Читать книгу Wilderwald (1). Die Rückkehr der dunklen Magie - Cressida Cowell - Страница 14

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5. WENN WELTEN AUFEINANDERPRALLEN

»Niemals werde ich mich ergeben!«, schrie Willa. »Du hast GESCHUMMELT!«

»Wir Magier stehen über euren blöden Kriegerregeln«, erklärte Xar hochmütig.

»Fieser Trickser!«

»Blöde Kriegerschnepfe!«

»Zauberfluchspucker!«

»Waldvergifter!«

»Kinderfresser!«

»Magiezerstörer! Möge dich der Große Graue Oger in winzige Stückchen zerfetzen, kleiner als ein Flohauge!«, brüllte Xar.

Beide froren und zitterten vor Müdigkeit nach dem Kampf. Ihre Furcht voreinander hatte sich in blanke Wut verwandelt, wie das oft der Fall ist, und deshalb machten sie genau das, was Magier und Krieger seit Jahrhunderten taten, seit sie sich zum ersten Mal in der berühmten Schlacht im Wilderwald gegenübergestanden hatten: Sie warfen sich gegenseitig jede Gemeinheit und Beleidigung an den Kopf, die ihnen in den Sinn kam.

Xars Gesicht lief vor Zorn dunkelrot an. Er packte das Schwert erneut fest und hielt es über Willas Kopf.

Griffel schrie entsetzt: »TÖTE SIE NICHT! SIE IST DIE TOCHTER VON KÖNIGIN SYCHORAX, UND WENN DU SIE TÖTEST, WIRD SICH DIE KÖNIGIN GRAUSAM AN EUCH RÄCHEN!«

Xar senkte das Schwert und starrte Willa verblüfft an. »Du … du bist die Tochter von Königin Sychorax …? Aber das ist doch unmöglich!«

Königin Sychorax war im ganzen Wald berühmt und berüchtigt: berühmt für ihre Schönheit und Anmut, berüchtigt für ihre Grausamkeit und Unbarmherzigkeit. Wie konnte dieses jämmerliche streichholzdünne Ding von einem Mädchen die Tochter der von allen gefürchteten Königin Sychorax sein?

»Eine Tochter von Königin Sychorax! TötesieTötesieTötesie …«, zischten die Elfen, schlichen sich durch die Luft an Willa heran, die Bögen mit den tödlichsten Flüchen schussbereit gespannt. Ein Wort von Xar würde genügen, um die Pfeile abzuschießen.

Xar hatte schon immer damit geprahlt, dass er jeden Feind auf der Stelle töten würde, dem er begegnete.

Prahlen ist eine Sache.

Aber ein richtig lebendiges Mädchen tatsächlich zu töten, das ungefähr genauso alt wie man selbst war, direkt vor einem hilflos auf dem Boden lag und eindeutig vor Angst schier ausflippte, und dann auch noch mit einem Schwert, das man ihr gerade durch Schummeln abgenommen hatte … nun … das ist dann doch eine ganz andere Nummer. Und so musste Xar feststellen, dass er es nicht konnte.

Meine Ahnen hätten das getan, dachte Xar schuldbewusst. Und Robb würde bestimmt auch nicht zögern.

Aber Xar zögerte.

Und dann wurde er zu seiner völligen Verblüffung von etwas angegriffen, das wie ein Löffel aussah und das schmerzhaft auf seinen Schädel einprügelte.

»Ich rufe den Löffel zurück, wenn du den Bären zurückrufst«, keuchte Willa.

Zur großen Enttäuschung der Elfen, die wie ein Schwarm Hornissen zischten und surrten, senkte Xar das Schwert und gab seinem Bären ein Zeichen, der Griffel daraufhin mit mürrischem Brummen freigab. Der Zauberlöffel hörte mit dem Auf-den-Schädel-Trommeln auf, verneigte sich wie zur Entschuldigung ein wenig und hüpfte wieder zu Willa hinunter.

Der Magier und die beiden Krieger standen sich gegenüber und starrten sich erstaunt, aber immer noch feindselig und misstrauisch an – und auch neugierig.

»Ich bin Willa, Tochter von Königin Sychorax, Königin der Krieger«, sagte Willa. »Das hier ist mein persönlicher Hilfsleibwächter Griffel. Und wer bist du?«

»Ich bin Xar, Sohn des Encanzo, des Königs der Magier«, antwortete Xar. »Und das hier sind meine Gefährten. Meine Werwölfe, mein Bär, mein Schneeluchs Lynx und meine Schneekatzen Nachtauge und Waldesmut. Mein weiser Rabe Kaliburn. Mein Riese Quetscher. Und meine Elfen Ariel, Senfhirn, Zippelsturm, Blassschimmer und Unzeitiel.«

Die Haar-Feen schwirrten mit bösartigem Surren dicht um die Köpfe der beiden Krieger, wobei sie Funken sprühten und drohend glühten.

»Vergiss uns nicht!«, quiekte Flatterkopf vorwurfsvoll.

»Ach so, ja, das sind auch Elfen, aber weil sie noch so klein sind, nennen wir sie Haar-Feen«, erklärte Xar. »Das hier ist Hummelgrunde, der kleine hier ist Winzling und der ganz kleine da …«

»... Flatterkopf«, flüsterte Flatterkopf plötzlich mit scharfem Zischen in Griffels Ohr, wobei seine langen Fühler über Griffels Ohr und Wange strichen und ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper jagten. Griffel wischte ihn weg wie eine lästige Wespe.

Willa seufzte neidisch, als sie Xars Gefährten anschaute, vor allem die Elfen.

Sie streckte die Hand aus, um dem Elfen, den Xar Flatterkopf genannt hatte, über den Kopf zu streichen. Der war wirklich ein lustig aussehendes kleines Kerlchen.

Das war freundlich gemeint, aber leider muss ich berichten, dass Flatterkopf sie in die Hand biss.

»Aua!«, schrie Willa und saugte an ihrem Finger. »Deine Elfen sind fieser, als ich erwartet hatte … sogar richtig gewalttätig … und anscheinend mögen sie mich nicht besonders.«

»Natürlich mögen sie dich nicht, du hirnlose Kriegerin!«, rief Xar verächtlich. »Und warum nicht?« Er deutete anklagend auf Willa. »Weil deine bösartige Mutter unsere Riesen und unsere Zwerge und Elfen in ihren grausamen Fallen fängt und sie dann auf NIMMERWIEDERSEHEN verschwinden lässt!«

»Aber meine Mutter tötet die Elfen nicht, die sie fängt«, sagte Willa. »Sie hat einen Zauberaustreibungsstein, den sie im Verlies aufbewahrt, und alles, was sie macht, ist, die Elfen auf den Stein zu setzen und ihnen damit die Magie auszutreiben …«

Willas Stimme versagte, als ihr der Zauberlöffel einfiel. Sie musste unbedingt verhindern, dass ihm die Zauberkraft genommen wurde.

»… in einem völlig schmerzfreien Verfahren«, ergänzte Griffel hastig, »ohne Risiken und Nebenwirkungen.«

»Und ihr glaubt, dass sie dabei nicht umkommen?«, zischte Zippelsturm. »Warum reißt ihr ihnen nicht einfach das Herz heraus? Ein Elf ohne Zauberkraft ist wie ein Elf, dem die Seele genommen wurde!«

Ach du meine Güte … Willa wusste nicht mehr, was sie jetzt denken sollte. Das alles klang so unsagbar traurig.

»Aber Magie ist doch schlecht für sie«, sagte sie zögernd, »und sie benutzen sie, um uns zu verhexen … und Riesen fressen Kinder … und deshalb fängt sie meine Mutter, das hat sie mir selbst gesagt …«

Xar und die Elfen lachten über so viel Unwissenheit. »Riesen fressen keine Kinder! Sie sind Vegetarier!«

Und zu Griffels unsagbarem Entsetzen beugte sich der Riese herab und hob Willa mit seinen riesigen Fingern gaaanz sanft hoch in die Luft. Eigentlich hätte Willa vor Angst schier sterben sollen. Aber der Riese bewegte sich so bedächtig und sie lag so unglaublich bequem auf seiner Hand, dass Willa nur fühlte, wie sie immer höher gehoben wurde und noch höher, über die Baumwipfel hinweg, und es war eine wunderschöne neue Erfahrung.

»Schau dich um, schau hinunter«, sagte der Riese. »Was kommt dir von hier oben wichtig vor?«

Willa blickte über seine Finger hinweg und es verschlug ihr schier den Atem, als sie nun die Welt aus einer ganz anderen Perspektive sah. Das Blätterdach erstreckte sich meilenweit in alle Richtungen, darüber dehnte sich der Nachthimmel mit unzähligen Sternen in die Unendlichkeit. Und unter ihr wirkten die Menschen so klein wie die Elfen und die Elfen selbst waren kaum mehr als glitzernde Staubflöckchen.

Einer der beiden Menschen – Griffel – schrie etwas herauf – »Lass sie sofort runter!« –, aber es klang sehr weit weg. Sie konnte kaum verstehen, was er rief, und aus ihrer Perspektive schien ihr seine Sorge völlig unbegründet.

»Der Wald ist wichtig«, antwortete Willa, »und die Sterne …«

»Richtig«, erwiderte der Riese lächelnd. »Schau mich an«, sagte er dann. »Sehe ich aus wie jemand, der Kinder frisst?«

Das Gesicht des Riesen war mit einem Netz von Lachfalten und freundlichen Runzeln überzogen wie Wanderwege auf einer alten ledernen Landkarte und seine Augen waren gütig und weise.


»Nein«, antwortete Willa, »überhaupt nicht.«

»Wieder richtig. Im Gegensatz zu den Ogern sind wir Riesen nämlich Vegetarier.«

Quetscher grinste und zupfte einen kleinen Baum aus der Erde. Er lachte Willa breit an und schob den Baum in seinen gewaltigen Mund. Armdicke Äste knackten zwischen seinen Zähnen, als seien sie nur dünne Zweige. »Besser für die Verdauung«, sagte er verträumt.

Die ersten Zweifel über das, was man ihr über die magischen Geschöpfe des Waldes erzählt hatte, wurden ihr nun in den Kopf gesät und begannen zu sprießen, als sie zu dem freundlichen Gesicht des Riesen hinaufblickte, der über seinen eigenen kleinen Scherz so unbändig lachte, dass Willa unwillkürlich mitlachte, um ihn nicht zu beleidigen.

»Der Name Quetscher passt irgendwie nicht zu dir«, meinte Willa.

»Man kann sich seinen Namen nicht aussuchen«, sagte der Riese und setzte sie wieder auf dem Waldboden ab.

»Alles in Ordnung?«, rief Griffel besorgt.

»Natürlich ist alles in Ordnung«, antwortete Willa. »Dieser Riese ist NICHT gefährlich …«

War es denn möglich, dass sich die Krieger täuschten, dass ihre Ansichten über Magie völlig falsch waren? Konnte man diese Dinge vielleicht noch in einem ganz anderen Licht betrachten, anders, als es die Krieger seit Jahrhunderten taten?

Willas gesamte Sicht der Welt begann, sich zu verändern, und wenn so etwas geschieht, ist es immer ein schwieriger Augenblick.

»Hör nicht auf sie, Prinzessin!«, sagte Griffel drängend. »Sie wollen uns doch nur verhexen! Damit wir das alles genauso sehen wie sie!«

Aber inzwischen war sogar Xar etwas nachdenklich geworden.

»Krieger wollen alle Magie vernichten«, erklärte Xar und betrachtete mit gerunzelter Stirn das magische Schwert in seiner Hand. »Und bestimmt sollte eine Kriegerprinzessin keine magischen Gegenstände besitzen?«

»Ganz genau – sollte sie nicht!«, warf Griffel ein. »Wie ich ihr schon seit einer Weile klarzumachen versuche!«

»Sei vorsichtig mit dem magischen Schwert, Xar«, warnte Kaliburn der Rabe. »Irgendwas stimmt nicht damit … ich spüre es bis in die letzte Federspitze.«

Xar starrte das Schwert an und plötzlich dämmerte es ihm, dass Kaliburn recht hatte: Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Schwert, es war etwas so Seltsames an ihm, etwas höchst Ungewöhnliches, das so UNHEIMLICH war, dass er das Schwert vor Aufregung fast fallen gelassen hätte.

»Oh, ihr Zaubergötter!«, stieß Xar atemlos hervor. »Kaliburn! Ich kann es nicht fassen! Das … ist unglaublich!« Xar hob das Schwert hoch. »Ich kann dir sagen, was mit dem Schwert nicht stimmt! Und mit dem Zauberlöffel! Beide sind Eisen und Magie – MITEINANDER VERMISCHT!«

Unglaublich!

Unvorstellbar!

»Unmöglich!«, krächzte Kaliburn, völlig außer sich vor Erregung.

»Woher hast du dieses Schwert?«, keuchte Xar, drehte es hin und her und betrachtete es von allen Seiten.

»Ich hab’s im Hof gefunden«, antwortete Willa, die immer besorgter zugehört hatte. »Aber es ist ein magisches Schwert, deshalb glaube ich, dass es ganz allein aus den Verliesen entkommen ist, in denen meine Mutter solche Dinge wegsperrt. Aber es ist nicht dein Schwert, Xar! Es gehört meiner Mutter! Gib es mir JETZT SOFORT zurück!«

Willa sprang vor und versuchte, ihm das Schwert aus der Hand zu reißen, aber Xar hielt es aus ihrer Reichweite und Nachtauge trat schnell zwischen sie und fauchte drohend, sodass sie nicht nahe genug herankam.

»Warte mal …«, sagte Xar. »Was ist das denn?«

Zum ersten Mal bemerkte er die Worte, die auf der Klinge eingraviert waren: Früher gab es Hexen …

Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Er drehte das Schwert um und las die Worte auf der anderen Seite der Klinge: … aber ich tötete sie.

Nach dem Wort »sie« war ein kleiner Pfeil zu erkennen, der zur Schwertspitze wies – und dort glitzerte nun etwas.

Ein einziger Tropfen grünes Blut.

Die drei Kinder starrten auf den grünen Tropfen, aus dem sich eine winzige Dunstwolke kräuselte.

»Nicht anfassen!«, kreischte Kaliburn außer sich vor Angst.

Wilderwald (1). Die Rückkehr der dunklen Magie

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