Читать книгу Ich hab' den Ausbau nicht gewollt - Cristina Fabry - Страница 9
Schröttinghausener Straße, Dienstag, 13. September 2016
ОглавлениеLuise Sickendiek saß auf der Couch und fieberte mit dem grundanständigen Mädchen, dem das intrigante Flittchen aus der vermeintlich besseren Gesellschaft gerade den Verlobten abspenstig machte. Sie liebte ihre tägliche Seifenoper und wollte sie um nichts in der Welt verpassen. Die Geschichten waren so einfach gestrickt, dass sie auch dann nachvollziehbar blieben, wenn man nicht jedes Wort mitbekam und die Gesichtszüge der Schauspieler nicht mehr klar erkennbar waren. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Martina stürmte herein, die mit ihren schweren Schritten trotz der weinroten Velours-Puschen an ihren geschwollenen Füßen einen so mächtigen Lärm verursachte, dass Luise gar nicht mehr verstand, was am Fürstenhof gesprochen wurde.
„Das ist ja nicht zum Aushalten!“, keifte Martina. „Mit dem Krach kannst du ja schon ganz Häger beschallen.“, rief sie und schaltete den Fernseher aus.
„Aber ich wollte das gucken.“, protestierte Luise.
„Du hast Besuch. Da lässt man den Fernseher nicht laufen.“, wies Martina sie zurecht.
„Wer ist denn da?“
„Onkel Erich. Komm rein. Ist ja jetzt Kaffeezeit. Soll ich dir einen Koffeinfreien machen?“
„Och, das ist nicht nötig.“, antwortete Erich Mensendiek, der der Eigentümer der nächsten Hofstelle war, die er auch bewohnte. Das Grundstück, auf dem Luise und ihr Mann das Haus gebaut hatten, hatte auch einmal dazu gehört.
„Jetzt sag schon, was du trinken willst.“, forderte Martina barsch. „Es ist schließlich Kaffeezeit.“
„Dann lieber einen Kaffee ohne Koffein.“
„Für mich aber mit.“, rief Luise.
„Ach Mama, du wirst schon nicht vom Stängel fallen, wenn du einmal koffeinfrei mit trinkst. Zwei Sorten Kaffee kochen für zwei Leute. Wo gibt’s denn so was?“
„Trinkst du denn keinen Kaffee, Martina?“, fragte Erich.
„Nein, nachmittags trinke ich immer Sauerkrautsaft. Das entschlackt.“
Als Martina zum Kaffee Kochen verschwunden war, sagte Erich: „Mensch, Luise, was lässt du dir das von Martina gefallen? Die behandelt dich ja wie 'ne Gefangene.“
„Ach, die hat nur einen rauen Ton.“
„Rauer Ton? Die benimmt sich wie 'ne durchgedrehte Gutsherrin. Dabei sollte sie froh sein, dass du sie hier wohnen lässt.“
„Ach Erich. Die Kinder sind eben die Kinder und das bleiben sie auch. Ich kann doch mein eigen Fleisch und Blut nicht vor die Tür setzen.“
„Meinetwegen behalt' sie da. Aber ihr sollte mal jemand den Kopf zurechtrücken. Ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass sie dich so behandelt. Regelrecht unverschämt ist die und überhaupt kein Respekt vor dem Alter. Vorm Krieg hätte es so was nicht gegeben. Da hätte sie sich entweder zusammenreißen müssen oder sie wäre in'ne Anstalt gekommen.“
„Ach, Erich, das ist doch Quatsch. Weißt du noch, Baxmanns Mutter? Die habense auch nicht abgeholt.“
Aber nur weil Otto inner SS war, das sag ich dir. Der konnte da schützend seine Hand drüber halten. Ich denke, ich knöpfe mir eure Martina gleich mal vor.“
„Du, lass das bloß sein. Dann wird sie nur ärgerlich, und wenn die richtig ärgerlich ist, das ist so schlimm, das hast du noch nicht erlebt.“
„Ach, Luise, lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Schmeiß die undankbare Brut raus. Die werden schon nicht verhungern. So schlecht verdient Manfred nicht. Und du hast doch genug Geld auf der Kante, um dir die letzten Jahre 'ne eigene Pflegerin zu leisten. Die macht es dir dann richtig schön.“
„Da wäre ja ruck zuck alles verjubelt.“
„Ach was. Da nimmste einfach 'ne Polin, so wie ich. So teuer sind die nicht und viel netter als die jungen Leute hierzulande.“
„Ach Erich, wenn sie dir im Krieg erzählt hätten, dass du dich im Alter mal von einer vonne Pollacken versorgen lässt, das hätteste auch nicht geglaubt.“
Luise lachte herzlich und Erich zuckte schmunzelnd mit den Schultern.
„Du kannst auch zu mir ziehen.“, schlug er vor. „Dann können wir uns die Polin teilen.“
„Ach, jetzt hör aber auf damit!“, wies Luise ihn brüsk zurück. „Ich bin in den letzten siebzig Jahren nicht zu dir gezogen, warum sollte ich jetzt damit anfangen?“
„Weil du hier nicht geachtet wirst.“
„Schluss jetzt!“, sagte Luise. „Kein Wort mehr darüber und wehe, du erzählst irgendwo was. Wenn Martina ab und zu mal schlechte Laune hat, geht das keinen was an. Schließlich hat sie ganz schlimm mit ihrem Rheuma zu tun, da kann man dann nicht immer freundlich sein.“
„Na, wenn du meinst. Ich finde nur, du hättest etwas Besseres verdient. Du müsstest nur dein Land verkaufen, dann...“
„Das mache ich ganz bestimmt nicht!“, unterbrach Luise ihn barsch. „Erstens will ich meinem Kind was vererben und zweitens haben meine Eltern sich nicht ihr Leben lang den Buckel krumm geschuftet, damit die Hallodris von sonst wo ihre heulenden, hässlichen Windräder auf unser Land pflanzen. Als kleinen Acker nebenbei kann ich das ja ganz gut verpachten, aber der einzige, der es kaufen würde, wäre Lohoffs Hans-Werner, und der hat schon so viel, dem gönne ich es nicht.“
„Nee, so'n alten Kreiselspargel können wir in Häger nun wirklich nicht gebrauchen. Guck dir den Apparat in Jöllenbeck doch mal an: Sieht man von überall, und wenn du durch die Kuhle am alten Waldbad durch bist, dann hörst du es schon: flapp-flapp-flapp. Und aussehen tut es, als wennse da 'ne Fabrik bauen. Sollense den Quatsch doch weiter inne Nordsee pflanzen, da is' wenigstens Wind und nich' wie bei uns in Häger inne Kuhle. Was die sich immer für'n Quatsch ausdenken. Oder steckt euer Manfred dahinter?“
„Was soll denn wohl unser Manfred damit zu tun haben? Der sitzt da im Rathaus, telefoniert und schreibt Rechnungen. Von Landwirtschaft hat der überhaupt keine Ahnung, und ich hab' auch noch nicht mitgekriegt, dass er sich mit Windrädern befasst hat.“
„Ich dachte ja nur, weil Krietemeiers Gerd neulich auch erzählte, der Uwe würde immer im Internet rumgucken, ob er nicht auch ein Stück Land an so'ne Windkraftfirma verkaufen könnte. Man müsste mit der Zeit gehen, sagt er.“
„Mit der Zeit gehen!“, entrüstete sich Luise. „Die Bauern verschleudern ihr gutes Land wie die Huren ihren Körper, von der Ehre mal ganz zu schweigen. Und am Ende wundern sie sich, wo alles geblieben ist, wenn sie dann das ganze schöne Geld für moderne Fernseher, Computergedöns und viel zu große Autos rausgeschmissen haben. Geht doch heutzutage alles ruck zuck kaputt und dann stehense da: kein Geld mehr und auch kein Land mehr, um was zu verdienen.“
„Ja ja“, pflichtete Erich ihr bei. „Und dann geht Haus und Hof drauf. Früher habense wenigstens nur alles versoffen, heute kaufense sich tot und schmeißen hinterher alles auf'n Müll. Und unsere Urenkel können dann sehen, wiese damit fertig werden.“
Luise seufzte. „Und keiner steht auf und tut was.“
„Och“, meinte Erich. „Die Jungens vonne Windkraftgegner, die machen ja schon was los. Und die wissen auch, was sie wollen und nicht nur, was sie nicht wollen.“
„Ja ja“, erinnerte sich Luise an die Anfänge der Grünen in den Achtzigern. „Wir sind alternativ. Wir sind dafür, dass wir dagegen sind.“
Erich nickte eifrig und fiel dann mit ein: „Atomkraft, nein danke, bei uns kommt der Strom aus der Steckdose.“
Die Tür ging auf und Martina brachte ein Tablett mit Kaffee und einem Stück Platenkuchen für jeden.
„Oh, hier wird man ja bedient wie inne Gastronomie.“, versuchte Erich gut Wetter zu machen.
„Ja, und dabei ganz ohne zu bezahlen.“, erwiderte Martina schnippisch und servierte vorbildlich die kleine Kaffeemahlzeit, ohne es jedoch zu versäumen, mit ihrem ganzen Körper auszustrahlen, wie lästig ihr Erichs Besuch war. Das tat sie nahezu immer, aber Erich besuchte Luise trotzdem regelmäßig, denn sie war als nächste Nachbarin eine der Wenigen, die noch aus der alten Zeit übrig geblieben war und er hatte sie stets verehrt und bewundert. Und begehrt hatte er sie wie keine andere, doch sie hatte ihn nie erhört.