufmerksamkeit dieses Etwas erregte, war nicht besonders erstaunlich. Denn das Pony trabte mit viel zu viel Lärm und Hufgetrappel durch das Unterholz und auf seinem Rücken wurden eine zierliche kleine Kriegerprinzessin und ihr Hilfsleibwächter namens Griffel kräftig durchgeschüttelt.

Beide trugen knallrote Umhänge über ihren eisernen Rüstungen, und weil Knallrot in einem tiefgrünen Wald keine besonders clevere Tarnfarbe ist, stachen sie aus der Umgebung heraus wie leuchtende Sterne am schwarzen Nachthimmel.

Sie hätten nicht auffälliger sein können, außer vielleicht, wenn sie eine große Zielscheibe auf den Köpfen getragen hätten – oder ein Schild mit der Aufschrift »FANGT MICH, IHR HUNGRIGEN MONSTER DES GRIMMWALDES!«

Die Prinzessin hatte eigentlich einen sehr langen und königlichen Namen, wurde aber von allen nur Willa genannt.

Kriegerprinzessinnen sollten natürlich immer schön, groß und absolut furchterregend sein, so wie Willas Mutter, die Königin Sychorax.

Aber Willa war weder furchterregend noch besonders hübsch.

Ihr kleines Gesicht war so blass, als hätte ein Wasserschwall jegliche Farbe weggewischt. Ihre Ellbogen ragten etwas knochig heraus und ihr Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab, als hätte gerade ein Blitz eingeschlagen.

Über dem linken Auge trug sie eine schwarze Augenklappe. Im Moment schien sie etwas zu suchen, denn sie blickte sich aufmerksam um.

»Wir sollten eigentlich gar nicht ganz allein hier draußen sein, nicht mal am Tag und erst recht nicht in der Nacht!«, flüsterte ihr Hilfsleibwächter Griffel, wobei er sich ständig ängstlich umschaute.

Griffel war nicht Willas normaler Leibwächter. Er war noch nicht einmal ein richtiger Leibwächter, denn er hatte gerade erst die Ausbildung hinter sich gebracht und wurde daher nur aushilfsweise eingesetzt. Aber der eigentliche Leibwächter der Prinzessin hatte sich eine böse Erkältung zugezogen und sich krankmelden müssen.

Bei den jungen Kriegern waren die wenigen Stellen für Leibwächter bei der Königlichen Leibwache heiß begehrt, und obwohl Griffel erst dreizehn Jahre alt war, war er ein eifriger Schüler gewesen und hatte das Examen an der Leibwächterakademie als Bester seines Jahrgangs abgeschlossen.

Aber das hier war Griffels erster richtiger Einsatz als Leibwächter und schon jetzt dämmerte ihm, dass der Job viel härter war, als er sich vorgestellt hatte.

Denn die Prinzessin tat absolut nie das, was man ihr sagte.

Und obwohl er während seiner Ausbildung wirklich hart gebüffelt hatte, muss gesagt werden, dass Griffel nicht sehr gern kämpfte. Schon bei dem Gedanken, dass er jemals in eine Situation geraten könnte, in der richtige Gewalt angewandt wurde, drehte sich ihm fast der Magen um.

»Da draußen könnten Werwölfe oder Katzenmonster oder Riesen lauern …«, fuhr Griffel mit bebender Stimme fort, »von Bären und Jaguaren und den Zauberern und den Rogerschnüfflern ganz zu schweigen … Und sogar die Zwerge können verdammt gemein sein, wenn sie in Horden auf die Jagd gehen …«

»Ach, hör schon auf mit deinem Gejammer, Griffel!«, fauchte ihn die Prinzessin an. »Wir kehren ja sofort wieder um, sobald ich mein Haustier wiedergefunden habe. Und überhaupt: Du bist schuld daran, dass wir hier draußen sind! Du hast ihm Angst eingejagt, weil du ihm gedroht hast, ihn bei meiner Mutter zu verpetzen, und deshalb ist er durchgedreht und weggelaufen.«

»Ich wollte nur verhindern, dass Ihr noch mehr Schwierigkeiten bekommt!«, verteidigte sich Griffel. »Haustiere sind nun mal nicht erlaubt! Das verstößt gegen die Kriegergesetze!«

Nun war Griffel eben ein Junge, der felsenfest an Regeln und Gesetze glaubte. Er hatte vor, sich vom Hilfsleibwächter zu einem der Hüter des königlichen Haushalts hochzuarbeiten, aber DAS würde ihm natürlich nicht gelingen, wenn er ständig gegen Regeln oder Gesetze verstieß.

»Und diese Art von Haustier dürft Ihr erst recht nicht besitzen …«

»Er muss furchtbar Angst haben«, sorgte sich Willa. »Wir können ihn unmöglich hier draußen im Grimmwald herumirren lassen, so mutterseelenallein und verängstigt … wahrscheinlich würde er von Reißzahnmardern oder irgendwelchen anderen schrecklichen Ungeheuern gejagt …«

Wieder blickte sie sich um.

»AHA!«, rief sie plötzlich triumphierend und erleichtert aus. »DA IST ER JA!«

Sie zog am Zügel, um das Pony anzuhalten, und bückte sich nach etwas, das durch das Unterholz huschte. »Den Kriegsgöttern sei Dank!« Sie streichelte das Was-immer-es-sein-mochte und gurrte ihm beruhigende Worte zu, wie zum Beispiel »Keine Angst, alles in Ordnung, jetzt bist du bei mir und in Sicherheit …«. Was man eben so sagt, wenn man einen verängstigten Hund, eine Katze, ein Zwergkaninchen oder sonst irgendein pelziges Schoßtier beruhigen möchte, das allein und verlassen und außer sich vor Angst durch den Grimmwald irrte, nachdem die Herbstsonne längst untergegangen war.

Doch Willas Schoßtier war kein Hund. Auch keine Katze. Und erst recht kein Kaninchen. Es war nicht mal ein Tier.

»Euer Schoßtier ist ein LÖFFEL!«, wandte Griffel ein.

Womit der Hilfsleibwächter nicht unrecht hatte.

Denn das Schoßtier der Prinzessin war in der Tat ein großer eiserner Löffel.

»Das stimmt wohl«, antwortete Willa, als ob es ihr jetzt erst aufgefallen wäre. Sie trocknete den Löffel mit dem Ärmel ab.

»Und der Löffel ist LEBENDIG, Prinzessin! Er ist lebendig!«, rief Griffel und schüttelte sich ein wenig vor Entsetzen, als er den Löffel anschaute. »Was bedeutet, dass er ein vollkommen verbotener magisch verhexter Gegenstand ist! Habt Ihr denn nicht die vielen Schilder überall im Kriegerfort gesehen? Magie strengstens verboten! Keine verzauberten Gegenstände! Keine Tiere innerhalb der Burg! Jeder Zauber muss sofort gemeldet werden, damit die Magie aufgehoben werden kann!«

»Ich bin nicht sicher, ob er so richtig magisch ist«, sagte Willa hoffnungsvoll. »Er ist nur einfach ein bisschen … beweglich …«

»Natürlich ist er magisch!«, blaffte Griffel sie an. »Gewöhnliche Löffel hüpfen nicht herum, nur weil sie gestreichelt werden wollen, sondern bleiben einfach still und leise liegen oder füttern dich mit Suppe! Und jetzt schaut Euch den hier mal an! Jetzt verbeugt er sich sogar vor mir!«

»Ja, stimmt«, sagte Willa stolz. »Ist er nicht total süß und clever?«

Griffel verschlug es beinahe die Sprache. »Das … das ist nicht clever! Ihr verstoßt damit gegen so viele Regeln, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann! Woher habt Ihr überhaupt diesen Löffel?«

»Er ist einfach eines Tages in meinem Zimmer aufgetaucht wie eine Maus oder so. Deshalb hab ich ihm ein bisschen Milch gegeben und seither bleibt er immer in meiner Nähe … Irgendwie ist das ganz nett, denn vorher war ich immer ein bisschen einsam. Bist du nie einsam, Griffel?«

»Doch, schon, ab und zu«, gab Griffel zu. »Die anderen Hilfsleibwächter reden nicht mehr mit mir, weil ich bei der Prüfung so gut abgeschnitten habe und dann zu Eurem persönlichen Hilfsleibwächter ernannt wurde. Jetzt halten sie mich für arrogant … Aber wartet mal! Darum geht es doch gar nicht! Sondern darum, dass Ihr es Eurer Mutter sofort erzählen müsst, wenn ein verzauberter Gegenstand im Kriegerfort auftaucht. Damit Königin Sychorax den Zauber entfernen kann! Man darf so einen Gegenstand auf gar keinen Fall als Schoßtier halten!«

Als der Löffel den Namen der Königin hörte, schwankte er hin und her, als hätte er den größten Schrecken seines Löffellebens erlebt. Dann sprang er mit einem Satz in Willas Wams und kroch unter ihre Rüstung, bis nur noch der runde, breite Löffelkopf mit dem kleinen Gesicht ängstlich herausschaute, das in einem seltsamen magischen Schimmer leuchtete.

»Schau nur, du hast ihm Angst gemacht!«, rief Willa. »Ich glaube nämlich nicht, dass er seinen Zauber verlieren will!«

»Tut aber überhaupt nicht weh«, sagte Griffel.

»Aber er will eben nicht, dass es gemacht wird.«

»Gut, in Ordnung«, meinte Griffel und verschränkte die Arme vor der Brust. »In diesem Fall müsst Ihr den Löffel wieder in die Wildnis zurückschicken. Hier draußen kann er weiterleben, zusammen mit all den Monstern und anderen magischen Wesen. Zu denen gehört er, nicht zu uns. Ich meine das im Ernst, Prinzessin. Ihr dürft ihn auf keinen Fall mit zurück ins Eiserne Fort nehmen. Ihr dürft diesen Löffel nicht als Schoßtier behalten. Das ist gegen die Vorschriften und Ihr kommt in allergrößte Schwierigkeiten, wenn das jemand herausfindet.«

Willa sah traurig aus. »Aber ich mag ihn, weil er ein bisschen wie ich ist, er passt einfach nicht zu den anderen Löffeln …«

»Genau! Er passt nicht zu den anderen Löffeln, weil er lebendig ist, Prinzessin! Er ist lebendig!«, unterbrach sie Griffel.

»Und alle anderen Krieger beachten mich überhaupt nicht«, fuhr Willa fort. »Der Löffel und du – ihr seid meine einzigen Freunde. Wenn ich den Löffel verliere, habe ich nur noch dich!«

»Na ja, genau genommen kann ich nicht Euer Freund sein, weil Ihr eine Prinzessin seid und ich nur ein Diener. So sind eben die Vorschriften«, erklärte ihr Griffel.

»Aber dann verliere ich doch meinen einzigen Freund, wenn ich den Löffel freilasse!«

»Na gut, Willa«, sagte Griffel (wobei er völlig die Vorschrift vergaß, dass er sie mit »Prinzessin« anreden musste).

Aber es war nun mal höchste Zeit, ein ernstes Wörtchen mit ihr zu reden.

»Ich mag Euch. Ich weiß, Ihr meint es nicht böse, aber es gibt einen Grund, warum Ihr keine Freunde habt: Ihr seid ein bisschen … eigenartig. Und eigenartige Leute werden eben im Eisernen Fort nicht besonders gern gesehen. Vielleicht versucht Ihr einfach, ein bisschen normaler zu sein?« Griffel deutete auf den Löffel. »Und der erste Schritt zum Normalwerden ist, dass Ihr diesen Zauberlöffel loswerden müsst.«

Willa seufzte, versuchte aber noch einmal verzweifelt, sich dagegen zu wehren.

»Aber meine Mutter hat doch selbst Zauberdinge!«, erklärte sie trotzig. »Was ist damit?«

Zu Griffels Entsetzen holte Willa unter ihrem weiten Umhang ein großes, kunstvoll verziertes Schwert hervor und zog es aus der Scheide.

Es war kein gewöhnliches Schwert. Es hatte einen sehr schmutzigen, altmodischen Griff, und obwohl es völlig mit einer grünlichen Dreckkruste bedeckt war, konnte man sehen, dass Griff und Klinge mit wunderbaren Ornamenten verziert waren, die kunstvoll ineinander verschlungene Ranken und Blätter zeigten.

Auf einer Seite der Klinge waren Worte eingraviert, in einer sehr seltsamen altmodischen Schrift: Einst gab es Hexen …

Und als Willa die Klinge umdrehte, stand auf der anderen Seite zu lesen: … aber ich tötete sie.

»Woher habt Ihr dieses Schwert?«, stieß Griffel voll ehrfürchtigem Staunen hervor.

»Na ja, das war ein bisschen seltsam – ich hab es gestern im Hof gefunden. Es lag einfach da, und weil es anscheinend niemandem gehörte, nahm ich es mit.«

»Hast du denn nicht heute Morgen beim Frühstück die Ankündigung gehört, dass ein sehr wertvolles Schwert aus den Kerkern deiner Mutter verschwunden ist?«, rief Griffel so entsetzt, dass er schon wieder die Sache mit der höflichen Anrede vergaß. »Und trotzdem bist du nicht auf die Idee gekommen, dass es DIESES Schwert sein könnte? Ist dir nicht klar, dass es wie DIEBSTAHL ist, wenn man etwas findet und es behält, statt es zurückzugeben?«

»Doch, das ist mir schon klar«, gab Willa zu und streichelte das Schwert sehnsüchtig. »Aber ich wollte es auch gar nicht lange behalten, sondern nur so tun, als ob es mir gehört. Ich bin so gewöhnlich und das Schwert ist etwas Besonderes, verstehst du? Es wäre nett, wenn mir wirklich mal etwas Besonderes gehören würde, meinst du nicht auch?«

»Nein, meine ich nicht! Und überhaupt: Denken ist GEFÄHRLICH! Die Hüter des Königlichen Haushalts stellen das ganze Fort auf den Kopf, weil sie nach diesem Schwert suchen, und ausgerechnet du, äh, Ihr, die Prinzessin, habt es GESTOHLEN!«, rief Griffel so aufgebracht und verängstigt, dass ihm alles Blut aus dem Gesicht wich.

»Ich hab’s nicht gestohlen, nur geborgt. Außerdem wollte ich es gerade zurückbringen, aber dann kamst du und hast den Löffel so erschreckt, dass er weglief! Da dachte ich, wir könnten vielleicht etwas Besonderes brauchen, um uns zu schützen, wenn wir allein in den Grimmwald gehen müssen. Ich glaube nämlich, dass das Schwert ein verzaubertes Schwert sein könnte«, erklärte Willa triumphierend. »Wenn sogar meine Mutter solche Zaubersachen hat, dann heißt das doch, dass sie nicht so schlimm sind, wie alle sagen!«

»Aber deine Furcht einflößende Mutter hält sich kein Schwert als … als Schoßtier!«, rief Griffel und fuchtelte aufgeregt und wütend mit beiden Armen herum. »Schoßtiere sperrt man nämlich nicht in einen KERKER! Sie hat dieses Schwert im Verlies eingeschlossen, um es sicher zu verwahren!«

Willa betrachtete nun das Schwert ein wenig besorgt, als ob ihr das jetzt erst klar werden würde. »Ohhh … jaaa … Da könntest du recht haben … passt irgendwie nicht zu meiner Mutter … magische Sachen mag sie eigentlich gar nicht, stimmt’s?«

»Wo hast du eigentlich die letzten dreizehn Jahre gelebt?«, rief Griffel. »Überall in der Festung hängen diese blöden riesigen Schilder, die kannst du doch nicht übersehen haben, oder? Deine Mutter VERABSCHEUT alles, was magisch ist! Sie HASST Magie! Sie hat geschworen, nicht eher zu ruhen, bis sie DEN GESAMTEN WALD VON JEDER ART VON MAGIE BEFREIT HAT!«

Willa runzelte die Stirn. »Ja, aber das verstehe ich eigentlich nicht so recht … Nur weil Magie MANCHMAL böse ist, heißt das doch nicht, dass ALLE Magie böse ist, oder?«

»Das brauchst du nicht zu verstehen!«, brüllte Griffel, völlig außer sich. »Du bist eine KRIEGERIN, du sollst keine Fragen stellen! Die Sache ist ganz, ganz einfach: Du muss einfach nur die Gesetze, Regeln und Vorschriften befolgen, die für uns Krieger gelten!«

Willa sah plötzlich sehr bedrückt aus.

Der Löffel, der inzwischen auf ihren Kopf geklettert war, verbog sich ebenfalls bedrückt.

»Mist. Du hast recht«, murmelte Willa traurig. »Ich hab alles wieder mal vermasselt, stimmt’s, Griffel?«

»Das hast du, und wie!«, antwortete Griffel mitleidlos.

Aber dann fügte er noch schnell ein »Hoheit« hinzu, denn in seiner Aufregung hatte er die Kriegervorschrift »Wie Mitglieder des Königshauses anzusprechen sind« völlig vergessen.

Und genau das war das Problem mit Willa.

Wenn man mit ihr zusammen war, verstieß man ständig gegen irgendwelche Vorschriften, ohne es selbst zu merken.

»Wenn meine Mutter die Sache mit dem Schwert herausfindet, wird sie wohl wütend sein, ich meine, richtig wütend, oder?«, fragte Willa noch trauriger.

»Sie wird total ausrasten«, antwortete Griffel, der sich gar nicht vorstellen mochte, wie wütend die Königin sein würde.

»Ich wünschte, ich wäre so NORMAL wie alle anderen.« Willa seufzte. »Was muss ich tun, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen?«

Griffel seufzte erleichtert auf, denn endlich schien es so, als ob die Prinzessin wieder zur Vernunft käme.

»Seid nicht traurig, noch ist nicht alles verloren«, sagte er und klopfte der Prinzessin leicht auf die Schulter, um sie aufzumuntern. »Ihr habt ja nicht absichtlich etwas Falsches gemacht. Aber den Löffel müsst Ihr JETZT SOFORT in die Wildnis zurückschicken. Das Schwert bringt Ihr auf der Stelle ins Fort zurück. Und dann hört Ihr endlich auf, solch dumme Sachen zu machen, und fangt an, Euch wie eine normale Kriegerprinzessin zu benehmen, und … wartet mal … was war das?«

Über ihnen war ein Geräusch zu hören, ein Rascheln im Geäst, als würden kleine Zweige brechen, wenn jemand oder etwas durch die Baumkronen schlich.

Im Eifer ihres Streits hatten sie völlig vergessen, dass sie sich nicht mehr im sicheren Fort befanden und an einem prächtig gedeckten Tisch über ihr üppiges Abendessen herfielen (die Krieger waren nämlich immer scharf auf gutes Essen).

Nein, im Gegenteil. Sie waren ganz allein, mitten im Grimmwald.

Und zum ersten Mal wurde ihnen klar, dass sie beobachtet wurden.

Hatte ich nicht schon am Anfang der Geschichte kurz erwähnt, dass etwas Schlimmes sie beobachtete, etwas, das still und gefährlich hoch oben in den Bäumen durch das Blätterdach schlich?

Ein eiskalter Schauder lief über Willas Rücken; die feinen Härchen auf ihren Armen richteten sich auf wie die Stacheln eines Igels. Sie blickte sich um, hinauf in die stillen dunklen Bäume, deren Äste und Zweige sich wie die knochigen, knorrigen Finger riesiger Kobolde nach ihr auszustrecken schienen.

Im dunklen Blätterdach konnte sie nichts sehen – außer eine Stelle, an der es noch dunkler zu sein schien, wo die Luft ringsum kaum wahrnehmbar schimmerte, dichter und bedrückter wirkte, als ob dort etwas Drohendes, Unheimliches lauerte. Und die Kälte, die vom Herzen dieser schimmernden Dunkelheit ausging, war kälter als alles, was Willa kannte. Kälter als die kältesten Tiefen des Eismeeres, kälter als Eiszapfen, kälter als der Tod selbst.

Ein eisiger Dunst aus den längst vergangenen Zeiten des Wilderwaldes kroch unter Willas Rüstung und drang ihr bis in die Knochen.

War es nur in ihrer Einbildung oder begann sogar die Luft ringsum zu GRINSEN?

Willa klappte das Visier ihres Helms herab.

Der Löffel hüpfte auf Willas Helm und drehte sich schnüffelnd um sich selbst.

Und plötzlich erstarrte er, als ob er etwas Entsetzliches gespürt hätte … und sprang mit einem Satz unter Willas Rüstung, um sich dort zu verstecken.

»Lauf, Pony, lauf!«, kreischte Willa und das erschöpfte kleine Pferd zuckte heftig zusammen, warf sich herum und galoppierte los, vor Angst und Entsetzen über Wurzeln und die eigenen Hufe stolpernd.

Ein zufälliger Beobachter hätte wohl gedacht, dass die beiden Reiter und ihr Pony verrückt geworden sein müssten, denn es sah so aus, als würden sie in heilloser Panik vor nichts und niemandem fliehen.

Aber so war es nicht. Es ging eindeutig etwas sehr Seltsames vor sich.

Über sich sahen Willa und Griffel nichts als den dunklen Nachthimmel, Sterne und finstere Bäume, aber die Äste und Zweige bewegten sich und das zeigte ihnen, dass ein unsichtbares Wesen hinter ihnen herjagte.

Und die Luft strich so eiskalt über Willas Haut, dass sie sich wie spitze Eisnadeln anfühlte. Je schneller das Pony galoppierte, desto stärker blies ihnen der Wind entgegen, der ein seltsames Geräusch hören ließ, ein unheimliches, unirdisches Heulen, wie es Willa noch nie gehört hatte.

»Siehst du, Griffel? Jetzt bist du bestimmt froh, dass ich das Schwert mitgenommen habe«, keuchte Willa und versuchte, ihre Panik zu unterdrücken.

»Froh? Wieso froh? Wir könnten jetzt im sicheren Fort beim Abendessen sitzen! Ich glaube, heute hätte es sogar Hirschburger gegeben, mein absolutes Lieblingsessen, und überhaupt läuft dieser Gaul in die völlig falsche Richtung«, rief Griffel voller Angst, »das Fort liegt nämlich dort hinten!«

Aber ihr Verfolger – wer oder was er auch sein mochte – wollte offenbar nicht, dass sie zum Fort zurückritten, und so jagte er sie immer weiter und tiefer in den Grimmwald hinein.

»Weiß überhaupt jemand, dass wir hier draußen sind?«, fragte Griffel, der inzwischen aus reiner Verzweiflung einen Pfeil nach dem anderen in die Höhe schoss, obwohl er ein furchtbar schlechter Bogenschütze war und außerdem nicht die geringste Ahnung hatte, worauf er schoss. »Vielleicht schicken sie einen Rettungstrupp los?«

»Glaub ich nicht«, keuchte Willa, die ständig nach oben schielte, um herauszufinden, wer oder was sie verfolgte. »Jedenfalls nicht bis zum Morgen. Ich hab meiner Mutter gesagt, ich hätte Kopfweh und wolle früh schlafen gehen.«

»Na super«, knurrte Griffel, »einfach super. Wenn ich es mir recht überlege, verspüre ich gerade selber etwas Kopfweh. Aber keine Sorge, Prinzessin … ich bin bei dir und beschütze dich.«

Willa packte den Löffel und schüttelte ihn wütend in die Richtung, in der sie den unsichtbaren Verfolger vermutete.

Schon möglich, dass Willa eine ziemlich eigenartige Kriegerprinzessin war, aber Mut hatte sie, das musste man ihr lassen.

»VERFOLGE UNS BLOß NICHT, WER IMMER DU BIST!«, brüllte Willa das entsetzliche Nichts an. »Denn wir sind mit einem ZAUBERLÖFFEL bewaffnet!«

»Mit einem Schwert, Prinzessin«, murmelte Griffel. »Schwert klingt vielleicht ein bisschen abschreckender.«

»UND MIT EINEM SCHWERT!«, brüllte Willa und schwenkte drohend das Schwert mit der rechten und den Löffel mit der linken Hand. »Ein Schwert, das so gefährlich ist, dass MEINE MUTTER ES IM KERKER EINSPERREN MUSSTE!«

Aber das schien den unbekannten Verfolger nur noch mehr anzuspornen, denn der Wind heulte hungrig auf und jagte noch schneller hinter ihnen her.

»Fürchtet Euch nicht, Prinzessin!«, rief Griffel, der selbst allerdings vor Angst so sehr zitterte, dass er kaum noch einen Pfeil auf seinen Bogen legen konnte. »Das ist zwar eine schlimme Situation, aber ich werde Euch retten, denn als persönlicher Hilfsleibwächter der Prinzessin bin ich in der hohen Kunst der Leibwächterei bestens ausgebildet!«

Leider musste Griffel in diesem Moment höchster Verzweiflung wieder einmal erkennen, dass er eine kleine Angewohnheit hatte, die für einen potenziellen Leibwächter ein bisschen nachteilig war.


Er neigte nämlich dazu, in Augenblicken höchster Gefahr einfach einzuschlafen. Kaum hatte er das letzte Wort seiner mutigen Rede ausgesprochen, kippte er auch schon nach vorn und begann, den Kopf auf die Schulter der Prinzessin gelehnt, laut zu schnarchen.

»Griffel!«, kreischte die Prinzessin. »Was machst du denn?!«

Schnarch, schnarch.

»Griffel!«, schrie Willa. »Wach auf! SOFORT!«

Griffel fuhr aus dem Schlaf hoch und murmelte verwirrt: »Was … wo … wie …?«

»Grimmwald ...«, keuchte die Prinzessin. »Werden verfolgt … von etwas Furchtbarem … hohe Kunst der Leibwächterei …«

»Ach so, ja! Ich bin sehr gut für genau solche Situationen ausgebildet, bei denen es um Leben oder Tod geht!«, rief Griffel und legte einen neuen Pfeil an den Bogen. Leider schlief er wieder genau in dem Moment ein, in dem er zielte, sodass er nach vorn kippte und den Pfeil versehentlich in die Hinterhand des armen Ponys schoss.

Das Pony wieherte entsetzt auf, als sich die scharfe Pfeilspitze in sein Bein bohrte, und jagte, von Schmerz und Angst getrieben, noch schneller und wilder durch den stockdunklen Wald.

Willas Herz schlug schneller als das eines vom Fuchs in die Ecke getriebenen Kaninchens; sie merkte es nicht einmal, als die scharfen Dornen von Wildrosen und Brombeeren ihre Kleider zerfetzten und lange, blutige Kratzer in ihre Beine rissen.

Irgendwann kam das Pony an einen eiskalten Fluss und jagte durch das hoch aufspritzende Wasser, obwohl es so eisig kalt war, dass es brannte wie Feuer. Willa konnte nur hoffen, dass der unbekannte Verfolger seinem Geruchssinn folgte und ihre Spur im Wasser verlieren würde.

Das Pony kletterte die andere Uferböschung hinauf und galoppierte weiter durch die Dunkelheit.

Oh, du flüsternde Mistel, dachte Willa voller Entsetzen. Das hätte ich nicht machen sollen. Kein Wunder, dass Magie streng verboten ist. Und auch kein Wunder, dass die Krieger nach Anbruch der Nacht nicht mehr aus der Festung dürfen.

Und erst recht kein Wunder, dass das Fort so starke Mauern hat.

»Schneller! Schneller!«, drängte sie das Pony. In ihrer panischen Angst bekam sie kaum noch Luft. Das Pony galoppierte auf eine Lichtung, die sich unerwartet vor ihnen auftat.

Das Heulen des seltsamen, unheimlichen Windes nahm einen anderen Ton an, eher wie das durchdringende Kratzen von Kreide auf Stein. Das Geräusch wurde lauter, als bereitete sich der unbekannte Verfolger auf einen Angriff vor.

Lauter, immer lauter wurde das Heulen …

KREIIIIIIIIIIIIISCH!!!

Es war ein höchst ungewöhnlicher Lärm, ungefähr so, als würde die Luft wie ein Stück Papier auseinandergerissen und zerfetzt.

Voller Angst und Entsetzen richtete Willa den Blick nach oben, um sich mit gezogenem Schwert dem Angreifer entgegenzustellen …

Irgendwo hinter ihr ertönte eine menschliche Stimme und … dann passierte alles rasend schnell.

Wilderwald (1). Die Rückkehr der dunklen Magie

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